Über dem Horizont türmt sich ein Gebirge von blassrosa Wolkendunst. Die Sonne selbst ist immer noch nicht zu erkennen. Aber vor mir sehe ich jetzt in der Entfernung die grünen, zeltartigen Berge Oahus, die ich noch vor drei Tagen aus dem Fenster der Cessna bewundert hatte.

Die Zwölf-Stunden-Grenze zieht vorbei. Und eine neue Zeitrechnung beginnt. Elf Stunden habe ich über den Ärmelkanal gebraucht. Zwölf Stunden war ich beim ersten Versuch im Wasser der Cookstraße, bevor ich abbrechen musste. Aber länger bin ich noch nie am Stück geschwommen. Ein Moment, der sich ein wenig so anfühlt wie mein erster Schwimmwettkampf mit fünf Jahren: Jeder Armzug ist Neuland. Ein persönlicher Rekord.

Ich spüre, wie mich der Rekord und der anbrechende Tag mit frischer Energie versorgen. Es ist, als hätte ich jetzt Rückenwind. Die Wellenberge nehmen mich weiterhin mit sich, aber sie fühlen sich an, als würden sie mich unterstützen, mich mit zusätzlichem Schwung in Richtung meines Ziels tragen. Die Übelkeit ist weg. Dafür ist mein Mund jetzt vom Salzwasser und der Anstrengung so zugeschwollen, dass ich bei der Verpflegungspause kaum noch ein Wort hervorbringe. Ich lalle nur unverständliches Zeug, sobald ich etwas sagen will. Stattdessen lächle ich einfach und hebe den Daumen.

Einen Kilometer vor der Küste springt Adam mit einem Jauchzer zu mir ins Wasser. Er bleibt schräg hinter mir. Eine Minute später durchfährt ein Schmerz meinen Oberschenkel und meine Achsel. Es fühlt sich an, als wäre ich an einen glühenden Eisendraht gekommen, der nun permanent auf meine Haut drückt. Genau wie in meiner mentalen Visualisierung – nur noch viel schmerzhafter. Von der Quallencreme ist nach mehr als 14 Stunden im Wasser offenbar nichts mehr da. Ich drehe mich zu Adam und gebe mir Mühe, durch meinen geschwollenen Mund ein paar verständliche Worte zu quetschen.

»War das …?«

»Ja. Das war eine Galeere. Hat mich am Bauch erwischt.«

Wir schwimmen weiter.

Als bis zum Ufer noch 500 Meter bleiben, die einzelnen Bäume und Felsen schon erkennbar sind, zeigt uns Captain Mike, wo genau ich an Land gehen kann. Wir schwimmen eine kleine Kurve durchs türkise Wasser und in eine schmale Bucht, die von der kräftigen Brandung geschützt ist: ein natürlicher Hafen. Drei Meter unter uns ziehen die ersten Korallen durch, dann zweieinhalb, dann zwei Meter. Unsere beiden Schatten huschen über den Grund. Kleine Fischschwärme zischen in Deckung. Jeder Armzug schmerzt, ich bin jetzt deutlich langsamer unterwegs als die Seniorinnen in meinem kleinen Dorfschwimmbad.

Aber alles in mir schreit vor Stolz und Begeisterung.

Dann, 15 Stunden und fünf Minuten, nachdem ich vom weißen Sand Molokais ins Wasser gewatet bin, trete ich wieder auf festen Untergrund. Die Tentakel der Qualle brennen immer weiter, auch noch lange, nachdem wir sie mit Gummihandschuhen von meinem Badeanzug gepellt haben. Die geschwollenen roten Striemen an unseren Körpern behandeln wir mit Cortisoncreme. Trotzdem bleiben sie noch wochenlang zu sehen. Wie temporäre Tattoos, die mich täglich daran erinnern: Fünf von sieben geschafft.