In Sonnys Traum treibt jemand, ein Mann, auf einem Floß von ihm fort. Sonny befindet sich in einem Tunnel oder in einer Höhle, und das Licht flimmert auf unheimliche Weise, wie vor einem Gewitter. Bis zu den Knien in einem Flussbett, stapft er durch das Wasser. Er befindet sich eindeutig in einer Höhle; Wasser tropft wie Regen aus der Dunkelheit über seinem Kopf herab – die rauhen Steinwände schwitzen, und kleine Wasserfälle rinnen in den Fluss. In der Ferne kann er eben noch die Umrisse eines Mannes ausmachen, der auf einem Floß kauert. Es wird von der Strömung mitgerissen und verschwindet hinter einer Biegung. Die Höhle befindet sich in einem Dschungel, erfüllt von Affengeschrei und Vogelkrächzen und dem rhythmischen Singen und Trommeln der Eingeborenen, die sich unter Bäumen versteckt halten. In einem Moment stapft Sonny in Lacklederschuhen und einem dreiteiligen Anzug durch das Wasser, um das Floß einzuholen, im nächsten blickt er Eileen in die Augen, die sich über ihn beugt und sanft seine Wange berührt.
Sie lagen in Eileens Bett. Draußen grollte leiser Donner, rollte die Straße entlang, bis ein Krachen die Fensterscheiben erzittern ließ, gefolgt von einem heftigen Windstoß. Die Jalousien machten einen Heidenlärm, und die weißen Vorhänge wurden emporgeweht. Eileen knallte das Fenster zu, setzte sich auf und strich Sonny die Haare aus der Stirn. »Was hast du denn geträumt?«, fragte sie. »Du hast gestöhnt und dich hin- und hergeworfen.«
Sonny schob sich ein zweites Kissen unter den Kopf und mühte sich, den Traum abzuschütteln. Dann lachte er und erwiderte: »Von Tarzan, dem Affenmenschen. Hab ich letzten Samstag im Rialto gesehen.«
Eileen schlüpfte neben ihm unter die ausgebleichte grüne Bettdecke. In der Hand hielt sie ein silbernes Feuerzeug und eine Schachtel Wings. Sie reckte den Hals und schaute zum Fenster hinaus. Ein plötzlicher Regenguss prasselte gegen die Scheibe und erfüllte das Zimmer mit dem Rauschen von Wind und Wasser. »Das ist nett«, sagte sie, klopfte zwei Zigaretten aus der Schachtel und reichte eine davon Sonny.
Sonny nahm ihr das Feuerzeug aus der Hand und betrachtete es. Er musste erst ein bisschen damit herumspielen, bevor er begriff, wie es funktionierte. Dann nahm er es zwischen Daumen und Zeigefinger und drückte; der Deckel sprang auf, und eine blaue Flamme schoss empor. Er gab Eileen Feuer und zündete seine eigene Zigarette an.
Eileen griff nach einem Aschenbecher auf dem Nachttisch und stellte ihn auf die Decke oberhalb ihrer Knie. »Und wer warst du in dem Traum? Johnny Weissmuller?«
Der Traum war in Sonnys Erinnerung schon fast verblasst. »Ich glaube, ich war irgendwo im Dschungel.«
»Zusammen mit Maureen O’Sullivan, jede Wette. Das ist wirklich eine echte irische Schönheit, findest du nicht auch?«
Sonny sog tief den Rauch ein und wartete einen Moment, bevor er antwortete. Ihm gefiel der goldbraune Glanz von Eileens Augen, sie sahen aus, als würden sie von innen heraus leuchten; dabei bildeten sie einen deutlichen Kontrast zu ihrer hellen Haut und zu ihrem Haar, das ihr ins Gesicht fiel und sie wie ein junges Mädchen aussehen ließ. »Ich finde, du bist eine echte irische Schönheit«, sagte er schließlich. Unter der Decke griff er nach ihrer Hand.
Eileen lachte. »Du bist mir so ein Casanova, Sonny Corleone.«
Sonny ließ ihre Hand los und setzte sich auf.
»Hab ich was Falsches gesagt?«
»Nee. Ich werd nur nicht gern als Casanova bezeichnet.«
»Warum denn?« Eileen griff wieder nach seiner Hand und hielt sie fest. »Ich hab das nicht böse gemeint.«
»Ich weiß …« Sonny brauchte einen Augenblick, um sich zu sammeln. »Mein Vater hält mich für einen sciupafemmine, einen Playboy. Glaub mir, das ist kein Kompliment.«
»Ach, Sonny …« Eileen klang nicht so, als wollte sie Sonnys Vater widersprechen.
