Kapitel 7

In der Chatgruppe ging es richtig ab, sobald sie wieder in den Umkreis des Hotel-WLANs eintauchten und die Nachrichten mit den Fotos versendet wurden.

Alter, du bist ja wirklich da, schrieb Diego.

Hast du gedacht, er verarscht uns?

Tu mir einen Gefallen und erwähn‘ mich vor deinem Bonzenkunden. Wenn er mal n bisschen Abwechslung braucht oder so. Können auch n Dreier machen. Falls er auf sowas steht? Der Text war mit mehreren Dollarnoten-Emojis garniert. Johann schüttelte den Kopf und vergewisserte sich mit einem Seitenblick, dass Keanu nicht gerade zu ihm herüberschaute. Die Luft war rein.

Neid steht dir nicht, Diego, schrieb Veit.

Ich hoffe, du musst wenigstens richtig schuften für den geilen Urlaub.

Johann zögerte. Eigentlich mochte er die Jungs vor allem deswegen, weil er immer ehrlich zu ihnen sein konnte. Wie oft hatten sie sich schon voreinander ausgekotzt, wenn irgendwas mies gelaufen war?

Ich weiß noch nicht, worauf er steht.

Diego schickte ein paar Lach-Emojies. Vielleicht ist ihm sein Schwanz abgefroren.

Vielleicht gibt es doch ein paar Kunden, die Escorts nicht nur zum Ficken buchen, schon mal daran gedacht? , mischte Ludwig sich ein.

Quatsch, dann könnten sie auch einfach Freunde einladen. Es geht immer ums Ficken. Der Unterschied zwischen seinen Kunden und meinen ist nur, dass seine sich einreden, sie seien was Besseres. Luxus-Ficker.

Ich glaube, du brauchst auch mal Urlaub, Diego , schrieb Marius.

 

Nach dem Abendessen kehrten sie aufs Zimmer zurück. Jetzt waren sie wieder zu zweit. Ob er jetzt seinen Job machen konnte?

Was Ludwig gesagt hatte, war zwar schön und gut ... es gab vielleicht Kunden, die nicht nur Sex, sondern auch etwas normale Gesellschaft wollten, aber denen war er noch nicht begegnet und es war doch naiv, zu glauben, dass jemand zigtausend Euro bezahlte, und dann gar nichts von ihm wollte. Das fühlte sich einfach nicht richtig an.

Er folgte Keanu ins Schlafzimmer.

Normalerweise holten sich die Kunden von selbst, was sie von ihm wollten. Irgendwann fassten sie ihn an, und er machte mit, ließ sich von ihnen leiten. Manchmal hatte er die Initiative ergriffen, wenn er spürte, dass der Kunde darauf wartete. Es war immer einfach gewesen.

Nur sein erster Kunde ... Das hatte er ein bisschen verdrängt. Er hatte ihn für einen ganzen Tag gebucht, von frühmorgens bis Mitternacht. Die ganze Zeit hatten sie geredet, waren herumgefahren und spazieren gegangen, er hatte vollkommen normal gewirkt und dieses Bild vom Escortjob in ihm gestärkt, bei dem man einfach nur netten Männern Gesellschaft leistete. Es war fast schon langweilig gewesen.

Aber dann, gerade, als er hatte gehen wollen, hatte der Kerl ihn gepackt und war regelrecht über ihn hergefallen. Johann hörte sich immer noch vor Überraschung keuchen, als der Kerl ihn gegen die Wand neben der Tür schob. Das heisere Stöhnen an seinen Ohren und das Brennen an seinen Hüften, weil der Kerl es nicht mal für nötig gehalten hatte, seinen Gürtel zu öffnen, bevor er ihm die Hose runterzog.

Er hatte sich seinen Fick geholt und Johann war mehr als perplex und mit einem schmerzenden Arsch nach Hause gegangen.

Er wischte die Erinnerung beiseite und schaute zu Keanu.

Ihre Blicke trafen sich und er wusste, dass sie gerade beide aus ihrer eigenen Gedankenwelt kamen.

