KAPITEL
21
Del hatte an diesem Morgen schon früh einen Anruf von Mike Melton auf seinem Handy erhalten: Die Techniker hatten sämtliche Nachrichten und E-Mails von Allies Mobiltelefon und ihrem Computer auslesen können. Da der entsprechende Antrag von Faz unterschrieben worden war, rief Del seinen Partner zu Hause an und bat ihn, mit ihm zusammen zum kriminaltechnischen Labor zu fahren. Er würde ihn abholen.
»Hast du mit Maggie gesprochen?«, fragte Faz, sobald er sich auf dem Beifahrersitz des Impala angeschnallt hatte.
»Ja, habe ich.«
»Geht es ihr besser?«
»Jeden Tag ein bisschen. Sie hat gestern für die Jungs und mich Hamburger und Milchshakes gemacht, was die Jungs total toll fanden. Sie selbst isst immer noch nicht viel, aber auch das wird besser.«
»Geht sie zu der Therapeutin?«
»Inzwischen ja, zweimal die Woche.«
»Und du hast ihr gesagt, dass wir die E-Mails und Nachrichten von Allies Handy haben?«
»Sie weiß es. Sie hat darum gebeten, sie sehen zu dürfen, wenn ich damit fertig bin.«
»Das ist okay, sie hat ein Recht darauf.«
»Ja, das hat sie«, fand auch Del. »Ich hoffe bloß, sie kann damit umgehen. Ich bin mir da bei mir selbst gar nicht so sicher.«
Eine Minute verstrich, ohne dass einer von beiden etwas sagte, ihr Schweigen wurde untermalt von Kommentaren des Sportsenders KJR Sports. »Und hast du dich noch mal mit dieser Staatsanwältin getroffen?«, fragte Faz dann.
Del warf ihm einen raschen Seitenblick zu. »Celia McDaniel?«
»Ja. Die gut aussehende schwarze Lady.«
Del lächelte. »Ich habe ihr neulich nach der Arbeit einen Drink spendiert. Als Entschuldigung für meine Unhöflichkeit.«
»Du hast sie nicht zum Abendessen ausgeführt?«
Del zuckte die Achseln. »Abendessen und ein Drink.«
»Klingt ganz nach einem Date.«
»Wieso Date?«, wehrte Del ab. »Ich habe sie zu einem Drink eingeladen. Sie schlug vor, etwas zu Abend zu essen, weil sie nicht auf leeren Magen trinkt.«
»Dann ruf sie noch einmal an. Mach diesmal ein richtiges Date draus. Sieh zu, was sie sagt.«
»Machst du jetzt einen auf Kummerkastentante?«
»Ich sage ja nur, dass es schön wäre, wenn du von Zeit zu Zeit mal bei deinen Besuchen bei uns jemanden mitbrächtest, mit dem Vera sich unterhalten kann.«
Del setzte sich zurück und dachte nach. »Glaubst du, sie sagt Ja?«
»Warum sollte sie nicht?«
»Ich weiß nicht. Ist schon ’ne Weile her, weißt du.«
»Was, seit deiner Scheidung?«
»Seit ich mit einer Frau ausgegangen bin.«
Faz winkte den Einwand beiseite. »Mach dir nicht gleich ins Hemd. Du und dein Auto, ihr habt vielleicht schon ein paar
Meilen auf dem Buckel, aber ihr achtet auf euch. Auch auf das Äußere. Du bist immer noch in gutem Zustand.«
»Ich habe in den letzten zwei Wochen fast fünf Kilo abgenommen.«
»Mann!« Faz stöhnte. »Erzähl mir doch so was nicht. Und sag es auf keinen Fall Vera! Wenn du abnimmst, zwingt die mich glatt auch dazu. Und warum nimmst du ab? Bist du krank?«
»Nein. Ich versuche nur, gesund zu leben. Gesünder.«
Faz lächelte. »Du alter Schweinehund! Du magst diese Frau, was? Deswegen nimmst du ab.«
»Kann ein Mann nicht einfach mal so ein bisschen dünner werden?«
»Nicht, wenn er Italiener ist. Für uns ist essen wie atmen. Wenn man also keinen Grund hat, wie zum Beispiel diese Frau …«
»Dann meinst du, sie würde Ja sagen?«
»Sie hat doch schon mal Ja gesagt, oder?«
»Das war etwas anderes.«
»Warum? Du hast sie auf einen Drink eingeladen, was sie zum Dinner aufgewertet hat. Ich persönlich sehe da eine Frau, die Ja sagt.«
