Den größten Teil der Menschheitsgeschichte hindurch lag die mittlere Lebenserwartung für Menschen bei 20 bis 30 Jahren. Das Leben war oft kurz und erbärmlich. Die Menschen lebten in ständiger Furcht vor der nächsten Seuche oder Hungersnot.
Geschichten aus der Bibel und anderen alten Texten sind voller Berichte über Seuchen und Krankheiten. Im Mittelalter waren diese Geschichten voller Waisen und böser Stiefmütter, denn Eltern lebten oft nicht lang genug, um ihre eigenen Kinder aufzuziehen.
Leider waren Ärzte in der Vergangenheit meist kaum mehr als Quacksalber und Scharlatane, die wichtigtuerisch «Kuren» verordneten, die dem Patienten nur schadeten. Die Reichen konnten sich Privatärzte leisten, die eifersüchtig ihre nutzlosen Arzneien hüteten, während die Armen oft in schmutzigen, überfüllten Hospitälern starben. (All dies wurde von dem französischen Schauspieler und Dichter Molière in seinem urkomischen Theaterstück Le Medicine Malgre Lui oder Der Arzt wider Willen parodiert, in dem ein armer Holzfäller irrtümlich für einen berühmten Arzt gehalten wird und jedermann mit wortreichem aufgeblasenem Pseudolatein und völlig unsinnigen medizinischen Ratschlägen täuscht.)
Es kam jedoch zu mehreren historischen Fortschritten, die die Lebenserwartung steigerten. Zum einen wurden die sanitären Bedingungen verbessert. Mittelalterliche Städte waren nicht selten Jauchegruben, in denen sich vergammelte Nahrung und menschliche Ausscheidungen sammelten. Die Leute warfen ihre Abfälle einfach auf die Straße. Die Straßen mittelalterlicher Städte ähnelten daher oft einem stinkenden Hindernisparcours und waren eine Brutstätte für Krankheitserreger. Im 19. Jahrhundert wehrten sich die Stadtbewohner jedoch zunehmend gegen diese unhygienischen Verhältnisse, was zum Bau eines Abwassersystems und verbesserten sanitären Bedingungen führte; dadurch wurde eine Vielzahl von tödlichen Infektionskrankheiten ausgemerzt, die von verschmutztem Trinkwasser hervorgerufen wurden. Und das ließ die allgemeine Lebenserwartung um vielleicht 15 bis 20 Jahre steigen.
Zur nächsten Revolution kam es aufgrund der blutigen Kriege, die Europa im 19. Jahrhundert erschütterten. So viele Soldaten starben an schweren Kriegsverletzungen, dass Könige und Monarchen hohe Belohnungen für Heilmethoden aussetzten, die diesen Namen wirklich verdienten. Und statt reiche Klienten mit nutzlosen Wässerchen zu beeindrucken, veröffentlichten ehrgeizige Ärzte Artikel über Behandlungsmethoden, die tatsächlich wirkten. Medizinische Zeitschriften florierten und veröffentlichten Fortschritte, die auf experimentellen Beweisen basierten, nicht allein auf dem Ruf des Autors.
Diese Neuorientierung von Ärzten und Wissenschaftlern ebnete den Weg für revolutionäre medizinische Fortschritte wie Antibiotika und Impfstoffe, die schließlich eine ganze Palette tödlicher Krankheiten zum Verschwinden brachten und die durchschnittliche Lebenserwartung um vielleicht weitere 10 bis 15 Jahre erhöhte. Bessere Ernährung, Fortschritte in der Chirurgie, die industrielle Revolution und andere Faktoren trugen ebenfalls zur Erhöhung der Lebenserwartung bei.
In vielen Ländern liegt die durchschnittliche Lebenserwartung daher inzwischen bei 70 bis 80 Jahren.
Leider basierten viele Fortschritte in der modernen Medizin nicht etwa auf sorgfältiger Forschung, sondern auf Zufallstreffern. Therapien für Krankheiten waren oft nicht das Ergebnis systematischer Untersuchungen, sondern glücklichen Zufällen zu verdanken.
