Jede Kultur hegt ihren eigenen Mythos über die Entstehung des Lebens. Menschen haben sich oft gefragt, wie sich wohl die Fülle und Vielfalt des Lebens auf der Erde erklären lässt. Beispielsweise erschuf Gott der Bibel zufolge den Himmel und die Erde in sieben Tagen. Er erschuf den Menschen aus Staub, formte ihn nach seinem Ebenbild und hauchte ihm Leben ein. Er erschuf alle Pflanzen und Tiere und befahl dem Menschen, sich die Erde untertan zu machen.
In der antiken griechischen Mythologie gab es zu Anfang nur formloses Chaos und Nichts. Aus dieser riesigen Leere wurden jedoch die Götter und Göttinnen geboren, so Gaia, die Göttin der Erde, Eros, der Gott der Liebe, und Aither, der Gott des Lichts. Der Vereinigung von Gaia und Uranos, dem Gott des Himmels, entstammten sämtliche Geschöpfe, die die Erde bevölkerten.
Die Entstehung des Lebens ist wohl eines der größten Rätsel aller Zeiten. Diese Frage beherrscht seit eh und je religiöse, philosophische und naturwissenschaftliche Debatten wie keine andere. Im Lauf der Geschichte glaubten viele der tiefsten Denker an die Existenz einer geheimnisvollen «Lebenskraft», die das Unbelebte beleben könne. Viele Naturforscher glaubten sogar an eine «Urzeugung», durch die sich Leben spontan aus unbelebter Materie entwickeln könne.
Im 19. Jahrhundert konnten Naturforscher viele Hinweise auf die Entstehung des Lebens zusammenzufügen. Durch sorgfältige Experimente waren der Chemiker Louis Pasteur und andere in der Lage, überzeugend nachzuweisen, dass Leben nicht spontan entstehen konnte. Pasteur zeigte, dass durch Kochen von Wasser ein steriles Umfeld geschaffen wurde, in der kein Leben spontan aus unbelebter Materie entstehen konnte. Auch heute noch weist unser Wissen über die Entstehung des Lebens vor rund vier Milliarden Jahren viele Lücken auf. Tatsächlich sind digitale Computer unbrauchbar, wenn es darum geht, die grundlegenden biologischen und chemischen Prozesse, die Licht in dieses Dunkel bringen könnten, auf atomarem Niveau zu analysieren. Selbst der einfachste molekulare Prozess kann die Kapazität eines digitalen Rechners rasch überfordern. Die Quantenmechanik könnte jedoch dazu beitragen, viele dieser Lücken zu schließen. Quantencomputer sind ideal zur Lösung dieses Problems geeignet und schicken sich gerade an, einige der fundamentalen Rätsel des Lebens auf molekularer Ebene zu lösen.
In den 1950er-Jahren gelangen Wissenschaftlern zwei monumentale Durchbrüche, die seitdem die Richtung für weitere Forschungen zur Entstehung des Lebens vorgegeben haben. Der erste ereignete sich 1952, als der Doktorand Stanley Miller in Zusammenarbeit mit seinem Doktorvater Harold Urey an der University of Chicago ein einfaches Experiment durchführte. In einen Glaskolben gab Miller ein toxisches Gebräu von chemischen Stoffen, darunter Methan, Ammoniak, Wasser und Wasserstoff, ein Gemisch, das seiner Meinung nach die unwirtliche Atmosphäre der jungen Erde widerspiegelte. Um dem System Energie zuzufügen (und vielleicht, um die Blitze oder die UV-Strahlung von der Sonne zu simulieren), setzte er dieses Gebräu anschließend elektrischen Entladungen aus. Anschließend ließ er das Experiment eine Woche ungestört.
Als er zurückkehrte, fand er im Kolben eine rötliche Flüssigkeit vor. Wie sorgfältige Untersuchungen ergaben, ging die Färbung auf Aminosäuren zurück, die Grundbausteine von Proteinen in unserem Körper. Mit anderen Worten bildeten sich die Grundzutaten des Lebens ohne irgendeinen weiteren Einfluss von außen.
