4. KAPITEL
Als Chloe hörte, dass jemand hinter ihr die Küche betrat, drehte sie sich nicht um, sondern schlug weiter Eier in eine Schüssel auf. Sie konnte sich denken, wer es war. Doch heute würde sie sich nicht von Ramsey Westmoreland ins Bockshorn jagen lassen. Schließlich war er nicht der einzige Mann auf der Welt, der Sexappeal besaß. Wenngleich er doch der einzige Mann war, der sie brennend interessierte.
Kurz überlegte sie, ihn zu begrüßen, ließ es dann aber. Denn eigentlich wäre es an ihm, hallo zu sagen. Schließlich war er derjenige, der eintrat.
„Guten Morgen.“
Das Timbre seiner Stimme ging ihr durch und durch. Und das schon am frühen Morgen. Nicht auszudenken, was er noch alles bei ihr anrichten könnte, hatte er doch bereits in der vergangenen Nacht die Hauptrolle in ihren leidenschaftlichen Träumen gespielt. Doch damit wollte sie sich gar nicht erst beschäftigen. Es war ja noch nicht einmal vier Uhr, und ein anstrengender Vormittag lag vor ihr.
Zögernd drehte sie sich um. „Guten …“ Sie verstummte.
Ramsey Westmoreland besaß doch tatsächlich die Unverfrorenheit, sich mitten in der Küche sein Hemd anzuziehen. Gott sei Dank war er schon dabei, es zuzuknöpfen. Dennoch hatte sie noch einen kurzen Blick auf seine nackte Brust, auf den gut definierten Bizeps und die muskulösen Schultern werfen können. Dass seine Jeans direkt auf der Hüfte saßen und er barfuß war, war mindestens genauso atemberaubend. Offenbar kam er gerade eben aus der Dusche, denn sein Haar war noch feucht und sein Kinn frisch rasiert.
Sie wünschte sich, stark genug zu sein, um seinen prachtvollen athletischen Körper zu ignorieren, musste sich aber im selben Moment eingestehen, dass sie es nicht war. Sein Anblick machte ihr unmissverständlich klar, warum sie ihn unbedingt auf dem Cover von Simply Irresistible haben wollte.
Als ihre Blicke sich trafen, hielt er den ihren so lange gefangen, bis er den letzten Knopf seines Hemdes geschlossen hatte. Wie schade, dachte sie. Sie hatte den Anblick genossen.
„Sie sind ja schon hier“, bemerkte er und zog einen Gürtel durch die Laschen seiner Jeans.
Chloe fragte sich, ob er sich jeden Morgen in der Küche anzog. „Ich konnte nicht schlafen“, erwiderte sie schließlich. „Sie wissen ja, fremde Betten sind immer etwas gewöhnungsbedürftig.“ Es gab keinen Grund, ihm zu verraten, warum sie wirklich wach gelegen hatte.
„Ich hoffe, Sie haben genug Schlaf bekommen, um Ihre Arbeit zu erledigen“, sagte er. „Die Männer sind hungrig.“
Sie stieß einen empörten Laut aus. „Schon Mama Francine hat gesagt, Männer haben immer Hunger. Selbst wenn ihre Mägen voll sind.“
Er lehnte sich gegen die Anrichte. „Und wer ist Mama Francine?“
Sie überlegte, ob sie vielleicht schon zu viel gesagt hatte. Doch dann beruhigte sie sich. Wenn sie über Mama Francine sprach, verriet sie wohl nicht zu viel. „Sie ist diejenige, die mir beigebracht hat, wie man kocht.“
Er nickte, und sie widmete sich wieder den Rühreiern.
Sie spürte, dass er sie beobachtete, um zu kontrollieren, ob sie auch alles richtig machte. Mit jedem Schritt, den er näher kam, spürte sie die Hitze, die von ihm ausging.
„Ich bin beeindruckt.“
Sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, während er ihr über die Schulter sah.
„Schon wieder?“
„Ja. Sie bereiten ja beides zu, Schinken und Würstchen.“
Skeptisch hielt sie inne und drehte sich um. „Ist das ein Problem?“
Er zuckte die Schultern. „Nein. Es ist nur, Nellie macht das nie.“
„Aber ich bin nicht Nellie.“
„Das sehe ich“, gab er lächelnd zurück.