Als Alexander Fleming 1928 beispielsweise zufällig beobachtete, dass Schimmelpilze Bakterien töten konnten, die in einer Petrischale wuchsen, löste er eine Revolution im Gesundheitswesen aus. Statt hilflos zuzusehen, wie ihre Patienten an häufigen bakteriellen Infektionskrankheiten starben, konnten Ärzte ihnen nun Antibiotika wie Penicillin verabreichen und damit zum ersten Mal in der menschlichen Geschichte den Patienten tatsächlich heilen. Schon bald gab es Antibiotika, die gegen Cholera, Tetanus, Typhus, Tuberkulose und eine ganze Reihe anderer Infektionskrankheiten halfen. Die meisten dieser Therapien wurden jedoch durch Versuch und Irrtum entwickelt.
Antibiotika waren so erfolgreich und wurden so häufig verschrieben, dass die Erreger inzwischen zurückschlagen. Das ist keine rein akademische Frage, denn antibiotikaresistente Keime sind inzwischen zu einem großen Gesundheitsproblem geworden. Tödliche Krankheiten wie Tuberkulose, die einst im Zaum gehalten werden konnten, kehren inzwischen langsam in virulenter, unbehandelbarer Form zurück. Diese «Supererreger» reagieren häufig nicht einmal mehr auf die neuesten Antibiotika und stellen eine große Gefahr für das öffentliche Gesundheitswesen dar.
Dazu kommt, dass sich die Menschheit immer weiter in zuvor unbewohnte und weitgehend unberührte Gebiete ausbreitet und sich damit neuen Erregern aussetzt, gegen die wir keine natürliche Immunität haben. Daher gibt es ein riesiges Reservoir noch unbekannter Infektionskrankheiten, die nur darauf warten, auf uns überzuspringen.
Manche Experten glauben, dass der umfangreiche Einsatz von Antibiotika in der Veterinärmedizin den Trend zu Resistenzen beschleunigt hat. Beispielsweise werden Kühe zu Brutstätten für antibiotikarestistente Bakterien, da Landwirte Antibiotika einsetzen, um die Milch- und Fleischproduktion zu erhöhen.
Weil die Gefahr droht, dass alte Infektionskrankheiten stärker als zuvor zurückkehren, brauchen wir dringend eine neue Generation an Antibiotika, die preisgünstig sind und ihre Kosten einspielen. Leider sind in den letzten dreißig Jahren kaum neue Antibiotika entwickelt worden. Wir benutzen heute im Grunde die gleichen Antibiotika wie schon unsere Eltern. Ein Problem ist, dass man viele Tausend chemische Verbindungen testen muss, um eine Handvoll vielversprechender Substanzen zu isolieren. Eine neue Klasse von Antibiotika auf diese Weise zu entwickeln, kostet rund 2–3 Milliarden Dollar.
Mithilfe moderner Technik haben Forschende nach und nach herausgefunden, wie bestimmte Typen von Antibiotika funktionieren. Penicillin und Vancomycin stören zum Beispiel die Produktion eines Moleküls namens Peptidoglycan, das Bakterien für den Bau einer festen Zellwand benötigen. Diese Medikamente sorgen daher dafür, dass sich die bakterielle Zellwand auflöst.
Eine andere Klasse von Arzneimitteln, die sogenannten Chinolone, greifen die DNA von Bakterien an und stören so deren Vermehrung.
Eine weitere Klasse, zu der die Tetracycline zählen, hemmt die Fähigkeit von Bakterien, ein Schlüsselprotein zu synthetisieren. Und eine noch andere Klasse verhindert, dass Bakterienzellen Folsäure produzieren, was die Bakterien wiederum daran hindert, den Stoffaustausch durch die Zellwand zu kontrollieren.
Wie ist es angesichts dieser Fortschritte möglich, dass die Erreger wiederkehren? Wo liegt der Engpass?
Zum einen dauert die Entwicklung neuer Antibiotika ziemlich lange, oft mehr als zehn Jahre. Diese Arzneimittel müssen sorgfältig getestet werden, um sicherzustellen, dass sie ungefährlich sind, was zeitaufwendig und kostspielig ist. Nach einem Jahrzehnt harter Arbeit kommt es nicht selten vor, dass sich das Endprodukt nicht rentiert. Im Endeffekt ist es für viele Pharmaunternehmen entscheidend, dass die Verkäufe die Kosten von Entwicklung und Herstellung eines Arzneimittels wieder hereinbringen.