»Ich bin noch jung«, sagte Sonny. »Wir sind hier in Amerika, nicht in irgendeinem Dorf auf Sizilien.«
»Wohl wahr«, erwiderte Eileen. »Sind nicht alle Italiener große Herzensbrecher?«
»Wieso das? Wegen Rudy Valentino?« Sonny drückte seine Zigarette aus. »Frauen nachzustellen gilt unter Italienern nicht als mannhaft, sondern eher als Zeichen von Charakterschwäche.«
»Und dein Vater ist der Meinung, du hättest einen schwachen Charakter?«
»Jesus Maria.« Sonny warf verzweifelt die Hände in die Höhe. »Ich hab keine Ahnung, was mein Vater von mir denkt. Ich weiß nur, dass ich ihm nichts recht machen kann. Er behandelt mich wie einen giamope, er und Clemenza.«
»Giamope?«
»Einen Trottel.«
»Nur weil du Frauen hinterherläufst?«
»Davon sind sie auch nicht eben begeistert.«
»Und macht es dir was aus, Sonny?« Eileen legte ihm die Hand auf den Oberschenkel. »Ist es für dich wichtig, was dein Vater denkt?«
»Herrgott, natürlich. Natürlich ist mir das wichtig.«
Eileen rutschte ein Stück von ihm weg, hob ein Unterkleid vom Boden auf und zog es sich über den Kopf. »Tut mir leid …«, sagte sie, ohne ihn anzuschauen. Dann schwieg sie eine Weile, und außer dem Prasseln des Regens war nichts zu hören. »Ach, Sonny«, fuhr sie schließlich fort, »dein Vater ist ein Gangster, hab ich recht?«
Sonny zuckte nur mit den Achseln. Er schwang die Beine über den Bettrand und suchte nach seiner Unterwäsche.
»Was muss man tun, um die Anerkennung eines Gangsters zu gewinnen?«, fragte Eileen, und plötzlich klang sie fast ein wenig wütend. »Jemand umbringen?«
»Schadet bestimmt nicht, wenn’s der Richtige ist.«
»Gütiger Himmel!« Eileen klang äußerst aufgebracht. Doch dann lachte sie wieder, als wäre ihr eingefallen, dass sie das nichts anging. »Sonny Corleone«, sagte sie und betrachtete versonnen seinen Rücken, während er seine Hosen anzog. »Das wird dir alles nur Kummer bereiten.«
»Was wird mir Kummer bereiten?«
Eileen krabbelte über das Bett, schlang die Arme um ihn und küsste seinen Hals. »Du bist ein wunderschöner Junge.«
Sonny langte hinter sich und tätschelte ihr Bein. »Ich bin kein Junge.«
»Ich vergaß – du bist ja jetzt achtzehn.«
»Mach dich nicht über mich lustig.« Sonny schlüpfte in seine Schuhe, während Eileen immer noch an seinem Rücken hing.
»Wenn du nicht möchtest, dass dein Vater dich für einen sciupafemmine hält«, sagte Eileen und sprach das Wort genau so aus wie Sonny, »dann solltest du deine sechzehnjährige Schönheit heiraten …«
»Siebzehn«, sagte Sonny und band seine Schnürsenkel zu einer ordentlichen Schleife.
»Dann heirate sie«, fuhr Eileen fort, »oder verlobe dich mit ihr. Und behalte dein Ding in der Hose. Oder sei wenigstens diskret.«
»Was soll ich sein?«
»Du sollst dich nicht erwischen lassen.«
Sonny hielt inne, drehte sich um und sah Eileen mit ernster Miene an. »Woher weiß man, ob man in jemand verliebt ist?«
»Wenn du das fragen musst«, sagte sie und küsste ihn auf die Stirn, »dann bist du’s nicht.« Sie hielt seine Wangen, küsste ihn noch einmal, sprang dann vom Bett und ging aus dem Zimmer.
Als Sonny sich fertig angezogen hatte, ging er in die Küche. Eileen stand an der Spüle und machte den Abwasch. Durch das Fenster fiel Licht herein, und durch das weiße Baumwollunterkleid schimmerten die Konturen ihres Körpers hindurch. Wahrscheinlich war sie zehn Jahre älter als Sonny, und Caitlins Mutter war sie ganz bestimmt – aber bei Gott, anzusehen war ihr das nicht. Nachdem er sie eine Weile bewundert hatte, wäre er am liebsten wieder mit ihr ins Schlafzimmer zurückgegangen.
»Was glotzt du so?«, frage Eileen, ohne von dem Topf aufzublicken, den sie gerade schrubbte. Als Sonny nichts erwiderte, drehte sie sich um, sah ihn grinsen und schaute dann zum Fenster und an sich herunter. »Genießt du die Aussicht?« Sie spülte den Topf ab und stellte ihn auf das Abtropfgitter.
Sonny trat hinter sie und küsste sie. »Was ist, wenn ich in dich verliebt bin?«
»Du bist nicht in mich verliebt.« Eileen drehte sich um, legte ihm die Arme um die Taille und küsste ihn. »Ich bin das Flittchen, bei dem du dir die Hörner abstößt. Eine Frau wie mich heiratet man nicht. Mit ihr hat man Spaß, sonst nichts.«
»Du bist kein Flittchen.« Sonny umfasste ihre Hände.