„Der Ausflug war echt fantastisch“, sagte Johann und ging näher auf das Bett zu. Keanu saß auf der Kante, die Beine auseinandergestellt und die Unterarme darauf abgelegt. „Ich hätte nie im Leben gedacht, dass ich mal Pinguine am Südpol besuche. Und auch noch Fotos mit ihnen mache.“

Die Euphorie brandete in ihm auf. Mehr noch als heute Mittag, als sie dort angekommen waren. Vielleicht realisierte er es erst jetzt so richtig. Keanu sah ihn weiter an. Was lag in diesen kühlen Augen? Erwartung? Anspannung? Überraschung? Er konnte ihn einfach nicht lesen und es machte ihn verrückt.

In all den Monaten als Escort hatte er an dieser Fähigkeit gearbeitet. Nach dem ersten Mal hatte ihn niemand mehr überrascht. Er hatte immer gewusst, was lief, immer gewusst, wann sie ihn am meisten wollten. Immer gewusst, wie er ihnen ihre Wünsche erfüllen konnte.

Hatte er wirklich vergessen, wie es ging? Oder war es nur Keanus Art und diese pompöse Reise, die ihn einschüchterte und ihm sein Selbstvertrauen nahm?

„Ich würde mich gern dafür bedanken“, sagte Johann mit sanft schmeichelnder Stimme. Es war, wie sich ein Kleidungsstück überzustülpen. Eines, das perfekt passte. Zurück in seiner Rolle. Zurück in seinem Element.

Noch immer hielt Keanus Blick sich an seinem fest. Langsam bewegte er sich weiter auf ihn zu, blieb einen leisen, tiefen Atemzug lang vor ihm stehen und ging runter auf die Knie.

Seine Hände fanden Keanus Hosenbund, griffen danach, noch ohne den Knopf zu öffnen. Er würde es richtig geil für ihn machen. Das hier war schließlich der teuerste Blowjob seines Lebens.

Sanft schmiegte er den Kopf zwischen Keanus Beine und rieb das Gesicht an seinem Schritt. Ein erstes Kennenlernen, ganz nah, durch den rauen Stoff hindurch. Die fremde Wärme machte ihn an, der dünne Hauch seines ganz intimen Geruchs. Dieser Körper sprach mehr als sein Besitzer. Er ließ ihn nicht kalt. Ganz und gar nicht.

Keanu war scharf auf ihn. Es hatte funktioniert. Diese Gewissheit tat so gut wie ein warmes Bad nach einem harten Arbeitstag. Er war hier nicht nutzlos. Er verdiente sich alles, was er bekam. Er war gut, in dem, was er tat.

Eine geradezu schüchterne Hand strich ihm durchs Haar. Johann öffnete die Hose, zog den Reißverschluss auf und raffte seinem Kunden das Kleidungsstück von den Hüften. Nur so weit, dass er sich um ihn kümmern konnte.

Lautes, hartes Atmen war sein Lohn, als er ihn in seinen Mund ließ. In Keanus Stöhnen steckte so viel Begierde, als wäre es das erste Mal ... wie lange hatte er niemanden mehr gehabt?

Johanns Augenlider flatterten, als Keanus Hände sein Gesicht umfassten. Er erwartete, dass er die Führung übernehmen würde, ihm zeigen wollte, wie er es brauchte – aber es war etwas ganz anderes. Ein Streicheln. Eine viel zu liebevolle Geste für das, was hier ablief.

Daumen strichen über seine Wangen, die Finger gruben sich sanft in seine Haare. Dann in seinen Nacken. Das Kribbeln wurde schlimmer. Er vergaß fast, was in seinem Mund passierte.

Er schloss die Lippen fester um Keanus Schaft, rieb die Zunge unaufhörlich gegen seine Eichel, verwöhnte jeden Zentimeter. Mühsam schluckte er den Speichel, der sich in seinem Mund sammelte, wollte keine Zeit dabei verlieren.

Fest entschlossen, ihm das ganze Programm zu geben, schob er sich ihm entgegen. Selbst die softesten Typen liebten es, wenn sie sich bis zum Anschlag in einen reinpressen konnten. Am Ende waren fast alle kleine Sadisten, die es geil fanden, wenn er dabei würgte.

Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Vielleicht konnte Keanu das sogar fühlen, wenn er in seiner Kehle steckte. Er hatte es noch nie jemandem so gern gegeben wie ihm. Johann schluckte. Schweiß rann seinen Nacken entlang.

Er zog sich zurück, begann erneut.