Weil sie nicht wusste, was sie darauf erwidern sollte, schwieg sie. Dann drehte sie sich wieder um, stellte die Schüssel mit den aufgeschlagenen Eiern beiseite und widmete sich den Biskuits.
Sie spürte, dass er ihre Beine anstarrte, und war mehr als versucht, ihren Rock auf den Boden gleiten zu lassen. Doch wahrscheinlich hätte er diese Geste nicht verstanden und womöglich gedacht, dass sie sich in ihrer Arbeitskleidung nicht wohlfühlte.
„Wir bekommen sogar hausgemachte Biskuits?“
Wieder musste sie grinsen, als sie Ofentür öffnete und das Blech mit den kleinen Frühstückskuchen hineinschob. „Schon wieder ein Regelverstoß?“
„Hier schon.“
Sie wunderte sich, dass Nellie offenbar keinen Wert auf eine größere Auswahl beim Frühstück legte. Nachdem sie die Ofentür wieder geschlossen hatte, drehte sie sich um. Ihre Nervosität, die von Ramseys Gegenwart verursacht wurde, versuchte sie einfach zu ignorieren. Er sah noch verschlafen aus, wirkte aber gerade dadurch ungeheuer sexy.
„Warum hat Nellie den Männern eigentlich immer dasselbe zum Frühstück vorgesetzt?“
Er neigte den Kopf und inspizierte sie wieder mit diesem unglaublich intensiven Blick. Und da sie doch nicht so stark war, wie sie gedacht hatte, begann sie zu zittern. Sie fragte sich, ob ihm das auffiel. Es war schon eigenartig, dass es ihm gelang, diese Reaktion bei ihr hervorzurufen. Daren hatte das nie geschafft. Allerdings hatte er es auch gar nicht erst versucht. Stattdessen hatte er seine politische Karriere gepuscht, indem er vor aller Augen Senator Burtons Tochter ausgeführt hatte. Wenn sie allein gewesen waren, hatte er sich lieber politischen Internetblogs gewidmet, anstatt sie glücklich zu machen. Das Fass zum Überlaufen gebracht hatte er schließlich mit seinem Vorschlag, es mit einem Dreier zu versuchen. Mit dieser verrückten Idee hatte er tatsächlich sein Sexualleben aufpolieren wollen. Und das ausgerechnet von einem Mann, der es nicht einmal schaffte, eine einzige Frau im Bett zu befriedigen! Daraufhin hatte sie ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er seine Koffer packen und sich nie wieder blicken lassen sollte.
Seitdem hatte sie all ihre Energie – natürlich nicht nur die sexuelle – in den Erfolg ihres Magazins gesteckt. Eine Beziehung hatte sie sich ein für alle Mal aus dem Kopf geschlagen. Und was war das Ergebnis? Dass sie sich wie eine überdrehte, sexuell unbefriedigte Frau benahm, die sich am liebsten sofort auf den Mann neben sich gestürzt hätte.
„Nellie wollte den Männern nur ein Standardfrühstück zubereiten, damit sie gegen Mittag richtig hungrig wurden“, unterbrach er ihre Gedanken.
Fragend sah Chloe ihn an. Ihrer Meinung nach machte das keinen Sinn. „Aber waren sie mittags nicht sowieso hungrig?“
„Doch.“
Sie wollte etwas sagen, überlegte es sich aber anders. Die Art und Weise, wie Nellie ihre Küche führte, ging sie nichts an. Außerdem war sie schließlich hier, um zum richtigen Zeitpunkt zu erklären, wer sie in Wirklichkeit war. Damit Ramsey begriff, dass er in ihrer Schuld stand. Und wenn es ihr Pluspunkte einbrachte, dass sie seinen Männern etwas Besonderes servierte – umso besser.