»Wenn ich kein Flittchen bin, warum gehe ich dann mit dem besten Freund meines kleinen Bruders ins Bett? Oder mit seinem ehemaligen besten Freund?«, fügte sie hinzu, als wäre es eine Frage, die sie ihm schon länger hatte stellen wollen. »Was ist denn zwischen euch beiden vorgefallen?«
»Nur damit das klar ist – du bist schon lange nicht mehr mit dem besten Freund deines kleinen Bruders ins Bett gegangen. Cork und ich … deshalb bin ich ja hergekommen, um die Sache mit ihm wieder ins Lot zu bringen.«
»Du darfst nicht mehr alleine hierherkommen, Sonny.« Eileen löste sich von ihm und ging seinen Hut holen, der auf einem Regal neben der Wohnungstür lag. »Es war wirklich schön, aber bitte komm nicht mehr hierher, außer zusammen mit Cork.«
»Che cazzo! Ich hab erst bei Cork vorbeigeschaut, und der war nicht da.«
»Wie dem auch sei«, sagte Eileen und hielt sich den Fedora vor die Brust, »du darfst nicht mehr alleine hierherkommen, Sonny Corleone. Das ist einfach nicht gut.«
»Puppengesicht«, sagte Sonny und trat einen Schritt auf sie zu, »du hast mich ins Bett geschleppt. Ich hab nur nach Cork gesucht.«
»Ich hatte nicht den Eindruck, dass ich dich zu irgendetwas überreden musste«, erwiderte Eileen und reichte ihm den Hut.
»Okay, ich gebe es zu«, sagte Sonny und setzte den Hut auf. »Anstrengen musstest du dich nicht. Aber trotzdem, ich war wegen Cork hergekommen.« Er küsste sie auf die Stirn. »Aber das heißt nicht, dass ich irgendwas bereue.«
»Das habe ich auch nicht erwartet«, sagte Eileen, und dann, als wäre ihr das gerade erst eingefallen, kehrte sie zu der Frage zurück, die sie ihm eben gestellt hatte. »Was ist denn los mit dir und Cork? Mir erzählt er ja nichts, aber er bläst die ganze Zeit Trübsal, als wüsste er nicht, was er mit sich anfangen soll.«
»Unsere Wege haben sich getrennt«, sagte Sonny. »Geschäftlich, mein ich. Deswegen ist er sauer auf mich.«
Eileen neigte den Kopf. »Heißt das, er arbeitet nicht mehr mit dir zusammen?«
»Genau. Jeder geht jetzt seinen eigenen Weg.«
»Wie das?«
»Das ist eine lange Geschichte.« Sonny rückte seinen Hut zurecht. »Aber richte Cork bitte aus, dass ich ihn sehen möchte. Nicht mehr mit ihm zu reden … Wir sollten uns eben mal wieder unterhalten. Richte ihm aus, dass ich deswegen nach ihm gesucht habe.«
Eileen musterte ihn eingehend. »Heißt das, dass Cork sein Geld nicht mehr auf dieselbe Art und Weise verdient wie du?«
»Ich hab keine Ahnung, was Cork jetzt treibt.« Sonny streckte die Hand nach dem Türknauf aus. »Was auch immer es ist – wir arbeiten nicht mehr zusammen.«
»Der heutige Tag ist voller Überraschungen, was?« Eileen umfasste Sonnys Taille, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Abschiedskuss. »Das war wirklich schön, Sonny. Aber es wird nicht wieder passieren. Nur damit du’s weißt.«
»Zu schade.« Sonny beugte sich vor, als wollte er sie küssen, doch sie trat einen Schritt zurück. »Na gut – aber vergiss nicht, was du Cork ausrichten sollst.« Damit ging er hinaus und zog leise die Tür hinter sich ins Schloss.
Als er auf die Straße trat, war das Gewitter abgezogen. Der Gehsteig war frei von Schmutz und Abfällen, die Eisenbahnschienen funkelten. Sonny warf einen Blick auf seine Armbanduhr und überlegte, was er als Nächstes tun sollte. Dann fiel es ihm wieder ein – wie in einem Zeichentrickfilm leuchtete in seinem leeren Kopf eine Glühbirne auf: In ein paar Minuten fand in dem Lagerhaus in der Hester Street eine Besprechung statt, bei der er unbedingt dabei sein musste. »V’fancul’«, sagte er laut und rechnete in Gedanken rasch nach, wie lange er bei dem Verkehr bis dorthin brauchen würde. Wenn er Glück hatte, würde er nur zehn Minuten zu spät kommen. Er schlug sich auf die Stirn und rannte um die Ecke zu seinem Wagen.
Vito trat vom Schreibtisch zurück und wandte Sonny, der gerade zur Bürotür hereinkam und Entschuldigungen stammelte, den Rücken zu. Er starrte seinen Fedora und das Jackett an, die am Garderobenständer hingen, und wartete, bis Sonny den Mund hielt, doch dafür musste Clemenza ihn erst anschnauzen, er solle sich hinsetzen und still sein. Schließlich wandte Vito sich um und ließ den Blick über die Anwesenden schweifen. Seinem Unmut über Sonny machte er mit einem tiefen Seufzer Luft. Sonny saß rittlings auf einem Stuhl neben der Tür, die Arme auf die Lehne gestützt. Er sah Vito über die Köpfe von Genco und Tessio hinweg erwartungsvoll an. Clemenza, der auf einem Aktenschrank saß, zuckte mit den Achseln, als wollte er sagen: Was will man da machen? Draußen blitzte und donnerte es kurz hintereinander, ein weiteres Frühlingsgewitter zog über die Stadt hinweg. Vito nahm seine Manschettenknöpfe ab und krempelte die Ärmel hoch, während er sprach. »Mariposa hat alle Familien in New York und New Jersey zu einem Treffen zusammengerufen.« Ein Blick zu Sonny sollte deutlich machen, dass er das für ihn wiederholte. »Um seine lauteren Absichten zu zeigen, findet das Treffen an einem Sonntagnachmittag in Saint Francis in Midtown statt.« Vito hielt inne und lockerte seine Krawatte. »Keine schlechte Idee, das muss man ihm lassen. Aber«, fügte er mit einem Blick zu Tessio und Clemenza hinzu, »das wäre nicht das erste Mal, dass Leute in einer Kirche umgebracht werden. Ich möchte, dass eure Jungs sich in der Nähe aufhalten, überall in der Gegend, auf den Straßen, in Restaurants, wo sie schnell zu erreichen sind, sollte es sich als nötig erweisen.«
»Geht klar«, sagte Tessio und klang dabei mürrischer als sonst.
