6. KAPITEL
„Guten Morgen.“
Ramsey unterbrach die Lektüre der Tageszeitung, blickte in Chloes Gesicht und wünschte sich schon im gleichen Moment, es nicht getan zu haben. Ihre dunklen Augen sahen sanft und schlaftrunken aus. Einen kurzen Augenblick lang war er versucht, ihr vorzuschlagen, das Frühstück für seine Männer zu vergessen und zurück ins Bett zu gehen … mit ihm.
Bei dieser Idee verspannte er sich. Nur mühsam gelang es ihm, sie zu begrüßen. „Morgen.“
Sie schnupperte. „Großartig, Sie haben ja schon Kaffee gemacht!“
Er beobachtete, wie sie zum Herd ging, wo die Kaffeekanne stand. Auch an diesem Morgen trug Chloe einen hübschen Rock und Leggins darunter. Er runzelte die Stirn. Hatte sie eigentlich für jeden Tag in der Woche ein Paar davon?
Er trank einen Schluck Kaffee und sah ihr zu, während sie sich einschenkte, Milch und Zucker hinzufügte und sich dann gegen die Anrichte lehnte. Sie wirkte, als könnte sie einen starken Kaffee gut gebrauchen.
„Sehr gut“, sagte sie.
„Danke.“ Lächelte sie? Und wenn ja, warum, um Himmels willen? Genügte dazu etwa eine einzige Tasse Kaffee am Morgen? Woher nahm sie das Recht, so zu lächeln, dass er fast wahnsinnig wurde? Verdammt!
Er versuchte, sich wieder in die Lektüre der Zeitung zu vertiefen. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn er schon weg gewesen wäre. Denn jede Gelegenheit, sich nicht zu sehen, erhöhte vielleicht die Chance, etwas Schlaf zu bekommen.
„Heute gibt es Omeletts. Möchten Sie auch?“
Er starrte sie an, während sie Türen und Schränke öffnete und mit Schüsseln, Pfannen und Geschirr hantierte. Hatte sie Omeletts gesagt? Das letzte Mal, dass er ein Omelett gegessen hatte, war während einer Geschäftsreise gewesen.
„Ja, bitte“, sagte er und versuchte, nicht zu erwartungsvoll zu klingen. „Sehr gerne.“
„Und wie soll ich sie zubereiten?“
Er zwang sich, seinen ersten Gedanken, der nicht besonders jugendfrei war, zu verdrängen. Himmel, es war viel zu früh für solche Ideen. Auch wenn Sex am Morgen nicht das Schlechteste war. Wahrscheinlich war ihr Eifer, den sie in der Küche an den Tag legte, im Schlafzimmer genauso groß.
Nachdem er ihr gesagt hatte, wie er sein Omelett am liebsten aß, machte sie sich an die Arbeit. Sie schnitt Zwiebeln, Paprika, Tomaten …
Ramsey lief das Wasser im Mund zusammen. Wegen des Omeletts und wegen Chloe. Es war wirklich eine große Freude, ihr dabei zuzusehen, wie sie in der Küche herumwirbelte. Die Wölbung, die unmissverständlich gegen den Reisverschluss seiner Hose drückte, bestätigte das nur.
„Wie wäre es mit einem Glas Orangensaft?“
Er blinzelte und merkte, dass er sie anstarrte. „Danke, sehr gerne.“
In diesem Moment wäre ihm nicht viel eingefallen, das er lieber gehabt oder getan hätte. Außer vielleicht, ihre Hände auf seinem Körper zu spüren. Er erschauerte bei der Vorstellung, an welcher Stelle das genau sein könnte.
Sie ging durch die Küche und stellte den Teller und ein Glas Orangensaft vor ihm auf den Tisch.
