Vier Wochen haben die Beatles unter erschwerten Bedingungen geackert; heute wollen sie damit beginnen, die Ernte einzufahren. Auf dem Dach des Apple-Gebäudes in der Savile Row ist eine Bühne hergerichtet worden. Sowie die Beatles dort auftauchen, stellen sich in der Umgebung (auch auf den benachbarten Dächern) etliche Schaulustige ein; die eigentlichen Zuschauer des Auftritts sind aber die Filmkameras. Zusätzlich zu den zwei während der letzten vier Wochen eingesetzten Kameras sind noch weitere im Einsatz; mehrere filmen das Geschehen direkt an Ort und Stelle, eine vom Dach des Gebäudes gegenüber (das ist der Ersatz für den nicht zu beschaffenden Hubschrauber), zwei weitere werden unten auf der Straße eingesetzt, um Reaktionen von Passanten einzufangen, die teils erfreut, teils aber auch verärgert reagieren.
Die Beatles bauen sich etwas anders auf als bei früheren Liveauftritten, bei denen John (vom Publikum aus gesehen) stets außen rechts, Paul meist links und George in der Mitte stand. Jetzt ist links das Keyboard von Billy Preston postiert, George drückt sich rechts ein bisschen aus der Schusslinie, in der Mitte vor Ringo stehen John (erstmals seit vier Wochen ohne Yoko an seiner Seite!) und Paul. Da die meisten Aufnahmen sich auf die vier Beatles konzentrieren, hat es tendenziell den Anschein, als stehe John im Zentrum. Lausig kalt und windig ist es auf dem Dach, Ringo hat sich deshalb die rote Regenjacke seiner Frau übergezogen und John einen Pelzfummel von Yoko; auch George trägt eine zottelige Jacke, nur Paul verzichtet auf Winterkleidung und tritt leger im schwarzen Sakko auf. Glyn Johns bleibt unten im Kontrollraum des Studios und schneidet von dort alles mit; über Kabel ist er mit den Beatles verbunden.
Zum Warmmachen spielen die Beatles den Refrain dessen, was sie für ihre stärkste Nummer halten, dann folgt ein kompletter Take des Stücks: GET BACK (3:05). Diese erste Fassung ist recht ungehobelt, John und George spielen sehr schludrig, aber Paul singt engagiert; ihm ist die Freude anzumerken, endlich wieder live zu spielen. Bei Laune sind sie alle; John singt und spielt einige Takte I WANT YOU (SHE’S SO HEAVY) (0:18), dann singt Paul den Titel von Don’t Let Me Down, doch statt sich diesen Song vorzunehmen, spielen die Beatles noch eine zweite Fassung von GET BACK (3:04), diesmal sehr viel konzentrierter, und dann folgt eine schön kompakte Fassung von DON’T LET ME DOWN (3:12), die nur den Makel hat, dass John in der ersten Strophe der Text nicht einfällt und er stattdessen Phantasieworte singt. (Teile dieser Aufnahme werden Jahrzehnte später für Let It Be ... Naked verwendet.) Ohne Pause schließen die Beatles sofort einen absolut perfekten Take von I’VE GOT A FEELING (3:30) an, der später (nachbearbeitet) auf der LP Let It Be und auch auf Let It Be ... Naked erscheinen wird. „Oh, my soul!“ singt John anschließend, fragt sich aber, ob sie unten auf der Straße wohl richtig zu hören seien. Lindsay-Hogg schlägt vor, er solle sich über die Dachkante beugen, um sich den Leuten zu zeigen, aber darauf geht John nicht ein.
Billy greift in die Tasten, der nächste Song wird kurz angespielt und dann ebenfalls perfekt vorgetragen, sofern bei diesem polternden Song Perfektion überhaupt möglich ist: ONE AFTER 909 (2:46); John hängt an das Ende noch einen Schnipsel aus dem Traditional DANNY BOY (0:06) an, und all das zusammen wird später für die unveröffentlichte LP Get Back und auch für die LP Let It Be ausgewählt. „Was kommt als nächstes?“ fragt Lindsay-Hogg, und es folgt der einzige konzerttaugliche Song, den sie noch in petto und gut genug drauf haben, um ihn zu präsentieren: DIG A PONY (3:44). Auch dies wird ein ordentlicher Vortrag (nicht zuletzt, weil Kevin Harrington mit dem gut lesbaren Text vor John kniet); der Take wird später auf der LP Let It Be landen, allerdings ohne die Zeile „All I want is“ am Anfang und am Ende, die weggeschnitten werden.