Seitdem ist dieses einfache Experiment viele Hundert Male wiederholt und mehrfach abgewandelt worden und hat Wissenschaftlern einen aufschlussreichen Blick in chemische Reaktionen auf der jungen Erde gestattet, aus denen vielleicht Leben erwachsen ist. Man kann sich beispielsweise vorstellen, dass chemische Stoffe, wie sie aus hydrothermalen Quellen am Meeresgrund ausgestoßen werden, die grundlegenden Elemente lieferten, um die ersten für Leben nötigen Verbindungen entstehen zu lassen. Und dass diese vulkanischen Schlote dann die nötige Energie lieferten, um diese Moleküle in Aminosäuren zu verwandeln, wie sie zum Aufbau von Proteinen notwendig sind. Tatsächlich findet man einige der primitivsten Zellen auf der Erde in der Nähe dieser Unterwasservulkane.
Heute begreifen wir, wie einfach es ist, die Bausteine des Lebens herzustellen. Aminosäuren wurden in Lichtjahre entfernten Gaswolken und im Inneren von Meteoriten aus dem All gefunden. Aminosäuren, die auf Kohlenstoff basieren, könnten im ganzen Universum Lebenskeime bilden. Und all das beruht auf den einfachen Bindungseigenschaften von Wasserstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff, wie sie von der Schrödingergleichung vorhergesagt werden.
Daher sollte es möglich sein, Quantenmechanik anzuwenden, um Schritt für Schritt diejenigen Quantenprozesse zu finden, die das Leben auf der Erde entstehen ließen. Die elementare Quantentheorie hilft uns zu verstehen, warum das Miller-Experiment so erfolgreich war, und könnte uns in Zukunft den Weg zu noch grundlegenderen Entdeckungen weisen.
Erstens lässt sich mithilfe der Quantenmechanik die Energie berechnen, die nötig ist, um die chemischen Bindungen von Methan, Ammoniak usw. zu brechen und so Aminosäuren zu schaffen. Quantenmechanische Gleichungen zeigen, dass eine elektrische Entladung wie im Miller-Experiment dafür ausreichend Energie bereitstellt. Und das Experiment zeigt, dass Leben niemals entstanden wäre, falls die Aktivierungsenergie, die nötig ist, um diese chemischen Bindungen zu brechen, deutlich größer gewesen wäre.
Zweitens wissen wir, dass Kohlenstoff sechs Elektronen hat. Zwei Elektronen sitzen im untersten Orbital, die verbleibenden vier einzeln in den vier Räumen der Orbitalen der zweiten Ebene; diese vier äußeren Elektronen stehen für chemische Bindungen zur Verfügung. Ein Element mit vier Bindungsmöglichkeiten kommt im Periodensystem nicht oft vor. Die Regeln der Quantenmechanik erlauben einer solchen Anordnung, lange, komplexe Ketten aus Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Wasserstoff zu bilden und so Aminosäuren zu erzeugen.
Drittens finden diese chemischen Reaktionen in Wasser (H2O) statt, das wie ein Schmelztiegel arbeitet, in dem sich verschiedene Moleküle treffen und komplexere Verbindungen bilden. Mithilfe der Quantenmechanik findet man heraus, dass das Wassermolekül wie der Buchstabe L geformt ist, und man kann berechnen, dass der Winkel zwischen den beiden Schenkeln des «L» 104,5° beträgt. Das wiederum bedeutet, dass die elektrische Ladung im Wassermolekül ungleich über das Molekül verteilt ist. Diese ungleiche (inhomogene) Verteilung reicht aus, um die schwachen Bindungen anderer Moleküle zu brechen; daher kann Wasser als Lösungsmittel für viele Stoffe dienen.
Wir sehen also, dass grundlegende Quantenmechanik die Bedingungen für Leben rechnerisch bereitstellen kann. Die nächste Frage ist jedoch: Können wir über Millers Experiment hinausgehen und schauen, ob die Quantentheorie DNA erklären kann? Und lassen sich Quantencomputer darüber hinaus auf das menschliche Genom anwenden, um die Rätsel von Krankheit und Altern zu lüften?
Der zweite Durchbruch stammte direkt aus der Quantenmechanik. Im Jahr 1944 verfasste der österreichische Physiker Erwin Schrödinger, der Entdecker der Wellengleichung, die die Basis dieser Grundlagenwissenschaft bildet, ein wegweisendes Buch: Was ist Leben? Darin stellte er die erstaunliche Behauptung auf, Leben sei ein Nebenprodukt der Quantenmechanik und die Blaupause des Lebens sei in einem noch unbekannten Molekül verschlüsselt. In einer Zeit, in der viele Naturwissenschaftler noch immer glaubten, allem Lebenden wohne eine geheimnisvolle «Lebenskraft» inne, behauptete er, Leben lasse sich mithilfe der Quantenmechanik erklären. Aus der Untersuchung von Lösungen seiner Wellengleichungen schloss er, dass Leben aus reiner Mathematik erwachsen könne, und zwar in Form eines Codes, der durch dieses geheimnisvolle Molekül weitergegeben werde.