„Danke.“
Sie lächelte. „Kein Problem.“
Und während er aß, dachte er, dass es für sie wahrscheinlich tatsächlich kein Problem war. Dafür aber wurde es langsam eins für ihn. Er blickte nicht auf, als sie ihm Kaffee nachschenkte. „Danke.“
„Schon okay.“
Er nahm sich Zeit, um das Frühstück in Ruhe zu genießen. Es schmeckte einfach fantastisch. Hin und wieder beobachtete er aus den Augenwinkeln, wie sie Schinken und Würstchen briet. Innerhalb kürzester Zeit war seine Küche vom Frühstücksduft erfüllt.
Dann fiel ihm plötzlich auf, dass sie die Schuhe ausgezogen hatte. Sie hatte sie in eine Ecke gestellt und lief barfuß durch die Küche. Lächelnd ließ er seinen Blick zu ihren süßen Zehen schweifen.
In der letzten halben Stunde hatte keiner von ihnen etwas gesagt. Er ließ sie ihre Arbeit tun, und sie ließ ihn in Ruhe frühstücken.
Nachdem er die Zeitung ausgelesen und seinen Teller leer gegessen hatte, beschloss er, noch etwas Konversation zu betreiben. Es gab einiges über sie, was er gerne gewusst hätte. „Haben Sie hier in der Gegend eigentlich Familie, Chloe?“
Chloe zwang sich, sich auf die Zubereitung des Frühstücks zu konzentrieren, um bei Ramseys sinnlicher Stimme nicht schwach zu werden. Es war schon schlimm genug, ständig seinen Duft in der Nase zu haben.
„Nein, ich habe keine Familie in der Gegend“, sagte sie und wunderte sich, warum er danach fragte.
„Dann sind Sie also hierhergezogen?“
„Genau.“
„Ohne einen Menschen zu kennen?“
Sie überlegte, was sie ihm antworten konnte, ohne ihn anlügen zu müssen. „Nicht ganz. Eine alte Freundin aus Collegezeiten lebt hier in der Gegend.“
Er nickte. „Dann leben Sie mit Ihrer Freundin zusammen?“
Die Antwort, die sie auf diese Frage parat hatte, war keine Lüge. „Ja, wenn ich nicht gerade als Köchin bei Ihnen arbeite.“
Langsam schob er den leeren Teller beiseite und lehnte sich zurück. „Woher kommen Sie denn eigentlich?“
Sie zwang sich zu lächeln, als sie zu ihm hinüberblickte. „Was tippen Sie?“
„Irgendwo aus dem Süden.“
„Stimmt. Ich bin aus Florida. Tampa, um genau zu sein.“
Chloe fand, dass sie schon genug gesagt hatte, und begann nun ihrerseits, ihn ein bisschen auszufragen. „Also, was geschah mit Raphael und seinen fünf Ehefrauen? Ich kann mir vorstellen, dass es damals gar nicht so leicht war, sich scheiden zu lassen.“
Ramsey zuckte die Schultern. „Während unserer Nachforschungen haben wir herausgefunden, dass die erste Frau, mit der er durchgebrannt war, die Frau eines Predigers war. Er konnte sie nicht heiraten, weil sie schon längst verheiratet war.“
Erstaunt sah Chloe ihn an. „Warum ist er dann mit ihr weggerannt?“
„Um sie zu schützen. Bei der zweiten Frau, die ebenfalls verheiratet war, hatte er den Segen ihres Ehemanns, der einen politischen Skandal vermeiden wollte.“
Mehr wollte Ramsey erst einmal nicht preisgeben. Es konnte nicht schaden, ihre Neugier in Schach zu halten. Warum er Chloe zappeln ließ, wusste er nicht genau. Wahrscheinlich weil er es mochte, wenn sie so neugierig war.
Er stand auf und brachte sein Geschirr zur Spüle.
„Das müssen Sie nicht tun“, sagte sie.
„Doch. Ich bin so erzogen worden, meine eigene Unordnung aufzuräumen.“
Genau wie am Tag zuvor wich sie zur Seite, als er das Geschirr in die Spüle stellte. Es ärgerte ihn, dass sie seiner Berührung auswich. Kurz entschlossen ergriff er ihre Hand. Erschrocken sah Chloe ihn an.