John klagt, ihm werde kalt; Glyn Johns muss das Band wechseln, und die Beatles rotzen eine E-Gitarren-Fassung von GOD SAVE THE QUEEN (0:32) hin. Ihr Repertoire ist erschöpft, also spielen sie nochmals I’VE GOT A FEELING (3:33), allerdings ist diese zweite Version weit weniger gelungen als die erste und höchstens deshalb von Interesse, weil George hier ansatzweise nochmals die Mandolinenklänge erzeugt, die er zwei Tage zuvor in Pauls Abwesenheit ausprobiert hatte. John trällert danach kurz die Irving-Berlin-Schnulze A PRETTY GIRL IS LIKE A MELODY (0:05) an, dann möchte er mit Get Back weitermachen, doch Paul unterbricht das und sorgt dafür, dass sie stattdessen eine zweite Fassung von DON’T LET ME DOWN (3:19) spielen. Grund dafür ist natürlich, dass John beim ersten Mal den Text vermurkst hat und Paul gerne einen guten Take auf Band haben möchte, aber diesmal kommt John schon bei der ersten Textzeile ins Straucheln, weswegen der Rest des Songs dann nicht mehr mit voller Konzentration gespielt wird. (Für Let It Be ... Naked werden schließlich die besten Passagen dieser Fassung mit den besten der früheren zusammengeschnitten.)
Gleich nach dem letzten Takt spielt George das Eingangsriff von GET BACK (3:01), von dem sie nun also noch eine dritte Fassung spielen, die allerdings ein wenig zerfahrener wirkt als die früheren – zum Teil liegt das daran, dass die Gitarrenverstärker am Ende der ersten Strophe ausfallen (George bringt das rasch wieder in Ordnung), zum Teil auch daran, dass inzwischen Polizisten auf dem Dach des Apple-Gebäudes erschienen sind, um Beschwerden von Anwohnern über Ruhestörung nachzugehen, und durch ihre bloße Anwesenheit für Unruhe sorgen. Paul allerdings, dessen Vortragsstil bei diesem letzten Take frischer und animierter wirkt denn je, macht sich die Situation zunutze, indem er den Text entsprechend abwandelt: „We’ve been playing on the roof together, and that’s no good. Cause you know your mummy doesn’t like that. Or she gets angry. She’ll gonna have you arrested!“ Und dann direkt an die Polizisten gewandt: „Oh, get back!“ Musikalisch ist dies natürlich nicht der beste Take, und die spätere Veröffentlichung auf Anthology 3 ist wohl nur seinem Wert als Kuriosität geschuldet – und der Tatsache, dass dies der Schlusspunkt des letzten öffentlichen Beatles-Auftritts ist. Die Beatles haben damit ihr Repertoire präsentabler neuer Livesongs erschöpft und verziehen sich vom kalten Dach ins warme Studio, nachdem John unter Beifall der Umstehenden noch seine Absage gemacht hat: „Ich möchte mich im Namen der Gruppe und unserer selbst bedanken und hoffe, wir haben das Probesingen bestanden!“ (Diese Absage ist auf der LP Let It Be zu hören, angehängt allerdings an einen Take, der drei Tage zuvor im Studio aufgenommen wurde.)
Im Kontrollraum hören sich die Beatles gleich die mitgeschnittenen Aufnahmen an und sind verständlicherweise sehr zufrieden; Pauls These, dass sie punktgenau vorzügliche Arbeit abliefern können, wenn es nötig ist, hat sich bestätigt. Selbst George Martin, der dem ganzen Projekt von Anfang an skeptisch gegenübergestanden hat (und nie ernsthaft darin involviert war), gibt zu, die Aufnahmen seien besser geworden, als er erwartet habe. John meint, seine Gesangspatzer auf Don’t Let Me Down könne man sicher durch geschickte Montageschnitte ausbessern, und nachdem sie sich auch die zerfallende letzte Version von Get Back angehört haben, hat George noch eine Idee: „Wenn wir die Polizei drauf haben, könnten wir im Film so tun, als hätten wir ihretwegen abbrechen müssen!“ Genau diesen Eindruck wird Lindsay-Hogg später im Film Let It Be durch geschickte Schnitt- und Montagetricks erzielen, und damit erhält er als Schlusssequenz genau den dramatischen Höhepunkt, den er sich von Anfang an gewünscht hat. (Noch hübscher wäre es natürlich gewesen, hätten die Polizisten die Beatles gewaltsam vom Dach geholt.) Alle fünf Songs, die von den Beatles auf dem Dach gespielt werden, sind im Film zu sehen: Get Back (zweite Fassung), Don’t Let Me Down (erste Fassung), I’ve Got A Feeling (erste Fassung), One After 909, Dig A Pony und nochmals Get Back (letzte Fassung). Es überwiegen kurioserweise Songs aus Johns Feder, obwohl gerade John lange Zeit Mühe hatte, überhaupt eigenes Material beizusteuern. So trägt das Dachkonzert und seine Darstellung im Film zu der Fehleinschätzung bei, John sei immer noch der Boss der Beatles – nicht zuletzt, weil er dabei in der Bühnenmitte steht und die Schlussabsage macht. George hingegen hat – wie schon am 7. Januar angekündigt – ganz auf eigene Songs verzichtet.