Das Problem ist, dass sich die grundlegende Strategie – wie der Bau von Batterien seit Voltas Zeiten – seit Flemings Entdeckung kaum verändert hat. Im Grunde testen wir noch immer blind verschiedene Kandidaten gegen gefährliche (pathogene) Bakterien in einer Petrischale. Dank Automatisierung, Robotik und Fließbändern können Tausende von Petrischalen mit verschiedenen Typen von pathogenen Erregern gleichzeitig vielversprechenden Arzneimitteln ausgesetzt werden, um Flemings bahnbrechenden Ansatz von vor hundert Jahren zu simulieren.
Seitdem war unsere Strategie folgende:
Man teste eine vielversprechende Substanz; → man stelle fest, ob sie die Bakterien abtötet; → man identifiziere den Mechanismus.
Quantencomputer könnten diesen Prozess auf den Kopf stellen und die Suche nach neuen lebensrettenden Medikamenten beschleunigen. Sie sind so leistungsfähig, dass sie uns eines Tages systematisch neue Weg aufzeigen könnten, Bakterien zu vernichten. Statt ungeheuer viel Zeit damit zu verbringen, jahrzehntelang verschiedene Medikamente zu testen, könnten wir womöglich rasch neue Medikamente im Speicher von Quantencomputern entwickeln.
Das heißt, dass wir die Reihenfolge der Strategie umkehren sollten:
Man identifiziere den Mechanismus; → man stelle fest, ob er die Bakterien abtötet; → man teste eine vielversprechende Substanz.
Wenn man beispielsweise den Grundmechanismus, durch den diese Antibiotika Pathogene abtöten, auf molekularem Niveau entschlüsselt hat, könnte man dieses Wissen einsetzen, um neue Medikamente zu entwickeln. Da heißt, am Anfang steht der Mechanismus, wie die Zerstörung der bakteriellen Zellwand, dann folgt der Einsatz von Quantencomputern, um herauszufinden, wie man dabei am besten vorgeht, indem man nach Schwachstellen in der Bakterienwand sucht. Anschließend testet man verschiedene Substanzen, die an diesen Schwachstellen angreifen können, und konzentriert sich schließlich auf die Handvoll, die sich tatsächlich als wirksam gegen pathogene Bakterien erweisen.
Ein Beispiel: Wenn man versucht, das Penicillinmolekül mit einem konventionellen Computer zu modellieren, steht man vor einer enormen Herausforderung. Dies würde einen Speicher von 1086 Bits erfordern und übersteigt damit die Fähigkeiten eines digitalen Computers bei Weitem – nicht aber die eines Quantencomputers. Der Versuch, neue Medikamente zu entdecken, indem man ihr molekulares Verhalten analysiert, liegt außerhalb dessen, was ein klassischer Computer zu leisten vermag, kann jedoch ein Hauptziel für Quantencomputer sein.
In ähnlicher Weise war die moderne Wissenschaft in der Lage, Viren mithilfe von Impfstoffen zu bekämpfen, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Impfstoffe (Vakzine) wirken indirekt, indem sie das körpereigene Immunsystem stimulieren, statt das Virus direkt zu attackieren; daher sind bei der Heilung von Viruserkrankungen nur langsam Fortschritte gemacht worden.
Einer der größten Killer in der Geschichte der Menschheit waren die Pocken, auch Blattern oder Variola genannt; allein seit 1910 sind ihnen rund 300 Millionen Menschen zum Opfer gefallen. Die Krankheit war bereits in der Antike bekannt. Und man wusste: Wenn eine Person die Pocken überstanden hatte und man aus ihrem Schorf ein Pulver herstellte und in Hautläsionen einer anderen, gesunden Person rieb, dann war diese Person vor der Krankheit geschützt – sie war immun.
Im Jahr 1796 wurde diese Technik in England verfeinert und erfolgreich angewandt. Der Arzt Edward Jenner nahm Flüssigkeit aus den Pusteln einer Melkerin, die an Kuhpocken erkrankt war (einer Krankheit, die Menschenpocken ähnelt, aber ungefährlich ist). Anschließend injizierte er die Flüssigkeit einem gesunden Jungen, der daraufhin eine Immunität gegen Menschenpocken entwickelte.