»Vielleicht rufe ich sie ja an.«
»Ruf sie jetzt gleich an.«
»Nicht mit dir im Auto!«
»Dann ruf sie an, wenn wir bei Melton durch sind.«
»Vielleicht.«
»Nicht warten. Sobald wir durch sind, rufst du an. Als Allererstes.«
»Ich hab doch gesagt, ich rufe an.«
»Wie steht es bei dir mit Kondomen?«
Del tat so, als würde er Faz eine Ohrfeige geben wollen. »Ich schwöre bei Gott!«
Mike Melton, Leiter des kriminaltechnischen Labors der Washington State Patrol, war ein ebensolcher Dinosaurier wie Faz und Del. Er arbeitete seit über zwanzig Jahren in dem Labor, das er auch leitete, und hatte Del anvertraut, dass er diesen Posten aufgrund derselben Überlegungen übernommen hatte, die ihn auch dazu bewogen, seine sechs Töchter alle höchstpersönlich in den von ihnen gewählten Sportarten zu trainieren. »Wenn da irgendwer Mist baut, möchte ich das lieber selbst sein.«
Von wegen Mist bauen: Drei seiner Töchter hatten sich mit Sportstipendien das College finanziert und das kriminaltechnische Labor war unter seiner Führung aufgeblüht. Melton war fast so groß wie Faz und Del und erinnerte eher an einen Holzfäller als einen Wissenschaftler. Die Detectives nannten ihn »Grizzley Adams«, weil er dem entsprechenden Schauspieler der Serie so ähnlich sah. Er hatte wildes braunes Haar und einen ebenso dichten Bart, in den sich Jahr für Jahr mehr und mehr graue Strähnchen schlichen.
Melton unterhielt ein Büro im Erdgeschoss des Betonbaus am Airport Way. Während andere Mitarbeiter sich ihre gerahmten Diplome an die Wand hängten, stellte Melton Dinge wie Kugelhämmer und Baseballschläger zur Schau, Erinnerungen an vergangene Fälle.
Beim Betreten seines Büros blieben die Detectives wie angewurzelt stehen: Der Wissenschaftler hatte sich Bart und Haare stutzen lassen, was ihn fast schon zivilisiert aussehen ließ. »Wow!« Del pfiff bewundernd durch die Zähne. »Du nimmst das mit der Leitung echt ernst.«
»Da solltest du mich besser kennen. Für den Job würde ich so was nie machen. Nein, ich verheirate am Wochenende Tochter Nummer vier und meine Frau sagt, ich müsste für die neuen Schwiegereltern vorzeigbar sein.«
»Bring sie mit hierher«, schlug Del vor. »Dann kriegen sie ganz bestimmt trotz der neuen Frisur Schiss.«
»Ich bring jeden meiner Schwiegersöhne hierher.«
Del sah sich im Büro um. »Wunderbar, was du seit deiner Beförderung aus dem Raum gemacht hast.«
»Sie drohen immer wieder, mich umziehen zu lassen. Ich habe ihnen gesagt, wenn ich mal nicht mehr bin, sollen sie die Urne mit meiner Asche oben auf meinen Computer stellen und die Tür abschließen.« Melton musterte Del prüfend. »Du siehst aus, als hättest du abgenommen.«
»Ja, ich hab ein paar Pfund weniger drauf.«
»Und du siehst aus wie immer«, wandte sich Melton an Faz.
Der schüttelte angewidert den Kopf. »Da siehst du, was du anrichtest!«, beschwerte er sich bei Del.
»Das mit deiner Nichte tut mir sehr leid«, fuhr Melton fort und reichte Del einen USB-Stick. »Die Dokumente der zwei Wochen, die du auf dem Beschluss für die Telefongesellschaft angegeben hast. Wir haben alle E-Mails und Nachrichten hochgeladen.«
»Und wenn sie eine Mail oder Nachricht gelöscht hatte?«
»Die Technik hat die aktuellen zuerst hochgeholt und kopiert und anschließend alles wiederhergestellt, was das Back-up hergab. Viel war das nicht, aber schon ein paar Sachen. Jetzt hast du alles.«
»Danke, Mike«, sagte Del.
»Hätte dir wirklich gern aus einem anderen Grund geholfen«, sagte Melton leise.