Sie hörte, wie draußen ein Wagen hielt. „Scheint, als würden Ihre Männer eintrudeln.“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, das ist Callum. Er ist immer etwas früher hier als der Rest. Er und ich besprechen, was zu tun ist.“
Sie nickte. Nachdem sie Callum tags zuvor kennengelernt hatte, wusste sie, dass ihn mit Ramsey mehr als nur eine kollegiale Beziehung verband. Sie schienen enge Freunde zu sein. „Er ist Australier, oder?“
Ramsey war in der Zwischenzeit zum Tisch gegangen und hatte sich eine Tasse Kaffee eingegossen. Er trank einen Schluck und runzelte die Stirn. Die Frau war sogar in der Lage, richtig guten Kaffee zu kochen. „Ja“, sagte er endlich, um ihre Frage zu beantworten.
Nur wenige Leute, wie zum Beispiel einige Familienangehörige von Ramsey, wussten, dass Callum es aus eigener Kraft zum Millionär gebracht hatte. In Australien besaß er mehrere Schaffarmen, die von äußerst kompetenten Leuten geleitet wurden. Das meiste Geld spendete er wohltätigen Zwecken. Doch Ramsey sah nicht ein, warum er ihr das erzählen sollte.
Der vierunddreißigjährige Callum war der Sohn eines australischen Vaters und einer afroamerikanischen Mutter. Seine Familie hatte ein Vermögen mit der Zucht von Schafen gemacht. Aber auch das musste sie Ramseys Meinung nach nicht wissen. Genauso wenig wie die Tatsache, dass Cullum nicht nach Australien zurückging, weil er Gemma nicht zurücklassen wollte.
Callum liebte sie und war fest entschlossen, sie zu heiraten. Ramsey und Dillon hatten ihm zwar beide seinen Segen gegeben, ebenso aber klargemacht, dass die letzte Entscheidung bei Gemma lag. Genau das war das Problem. Denn die wiederum hatte scheinbar nicht die leiseste Ahnung, was Callum für sie empfand. Soweit Ramsey das einschätzen konnte, war das wahrscheinlich auch ganz gut so. Denn Gemma war etwas kompliziert. Nicht zuletzt, weil sie bei jeder Gelegenheit betonte, dass sie sich niemals an einen Mann binden würde. Für den Australier hieß das, dass er sich ganz schön ins Zeug legen musste, wenn er ihr Herz gewinnen wollte.
Ramsey sah sich in der Küche um, bevor er wieder zu Chloe blickte. „Scheint mir, dass Sie hier alles unter Kontrolle haben.“
„Tut mir furchtbar leid, wenn Sie das Gegenteil gedacht haben.“
Missbilligend nahm er die spöttische Bemerkung zur Kenntnis. „Das habe ich natürlich nicht, Chloe. Ich denke, gestern haben Sie bereits bewiesen, dass Sie Ihren Job beherrschen.“
Sie reckte ihr Kinn und sah ihn an. „Wo liegt dann das Problem?“
Er könnte natürlich so tun, als verstünde er nicht, was sie meinte. Doch das wollte er nicht. Wenn er ihr allerdings die Wahrheit sagte, dann wäre er derjenige, der sich merkwürdig verhielt. Natürlich wusste er, was das Problem war, seit sie sich zum ersten Mal gesehen hatten. Den Umgang mit einer attraktiven Frau, nach der sich die Männer die Hälse verrenkten, war er einfach nicht gewohnt. Einer Frau, die selbst in aller Frühe sein Blut in Wallung brachte.
Einer Frau, die er küssen wollte.
Sein Herz begann wie wild zu schlagen, als er sich vorstellte, wie er den Mund auf ihre Lippen presste. Er wusste, bliebe sie auch nur eine weitere Nacht in seinem Haus, könnte er für nichts mehr garantieren. Denn dann würde er seine Ideen in die Tat umsetzen. Und sei es auch nur, um endlich wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Da war es nur fair, ihr gegenüber eine kleine Warnung auszusprechen.
„Wie alt sind Sie, Chloe?“
Er sah, dass seine Frage sie irritierte. „Achtundzwanzig.“
Langsam nickte er und zwang sie, seinem Blick standzuhalten. „Dann nehme ich an, dass Sie sehr wohl wissen, was mein Problem ist. Falls nicht, werde ich es Ihnen später demonstrieren.“
Chloe spürte, wie ihr Herz zu rasen begann und sich eine unglaubliche Hitze in ihr ausbreitete. Sie verstand seine Andeutung zweifellos. In seinen dunklen Augen blitzte es verheißungsvoll auf.