»Das ist einfach«, sagte Clemenza. »Kein Problem, Vito.«
»Zu diesem Treffen«, fuhr Vito an Sonny gewandt fort, »werde ich Luca Brasi als Leibwächter mitnehmen. Und ich möchte, dass du Genco als Leibwächter begleitest.«
»In Ordnung, Pa«, erwiderte Sonny und kippelte mit dem Stuhl nach vorne. »Geht klar.«
Clemenza schoss das Blut ins Gesicht.
»Du wirst die ganze Zeit hinter Genco stehen und nichts sagen.« Vito betonte jedes Wort, als wäre Sonny ein wenig dumm, weshalb man mit ihm besonders langsam reden musste. »Hast du das begriffen? Sie wissen schon, dass du mit im Geschäft bist. Jetzt möchte ich ihnen in aller Deutlichkeit zeigen, dass du mir nahestehst.«
»Ich hab’s kapiert, Pa. Wirklich.«
»V’fancul’!«, rief Clemenza und hob die Faust. »Wie oft muss ich dir noch erklären, dass du zu deinem Vater nicht ›Pa‹ sagen sollst, wenn es ums Geschäft geht? Du nickst einfach und hältst die Klappe. Capisc’?«
»Clemenza und Tessio«, sagte Vito, bevor Sonny etwas entgegnen konnte, »ihr bleibt in der Nähe der Kirche, für den Fall, dass ich euch brauche. Das wird bestimmt nicht notwendig sein, aber ich bin ein vorsichtiger Mensch.«
Vito wandte sich wieder seinem Sohn zu, als wollte er ihm noch etwas sagen. Stattdessen sah er Genco an. »Consigliere«, fuhr er fort, »hast du irgendeine Ahnung, was Mariposa mit diesem Treffen bezweckt?«
Genco jonglierte mit seinen Händen im Schoß, als würde er Ideen abwägen. »Wir ihr wisst«, sagte er und drehte sich ein wenig herum, um jeden im Büro anzusprechen, »hat uns niemand vorgewarnt, dass dieses Treffen stattfinden wird, nicht einmal unser Freund, der davon auch erst jetzt erfahren hat. Er weiß nichts über den Zweck dieser Zusammenkunft.« Genco hielt inne, kratzte sich an der Wange und dachte nach. »Mariposa hat die letzten Probleme mit LaContis Organisation aus dem Weg geräumt. Jetzt gehört ihm alles, was früher LaConti gehörte. Damit ist seine Familie die bei Weitem mächtigste von allen.« Genco spreizte die Finger, als würde er einen Basketball halten. »Ich glaube, er will uns vor Augen führen, wer jetzt das Sagen hat. Angesichts seiner Stärke ist das durchaus berechtigt. Ob wir bei allem mitziehen oder nicht, wird davon abhängen, was er von uns verlangt.«
»Und du glaubst, dass wir das bei diesem Treffen herausfinden werden?«, wollte Tessio wissen.
»Das vermute ich«, erwiderte Genco.
Vito schob einen Papierstapel beiseite und setzte sich auf den Rand seines Schreibtischs. »Giuseppe ist ein äußerst habgieriger Mensch«, sagte er. »Nachdem Whisky jetzt wieder legal ist, wird er herumjammern, wie arm er ist – und er wird von uns allen Geld verlangen. Vielleicht in Form einer Steuer, ich weiß es nicht. Aber er wird einen Teil von unseren Einnahmen haben wollen. So etwas haben wir bereits geahnt, als er sich LaConti vorgeknöpft hat. Jetzt ist die Zeit gekommen, und darum wird es bei diesem Treffen gehen.«
»Seine Macht ist groß«, sagte Tessio. »Uns bleibt nichts anderes übrig, als zu allem Ja und Amen zu sagen, selbst wenn er uns zu weit geht.«
»Pa«, sagte Sonny und verbesserte sich sofort, obwohl ihm die Anrede offenbar Schwierigkeiten bereitete. »Don, alle wissen, dass Mariposa es auf uns abgesehen hat.« Er stand auf und blickte zornig in die Runde. »Warum knallen wir ihn nicht dort in der Kirche ab, wenn er es am wenigsten erwartet? Bada boom, bada bing!«, rief er und klatschte in die Hände. »Dann ist Mariposa aus dem Rennen, und alle wissen, was passiert, wenn man sich mit den Corleones anlegt.«
Augenblicklich wurde es totenstill. Der Regen prasselte aufs Dach, der Wind rüttelte am Fenster. Vito sah Sonny mit vollkommen ausdrucksloser Miene an. Seine Capos blickten zu Boden. Clemenza presste sich die Hände an die Schläfen, als wollte er verhindern, dass ihm der Kopf platzt.
