Wo entstand dieser seltsame Nebel, der zu Frühlingsbeginn die ganze Welt einhüllte? Er legte sich über das zu helle Gleißen hinter dem Bahnfenster, den Topfpflanzendschungel vor den Geschäften, meine bestickten weißen Sneakers.

 

Für uns vom Maternitybics kam die Nachricht von der Geburt urplötzlich und anscheinend auch für Hosono selbst.

»Das Kind ist am Montag zur Welt gekommen. Drei Wochen vor dem Termin.«

»Das ist wirklich früh.«

»Aber auch nicht ungewöhnlich. Die wenigsten Frauen bekommen ihr Kind genau am Stichtag.«

Kiku zeigte uns auf ihrem Handy die Babyfotos, die ihr Hosono geschickt hatte. Nach einer allgemeinen »Oh wie süß«-Runde ging es schnell wieder um die Abweichung vom errechneten Geburtstermin. Natürlich, dachte ich. Diese Frauen würden innerhalb weniger Monate selbst an der Reihe sein. Mit »wie süß« brachte man kein Kind zur Welt.

»Ich wette, mein Mann bekommt die totale Panik, wenn die Wehen einsetzen«, seufzte Gachiko. »Meiner packt das

»Mein Mann war bei den Zwillingen dabei, hat aber nur gestört«, klagte Chiharu. »Er wurde von der Krankenschwester herausgebracht, weil ihm mittendrin übel geworden ist.« Sie schnippte ein Staubkorn vom Saum ihres Kleides. Die engen Röcke hatte sie mittlerweile durch weite Kleider ersetzt, doch sie zog sich immer noch ausgesprochen modebewusst an. Heute trug sie Klamotten der Marke Scye.

»Die Nächste bist du, Shibi.«

Gachiko gab mir einen Donut mit einer Füllung aus süßer Bohnenpaste und salzigen Kirschblüten.

»Ich weiß. Wenn ich könnte, würde ich es sofort mit einem Ruck hinter mich bringen.«

Dieses Jahr sollten die Kirschen in der letzten Märzwoche in voller Blüte stehen.

 

Seit letzter Woche war ich nur noch selten beim Aerobic. Amazon Prime hatte ich auch gekündigt. Stattdessen ging ich regelmäßig zum Zahnarzt, ein Tipp von Chiharu. Nach der Geburt habe man keine Zeit mehr dafür, hatte sie gesagt. Meine Zähne hatten mir zwar nie Probleme bereitet, aber die Hormonschwankungen während der Schwangerschaft begünstigen Karies. »Können Sie in nächster Zeit regelmäßig kommen?«, hatte mich der Arzt nach einem Blick in den Mund gefragt. Also machte ich mich nun wöchentlich

»Bald ist es so weit, was?«, fragte mich eine alte Dame im Wartezimmer. Ihr Haar war so weiß wie frisch erblühte Schneeglöckchen. Sie spähte auf mein Handy. »Das kenn ich«, sagte sie stolz. »Die Seite heißt Mercari, oder?«

»Genau. Ich suche dort nach Second-Hand-Babykleidung. Alles neu zu kaufen lohnt sich nicht. Kinder wachsen so schnell und machen sowieso alles schmutzig.«

»Da haben Sie recht. Im Sichbekleckern sind Kinder Weltmeister.«

Die Dame wurde vom Arzt aufgerufen.

»Wissen Sie, heute ist meine letzte Behandlung«, erzählte sie mir und richtete sich auf. »Ich nehme die teuersten Füllungen, da lasse ich mich nicht lumpen. Dann sind meine Zähne die einer Adeligen! Es freut mich sehr, Sie an meinem letzten Tag kennengelernt zu haben. Sie beide wirken so glücklich.«

Die Dame trug einen minzgrünen Zweiteiler, der so altmodisch wirkte, dass er fast wieder futuristisch aussah. Ich fragte mich, wo man so etwas bekam. In ihren mit Filzstift beschrifteten Praxispantoffeln stolzierte sie leichtfüßig wie eine Ballerina ins Behandlungszimmer.

»Meine Zähne sind die einer Adeligen«, sagte ich im Flüsterton. Mein Blick traf sich mit dem eines Goldfischs, der im Aquarium neben dem Sofa schwamm. Zumindest kam es mir so vor. Noch einmal flüsterte ich den Satz, um ihn mir einzuprägen. Der Goldfisch wollte sich vor mir verstecken, doch bevor sein Rot gänzlich hinter einer

Ich schloss Mercari, öffnete die Schwangerschafts-App und las mir die Erklärung für die dreißigste Woche durch. In dieser Phase wuchsen die Haare und Nägel des Babys, Fett hatte es noch kaum. Auf einem Foto würde es wohl dünner als ein Neugeborenes aussehen. Der Flaum, der den Körper bisher bedeckt hatte, verschwand langsam. Ich stellte mir die Haut so glatt wie die eines Delfins vor. All diese Überlegungen formulierte ich aus, notierte sie mir im Kopf, führte sie mir vor Augen, reicherte sie mit Worten an, erzählte sie dem Goldfisch.

»Frau Shibata.«

Ich stand auf und machte mich auf den Weg zum Arzt. Heute würde man meine untere Zahnreihe von Zahnstein befreien. Seltsamerweise begegnete ich der alten Dame weder im Wartezimmer noch auf dem Flur vor dem Behandlungszimmer.