Bevor sie etwas entgegnen konnte, trat Callum Austell durch die Hintertür in die Küche. Abwechselnd blickte er sie und Ramsey an. Das vielsagende Lächeln, das daraufhin auf seinem Gesicht erschien, war unverschämt sexy. Wäre die Position des attraktivsten Mannes nicht schon mit Ramsey besetzt gewesen, sie hätte schwach werden können.
„Ram, Chloe. Störe ich?“, fragte Callum.
Chloe, die sah, dass die Frage Ramsey irritierte, holte tief Luft. Lucia hatte sie gewarnt, dass ihm seine Privatsphäre heilig war. Was, wenn sein Freund das Prickeln zwischen ihnen wahrgenommen hatte? Allerdings wäre die erotisch aufgeladene Stimmung kaum zu überspielen gewesen. Sie wollte Callum gerade antworten, als Ramsey ihr zuvorkam.
„Nein, du störst ganz und gar nicht. Also, Cal, lass uns alles noch mal durchgehen, bevor die anderen kommen.“ Er stellte die Kaffeetasse auf der Anrichte ab und machte Anstalten zu gehen. Da Callum immer noch neben ihr stand, blieb er stehen und warf ihm einen Blick zu.
„Sie sehen heute ganz wunderbar aus, Chloe“, sagte Callum, und seine raue Stimme hatte einen angenehm australischen Akzent.
Chloe betrachtete den attraktiven Mann, der ungefähr zwei Jahre jünger als Ramsey war. Wollte er ihr nur ein Kompliment machen?
„Was ist jetzt, Cal? Kommst du nun oder nicht?“, rief Ramsey.
Callum warf ihm einen Blick zu und grinste. „Bin schon unterwegs.“
Dann verließ er gemeinsam mit Ramsey die Küche.
Die Zähne zusammengebissen, betrat Ramsey sein Büro und schlug die Tür zu. Dann warf er Callum einen grimmigen Blick zu. Dieser Mann hatte doch tatsächlich die Dreistigkeit, ihn anzugrinsen. „Was, zum Teufel, sollte das gerade?“, fragte er verärgert.
Callum sah ihn gespielt unschuldig an. „Ich weiß überhaupt nicht, was du meinst, Ram.“
Wütend lehnte sich Ramsey gegen seinen Schreibtisch. „Du hast mit ihr geflirtet.“
Schulterzuckend, aber immer noch grinsend, entgegnete Callum: „Und wenn?“
Ramsey verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn du das getan hast, um mich zu provozieren, dann …“
„Hat doch aber funktioniert“, unterbrach Callum ihn amüsiert, während er es sich in einem Stuhl bequem machte. „Komm schon, Ram. Gib’s zu. Du willst diese Frau. Deshalb versuchst du ja auch, sie loszuwerden. Sie kocht besser als Nellie, und wir sind alle von ihr begeistert. Ich sage es nicht gern, aber keiner vermisst Nellie. Und du weißt auch, warum.“
Ramsey holte tief Luft. Ja, das wusste er. Seit Nellie erfahren hatte, dass ihr Mann sie betrog, war es, als würde sie ihre Wut an der gesamten männlichen Erdbevölkerung auslassen wollen. Am Anfang hatte jeder für sie Verständnis gehabt. Doch mit der Zeit war es allen zu kompliziert geworden. Für einen Mann gab es eben nichts Schlimmeres, als mit schlechtem Essen bestraft zu werden.
Obwohl Nellies unerwartete Reise ihn in Bedrängnis gebracht hatte, war er auch froh darüber, dass sie Abstand nehmen musste. Natürlich würde sie den Job behalten. Trotzdem war nach ihrer Rückkehr ein Gespräch zwischen ihnen fällig.
„Ja, du hast recht. Aber deshalb werde ich sie nicht feuern.“
„Schön. Aber bis zu ihrer Rückkehr haben die Männer hier und da ein nettes Wort, vor allem aber ein anständiges Essen verdient.“
Ramsey schwieg.
„Sieh mal, ich verstehe ja dein Problem mit Chloe, Ram. Willkommen im Club. Ich weiß, wie es ist, wenn man verrückt nach einer Frau ist.“
Mit zusammengekniffenen Augen sah Ramsey seinen Freund an. „Vorsicht, du sprichst von meiner Schwester“, sagte er.