Das war eine ungeheuerliche Idee. Aber zwei junge Wissenschaftler, der Physiker Francis Crick und der Biologe James Watson, sahen sie als Herausforderung an. Falls sich die Basis des Lebens tatsächlich in einem Molekül finden ließ, dann war ihre Aufgabe, dieses Molekül zu finden und zu beweisen, dass es den Code des Lebens enthielt.
«Von dem Augenblick an, an dem ich Schrödingers Was ist Leben? las, war ich fest entschlossen, das Geheimnis des Lebensmoleküls zu lüften», erinnert sich Watson.
Die beiden Wissenschaftler überlegten, dass das Molekül des Lebens im genetischen Material des Zellkerns verborgen sein müsse, der größtenteils aus einer chemischen Verbindung namens DNA besteht. Aber da organische Moleküle wie DNA so klein sind (kleiner noch als die Wellenlänge sichtbaren Lichts), sind sie unsichtbar, und die Herausforderung erschien entmutigend. Sie wählten eine indirekte Nachweismethode und verwendeten das auf der Quantentheorie basierende Verfahren der Röntgenkristallografie, um das geheimnisvolle Molekül zu finden.
Anders als sichtbares Licht, haben Röntgenstrahlen eine Wellenlänge, die im atomaren Bereich liegt. Wenn Röntgenstrahlen daher durch ein Kristall geschickt werden, das aus vielen Milliarden gitterförmig angeordneter Moleküle besteht, bilden die gestreuten Röntgenstrahlen ein eigenständiges Interferenzmuster, das sich fotografieren lässt. Bei genauer Betrachtung kann ein erfahrener Physiker, der die Aufnahmen studiert, herausfinden, welches Kristallgitter diese Bilder hervorruft.
Als sich Crick und Watson die von Rosalind Franklin aufgenommenen Bilder anschauten, sahen sie ein Muster, das von einer Doppelhelix herrühren musste. Da sie wussten, dass die allgemeine Struktur der DNA eine Doppelhelix war, eine Formation wie zwei umeinander gewundene Wendeltreppen, gelang es ihnen, die vollständige Struktur der DNA Atom für Atom zu rekonstruieren.
Die Quantenmechanik gab ihnen die Winkel, die von Bindungen zwischen Kohlenstoff-, Wasserstoff- und Sauerstoffatomen gebildet wurden. Wie Kinder, die einen Legobausatz zusammensetzten, konnten sie so die komplette atomare Struktur der DNA rekonstruieren und erklären, auf welche Weise dieses Molekül Kopien seiner selbst herstellen und die Anweisungen für die gesamte biologische Entwicklung liefern konnte.
Diese Entdeckung hat wiederum das Wesen von Biologie und Medizin grundlegend verändert. Im 19. Jahrhundert war es dem Naturforscher Charles Darwin gelungen, einen Baum des Lebens mit all den Zweigen zu skizzieren, die die reiche Formenvielfalt des Lebendigen darstellten. Dieser riesige Lebensbaum erwuchs aus einem einzigen Molekül. Und wie von Schrödinger vorausgesehen, lässt sich all dies als Konsequenz der Mathematik ansehen.
Als die beiden Forscher das DNA-Molekül entzifferten, stellten sie fest, dass es sich aus vier Clustern von Atomen zusammensetzte, den sogenannten Nukleinsäuren, die abgekürzt A, C, T und G genannt werden. Diese Nukleinsäuren sind linear angeordnet und bilden zwei lange parallele Stränge, die umeinandergewunden sind wie eine Wendeltreppe und so das DNA-Molekül bilden. (Ein DNA-Strang ist zwar mit bloßem Auge nicht zu sehen, doch wenn man ihn entfaltete, wäre dieses Molekül rund 1,8 Meter lang.) Wenn es an der Zeit ist, sich zu verdoppeln, wickeln sich die beiden DNA-Stränge auseinander und trennen sich in zwei Nukleinsäure-Stränge. Jeder Strang dient dann als Vorlage, und andere Nukleinsäuremoleküle lagern sich in der richtigen Reihenfolge an, sodass aus jedem Einzelstrang wieder ein Doppelstrang wird. Auf diese Weise kann Leben sich selbst reproduzieren.