»Gentlemen«, sagte Vito ruhig, »darf ich mit meinem Sohn einen Moment unter vier Augen sprechen, per favore?« Alle gingen wortlos hinaus.
Als sie allein waren, ließ Vito ein paar Sekunden verstreichen und starrte Sonny an, als wäre er ihm ein Rätsel. »Du willst, dass wir Giuseppe Mariposa töten«, sagte er schließlich, »in einer Kirche, an einem Sonntag, während einem solchen Treffen, bei dem alle Familien anwesend sind?«
Sonny wich vor dem Blick seines Vaters zurück und setzte sich wieder. Leise sagte er: »Ich hab mir gedacht …«
»Du hast dir gedacht!«, fiel ihm Vito ins Wort. »Du hast dir gedacht«, wiederholte er. »Was du dir denkst, interessiert mich nicht. Du bist ein bambino. Künftig möchte ich nicht mehr hören, was du dir denkst. Hast du das kapiert, Santino?«
»Klar doch, Pa«, erwiderte Sonny, vom Zorn seines Vaters sichtlich beeindruckt.
»Wir sind keine Tiere, Santino. Das zuallererst. Und« – er hob den Finger – »was du vorschlägst, würde alle Familien gegen uns aufhetzen. Es würde unseren Untergang bedeuten.«
»Pa …«
»Sta’zitt’!« Vito zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben Sonny. »Hör mir gut zu«, sagte er und legte ihm eine Hand aufs Knie. »Es wird Ärger geben. Großen Ärger, kein Kinderspiel. Es wird Blut vergossen werden. Verstehst du das, Santino?«
»Klar, Pa. Das verstehe ich.«
»Das glaube ich nicht.« Vito wandte den Blick ab und fuhr sich mit den Knöcheln übers Kinn. »Ich muss an alle denken, Santino. An Tessio und Clemenza und ihre Männer, an ihre Familien. Ich bin für sie verantwortlich.« Er hielt inne und suchte nach den passenden Worten. »Ich bin für alle verantwortlich – für unsere ganze Organisation, für jeden Einzelnen.«
»Klar«, sagte Sonny und kratzte sich am Kopf. Wenn er doch nur wüsste, wie er seinen Vater überzeugen konnte, dass er ihn verstand.
»Was ich damit sagen will«, fuhr Vito fort und zupfte an seinem Ohr, »du musst lernen, nicht nur das zu hören, was gesagt wird, sondern auch das, was zwischen den Zeilen steht. Glaube mir, ich bin für alle verantwortlich. Für alle!«
Sonny nickte, und zum ersten Mal wurde ihm klar, dass er vielleicht doch nicht verstand, was sein Vater ihm sagen wollte.
»Du musst tun, was ich dir sage«, erklärte Vito, wobei er erneut jedes Wort betonte, als würde er mit einem Kind sprechen. »Und zwar nur das, was ich dir sage. Ich kann mir nicht auch noch Sorgen machen, ob du gleich wieder etwas Unbeherrschtes sagst oder tust, Santino. Du arbeitest jetzt für mich – und ich sage dir, du wirst nichts sagen oder tun, außer jemand fordert dich dazu auf, ich oder Tessio oder Clemenza. Hast du das begriffen?«
»Ja, ich glaube schon.« Sonny dachte einen Augenblick nach. »Du möchtest nicht, dass ich dir in die Quere komme. Du musst dich um einige wichtige Angelegenheiten kümmern, und da kannst du dir keine Sorgen machen, ob ich irgendwelche Dummheiten begehe.«
»Ah«, sagte Vito und klatschte lautlos in die Hände.
»Aber Pa«, sagte Sonny und beugte sich vor. »Ich könnte …«
Vito packte seinen Sohn fest am Kinn und sah ihn an. »Du bist ein bambino. Du hast von nichts eine Ahnung. Und wenn du irgendwann kapierst, wie wenig du weißt, dann fängst du vielleicht endlich an zuzuhören.« Er ließ Sonny los und strich sich durchs Haar. »Zuhören«, sagte er. »Das wäre ein Anfang.«
Sonny stand auf und drehte seinem Vater den Rücken zu. Sein Gesicht war rot angelaufen, und wenn irgendjemand das Pech gehabt hätte, vor ihm zu stehen, hätte er ihm den Kiefer gebrochen. »Ich verschwinde jetzt besser«, sagte er zu seinem Vater, ohne ihn anzuschauen. Vito nickte, und Sonny erwiderte diese Geste, als hätte er es gesehen. Dann ging er hinaus.
Im Schein der Straßenlampe an der Ecke vom Paddy’s verbeugte sich Pete Murray übertrieben tief und vollführte eine ausholende Bewegung mit der linken Hand. Eine stämmige ältere Frau in einem knöchellangen Kleid stemmte die Hände in die Hüften, warf den Kopf in den Nacken und lachte, bevor sie davonschlenderte. Nach wenigen Schritten drehte sie sich um, sah Pete an und sagte etwas, über das wiederum er lauthals lachen musste. Cork beobachtete das alles von der anderen Straßenseite aus. Er stand hinter dem Wagen eines Scherenschleifers, an dessen Ladefläche ein großes Schleifrad befestigt war. Der Vormittag war noch nicht weit fortgeschritten, die Frühlingssonne tauchte alles in ihr helles Licht. In der ganzen Stadt holten die Leute ihre leichten Jacken hervor und räumten die Wintersachen weg. Cork trat hinter dem Wagen hervor, rief Petes Namen und eilte zu ihm hinüber.