Callum stieß einen unwilligen Laut aus. „Ich spreche von der Frau, die ich gerne heiraten würde, die sich mir aber komplett entzieht. Das ist verdammt frustrierend, weißt du. Wunder dich also nicht, wenn wir beide eines Tages weg sind.“ Callum lächelte spitzbübisch. „Ich denke da an Kidnapping.“
Ramsey schüttelte den Kopf und musste schließlich doch lachen. „Na, dann los, entführ sie. Ich schwöre dir, nach einer Woche bringst du Gemma wieder zurück, weil sie dir das Leben zur Hölle macht. Ihr Zorn kann grenzenlos sein.“
Ramsey lächelte. Obwohl er ein bisschen übertrieben hatte, wusste er, dass die Botschaft bei Callum angekommen war. Von seinen drei Schwestern war Gemma die launischste. Callum wusste das, liebte sie aber trotzdem. Das sollte einer verstehen.
„Willst du Chloe wirklich gehen lassen?“, fragte Callum, um das Thema zu wechseln. „Es ist eine Schande, dass deine Männer leiden müssen, nur weil du deine Triebe nicht im Griff hast.“
Ramsey wusste, das Callum recht hatte. Immer wenn er in Chloes Nähe war, hatte er Mühe, sich zu beherrschen. Und das, obwohl er seine Libido bis jetzt immer ganz gut im Griff gehabt hatte.
„Die Männer schließen schon Wetten ab, wie lange sie hierbleiben wird“, erklärte Callum grinsend. „Ich schätze, einige werden ganz schön erstaunt sein, sie heute Morgen wiederzusehen.“
Ramsey fand das alles andere als komisch.
Nachdenklich fuhr Callum sich über das Kinn. „Hm, ich frage mich gerade …“
Fragend sah Ramsey ihn an. „Was?“
„Warum nimmt eine Frau wie sie ganze zwei Wochen einen Job mitten im Niemandsland an? Hat sie keine Familie?“
Das war eine gute Frage. Bis jetzt hatte Ramsey sich noch keine Gedanken über Chloes Privatleben gemacht. Wahrscheinlich weil er sowieso davon ausgegangen war, dass sie nicht lange bleiben würde. Trotzdem war Callums Frage berechtigt. Offensichtlich lebte sie in der Stadt, denn sie war mit Gepäck zurückgekehrt.
„Was, wenn sie auf der Flucht ist und den Job benutzt, um sich hier zu verstecken?“
Ramsey warf Callum einen irritierten Blick zu. „Und vor wem bitte schön?“
„Einem gewalttätigen Ehemann, einem durchgeknallten Verlobten, einem besitzergreifenden Freund. Was weiß denn ich.“
Bei dem Gedanken, dass Chloe auf der Flucht vor einem durchgedrehten Liebhaber war, verfinsterte sich Ramseys Miene. Als er ihr vorgeschlagen hatte, auf der Ranch zu übernachten, schien sie überrascht gewesen zu sein. Am Abend hingegen hatte sie ihm erklärt, dass sie nur über Nacht bliebe, um am nächsten Morgen nicht zu spät zu kommen. Was, wenn dahinter etwas anderes steckte?
„Ich glaube nicht, dass sie verheiratet oder verlobt ist. Sie trägt keinen Ring, und nichts deutet darauf hin, dass sie einen getragen hat“, sagte er.
Callum grinste. „Du bist ja schon genauso wie die Jungs, die sich den Ringfinger einer Frau anschauen, um herauszufinden, ob sie vergeben ist.“
Ramsey zuckte mit den Schultern. „Was auch immer.“
„Ja, genau. Was auch immer der Grund ist: Wenn du dich nicht darum kümmerst und sie einfach gehen lässt, dann ist das vielleicht ihr sicherer Tod.“
Ramsey verdrehte die Augen. „Geht es vielleicht noch etwas dramatischer?“
Callum stand auf. „Sage nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“ Dann ging er zur Tür.