Keanu war steinhart, und machte doch keine Anstalten, ihn zu sich zu ziehen oder ihm einen Rhythmus vorzugeben. Sein Stöhnen erfüllte den Raum, seine Oberschenkel waren die pure Anspannung, als Johann die Hände massierend über sie gleiten ließ, um sie dann ebenfalls in seinen Schoß wandern zu lassen.

Er wusste nicht, was Keanu mochte, und er schien nicht der Typ zu sein, der gern und viel darüber sprach, deswegen fragte er auch nicht, sondern probierte es einfach aus.

Vorsichtig streichelte und massierte er seine Eier.

Luxus-Ficker , ging ihm Diegos Chatnachricht durch den Kopf. Keanu hatte sich jedes bisschen Luxus bei dieser Nummer verdient. Im Ernst ... er konnte ihm wahrscheinlich keine Show bieten, die 80.000 Euro wert war. Das konnte nicht mal Diego, auch wenn er hier sicher hart widersprochen hätte. Aber er konnte ihm alles geben, was er hatte, und hoffen, dass es genug war.

Wieder nahm er ihn, so tief er konnte. Es kostete Überwindung, aber es half, dass Keanu so zurückhaltend war und ihn nicht zwang. Von oben kamen schwere, erschöpfte Atemzüge, aber es tat sich nichts.

Wollte er noch nicht kommen? Wie konnte jemand, der so spitz war, zugleich so viel Beherrschung besitzen?

Langsam begannen seine Kiefergelenke zu schmerzen, aber er schob das beiseite. Das hier war eben Arbeit. Es durfte anstrengend sein. Er würde weitermachen, bis Keanu kam, ganz egal, wie lange es dauerte und wie sich sein Mund danach anfühlte.

Bald hatte er jegliches Zeitgefühl verloren. Seine Knie sagten ihm, dass es schon ein paar Minuten sein mussten, seine Zunge wurde schwerer, aber er ließ sie weiterarbeiten.

Immer wieder schluckte er das Gemisch aus Speichel und Keanus salzigen Tropfen, saugte an ihm, entließ ihn für ein paar Sekunden, und ließ seine Hände weitermachen, um ein wenig Kraft zu sammeln.

Langsam schwindelte ihm und er wurde verdammt durstig. Seine Hände krallten sich in den Stoff von Keanus Hose. Er kniff die Augen zusammen, machte weiter, wollte sich nicht anmerken lassen, wie anstrengend es war. Gejammer fand niemand sexy.

Seine Lippen begannen zu kribbeln, als ob ihnen das Blut ausging. Scheiße, dieser Kerl brachte ihn echt an seine Grenzen. War er doch nicht so gut, wie er dachte? Verbissenheit mischte sich in die Ungeduld, ließ seine Bewegungen wieder kraftvoller werden.

Er nahm ihn nochmal bis zum Anschlag. Inzwischen lief nicht nur der Schweiß, auch seine Augen waren nass. Das passierte manchmal, wenn er es zu weit trieb. Schleimhäute waren Mimosen.

„Hey, lass ... lass uns aufhören“, sagte Keanu und schob ihn sanft von sich weg. „Das hat keinen Sinn.“ Johann öffnete die Augen – zum ersten Mal seit einer Ewigkeit. Ein Speichelfaden verband seinen Mund mit Keanus feucht glänzendem Schwanz.

Johann wischte sich über die Lippen, dann über die Augen. „Was hab ich falsch gemacht?“, fragte er rau. „Wir können gleich weitermachen. Ich bin’s nicht nur gewohnt, dass jemand so viel Ausdauer hat.“ Er grinste schief und stand auf. Es sollte lässig aussehen, aber er schwankte doch ganz schön. Keanu hielt ihn an den Hüften fest, um ihn zu stabilisieren, und schaute zu ihm hoch.

„Lass uns einfach ins Bett gehen.“

Keine Antwort auf seine Frage. Er hatte es vollkommen gegen die Wand gefahren, oder? Scheiße. Er machte sich von Keanu los und ging ins Badezimmer.

Das hat keinen Sinn.

„Okay, ich ... ich mache mich kurz frisch.“

Das hat keinen Sinn.

War er so verdammt schlecht?