Pete begrüßte Cork mit einem Lächeln. »Freut mich, dass du Zeit für uns hast«, sagte er und legte Cork einen kräftigen Arm um die Schulter.
»Klar doch«, erwiderte Cork. »Wenn Pete Murray mich auf ein Bier einlädt, überleg ich nicht lange.«
»So ist’s brav! Wie geht’s Eileen und der Kleinen?«
»So weit ganz gut. Die Bäckerei läuft ordentlich.«
»Für was Süßes haben die Leute immer ein paar Pennys übrig, sogar wenn die Zeiten schlecht sind.« Pete sah Cork mitfühlend an. »Das mit Jimmy ist eine verdammte Schande. Er war ein braver Kerl und außerdem auch noch klug.« Als wollte er nicht länger bei diesem traurigen Thema verweilen, fügte er hinzu: »Aber das ist deine ganze Familie, hab ich recht?« Er schlug Cork gutmütig auf die Schulter. »Ihr habt den meisten Grips hier im Viertel.«
»Da wär ich mir nicht so sicher.« Bis zum Paddy’s waren es nur noch ein paar Schritte, und Cork bedeutete Pete, er solle stehen bleiben. Auf der Straße fuhr langsam ein grün-weißer Streifenwagen vorbei, und ein Polizist starrte heraus, als wollte er sich Corks Gesicht ganz genau einprägen. Pete tippte sich an den Hut, der Polizist nickte, und der Wagen rollte weiter. »Hör mal, Pete«, fragte Cork, »würde es dir was ausmachen, mir zu erklären, worum es geht? Ich werd nicht jeden Tag von Pete Murray auf ein Bier eingeladen – und das um elf Uhr vormittags! Ich muss zugeben, dass ich ziemlich neugierig bin.«
»Ach, mach halblang.« Pete legte Cork die Hand ins Kreuz und schob ihn in Richtung Paddy’s. »Sagen wir, ich möchte eine Einladung aussprechen.«
»Eine Einladung wozu?«
»Das wirst du gleich erfahren.« Als sie den Eingang des Lokals fast erreicht hatten, blieb Pete stehen und sagte: »Du treibst dich nicht mehr mit Sonny Corleone und seinen Kumpels herum, oder?« Als Cork ihm nicht widersprach, fuhr er fort: »Ich hab gehört, dass sie dich rausgeworfen haben wie den letzten Penner, während sie jetzt bei den Corleones die fette Kohle machen.«
»Was hat das damit zu tun?«
»Gleich, gleich.« Pete schob die Tür zum Paddy’s auf.
Bis auf fünf Männer, die an der Bar saßen, war das Lokal leer. Die Stühle waren verkehrt herum auf die Tische gestellt, der Boden saubergewischt. Cork musste sich erst an das Halbdunkel gewöhnen – Tageslicht fiel nur durch ein Fenster aus Glasbausteinen herein, das auf eine Nebenstraße hinausging, und die grünen Rollos waren zugezogen und von grellem Sonnenlicht gesäumt. Die nächtliche Kälte war noch spürbar. Wie immer roch es nach Bier. Die Männer an der Bar wandten sich um und sahen Cork entgegen, doch keiner rief seinen Namen. Cork kannte sie alle: die Donnelly-Brüder, Rick und Billy, hockten nebeneinander, Corr Gibson machte sich neben Sean O’Rourke breit, und Stevie Dwyer saß für sich an einer Ecke.
Pete verriegelte die Tür, und noch während er den Männern den Rücken zugewandt hatte, sagte er: »Bobby Corcoran kennt ihr ja.« Er legte Cork den Arm um die Schulter, führte ihn zu einem Barhocker und zog sich selbst einen heran. Während die anderen abwartend zuschauten, nahm er zwei Bierkrüge und schenkte sich und Cork ein. Er trug ein blassgrünes Hemd, das über seinem Bauch recht weit war, über seiner Brust und den sich deutlich abzeichnenden Armmuskeln jedoch spannte. »Lasst mich gleich zur Sache kommen!«, sagte er laut und schob Cork sein Bier über die Theke. Um seine Worte zu unterstreichen, schlug er mit der flachen Hand auf die Bar und blickte von einem zum anderen, als wollte er sich vergewissern, dass ihm auch alle zuhörten. »Die Rosato-Brüder haben uns ein Angebot gemacht …«
»Die Rosato-Brüder!«, brüllte Stevie Dwyer. Er hatte die Arme verschränkt und setzte sich jetzt auf, um etwas größer zu wirken. »Jesus Maria«, murmelte er und verstummte dann, als Pete und die anderen ihn anstarrten.
»Die Rosato-Brüder haben uns ein Angebot gemacht«, wiederholte Pete. »Sie wollen, dass wir für sie arbeiten.«
»Heilige Jungfrau«, flüsterte Stevie.
»Stevie«, sagte Pete, »lässt du mich bitte mal ausreden, verdammt noch mal?«
Stevie hob seinen Bierkrug an den Mund und blieb ihm die Antwort schuldig.