Seitdem sind Vakzine gegen eine große Zahl zuvor unheilbarer Erkrankungen entwickelt worden, darunter Polio (Kinderlähmung), Hepatitis A und B, Masern, Meningitis (Hirnhautentzündung), Mumps, Tetanus und Gelbfieber. Es gibt Tausende möglicher Vakzine, die therapeutisch von Wert sein könnten – aber ohne zu verstehen, wie das körpereigene Immunsystem auf molekularem Niveau arbeitet, ist es unmöglich, sie alle zu überprüfen.
Statt jedes Vakzin individuell zu testen, könnte man sie vielleicht in einem Quantencomputer «testen». Das Schöne an dieser Methode ist, dass die Suche nach neuen Impfstoffen rasch, preisgünstig und effizient erfolgen kann, ohne umständliche, zeitaufwendige und kostspielige Versuche.
Im nächsten Kapitel geht es darum, wie Quantencomputer unser Immunsystem modifizieren und stärken und vor Krebs und vielleicht auch vor unheilbaren Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson schützen könnten. Aber zunächst wollen wir eine weitere Möglichkeit diskutieren, wie Quantencomputer dazu beitragen können, uns auf die nächste Pandemie vorzubereiten.
Eine Möglichkeit, sich einen Begriff von der Leistungsfähigkeit von Quantencomputern zu machen, besteht darin, sich die Tragödie der Covid-Pandemie vor Augen zu führen, der bislang in den Vereinigten Staaten eine Million Menschen, in Deutschland mehr als 160000 und weltweit fast 7 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind und die Milliarden Menschen in aller Welt in große wirtschaftliche Schwierigkeiten und Nöte gestürzt hat. Quantencomputer können uns jedoch als Frühwarnsystem für neu auftauchende Viren dienen, bevor sie eine Pandemie auslösen.
Schätzungen zufolge stammen 60 Prozent aller Infektionskrankheiten aus dem Tierreich (sogenannte Zoonosen). Daher existiert ein riesiges Reservoir neuer pathogener Keime, die neue Krankheiten in großer Zahl hervorrufen können. Und da sich die menschliche Zivilisation in bislang noch nicht besiedelte Bereiche ausdehnt, geraten wir immer enger mit Wildtieren und ihren Krankheitserregern in Kontakt.
Mithilfe von Genomanalysen lässt sich beispielsweise zeigen, dass Influenza-Viren hauptsächlich von Vögeln stammen. Viele Influenza-Viren tauchten erstmals in Asien auf, wo Bauern häufig Schweine und Nutzgeflügel auf engem Raum zusammen halten. Die Schweine kommen mit den Ausscheidungen infizierter Vögel in Kontakt und infizieren sich, bevor sie von Menschen verzehrt werden. Dabei fungieren die Schweine wie eine Art Mischgefäß, in dem es zu einem Austausch von Genen zwischen Vogel- und Schweinegrippeviren kommt und so neue Influenzavirentypen entstehen.
Ebenso gelang es, das Aidsvirus auf das Simiane Immunodefizienz-Virus (SIV) zurückzuführen, das Primaten infiziert. Aufgrund genetischer Analysen vermuten Forschende, dass sich ein Afrikaner zwischen 1884 und 1924 durch den Genuss von Fleisch eines mit SIV infizierten Affen ansteckte. Im Körper dieser Person entstand dann das HI-Virus, eine mutierte Version des SI-Virus, die Menschen infizieren kann.
Die besseren Verkehrsbedingungen und der zunehmende Reiseverkehr rund um den Globus beschleunigten die Ausbreitung von Krankheiten. Historiker haben die Routen verfolgt, die früher Seeleute von Hafen zu Hafen nahmen und so die Pest in ferne Gestade einschleppten. Durch Vergleich des Zeitpunkts, an dem die Schiffe in einem bestimmten Hafen anlegten, mit dem Zeitpunkt, an dem die Krankheit ausbrach, lässt sich nachverfolgen, wie sich die Seuche über den Nahen Osten und Asien ausbreitete und von Stadt zu Stadt sprang. Heute kann sich eine Krankheit durch den Flugverkehr innerhalb von Stunden über ganze Kontinente verbreiten.