Verdutzt sah Ramsey ihn an. „Hey, wo willst du hin? Wir haben doch noch gar nichts besprochen.“
Callum grinste ihn über die Schulter an. „Werden wir auch nicht. Zumindest nicht mehr heute Morgen. Denn der Duft von Schinken und Würstchen steigt mir gerade in die Nase. Das werde ich mir doch nicht entgehen lassen. Schon gar nicht, wenn du Chloe tatsächlich wegschickst.“
Zwei Dinge waren Ramsey immer schon wichtig gewesen: Geisteskraft und Selbstbeherrschung. Beides schien plötzlich zu schwinden, als er eine Stunde später den Speiseraum betrat. Seine Männer waren schon fort, und Chloe räumte gerade die Tische ab und schaute kurz in seine Richtung. In dem Moment, in dem ihre Blicke sich trafen, hätte er sie am liebsten gepackt und bis zur Besinnungslosigkeit geküsst.
„Sie haben das Frühstück verpasst. Ich habe Ihnen noch etwas im Ofen warm gestellt. Die Eier bereite ich frisch zu“, sagte sie.
Er nickte und war überrascht, dass sie an ihn gedacht hatte. „Danke.“ Er war absichtlich so lange in seinem Büro geblieben, weil er die Berichte des letzten Abends zu Ende schreiben wollte. Das fröhliche Gelächter seiner Männer war ein sicheres Zeichen dafür gewesen, dass sie das Frühstück genossen hatten.
„Ihre Leute haben sich gewundert, warum Sie nicht hier waren.“
Er goss sich Kaffee in eine Tasse. „Haben sie das?“
„Ja.“
Als er einen Schluck Kaffee trank, bot sie ihm an: „Wenn Sie jetzt etwas essen möchten, würde ich den Teller holen.“
„Danke, das wäre nett.“
Er setzte sich an den Tisch und beobachtete sie. Ob etwas an Callums Spekulationen dran war? Arbeitete sie hier als Köchin, weil sie sich vor jemandem versteckte? Er nahm noch einen Schluck Kaffee.
„Wie möchten Sie die Frühstückseier, Ramsey?“
Er blinzelte, als er merkte, dass sie ihm eine Frage gestellt hatte. „Entschuldigung, was haben Sie gesagt?“
„Die Eier. Wie mögen Sie sie am liebsten? Durchgebraten, gekocht oder als Rührei?“
Am liebsten würde er sie von ihrer Haut schlürfen, verzichtete aber auf diese Bemerkung. Wie am Abend zuvor trug sie einen Minirock mit Leggins darunter, die ihre Beine bedeckten. Warum trugen Frauen bloß diese Dinger? Er liebte den Anblick nackter Haut und fand es nicht verwerflich, einen Blick auf die unverhüllten Stellen eines weiblichen Körpers zu werfen, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Obwohl er ihre Beine noch nicht in natura gesehen hatte, hatte er keine Zweifel, dass sie fantastisch und erregend waren. So wie der Rest von ihr.
Beim Anblick ihres wohlgeformten Hinterteils, das durch ihr Outfit perfekt betont wurde, wuchs seine Erregung. Er stellte sich vor, wie er gemeinsam mit ihr im Bett lag, sich eng an ihren Rücken schmiegte und …
„Ramsey?“
Gedankenverloren blinzelte er. „Spiegeleier wären in Ordnung.“
Er betrachtete sie, wie sie routiniert nach einer schweren Pfanne griff. Sie wusste, was sie tat, keine Frage. Insgeheim fragte er sich, wo sie ihre Kochkünste gelernt hatte. War sie in einer Kochschule gewesen? Falls ja, warum arbeitete sie dann nicht in einem Restaurant? Was suchte sie ausgerechnet hier? Am Rand von Denver?
Während sie die Eier briet, beobachtete er sie eingehend. Eigentlich wirkte sie nicht wie eine Frau, die auf der Flucht war. Sie machte einen gelassenen Eindruck und schien Spaß an der Arbeit zu haben.
Sie sah auch nicht aus wie eine Durchschnittsfrau. Sie war wirklich schön! Ihre Haut wirkte weich und ebenmäßig. Sie hatte eine zierliche süße Nase, und ihre wundervollen Augen spiegelten ihre verführerische Sinnlichkeit wider. Die Lippen ihres geschwungenen Mundes hätte er am liebsten leidenschaftlich geküsst. Ihr lockiges Haar glänzte, und es fiel ihm nicht schwer, sich auszumalen, wie es ausgebreitet auf einem Kissen aussah. In seinem Bett. Der Schimmer in ihren verführerischen Augen steigerte seine Erregung.