„Warum haben Sie Angst vor mir, Chloe?“ Erst jetzt realisierte er, dass er mit seinen Fingern über ihren Unterarm strich.
Sie hob den Kopf, zog ihre Hand aber nicht weg. „Wie kommen Sie darauf, dass ich Angst vor Ihnen habe?“
„Weil Sie mir aus dem Weg gehen.“
Stolz blickte sie ihn an. „Das Gleiche könnte ich von Ihnen behaupten, Ramsey.“
Sie hat recht, dachte er. Anstatt sich zu rechtfertigen, schwieg er. Als er spürte, dass sie unter seiner Berührung erschauerte, sah er sie entschlossen an. „Warum, zum Teufel, tun wir uns das hier an?“, fragte er, und seine Stimme klang rau.
Überrascht lächelte sie. „Hey, Sie sind derjenige, der versucht hat, mich aus seinem Hirn zu verbannen.“
Er nickte. „Mit dem gestrigen Kuss.“
„Genau.“
Nun musste auch er lächeln. „Aber es hat nicht geklappt.“
Sie zuckte die Schultern. „Vielleicht haben Sie es nicht gründlich genug versucht.“
Sofort verfinsterte sich seine Miene. „Und ob. Alles, was ich habe, lag in diesem Kuss.“
Einen Augenblick lang schien sie über seine Worte nachzudenken. „Ich weiß“, sagte sie und seufzte.
Mit der anderen Hand hob er ihr Kinn. „Vielleicht sollte ich sichergehen und es noch einmal versuchen. Wenn es gestern nicht geklappt hat …“
Er beugte den Kopf vor und presste seinen Mund fordernd auf ihre Lippen. Gierig und atemlos eroberte er mit der Zunge ihren Mund. Immer leidenschaftlicher küsste er sie und gab sich seinem Verlangen hin.
Er hörte sie stöhnen und spürte ihre festen Brustspitzen. Noch nie war er so erregt gewesen.
Genau wie am Tag zuvor erwiderte sie seinen Kuss, heiß, leidenschaftlich, fiebrig. Warum machten ihn ihr Duft, ihr Geschmack, ihre weichen Lippen nur so verrückt? Es fühlte sich vertraut an, wie ihre Zungen einander berührten. Im Geiste rechnete er sich aus, wie viele Schritte es bis zum Tisch waren. Er würde ihr die Kleidung vom Körper reißen und …
Als er das Räuspern hinter sich hörte, löste er sich abrupt von Chloe. Allerdings nicht, ohne ein letztes Mal mit der Zunge über ihre Lippen zu fahren. Er hob den Kopf und sah vier Männer unverschämt grinsend im Türrahmen stehen.
Callum, Zane, Derringer und Jason. Natürlich war es Zane, der als Erster das Wort ergriff. „Könntest du uns vielleicht erklären, warum du immer wieder deine Köchin küsst?“
Entspannt lag Chloe in der Badewanne. Mittlerweile war es früher Abend geworden, und alle, auch Ramsey, waren fort. Sie hatte sich dazu entschieden, eine kleine Auszeit zu nehmen und früh ins Bett zu gehen.
Sie schloss die Augen und ließ die Ereignisse des Tages noch einmal Revue passieren. Anders als am Tag zuvor hatte sie sich, als die vier Männer in die Küche geplatzt waren, nicht mehr geschämt. Dafür war sie maßlos verärgert gewesen. Und natürlich hatte Ramsey so reagiert, wie sie es erwartet hatte: Er war ihr aus dem Weg gegangen.
Wieder war er nicht zum Lunch erschienen, sondern hatte sich stattdessen in sein Büro zurückgezogen. Bis er schließlich gegen zwei Uhr die Ranch verlassen hatte. Und wie am Vortag hatte sie sein Dinner vorbereitet und im Ofen warm gestellt. Sie hatte sogar ihren Platz auf dem Sofa eingenommen, um dort auf seine Rückkehr zu warten. Als ihr allmählich klar geworden war, dass er nicht kommen würde, hatte sie beschlossen, ein Bad zu nehmen.