Pete knöpfte einen Knopf an seinem Kragen auf und blickte in sein Bier, als müsste er sich, nachdem er unterbrochen worden war, erst wieder sammeln. »Sie wollen uns alles überlassen, was wir hier im Viertel früher aufgezogen haben. Wir hätten wieder das Sagen, müssten aber natürlich einen Teil des Profits an sie abgeben, was sich von selbst versteht.«
Bevor Pete fortfahren konnte, fiel ihm Billy Donnelly ins Wort. »Und wie wollen die Rosato-Brüder das bewerkstelligen, Pete? Schließlich haben die Corleones hier das Ruder in der Hand.«
»Tja nun«, erwiderte Pete, »deshalb habe ich euch hier zusammengerufen.«
»Also darum geht’s!«, rief Corr und packte seinen Knüttel fester. »Die Rosatos wollen den Corleones ans Leder.«
»Die Rosatos machen keinen Finger krumm, ohne sich vorher rückzuversichern«, sagte Rick Donnelly. »Wenn sie zu uns kommen, heißt das, dass sie im Auftrag von Mariposa handeln.«
»Natürlich«, sagte Pete mit erhobener Stimme und tat Ricks Äußerung als Zeitverschwendung ab.
»Ach du lieber Himmel!« Sean O’Rourke schob angewidert sein Bier von sich weg. In der Stille, die daraufhin folgte, fiel Cork auf, wie sehr sich Sean verändert hatte, seit er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Ein Großteil seiner Jugendlichkeit und seines guten Aussehens schien dahingeschwunden zu sein. Er wirkte älter und zorniger, sein Gesicht war eingefallen, die Augen schmal geworden. »Mein Bruder Willie liegt unter der Erde«, sagte Sean und sah alle an. »Meine Schwester Kelly …« Er schüttelte den Kopf, als fehlten ihm die Worte. »Und Donnie ist blind und so gut wie tot.« Zum ersten Mal blickte er Pete direkt an. »Und jetzt redest du darüber, dass wir für diese blutrünstigen Makkaronis arbeiten sollen.«
»Sean …«, sagte Pete.
»Ich mach da nicht mit, egal was!«, brüllte Stevie, seinen Bierkrug in der Hand. »Ich hasse diese verfluchten Makkaronis, und ich werd auf keinen Fall für die arbeiten!«
»Was wollen sie überhaupt von uns im Gegenzug für ihre Großzügigkeit?«, fragte Corr Gibson.
»Gentlemen.« Pete blickte zur Decke hinauf, als würde er den Himmel um Geduld anflehen. »Würdet ihr mich um Gottes willen mal ausreden lassen.« Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann fuhr er fort. »Sean«, sagte er und streckte die Hand nach ihm aus. »Corr und ich haben Willie versprochen, dass wir uns um Luca Brasi kümmern werden. Wir haben ihn gebeten zu warten, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist.«
»Für Willie ist er jedenfalls vorbei«, sagte Sean und griff nach seinem Bier.
»Und das lastet uns allen auf dem Herzen«, sagte Pete.
Corr klopfte mit seinem Knüttel zustimmend auf den Boden.
»Aber jetzt«, fuhr Pete fort, »ist der Zeitpunkt möglicherweise gekommen.«
»Pete, du willst doch nicht etwa sagen, die erwarten von uns, dass wir uns mit den Corleones anlegen?« Rick Donnelly schob seinen Barhocker nach hinten und sah Pete an, als wäre der verrückt. »Das wäre Selbstmord, nichts anderes.«
»Bisher haben sie noch gar nichts von uns verlangt, Rick.« Pete hob seinen Bierkrug und trank ihn halb leer, als hätte er das dringend nötig, damit ihm nicht der Kragen platzte. »Sie haben uns ein Angebot gemacht: Wir sollen für sie arbeiten, und dafür bekommen wir unser Viertel zurück. Natürlich halten sie uns für so klug, dass wir wissen, wie das läuft: Erst müssen sie die Corleones und Brasi von hier vertreiben. Und dazu sollen wir wohl unseren Teil beitragen.«
»Und das bedeutet Krieg«, sagte Rick.
»Was das bedeutet, wissen wir noch nicht«, erwiderte Pete. »Aber ich habe den Rosatos gesagt, dass wir mit Luca Brasi und seinesgleichen nicht zusammenarbeiten werden. Ich hab sogar ziemlich deutlich gemacht, dass Luca Brasi, wenn es nach uns ginge, längst in der Hölle schmoren würde.«
»Und?«, fragte Sean, dessen Interesse plötzlich geweckt war.