So hatten wir nun die Architektur des DNA-Moleküls mithilfe der Mathematik der Quantentheorie entschlüsselt. Den grundsätzlichen Aufbau der DNA zu verstehen, war in gewissem Sinne jedoch der einfache Teil. Der schwierige Teil besteht darin, die Milliarden im Molekül verborgenen Codes zu entziffern.
Es ist, als versuche man, Musik zu verstehen, und gelernt hat, einige Noten auf einer Klaviertastatur zu spielen. Aber das macht einen noch nicht zum Mozart. Einige Noten zu lernen, ist lediglich der Beginn einer langen Reise.
Ein Forscher, der dieses Bemühen, all unsere Gene zu sequenzieren, energisch vorantrieb, war der Harvard-Biochemiker und Nobelpreisträger Walter Gilbert. Als ich ihn interviewte, gestand er mir, dass dieses Gebiet gar nicht sein ursprüngliches Ziel gewesen war. Tatsächlich begann er seine Tätigkeit in Harvard als Physikprofessor und untersuchte das Verhalten subatomarer Teilchen, die in leistungsstarken Beschleunigern entstehen. Auf dem Feld der Biologie zu arbeiten, kam ihm damals gar nicht in den Sinn.
Mit der Zeit begann er umzudenken. Zunächst einmal wurde ihm klar, wie schwierig es werden würde, bei so viel Konkurrenz in Harvard eine Festanstellung zu bekommen. Auf dem Gebiet der Teilchenphysik gab es viele kluge Köpfe, mit denen er in Wettbewerb treten musste. Zufällig arbeitete seine Frau für James Watson, den er bereits bei einer früheren Gelegenheit an der University of Cambridge kennengelernt hatte; so kam er mit den bahnbrechenden Arbeiten auf dem neuen Gebiet der Biotechnologie in Kontakt, die vor neuen Ideen und Entdeckungen geradezu explodierte. Neugierig geworden, teilte er seine Zeit bald zwischen den geheimnisvollen Gleichungen der Teilchenphysik und dem «schmutzigen Handwerk» der Biologie auf.
Und dann setzte er, was seine Karriere anging, alles auf eine Karte.
Als Assistant Professor tat er einen großen Schritt und wechselte von der theoretischen Teilchenphysik zur Biologie. Der riskante Wechsel zahlte sich jedoch aus, denn 1980 erhielt er den Nobelpreis in Chemie. Unter anderem entwickelte er als einer der Ersten eine schnelle Technik, um das DNA-Molekül Gen für Gen abzulesen.
Dabei kam ihm sein physikalischer Hintergrund zugute. Traditionell arbeiteten in den meisten biologischen Abteilungen Wissenschaftler, die auf ein einziges Tier oder eine einzige Pflanze spezialisiert waren. Einige verbrachten ihr ganzes Leben damit, neue Arten zu entdecken und zu benennen. Doch plötzlich wurden Durchbrüche von Quantenphysikern gemacht, die fortgeschrittene Infinitesimalrechnung verwendeten. Dass Gilbert die abstruse Sprache der Quantenmechanik fließend beherrschte, half ihm bei seinem Durchbruch, der unser Verständnis der molekularen Basis des Lebens veränderte.
Dann trug er dazu bei, das Humangenomprojekt voranzutreiben. In einem Vortrag, den er 1986 in Cold Spring Harbor hielt, schätzte er die Kosten für dieses ambitionierte und beispiellose Unterfangen auf drei Milliarden Dollar. «Das Publikum war sprachlos», erinnerte sich Robert Cook-Deegan, Autor des Buches Gene Wars. «Gilberts Hochrechnungen führten zu einem Aufschrei.» Viele Menschen hatten das Gefühl, das sei eine unmöglich geringe Summe. Als er seine verblüffende Vorhersage machte, war erst eine Handvoll Gene sequenziert worden. Viele Wissenschaftler glaubten sogar, das menschliche Genom werde für immer unentschlüsselt bleiben.
Diese Summe wurde jedoch zu dem Budget, das der Kongress für das Humangenomprojekt bewilligte. Die Technik machte so rasche Fortschritte, dass das Projekt sogar vor der anberaumten Zeit abgeschlossen werden konnte und unter dem bewilligten Budget blieb – etwas Noch-nie-Dagewesenes in Washington. (Ich fragte ihn, wie er zu der Summe gekommen war. Er wusste, dass es drei Milliarden Basenpaare in unserer DNA gab, und schätzte, dass es im Endeffekt 1 Dollar kosten würde, 1 Basenpaar zu sequenzieren.)