Nachdem sie lange genug in der Badewanne gelegen hatte, schnappte sie sich ein großes Badehandtuch und hüllte sich darin ein. Da sie für den morgigen Tag bereits alles vorbereitet hatte, konnte sie im Zimmer bleiben, um ihre Nachrichten abzurufen und mit ihrem Dad zu plaudern.
Als sie hörte, wie jemand eine Wagentür zuschlug, hielt sie einen Augenblick lang inne. Das konnte nur Ramsey sein. Schnell zog sie sich ihren Morgenrock über, den sie in der Taille fest zuzog, und ging zum Fenster hinüber. Gerade war Ramsey dabei, aus dem Truck zu steigen.
Ihr Körper reagierte sofort. Und als würde auch er ihre Anwesenheit spüren, hob Ramsey den Kopf und sah zu ihrem Fenster hinauf.
In dem Moment, in dem ihre Blicke sich trafen, ging Chloes Atem heftiger. Einen Moment lang standen sie beide reglos da und sahen einander an. Wegen der Hitze und seines intensiven Blicks erschauerte Chloe.
Sie begann zu zittern und spürte, dass sein Blick ein starkes Verlangen auslöste, das jede Faser ihres Körpers durchdrang. Selbst die Entfernung zwischen ihnen änderte nichts an der Intensität ihrer Gefühle. Alles, woran sie dachte, während sie dort so stand, war die verschlingende Leidenschaft, mit der er sie zweimal geküsst hatte.
Da sie die erotische Spannung, die von ihm ausging, nicht länger aushielt, holte sie tief Luft und entfernte sich vom Fenster.
Chloe kämpfte gegen das Bedürfnis an, ihm entgegenzustürzen. Ihre Arme um ihn zu schlingen und ihn mit der gleichen Gier zu küssen, wie er es getan hatte. Doch sie schüttelte bloß den Kopf über diese absurde Idee, die sie niemals in die Tat umsetzen würde.
Stattdessen zog sie ihren Morgenmantel aus, schlüpfte in ihren Pyjama und legte sich ins Bett. So, wie sie es sich vorgenommen hatte. Sie und Ramsey mochten vielleicht unter einem Dach leben, doch je weniger Zeit sie miteinander verbrachten, desto besser. Der Grund dafür war, dass sie sich nicht mehr nur körperlich, sondern auch emotional immer stärker zu ihm hingezogen fühlte. Am liebsten hätte sie ihre Hormone dafür verantwortlich gemacht, doch sie wusste, dass das Unsinn wäre. Ein seltsames Gefühl war in ihr erwacht, und sie mochte sich lieber nicht ausdenken, welches es war.
In seiner Gegenwart wurde sie schwach. Es war, als wäre er der Mann, bei dem sie zerfließen und sich vergessen könnte. Daren hatte es versucht, es aber nicht vermocht. Doch Ramsey, das wusste ein Teil von ihr, könnte es schaffen, wenn er es wollte. Er besaß die Fähigkeit, die emotionalen Schutzmauern einzureißen, hinter denen sie sich seit ihrer Trennung von Daren versteckte.
Bei Ramsey könnte sie sich fallen lassen, ihren Verstand ausschalten, einfach nur sein. Etwas an ihm brachte sie dazu, an Dinge zu denken, die sie besser aus ihrem Hirn verbannen sollte. Wie zum Beispiel an ein kleines Mädchen, das seine dunklen Augen hatte, oder an einen Jungen, der genauso lächelte wie er. Wäre sie ernsthaft an einer dauerhaften Beziehung interessiert, dann stünde er sicherlich an erster Stelle auf der Liste möglicher Kandidaten. Und dieser Gedanke machte ihr Angst.
Ramsey öffnete die Haustür und lehnte sich einen Augenblick lang dagegen. Er hatte das Gefühl, vor Lust vergehen zu müssen. Obwohl das Verlangen nach Sex nun wirklich das Letzte war, mit dem er nach einem langen und arbeitsreichen Tag gerechnet hatte. Während er draußen vor dem Haus gestanden und Chloe angestarrt hatte, waren seine Gedanken voll heißer erotischer Fantasien, sein Körper voll unbändiger Lust gewesen.