Daher ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir uns mit einer anderen Pandemie, die durch den internationalen Flugverkehr verbreitet wird, auseinandersetzen müssen.
Dank der bemerkenswerten Fortschritte in der Genomik gelang es Forschenden 2020, das Genom des Coronavirus innerhalb weniger Wochen zu entschlüsseln. Dadurch wurde die Entwicklung von Impfstoffen möglich, die das körpereigene Immunsystem dazu anregen, das Virus zu attackieren. Aber das war nur ein Weckruf an unser Immunsystem, sich selbst zu verteidigen. Was fehlte, war ein systematischer Ansatz, dieses tödliche Virus selbst zu schlagen.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Quantencomputer dazu beitragen können, die nächste Pandemie zu stoppen. Zumindest brauchen wir ein Frühwarnsystem, um das Auftauchen eines Virus in Echtzeit zu entdecken. Von dem Augenblick an, an dem eine neue Variante des Coronavirus auftritt, dauert es Wochen, bis ein Alarm ausgerufen werden kann. Während dieser Zeitspanne kann sich das Virus unbemerkt ins menschliche Ökosystem einschleichen. Eine Verzögerung von wenigen Wochen kann dazu führen, dass das Virus Millionen Menschen infiziert.
Eine Methode, Epidemien aufzuspüren, besteht darin, Sensoren in Abwassersystemen rund um die Welt anzubringen. Viren lassen sich durch Analyse des Abwassers leicht identifizieren; das gilt vor allem für dicht besiedelte Stadtgebiete. Rasche Antigentests können den Ausbruch einer Virusinfektion innerhalb von rund 15 Minuten nachweisen. Die Daten aus Millionen von Abwassersystemen können einen digitalen Computer jedoch leicht überfordern. Quantencomputer sind hingegen besonders gut dafür geeignet, riesige Datenmengen zu analysieren, um die Nadel im Heuhaufen zu finden. Sensoren in der Kanalisation als Frühwarnsystem sind in manchen Städten bereits im Einsatz.
Ein anderes Frühwarmsystem wurde von dem Unternehmen Kinsa vorgestellt; es stellt Thermometer her, die mit dem Internet verbunden sind. Durch Untersuchung von Fieberanfällen im ganzen Land lassen sich wichtige Auffälligkeiten entdecken. So wurden im März 2020 Krankenhäuser im Süden der USA von Tausenden von Menschen mit seltsamen Symptomen überschwemmt, die offenbar an einem neuen Virus litten. Viele starben. Die Krankenhäuser waren überfordert.
Einer Theorie zufolge waren die Feiern zum Mardi Gras (Karnevalsdienstag) im Februar 2020 in New Orleans ein Superspreader-Ereignis, das Hunderttausende ahnungsloser Menschen dem Coronavirus aussetzte. Wenn man die Thermometerablesungen direkt nach den Mardi-Gras-Feiern analysiert, erkennt man deutlich einen plötzlichen Temperaturanstieg bei den Menschen im Süden. Da die Ärzte keine Erfahrung im Umgang mit dem neuen tödlichen Virus hatten, dauerte es nach dem Mardi Gras leider wochenlang, um die Ärzte vor der neuen Pandemie zu warnen. Viele Patienten starben wegen dieser kritischen Verzögerung bei einem viralen Ausbruch, der das medizinische Establishment völlig überraschte.
Dank eines ausgedehnten Netzwerks an unterstützenden medizinischen Geräten wie Thermometern und Sensoren, die mit dem Internet verbundenen sind, könnte es in Zukunft eine sofortige, von Quantencomputern analysierte Auslesung dessen geben, was im Land passiert. Mit einem einzigen Blick auf die Karte des Landes lassen sich dann Hotspots erkennen, die ein potenzielles neues Superspreader-Ereignis ankündigen.