In Zukunft, so prophezeite Gilbert, wird man «in eine Apotheke gehen können und sich seine eigene DNA-Sequenz auf eine CD schreiben lassen, die man zu Hause auf seinem Macintosh analysieren kann … man wird eine CD aus der Tasche nehmen und sagen können: ‹Hier ist ein Mensch; das bin ich!›»
Ein Wissenschaftler, der von all dem stark beeinflusst wurde, ist Francis Collins, früherer Direktor des National Institute of Health. Er gehört zu den einflussreichsten Ärzten unserer Tage. Millionen Menschen haben ihn im Fernsehen über die neuesten Entwicklungen der Covid-Pandemie sprechen hören.
Ich fragte ihn, wie er sich für Biologie zu interessieren begann, obwohl er doch Chemie studiert hatte. Er gestand mir, dass ihm die Biologie mit all diesen willkürlichen Namen für Tiere und Pflanzen immer als zu «chaotisch» erschienen war, ohne Sinn und Verstand. In der Chemie sah er Ordnung, Disziplin und Muster, die er untersuchen und duplizieren konnte. Daher lehrte er physikalische Chemie und benutzte die Schrödingergleichung, um das Innenleben der Moleküle zu erklären. Schließlich erkannte er jedoch, dass er sich das falsche Gebiet ausgesucht hatte. Die physikalische Chemie war gut etabliert und basierte auf wohlbekannten Prinzipien und Konzepten.
Er wandte sich erneut der Biologie zu. Während Biologen obskuren Käfern und Würmern seltsame griechische Namen gaben, explodierte die Biotechnologie geradezu mit neuen Ideen und Konzepten. Es war ein noch unkartiertes, jungfräuliches Gebiet für Neueinsteiger.
Er beriet sich mit anderen, darunter auch Walter Gilbert, der ihm erzählte, wie er selbst von der Teilchenphysik zur DNA-Sequenzierung gewechselt war. Gilbert ermutigte Collins zum selben Schritt.
Also wagte Collins den Sprung ins kalte Wasser und sollte es nicht bereuen. «Ich erkannte: ‹Oh, meine Güte, hier ist gerade ein Goldenes Zeitalter angebrochen›», erinnerte er sich später. «Ich fürchtete, ich müsse einen Haufen Studenten, die das Thema aus tiefster Seele hassten, in Thermodynamik unterrichten. Während das, was in der Biologie vor sich ging, an die Quantenmechanik in den 1920er-Jahren erinnerte … Ich war absolut überwältigt.»
Sehr rasch machte sich Collins einen eigenen Namen. Im Jahr 1989 entdeckte er die Genmutation, die für Zystische Fibrose (Mukoviszidose) verantwortlich war, und stellte fest, dass sie durch den Verlust (Deletion) von nur drei Basenpaaren in der DNA verursacht wurde (von ATCTTT zu ATT).
Schließlich stieg er zum medizinischen Spitzenadministrator des Landes auf. Doch er brachte seinen eigenen Stil nach Washington mit. Zur Arbeit fuhr er mit dem Motorrad. Und er machte keinen Hehl aus seinem persönlichen Glauben. Er schrieb sogar einen Bestseller. The Language of God: A Scientist Presents Evidence for Belief (sinngemäß: Ein Naturwissenschaftler legt Beweise für Glauben vor).
In gewisser Weise stehen Gilbert und Collins für einige Etappen in der Entwicklung auf diesem Gebiet.
Phase 1: Kartierung des Genoms
In Phase 1 gelang es Walter Gilbert und anderen, das Humangenomprojekt abzuschließen, eines der wichtigsten wissenschaftlichen Unterfangen aller Zeiten. Der Katalog des menschlichen Genoms liest sich jedoch wie ein Wörterbuch mit 20000 Einträgen, aber ohne Definitionen. Für sich allein betrachtet, ist es eine gigantische Leistung, aber doch eine nutzlose.
Phase 2: Entschlüsselung der Genfunktion
In Phase 2 versuchten Francis Collins und andere, das Wörterbuch um die Definitionen für diese Gene zu ergänzen. Durch Sequenzierung von Genen, die Krankheiten auslösen, von Geweben, Organen usw. lässt sich mühsam herausfinden, in welcher Weise diese Gene operieren. Es ist ein schmerzhaft langsamer, kontinuierlicher Prozess, doch allmählich füllt sich das Wörterbuch mit Erklärungen.