Durch das Fenster hatte er erkennen können, dass sie unter dem leichten Morgenmantel nackt gewesen war. Der Gedanke an eine nackte Chloe hatte ihn erregt und mit einer nie zuvor erlebten Begierde erfüllt. Während er dort unten gestanden hatte, war jeder Muskel seines Körpers angespannt gewesen.
Er blickte die Treppe hinauf und wusste, dass dort hinter einer verschlossenen Tür das Objekt seiner Begierde lag. Er geriet in Versuchung, hinaufzueilen, in ihr Zimmer zu stürzen und ihr einen Kuss zu geben, gegen den der am Morgen ein Kinderspiel gewesen war. Nachdem er von ihr probieren durfte, wollte er mehr von diesem Geschmack, würde niemals wieder genug davon bekommen.
Entnervt fuhr er sich mit der Hand durchs Haar und fragte sich, was, zum Teufel, bloß mit ihm los war. Immer, wenn er es darauf angelegt hatte, hatte er durchaus attraktive Frauen kennengelernt. Sogar seine Schwestern hatten versucht, ihn zu verkuppeln, damit er über die Sache mit Danielle hinwegkommen würde. Doch keine dieser Frauen hatte ihn wirklich interessiert. Bis jetzt. Es fiel ihm unglaublich schwer, Chloe zu widerstehen. Für ihn war sie die fleischgewordene Versuchung. Und als wäre das nicht genug, empfand er etwas, das er sich nicht erklären konnte. Diese Frau hatte ihn vollkommen verhext.
Den halben Tag über hatte er in seinem Büro gesessen. Doch das Einzige, worauf er sich hatte konzentrieren können, waren ihr Lachen und die Freude seiner Männer über Chloe gewesen. Wie gut sie ihnen tat, hatte er an der Bilanz des Tages ablesen können. Seine Leute hatten viel mehr Schafe als sonst geschoren. Das Ergebnis war sogar rekordverdächtig. Ein zufriedener Arbeiter erzielte bessere Ergebnisse, und in den letzten beiden Tagen waren die seiner Männer hervorragend gewesen. Kurz vor Arbeitsende war ihm aufgefallen, mit wie viel Vorfreude alle bereits über das Frühstück am kommenden Morgen gesprochen hatten. Nach den köstlichen Omeletts hatten alle darüber spekuliert, was ihnen am nächsten Tag serviert werden würde.
Als er tief Luft holte, stieg ihm plötzlich ein köstlicher Duft in die Nase. Er ging von der Tür weg hin zur Küche und sah dort, dass Chloe wieder das Abendessen für ihn vorbereitet hatte. Er hob die Deckel der Töpfe hoch und warf einen Blick in den Ofen. Sie hatte Brathühnchen, Bohnen, Reis, Soße und Makkaroni mit Käse für ihn zusammengestellt. Ein Südstaatenessen genau nach seinem Geschmack. Seine Vorliebe für die Südstaatenküche hatte er bei seinem Besuch der Westmorelands in Atlanta entdeckt.
Auf dem Weg ins Badezimmer beschloss er, den Abwasch zu erledigen. Dabei fiel ihm wieder auf, dass er absichtlich den ganzen Tag einen Bogen um sie gemacht hatte. Der Kuss, dem Chloe und er sich erneut hingegeben hatten, hatte ihm scheinbar das letzte bisschen Verstand geraubt. Er hatte einfach nicht widerstehen können. Aber seine Männer zerrissen sich schon die Mäuler über seine Leidenschaft für Chloe. Und er wollte ihnen keinen Grund für weitere Spekulationen geben. Also war es ihm am vernünftigsten erschienen, sich von ihr fernzuhalten.
