KAPITEL 15
Auf dem Weg den Marmorflur hinunter zum Gerichtssaal der ehrenwerten Deborah Kerr zog sich Del schnell noch das Jackett zurecht. Dann schlüpfte er leise durch die Tür und setzte sich ganz hinten in die letzte Bank des nur schwach besetzten Zuschauerraums. Einige der Geschworenen auf ihrer Bank vorn rechts im Saal sahen kurz zu ihm hin, konzentrierten sich dann aber wieder voll und ganz auf Celia McDaniel. Celia machte sich vor Gericht wunderbar, genau wie Del gedacht hatte. Sie gab sich locker und selbstbewusst und ließ, anders als neulich, einen sehr charmanten Südstaatenakzent hören, den er fast schon berauschend fand.
Als sie nach zehn Minuten eine kleine Pause einlegte, ehe sie zum nächsten Punkt überging, nutzte Richterin Kerr die Gelegenheit für einen Blick auf die große Uhr an der Wand. »Frau Anwältin, vielleicht wäre das jetzt ein guter Zeitpunkt, um für heute Schluss zu machen?«
McDaniel warf ebenfalls einen Blick zur Uhr, dabei wusste Del genau, dass sie der Richterin zustimmen würde, hatte die ihr doch gerade die Gelegenheit geboten, die Geschworenen nach einem langen Tag und einer langen Woche nach Hause zu schicken. Nur ein Narr würde sich das entgehen lassen und ein Narr war Celia McDaniel bestimmt nicht.
»Das wäre in Ordnung, Euer Ehren. Wenn wir Glück haben, schaffen wir es alle noch vor der Rushhour nach Hause.«
Während die Geschworenen ihre Sachen zusammensuchten und aus dem Saal flüchteten, ging Del nach vorn an den Tisch der Anklage, wo McDaniel ihre Unterlagen in einen Karton packte. Damit hörte sie auf, sobald sie ihn erkannt hatte. Die beiden hatten sich seit dem Gespräch im Café nicht mehr gesehen, nachdem sie gegangen war, ohne ihren Kaffee auszutrinken und ihre Donuts aufzuessen. Nun kräuselte sich ihre Oberlippe leicht – ob zu einem Lächeln oder einem verächtlichen Grinsen, hätte Del nicht sagen können.
»Was führt Sie denn so spät an einem Freitagnachmittag hierher, Detective? Haben Sie Ihren Dealer finden können?«
Del würde mit McDaniel zusammenarbeiten, um die Anklage vorzubereiten, falls er den Namen des Dealers beziehungsweise die Namen der Dealer herausfand, die Allie mit den tödlichen Drogen versorgt hatten und vielleicht auch für die anderen durch Drogen verursachten Todesfälle in jüngster Zeit verantwortlich waren. Aber nicht deswegen war er gekommen.
»Nein, noch habe ich niemanden gefunden.« Er räusperte sich. »Ich wollte mich für neulich entschuldigen. Ich wusste das mit Ihrem Sohn nicht und habe ein paar Dinge gesagt, die man als …«
»Ungehobelt bezeichnen könnte?«
»Ich hatte unsensibel sagen wollen.« Del zuckte die Achseln. »Aber ungehobelt trifft es wohl auch.«
Sie nickte. »Lasen Sie sich da mal keine grauen Haare wachsen, ich habe schon weitaus Schlimmeres zu hören bekommen. Wie ist denn der Stand der Dinge in Bezug auf die Person, die Ihrer Nichte die Droge verkauft hat?«
Er war froh, das Thema wechseln zu können, auch wenn die Ermittlungen zu Allies Tod nicht der Grund für seinen Besuch waren. »Ich habe Allies Handy und ihren Computer zur Analyse an unsere Techniker geschickt. Melton versucht Druck zu machen, damit es schneller geht.«
»Ich hörte von Funk etwas über weitere Tote.«
»Zwei. Dieselbe Szene. Es scheint dasselbe Produkt zu sein. Ich habe ihm eine Probe gebracht, damit er sie sich ansieht und hoffentlich auch analysiert. Black Tar ist es nicht, sagt er. Es könnte China White sein.«
»Das wäre für die Westküste sehr ungewöhnlich.«
»Das hat Funk auch gesagt.«
»Haben Sie das Drogendezernat informiert?«
Del nickte. »Sie unterhalten sich mit den ihnen bekannten Usern und haben wohl auch die Fahrradstreifen benachrichtigt, damit die helfen können, die Nachricht in Umlauf zu bringen. Mir wurde gesagt, dass man den Fall vielleicht der Abteilung für Gewaltverbrechen abnehmen wird – mir also.«
McDaniel dachte kurz nach. »Vielleicht, soweit es die Analyse des Produkts und die Frage seiner Herkunft angeht. Aber wenn wir die betreffenden Leute dann wegen Tötung durch Betäubungsmittel drankriegen, fällt das wieder in den Zuständigkeitsbereich der Abteilung Gewaltverbrechen.«
»Danke«, sagte er.
McDaniel machte Anstalten, sich ihren Karton unter den Arm zu klemmen, aber Del hob bittend die Hand. Er wollte ihr doch erst noch den Grund für sein Kommen erläutern. »Ich hatte gehofft, Sie auf einen Drink einladen zu dürfen. Als kleines Friedensangebot nach meinem ungehobelten Benehmen.«
McDaniel runzelte die Stirn. »Müsste ich das als Einladung aus Mitleid verstehen, Detective?«
»Was? Nein!« Del war entsetzt. Mit solch einer Reaktion hatte er nicht gerechnet. »Wirklich nicht, überhaupt nichts in der Art.«
»Dann versuchen Sie nur, Ihr Gewissen zu erleichtern, weil Sie sich schlecht fühlen.«
Jetzt wusste Del endgültig nicht mehr, was er sagen sollte. Verlegen trat er von einem Fuß auf den anderen. »So habe ich es auch nicht gemeint.«
Als McDaniel jetzt lächelte, blitzte in ihren Augen der Schalk. »Kopf hoch, ich habe nur ein bisschen mit Ihnen gespielt! Wem ist am Freitag nach einer langen Woche nicht nach einem Drink?« Sie hob den Karton vom Tisch. »Aber ich trinke nie, ohne etwas zu essen. Und wie gern ich esse, wissen Sie ja bereits. Mögen Sie die thailändische Küche?«
»Auf jeden Fall!« Del klang begeistert, dabei machte er sich nicht allzu viel aus thailändischen Spezialitäten. Er wollte nur verhindern, dass die Unterhaltung wieder in falsche Bahnen glitt. »Ich liebe die Thaiküche.«
McDaniel reichte ihm ihren Karton. »Kommen Sie, helfen Sie mir, das Zeug in mein Büro zu schaffen. Ich kenne da ein wunderbares Restaurant in der Innenstadt.«