Phase 3: Modifizierung und Optimierung des Genoms
Inzwischen stehen wir jedoch an der Schwelle von Stadium 3 und können das Wörterbuch benutzen, um selbst zu schreiben. Das heißt, wir können Quantencomputer verwenden, um zu entschlüsseln, wie diese Gene auf molekularem Niveau operieren, sodass wir neue Therapien entwickeln und neue Werkzeuge schaffen können, um bislang unheilbare Krankheiten in den Griff zu bekommen. Sobald wir erst einmal verstehen, wie sie auf molekularem Niveau Schaden anrichten, können wir dieses Wissen möglicherweise nutzen, um neue Techniken zu entwickeln, die diese Krankheiten neutralisieren oder heilen.
Bei dem Versuch, die Entstehung des Lebens nachzuvollziehen, stehen wir immer noch einem offenkundigen Paradoxon gegenüber. Wie können zufällige chemische Ereignisse in so kurzer Zeit die außerordentlich komplexen Moleküle des Lebens hervorbringen?
Geologen nehmen an, dass die Erde 4,6 Milliarden Jahre alt ist. Fast eine Milliarde Jahre lang bestand unser Planet aus geschmolzenem Gestein und war zu heiß, um Leben zu tragen. Aufgrund wiederholter Meteoriteneinschläge und Vulkanausbrüchen verdampften die urzeitlichen Ozeane wahrscheinlich mehrmals und ließen kein Leben zu. Doch vor rund 3,8 Milliarden Jahren war die Erde langsam so weit abgekühlt, dass sich beständige Meere bilden konnten. Da die DNA vermutlich vor rund 3,7 Milliarden Jahren entstand, heißt das, dass sie innerhalb einer Zeitspanne von einigen Hundert Millionen Jahren ihren Siegeszug antrat, und die chemischen Prozesse, die ihr erlauben, Energie zu nutzen und sich zu vervielfältigen, voll ausgebildet waren.
Manche Wissenschaftler halten das für unmöglich. Fred Hoyle, einer der großen Pioniere der Kosmologie, nahm an, das Leben müsse aus dem All gekommen sein, da die DNA einfach zu rasch aufgetaucht sei und die Zeit für die Entwicklung des Lebens auf der Erde nicht ausgereicht haben könne. Tatsächlich ist bekannt, dass Gesteinsbrocken und Gaswolken im All Aminosäuren enthalten können, daher könnte das Leben vielleicht woanders entstanden sein, vermutete Hoyle.
Diese Vermutung wird als Panspermie-Theorie bezeichnet, und kürzlich haben neue Befunde das Interesse an ihr wiederaufleben lassen. Bei der Untersuchung des mineralischen Inhalts und der winzigen Luftblasen im Inneren von Meteoriten stellte man eine exakte Übereinstimmung mit dem Gestein fest, das unsere Raumsonden auf dem Mars gefunden haben. Von den 60000 Meteoriten, die bislang entdeckt wurden, stammen mindesten 125 zweifelsfrei vom Mars.
Beispielsweise stürzte ein Meteorit namens ALH84001 vor rund 13000 Jahren auf den Südpol. Er wurde wahrscheinlich durch einen Meteoriteneinschlag auf dem Mars vor 16 Millionen Jahren ins All geschleudert und driftete dann durch den Weltraum, bis er schließlich auf der Erde landete. Mikroskopische Analysen des Inneren von ALH84001 ergaben Hinweise auf einige wurmförmige Strukturen. (Selbst heute noch wird diskutiert, ob es sich bei diesen Strukturen um uralte versteinerte Überreste vielzelliger Organismen oder um ein natürliches Phänomen handelt.) Wenn Felsbrocken vom Mars zur Erde reisen können, warum dann nicht auch DNA?
Inzwischen wird angenommen, dass eine große Zahl von Meteoriten zwischen Mars, Venus, Mond und Erde treiben könnten, weil Meteoriteneinschläge so heftig waren, dass Felsbrocken ins All geschleudert wurden und schließlich auf anderen Himmelskörpern landen konnten. Daher ist nicht auszuschließen, dass die DNA von einem anderen Ort als der Erde stammt.
Es gibt jedoch eine andere Erklärung für dieses Paradoxon.