Das brennende Verlangen, das in diesem Moment Besitz von ihm ergriff, schien ihm die Luft zum Atmen zu nehmen. Leise stöhnend zwang Ramsey sich, aus dem Fenster zu sehen und an etwas anderes zu denken.
Zum Beispiel an die Rechnung, die für den neuen Traktor beglichen werden musste. Oder an Gemma, die nicht lockerließ, weil sie festen Willens war, das gesamte Haus umzudekorieren. Eben an alles, das ihn von dem quälenden Wunsch ablenkte, mit Chloe zu schlafen.
Während er versuchte, seine entfesselten Triebe und Sinne unter Kontrolle zu bekommen, sah er sie aus den Augenwinkeln an. Sie hatte etwas an sich, das nicht zu ihrer Rolle als Köchin passte. Man war versucht, sie zu bedienen, anstatt sich von ihr bedienen zu lassen. „Sind Sie verheiratet?“
Nur einen kurzen Augenblick sah sie ihn an und konzentrierte sich dann wieder auf die Spiegeleier. „Nein.“
„Sicher?“
Sie hob ihren Kopf und starrte ihn entgeistert an. „Natürlich!“ Zum Beweis hob sie ihre linke Hand. „Sehen Sie, kein Ring.“
Er zuckte mit den Schultern. „Das bedeutet heutzutage überhaupt nichts.“
Stirnrunzelnd schob sie die Spiegeleier aus der Pfanne auf einen Teller. „Mir würde es sehr wohl etwas bedeuten.“
„Okay, aber haben Sie eine feste Beziehung?“
Sie stellte den Teller vor ihm auf den Tisch und sah ihn scharf an. „Gibt es einen speziellen Grund dafür, dass Sie mich das fragen?“
Er lächelte. „Ja, gibt es. Denn bevor ich Sie küsse, würde ich gerne wissen, ob diese Lippen einem anderen gehören.“
Es verschlug ihr vollkommen die Sprache. Sie öffnete den Mund, um ihn zu ermahnen, besser auf sein eigenes Mundwerk zu achten, brachte aber nichts dergleichen hervor.
Er grinste. „Pressen Sie die Lippen ruhig aufeinander. Das wird mich trotzdem nicht von dem Versuch abhalten, Sie zu küssen. Denn das ist alles, was ich will.“
Chloe verschränkte die Arme vor der Brust. „Gibt es irgendeinen Grund für diesen Wahnsinn?“
„Sie finden, das ist Wahnsinn?“, fragte er und begann zu essen.
Sie hob den Kopf und sah ihn prüfend an. „Wie würden Sie es denn nennen?“
„Wie wär es mit ‚Appetit‘?“
Verwirrt runzelte sie die Stirn. „Appetit?“
„Ja, der sexuellen Art. Irgendetwas muss ich tun, damit Sie mir nicht permanent im Hirn herumspuken. Und da dachte ich, dass es vielleicht gut wäre, Sie zu küssen.“
Fassungslos über seine Worte, die ihr rasendes Herzklopfen bescherten, ließ Chloe die Arme sinken. „Sie sind wirklich das absolute Gegenteil von Daren.“
Erstaunt sah er sie an. „Wer ist Daren?“
„Der Typ, mit dem ich zuletzt etwas hatte.“
Ramsey achtete nicht auf den Anflug von Eifersucht, der ihn überfiel. „Und ist es gut oder schlecht, das Gegenteil von Daren zu sein?“
Sie zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht. Obwohl ich es nett gefunden hätte, wenn er wenigstens einen Anflug von Appetit gehabt hätte.“
Er verstand die Anspielung sofort. „Ich kann mir keinen Mann vorstellen, der Sie nicht verschlingen will. Er muss ein ziemlicher Idiot sein.“
Chloe unterdrückte ein Lächeln, sie hatte genau das Gleiche gedacht. „Er hatte seine eigenen Vorstellungen vom Sex. Er wollte Liebe zu dritt.“
Ramseys Miene verfinsterte sich. Der Gedanke, eine Frau wie Chloe mit einem anderen Menschen teilen zu wollen, war wirklich schwachsinnig. Kein vernünftiger Mann würde das tun.