Eine andere Möglichkeit, ein Frühwarnsystem zu schaffen, besteht darin, die sozialen Medien zu nutzen, die besser als alles andere in Echtzeit wiedergeben, was gerade im Land passiert. So sollten Algorithmen beispielsweise zukünftig darauf vorbereitet sein, nach ungewöhnlichen Beiträgen im Internet Ausschau zu halten, zum Beispiel, wenn dort immer häufiger Sätze wie «Ich kann nicht richtig atmen» oder «Ich kann nicht riechen» auftauchen. Diese ungewöhnlichen Sätze könnten von einem Quantencomputer registriert werden. Anschließend können im Gesundheitssystem Tätige diesen Vorfällen nachgehen, um herauszufinden, ob sie auf eine übertragbare Krankheit zurückgehen.
In ähnlicher Weise könnten Quantencomputer Ausbrüche des Virus dann entdecken, wenn sie gerade stattfinden. Möglicherweise lassen sich Sensoren entwickeln, die Aerosole des Virus in der Luft nachweisen können. Zu Beginn der Covid-Pandemie behaupteten Regierungsvertreter noch, es reiche aus, einen Abstand von knapp 2 Metern von anderen einzuhalten, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern. Eine Ansteckung, behaupteten sie, erfolge hauptsächlich durch große Tröpfchen, wie sie beim Husten und Niesen freigesetzt werden.
Inzwischen gilt diese Aussage als eher falsch. Wie aktuelle Untersuchungen zeigen, können Aerosolteilchen, beispielsweise nach einem Niesen, das Virus rund 6 Meter weit transportieren. Tatsächlich nimmt man mittlerweile an, dass einer der wichtigsten Ausbreitungswege des Virus Aerosole sind, wie sie beim einfachen Sprechen erzeugt werden. Wenn man mehr als 15 Minuten in einem geschlossenen Raum neben infizierten Menschen sitzt, die singen oder laut sprechen, dann besteht die Gefahr, sich anzustecken und das Virus weiterzuverbreiten.
Daher könnte ein Netzwerk von in Innenräumen platzierten Sensoren zukünftig Aerosole in der Luft entdecken und die Ergebnisse an Quantencomputer schicken, die dann diesen riesigen Informationspool analysieren können, um die frühen Warnsignale der nächsten Pandemie zu entdecken.
Impfstoffe haben gezeigt, dass das körpereigene Immunsystem ein starkes Bollwerk gegen Infektionskrankheiten darstellt. Wissenschaftler wissen jedoch nur recht wenig über seine Funktionsweise. Wir entdecken nach wie vor erstaunliche neue Fakten über das Immunsystem. Beispielsweise wissen wir inzwischen, dass viele Krankheiten den Körper nicht direkt attackieren. Die Spanische Grippe von 1918 tötete mehr Menschen, als im Ersten Weltkrieg starben. Leider wurden keine Virenproben konserviert, daher war es schwierig, das Virus direkt zu analysieren und festzustellen, wie es seine Opfer umbrachte. Vor einigen Jahren gelang es Wissenschaftlern jedoch, in der Arktis Körper von Menschen zu analysieren, die an der Spanischen Grippe gestorben und deren Leichen im Permafrostboden konserviert worden waren.
Was sie fanden, war interessant. Das Virus tötete sein Opfer nicht direkt. Es führte lediglich zu einer Überaktivierung des körpereigenen Immunsystems, das daraufhin begann, den Körper mit gefährlichen Stoffen zu überschwemmen, um das Virus zu bekämpfen. Dieser sogenannte Zytokinsturm war es, der schließlich zum Tod führte. Daher war die eigentliche Todesursache das körpereigene Immunsystem, das Amok lief.
Eine ähnliche Geschichte kristallisierte sich bei Covid-19 heraus. Wenn Infizierte ins Krankenhaus eingeliefert werden, erscheint ihr Zustand unter Umständen zunächst nicht besorgniserregend. In der Spätphase der Infektion, wenn der Zytokinsturm einsetzt, können die gefährlichen Verbindungen, die den Körper dann überschwemmen, jedoch das Versagen ganzer Organe bewirken. Unbehandelt führt ein derartiges Multiorganversagen häufig zum Tode.
In Zukunft könnten Quantencomputer einen bisher noch nie dagewesenen Blick in die molekulare Biologie des Immunsystems ermöglichen. Dieser Einblick könnte zahlreiche Wege aufzeigen, um das Immunsystem abzuschalten oder herunterzuregeln, sodass es seinen Träger im Lauf einer schweren Infektion nicht umbringt. Wir werden das Immunsystem im nächsten Kapitel noch ausführlicher diskutieren.