Er war wie vor den Kopf geschlagen. Johann zog die Tür hinter sich zu und starrte in den Spiegel. Wahnsinn. Er sah echt gefickt aus. Wie ein Pornostar. Das Gesicht erhitzt, die Lippen geschwollen, alles nass, die Haare wirr.

Wie konnte er es so verkacken? Wie lange hatte er an ihm rumgemacht?

Verdammt war das erbärmlich.

„Scheiße“, flüsterte er. „Riesengroße Scheiße.“ Scham überfiel ihn. Was für ein Versager war er denn bitte? 80.000 Euro war dieser Platz neben Keanu wert, dieser zweite Platz in dieser Reise, und er schaffte es nicht mal, einen ordentlichen Blowjob abzuliefern.

Er wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, beseitigte die Spuren. Zornig starrte er sein eigenes Spiegelbild an.

Wenn du nicht mal das kannst ...

Überfordert schüttelte er den Kopf. Was sollte er jetzt machen? Konnte er schon wieder rausgehen? Saß Keanu jetzt auf dem Bett und machte es sich schnell selbst, weil er zu unfähig dazu gewesen war?

Er sah die Bewertung jetzt schon vor sich. Aber das war nicht mal das Schlimmste. Um die Agentur ging es gerade gar nicht. Es schmerzte viel tiefer in ihm drin. Irgendwo, wo es wirklich wehtat. Wo es ihn betraf, nicht nur irgendeinen Job.

Betäubt von seiner eigenen heftigen Reaktion auf die Zurückweisung stand er da und hielt sich am Waschbecken fest.

Scheiße. Er hatte das Gefühl, schreien zu müssen, aber er unterdrückte den Impuls. Zwei Tränen drückten sich aus seinen Augenwinkeln. Diesmal echte. Er wischte sie weg und zwang sich, ein paar Mal tief durchzuatmen, bevor er wieder ins Schlafzimmer trat.

Keanu hatte seine Klamotten gegen den Schlafanzug getauscht und lag im Bett, die Decke nur bis zur Hüfte hochgezogen. Das Schweigen im Raum war durchzogen von Scham.

Als er die Betten umrundete, um zu seiner Seite zu gelangen, stand Keanu schweigend auf und ging selbst ins Badezimmer. Die Tür klappte. Schwer zu erraten, was dahinter jetzt passierte.

Johann wischte sich mit beiden Händen übers Gesicht. Wie sollte das jetzt weitergehen? Es war gerade erst der zweite Tag ... er konnte das nicht so stehen lassen. Hoffentlich gab Keanu ihm nochmal eine Chance, es besser zu machen.

Du solltest lieber hoffen, dass er am Ende nicht sein Geld zurückverlangt. Plus eine Entschädigung, weil du ihm seinen Urlaub versaut hast.

Ob es eine zweite Chance geben würde, war mehr als fraglich, je intensiver er darüber nachdachte.

Die Tür klappte erneut. Das war schnellgegangen.

Keanu schlüpfte wieder unter die Decke. Er sah nicht verärgert aus ... es war dasselbe etwas melancholische Pokerface wie immer.

„Wenn es dir nichts ausmacht ... magst du weiter vorlesen? Ich fand es ganz angenehm, dir zuzuhören.“

Johann blinzelte überrascht. Vorlesen. Na immerhin etwas, das er angenehm gefunden hatte. Johann verdrängte die bissigen Gedanken und griff eilig nach dem Buch.

„Klar, gerne.“ Er war mehr als froh über diesen Ausweg. Das Lesen verdrängte die frische Erinnerung an das Blowjob-Fiasko und beantwortete auch die Frage, wie er nach dieser Schmach einschlafen sollte.

Während er las, schaute er immer wieder vorsichtig rüber zu Keanu. Wie gestern lag er neben ihm, eine Weile mit dem Blick gen Kuppeldecke gerichtet, mal mit den Armen hinter dem Kopf, dann eine Weile auf der Seite. Er hatte wirklich nichts von einem lauernden Raubtier. Irgendwann schlief er einfach ein und Johann schloss das Buch.

Als er sich selbst tiefer in die Kissen sinken ließ, kam ihm der Pinguin in den Kopf. Es war ein echt schöner Tag gewesen. Einer der schönsten seit Langem. Wenn man den Abend nicht mitrechnete.