Wie bereits erwähnt, kennt die Quantentheorie zahlreiche Mechanismen, die es erlauben, einen chemischen Prozess stark zu beschleunigen. Die schon erwähnte Pfadintegral-Methode bildet die Summe über alle möglichen Pfade einer chemischen Reaktion, und dazu gehören auch unwahrscheinliche Pfade. Pfade, die von den Newtonschen Regeln verboten werden, sind unter Umständen in der Quantenmechanik erlaubt. Einige davon könnten zur Schaffung komplexer Molekülstrukturen führen.
Wir wissen auch, dass Enzyme chemische Prozesse beschleunigen können. Sie können Moleküle zusammenbringen, sodass sie rasch reagieren, und die Energieschwelle senken, sodass sie die energetische Barriere durchtunneln können. Das heißt, es können selbst höchst unwahrscheinliche chemische Reaktionen stattfinden. Reaktionen, die scheinbar den Energieerhaltungssatz verletzen, sind in der Quantentheorie unter Umständen erlaubt. Mit anderen Worten könnte die Quantenmechanik der Grund dafür sein, warum sich das Leben auf dem Planeten Erde so früh entwickelte. Es ist zu hoffen, dass sich durch die Entwicklung von Quantencomputern viele Lücken in unserem Verständnis der Entwicklung des Lebens schließen lassen.
Rasante Fortschritte bei Quantencomputern haben zur Entstehung neuer Wissenschaftszweige wie Computerchemie und Quantenbiologie geführt. Letztlich ermöglichen Quantencomputer die Schaffung realistischer Molekülmodelle und ermöglichen Wissenschaftlern, Atom für Atom und Nanosekunde für Nanosekunde nachzuvollziehen, wie chemische Reaktionen ablaufen.
Stellen Sie sich beispielsweise vor, Sie benutzen ein Kochbuch, um eine Mahlzeit zuzubereiten. Es ist bequem, den Anweisungen Schritt für Schritt zu folgen, aber Sie haben keine Ahnung, wie die Aromen der Zutaten miteinander wechselwirken, um ein köstliches Gericht zu schaffen. Wenn Sie von den Anweisungen des Kochbuchs abweichen, dann läuft alles auf Vermutung nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum hinaus. Es kostet viel Zeit und führt nicht selten in eine Sackgasse. Aber auf ganz ähnliche Weise wird Chemie heutzutage meistens praktiziert.
Nun stellen Sie sich vor, Sie könnten alle Zutaten auf molekularem Niveau analysieren. Im Prinzip wäre es möglich, neue köstliche Rezepte aus Grundzutaten zu kreieren, wenn man weiß, wie sämtliche Moleküle miteinander wechselwirken. Das ist es, was sich Wissenschaftler letztlich von Quantencomputern erhoffen: die Wechselbeziehungen von Genen, Proteinen und chemischen Verbindungen auf molekularer Ebene zu verstehen.
Jeanette M. Garcia von IBM meint dazu: «Wenn Moleküle größer werden, verlassen sie schnell den Anwendungsbereich klassischer Computer. Simulationen werden dann unmöglich.»[25]
An anderer Stelle schrieb Garcia: «Das Verhalten selbst simpler Moleküle im Detail vorherzusagen, übersteigt die Fähigkeiten der leistungsstärksten Computer. Hier bietet Quantencomputing die Möglichkeit für bedeutende Fortschritte in den kommenden Jahren.» Sie verweist darauf, dass Digitalrechner lediglich das Verhalten von einigen wenigen Elektronen zuverlässig berechnen können. Darüber hinaus übersteigt die Berechnung die Fähigkeit eines jeden klassischen Computers, es sei denn, man macht drastische Näherungen.
Sie fügt hinzu: «Quantencomputer sind nun an dem Punkt, an dem sie allmählich Energetik und Eigenschaften kleiner Moleküle, wie Lithiumhydriden, modellieren können – das erlaubt, Modelle zu entwerfen, die klarere Wege zur Entdeckung weisen, als wir sie heute haben.»
Linghua Zhu am Virginia Tech ergänzt: «Die Atome sind Quanten, der Computer ist Quantenwelt, wir benutzen Quanten zur Simulation von Quant. Wenn wir klassische Methoden verwenden, verwenden wir stets Näherungen, doch mit einem Quantencomputer lässt sich exakt feststellen, wie jedes einzelne Atom mit anderen Atomen wechselwirkt.»