Zu allem Übel waren da auch noch die bissigen Bemerkungen seiner Brüder nebst Jason und Callum. Sie zu überzeugen, dass Chloe nichts weiter als seine Köchin war – das hätte ihn nicht einmal selbst überzeugt. Er hatte sich auch zurückgezogen, um sich nicht ihre Äußerungen über ihn und Chloe anhören zu müssen. Selbst Jasons Einladung zu einer Pokerpartie hatte er abgelehnt.
Glücklicherweise waren Dillon und Pamela aufgrund geschäftlicher Angelegenheiten ein paar Tage in der Stadt. Daher hatte er sofort die Gelegenheit ergriffen, sich mit ihnen zu verabreden. Das frisch verheiratete Paar pendelte zwischen Denver und Pamelas Wohnort Gamble, Wyoming, da eine von Pamelas Schwestern noch die Highschool absolvieren musste.
Dillon schien sein Eheleben zu genießen, worüber Ramsey sich sehr freute. Er und Dillon hatten sich immer schon sehr nahegestanden. Ihr Verhältnis war vergleichbar mit dem bester Freunde. Und nachdem ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren, war Ramsey mehr als erleichtert gewesen, dass Dillon sich um die Familie gekümmert hatte.
Dillon, der einige Monate älter war als Ramsey, war zum Familienoberhaupt ernannt worden und hatte die Vormundschaft für seine Familie übernommen. Doch für deren Glück hatten beide hart arbeiten müssen. Es war nicht leicht gewesen, insgesamt neun Geschwister und Cousins, die alle unter sechzehn Jahre alt gewesen waren, aufzuziehen.
Mittlerweile waren alle volljährig, besuchten das College oder arbeiteten bei Dillon für Blue Ridge Land Development, die Firma, die ursprünglich Dillons and Ramseys Väter gegründet hatten. Jedes Familienmitglied hatte irgendwann in seinem Leben dort gearbeitet, bevor es seine persönliche Wunschlaufbahn in Angriff genommen hatte.
Eine Stunde später war Ramsey mit dem Dinner fertig und leckte sich genießerisch die Lippen. Es war eine fantastische Mahlzeit gewesen. Chloe war nicht hinuntergekommen, um ihm Gesellschaft zu leisten. Aber damit hatte er auch nicht wirklich gerechnet. Sie wusste genauso gut wie er, dass etwas zwischen ihnen war, das keiner von beiden wollte. Insofern war es am klügsten, wenn sich beide aus dem Weg gingen. Die Anziehungskraft zwischen ihnen war zu stark, die Leidenschaft zu unbeherrscht. Sie würde ihn zunehmend schwächen, wenn er nicht aufpasste. Und er wollte nicht, dass das Verlangen ihn allmählich auffraß.
Kopfschüttelnd ging er die Treppe hinauf. Mit jedem Schritt glaubte er, Chloes Duft einzuatmen. Es war der Duft einer Frau, die er wollte. Der überall in der Luft hing, seine Sinne betörte und ihn erregte. Er bezweifelte, dass er in dieser Nacht mehr Schlaf bekommen würde als in der letzten.
Als er oben ankam, kreiste er langsam die Schultern, um die Spannung loszuwerden. Sein Atem ging schwer, als er den Flur entlanglief, darauf bedacht, zügig an Chloes Zimmertür vorbeizugehen.
Allerdings war das leichter gesagt als getan. Ohne es zu wollen, blieb er vor ihrer Tür stehen. Er hob sogar die Hand, um anzuklopfen.
Was, um Himmels willen, passierte gerade mit ihm?
Er zwang sich weiterzugehen, und zwar schleunigst in sein eigenes Zimmer. Er brauchte einen Plan, spätestens bis zum Wochenende. Hoffentlich hatte sie nicht vor, die beiden Tage zu bleiben, sondern fuhr nach Hause, um ihre Post zu lesen oder Blumen zu gießen. Wie auch immer. Bis dahin brauchten sie dringend Abstand voneinander. Bis zum Wochenende waren es noch volle drei Tage. Ramsey hoffte inständig, es noch bis dahin aushalten zu können.