»Die Antwort lautete – ich zitiere: ›Wenn ihr Luca Brasi so sehr hasst, dann wäre es in eurem Sinne, für uns zu arbeiten.‹«
»Was zum Teufel soll das denn heißen?«, fragte Cork. Das waren die ersten Worte, die er gesprochen hatte. Alle sahen ihn an, als hätten sie vergessen, dass er überhaupt da war. »Luca gehört jetzt zu den Corleones. Niemand kann sich mit Luca anlegen, ohne sich mit den Corleones anzulegen. Rick hat recht – ein Krieg mit den Corleones wäre Selbstmord.«
»Wenn es denn Krieg gibt«, sagte Corr Gibson. »Ich muss Rick und dem jungen Bobby zustimmen: Den Corleones sind wir nicht gewachsen. Und wenn Mariposa und seine Leute hinter allem stehen, wozu brauchen sie dann uns? Die haben mehr als genug Leute, um das selbst zu erledigen.«
»Gentlemen«, sagte Pete und lachte dann ebenso belustigt wie verzweifelt. »Gentlemen«, wiederholte er und hob den Bierkrug, als wollte er einen Trinkspruch ausbringen. »Was sich die Rosato-Brüder bei alldem denken, weiß ich nicht, von Joe Mariposa und seinem Makkaroni-Gesocks ganz zu schweigen. Ich habe euch nur das Angebot dargelegt, wie sie es mir gemacht haben. Wenn wir für sie arbeiten, bekommen wir unser Viertel zurück. Und natürlich läuft das alles unter der Hand. Wenn sie etwas von uns brauchen, melden sie sich. Das ist der Deal. Ob wir uns darauf einlassen, liegt ganz bei uns.« Er trank sein Bier aus und knallte den Krug auf die Theke.
»Klar brauchen die was von uns«, sagte Corr, als würde er mit sich selbst reden, obwohl sein Blick von einem zum anderen schweifte. Zu Pete sagte er: »Wenn das heißt, dass Luca Brasi unter der Erde landet und wir in unserer Nachbarschaft wieder das Sagen haben, dann ist das ein Angebot, das wir nicht ablehnen können.«
»Dem stimme ich zu«, sagte Pete. »Wir müssen diese verdammten Makkaronis nicht mögen, um mit ihnen zusammenzuarbeiten.«
Ohne von seinem Bier aufzuschauen, sagte Sean: »Wenn ich Luca Brasi eine Kugel in den Kopf jagen darf, bin ich dabei.«
»Heiliger Strohsack«, sagte Cork, »ihr könnt es drehen und wenden, wie ihr wollt, wir würden es auf jeden Fall mit den Corleones zu tun bekommen.«
»Hast du damit ein Problem?«, fragte Pete Murray.
»Ja, das hab ich«, erwiderte Cork. »Ich kenne Sonny und seine Familie, seit ich in den Windeln steckte.«
Stevie Dwyer beugte sich über die Bar zu Cork hinüber. »Du bist ja selbst schon ein Makkaroni, Corcoran«, brüllte er. Und an die anderen gewandt: »Ich hab euch doch gesagt, dass der nicht zu uns gehört. Der lutscht Sonny Corleone schon den Schwanz, seit …«
Stevie hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, als ihm Corks Bierkrug, mit Schwung über die Bar geschleudert, gegen die Stirn krachte und sauber entlang einer Naht im Glas entzweibrach. Stevie rutschte halb von seinem Hocker, halb sprang er wieder hinauf und fasste sich dabei an den Kopf. Aus einer breiten Schnittwunde schoss eine Blutfontäne. Bevor er sein Gleichgewicht wiederfand, war Cork über ihm und prügelte auf ihn ein; ein böser Kinnhaken gab ihm den Rest. Er ging in die Knie und blieb schließlich mit dem Rücken zum Tresen und den Kopf vornübergebeugt auf dem Boden sitzen, während ihm Blut auf die Hose tropfte. Als Cork einen Schritt zurücktrat, war es totenstill in der Bar – keiner hatte einen Finger gerührt. Corr Gibson sagte: »Ach, wir Iren. Was sind wir doch für ein hoffnungsloser Haufen.«
»Irgendjemand musste dem Idioten ja mal die Fresse polieren«, brummte Pete und glitt von seinem Hocker. Er legte Bobby die Hand auf die Schulter und führte ihn zur Tür hinaus. Auf der Straße schien hell die Sonne. Sie blieben vor den grünen Rollos stehen, und Pete klopfte eine Zigarette aus seiner Schachtel Camels. Nachdenklich betrachtete er das Bild eines Kamels in der Wüste, zündete die Zigarette an und sah Bobby an. Er nahm einen Zug, atmete aus und ließ den Arm sinken. Schließlich fragte er: »Können wir darauf vertrauen, dass du die Klappe hältst, Bobby?«
»Natürlich.« Cork begutachtete seine Knöchel, die plötzlich höllisch wehtaten. Sie waren blutig und geschwollen. »Das geht mich alles nichts an«, fügte er hinzu. Er zog ein Taschentuch hervor und wickelte es sich um die rechte Hand. »Sonny und ich arbeiten zwar nicht mehr zusammen, aber mit einem Krieg gegen seine Familie möchte ich trotzdem nichts zu tun haben.«
»Dann ist gut.« Pete legte Cork eine seiner gewaltigen Pranken in den Nacken und schüttelte ihn wohlwollend. »Dann verschwinde jetzt von hier und such dir irgendwo eine ehrliche Arbeit – irgendwas, das mit alldem nichts zu tun hat. Wenn du uns nicht in die Quere kommst, geraten wir auch nicht aneinander. Hast du mich verstanden, Bobby?«
»Klar.« Cork hielt Pete Murray die Hand hin. »Ich hab verstanden«, sagte er, und Pete schlug ein.
Pete Murray lächelte, als wäre er äußerst zufrieden mit Bobby. »Dann werde ich mich jetzt mal um diese Armleuchter da drin kümmern«, sagte er und verschwand wieder im Paddy’s.