„Dann war er nicht nur ein Idiot“, überlegte Ramsey, „sondern ein Volltrottel. Ich jedenfalls würde Sie ganz für mich allein haben wollen.“
Eindringlich sah er sie an. „Ich wäre der Einzige, der Ihnen ein zufriedenes Lächeln auf Ihre Lippen zaubert, Chloe.“
Chloe verspürte ein wohliges Prickeln, während er sie ruhig betrachtete.
„Wie lange waren Sie mit ihm zusammen?“
Sie wunderte sich, warum er das wissen wollte. „Ein Jahr.“
„Und wann haben Sie sich getrennt?“
Chloe hatte keine Ahnung, warum er sie das fragte. Überhaupt war ihr ein Rätsel, warum Sie so offen mit ihm über Daren sprach. Doch jetzt war es zu spät, und Ramsey war offensichtlich neugierig. „Vor zwei Jahren. Wenn Sie mich entschuldigen, dann würde ich jetzt den Abwasch in Angriff nehmen.“
Ramsey sah ihr dabei zu, wie sie zur Spüle hinüberging. Da sie scheinbar alles tat, um ihm aus dem Weg zu gehen, konzentrierte er sich wieder auf sein Frühstück. Wie gewohnt schmeckte es köstlich. Und er genoss es, Chloe zu betrachten, während er aß. Wenn sie wüsste, welcher Film in seinem Kopf ablief, während er seinen Toast mit gebratenem Speck aß!
Sie vermied es, ihn anzusehen, was wahrscheinlich ein gutes Zeichen war. Stattdessen versuchte sie, einen beschäftigten Eindruck zu machen. Als er aufgegessen und den letzten Schluck Kaffee getrunken hatte, hatte sie bereits das Geschirr in die Spülmaschine eingeräumt. Gerade war sie dabei, die Anrichte blank zu putzen.
Er stand auf und ging zur Spüle, um sein benutztes Geschirr hineinzustellen. Als er sich zu Chloe umdrehte, trat sie blitzschnell einen Schritt zur Seite. Doch sie war nicht schnell genug, und er bekam ihre Hand zu fassen.
Ein Schauer lief Chloe über den Rücken. Genau in dem Moment, in dem Ramsey sie berührte, atmete sie scharf ein. Sie neigte ihren Kopf zur Seite und sah ihn an. Er stand direkt vor ihr und blickte verlangend auf ihre Lippen.
In diesem Moment wusste sie, dass er seine Drohung, sie zu küssen, wahr machen würde. Die Art, wie er auf ihre Lippen starrte, erregte sie. Zwischen ihren Oberschenkeln breitete sich Hitze aus, und ein quälendes Verlangen überwältigte sie. Als er noch einen Schritt näher trat, brachte sein Duft sie fast um den Verstand. Seine Ausstrahlung war atemberaubend und von nahezu magischer Wirkung.
Sie sah ihn an und hatte das Gefühl, angesichts seiner wunderbaren Gesichtszüge zu zerfließen. Er übte eine derart starke Anziehungskraft auf sie aus, dass sie nicht in der Lage war, ihm Einhalt zu gebieten. Ganz im Gegenteil: Wie hypnotisiert kam sie ihm entgegen.
Deutlich spürte sie, wie erregt er war, als er sie an sich zog. Zum allerersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, auf Augenhöhe mit einem Mann zu sein, der wusste, wer er war und was er tat. Und die Vorstellung, was er tun konnte und vor allen Dingen tun würde, ließ sie erzittern. Gleichzeitig war da aber auch die Furcht, sich zu verlieren. Nervös fuhr Chloe sich mit der Zunge über die Unterlippe.
Tu nichts Unüberlegtes.
Sie sah ihn an und begriff, welche Wirkung sie auf ihn hatte. Als sie ein gefährliches Flackern in seinen Augen sah, bestand kein Zweifel mehr daran, dass sein Instinkt erwacht war. Und gegen den würde sie keine Chance haben.
Bevor sie einatmen konnte, beugte er sich vor und eroberte ihren Mund mit seinen Lippen.