Quantencomputer könnten sich auch als höchst wichtig erweisen, wenn es darum geht, die Eigenschaften eines Virus zu bestimmen, während es mutiert. Beispielsweise tauchte die Omikron-Variante des Coronavirus um den November 2021 auf. Das Genom dieser Variante wurde sequenziert, und sofort begannen die Alarmglocken zu läuten. Die Omikron-Variante wies 50 Mutationen auf, die sie leichter übertragbar machten als die Delta-Variante des Virus. Die Wissenschaftler konnten jedoch nicht genau sagen, wie gefährlich diese Mutationen das Virus machen würden. Würden sie den Spike-Proteinen erlauben, deutlich schneller in menschliche Zellen einzudringen als zuvor und auf diese Weise viel Unheil anzurichten? Den Wissenschaftlern blieb nichts anderes übrig als abzuwarten. Zukünftig könnten Quantencomputer in der Lage sein festzustellen, wie tödlich ein Virus ist, indem sie die Mutationen in dessen Spikeproteinen analysieren, statt dass die Wissenschaftler wochenlang warten und Daumen drücken müssen.
Sobald wir den Bau der Viren kennen, könnten wir vielleicht den Verlauf dieser und anderer Viruserkrankungen vorhersagen. Unsere heutigen digitalen Computer sind zu primitiv, um zu simulieren, auf welche Weise ein Virus wie das Omikron-Virus den menschlichen Körper angreifen kann. Aber sobald wir den Bau des Virus im Detail kennen, könnten Quantencomputer die spezifischen Auswirkungen des Virus auf den Körper simulieren, sodass wir von vornherein wissen, wie gefährlich es ist und wie man es bekämpfen kann.
Zum Glück haben wir zudem die Evolution auf unserer Seite. Viele der alten Krankheiten, die einen beträchtlichen Teil der Menschheit umgebracht haben, wie die Spanische Grippe 1918, sind wohl immer noch unter uns, aber wahrscheinlich in mutierter Form, sodass sie als Epidemie statt als Pandemie auftreten. Der Evolutionstheorie zufolge konkurrieren verschiedene Stämme eines Virus miteinander. Daher stehen sie unter dem Selektionsdruck, infektiöser zu werden und so die Konkurrenz auszubooten. Wenn eine Virusvariante aber zu viele Infizierte tötet, verliert sie ihre Wirte und kann sich nicht weiter ausbreiten. Daher tendiert die Evolution in Richtung weniger tödlicher Varianten.
Mit anderen Worten: Um «im Geschäft» zu bleiben, schwächt sich die Letalität vieler Viren im Lauf ihrer Evolution ab, und sie werden endemisch. Daher müssen wir vielleicht einfach lernen, mit dem Coronavirus in seiner weniger tödlichen Form zu leben.
Antibiotika und Impfstoffe sind die Grundlage der modernen Medizin. Aber Antibiotika werden gewöhnlich durch Versuch und Irrtum gefunden, und Vakzine regen das Immunsystem lediglich dazu an, Antikörper zu entwickeln, um ein Virus zu bekämpfen. Daher ist eines der Ziele der modernen Medizin, neue Antibiotika zu entwickeln. Und ein weiteres Ziel ist es, die Immunreaktion des Körpers zu verstehen, denn unser Immunsystem ist unsere erste Verteidigungslinie gegen Viren und auch gegen einen der größten Killer unserer Tage, den Krebs. Wenn das Rätsel, das unser Immunsystem umgibt, mithilfe von Quantencomputern gelöst werden kann, dann hätten wir auch eine Möglichkeit, einige der bedeutendsten unheilbaren Krankheiten in den Griff zu bekommen, darunter gewisse Krebsformen, Alzheimer, Parkinson und Amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Diese Krankheiten richten ihren Schaden auf molekularem Niveau an, das nur Quantencomputer entziffern können. Im nächsten Kapitel werden wir untersuchen, wie Quantencomputer uns neue Einblicke in unser Immunsystem verschaffen und es darüber hinaus stärken helfen können.