Stellen Sie sich beispielsweise einen Künstler vor, der eine Kopie der Mona Lisa anfertigen möchte. Wenn man dem Künstler nicht mehr gibt als Zahnstocher, dann ist das Ergebnis nicht mehr als eine grobe Figur aus Stiften. Gerade Linien können die Komplexität der menschlichen Form nicht wiedergeben. Wenn man den Künstler aber mit einem dünnen Tuschestift und verschiedenen Farben ausstattet, kann er eine Fülle geschwungener Formen schaffen und eine vernünftige Kopie des berühmten Gemäldes herstellen. Mit anderen Worten: Man braucht gekrümmte Linien, um gekrümmte Linien wiederzugeben. Genauso kann nur ein Quantencomputer die Komplexität von Quantensystemen wie den chemischen Verbindungen und den Bausteinen des Lebens einfangen.
Um zu sehen, wie das funktioniert, lassen Sie uns zu Schrödingers Wellengleichung zurückkehren (siehe Kapitel 3). Erinnern Sie sich daran, dass dort eine Größe namens H, der Hamilton-Operator, eingeführt wurde, der die Gesamtenergie des untersuchten Systems repräsentiert. Das heißt für große Moleküle, dass diese Größe H aus der Summe einer großen Anzahl von Termen besteht, zum Beispiel:
der kinetischen Energie eines jeden Elektrons und jedes Atomkerns,
der elektrostatischen Energie einen jeden Teilchens,
der Wechselwirkungen zwischen all den verschiedenen Teilchen,
den Auswirkungen des Spins.
Wenn wir das einfachste System betrachten – das Wasserstoffatom mit nur einem einzigen Elektron und einem einzigen Proton –, dann lässt sich dies in jedem Fortgeschrittenen-Physikkurs lösen. Die Herleitung verlangt nicht viel mehr als höhere Differentialrechnung. Dennoch erhalten wir für ein derart simples System eine wahre Goldmine an Ergebnissen, solche, wie den gesamten Satz an Energieniveaus des Wasserstoffatoms.
Aber wenn wir es mit zwei Elektronen zu tun haben, wie beim Helium, werden die Dinge sehr rasch kompliziert, da wir komplexe Wechselbeziehungen zwischen den beiden Elektronen berücksichtigen müssen. Bei drei oder mehr Elektronen übersteigt dies rasch die Kapazität von Digitalrechnern. Um vernünftige Ergebnisse zu erhalten, müssen daher zahlreiche Näherungen gemacht werden. Quantencomputer könnten da von Nutzen sein.
So meldete Google 2020 einen neuen Rekord seines Sycamore-Computers; er war in der Lage, mithilfe von 12 Qubits eine Kette von zwölf Wasserstoffatomen präzise zu simulieren.
«Über dieses Ergebnis freuen wir uns sehr, denn es bedeutet im Vergleich zu jeder früheren quantenchemischen Simulation eine Mehr-als-Verdopplung der Anzahl von Qubits und Elektronen, und das mit der gleichen Genauigkeit», meint Ryan Babbush, Mitglied des Teams, das den neuen Rekord aufstellte.
Dem Quantencomputer gelang es auch, eine chemische Reaktion unter Beteiligung von Wasserstoff und Stickstoff selbst dann zu modellieren, wenn man den Ort der Wasserstoffatome veränderte. Babbush fügt hinzu: «Das zeigt, dass dieses Gerät tatsächlich ein voll programmierbarer Quantencomputer ist, der für jede Aufgabe eingesetzt werden kann, die man ihm stellt.»
Garcia zieht daraus den Schluss: «Klassische Computer sind einfach nicht in der Lage, das Komplexitätsniveau von so alltäglichen Substanzen wie Koffein zu handhaben.» Für sie gehört die Zukunft dem Quant.
Die ersten Erfolge haben die Quantenforscherinnen und -forscher jedoch erst so richtig auf den Geschmack gebracht. Sie sind begierig, noch ehrgeizigere Projekte, wie die Entschlüsselung der Fotosynthese, in Angriff zu nehmen, die die Grundlage des Lebens auf der Erde bildet. Das Geheimnis, wie man mithilfe des Sonnenlichts die Fülle an Früchten und Gemüsen schafft, die wir rund um uns herum sehen, wird womöglich eines Tages durch Quantencomputer gelöst werden. Daher ist das nächste Ziel vielleicht die Fotosynthese, einer der wichtigsten Quantenprozesse auf dem ganzen Planeten.