Kapitel 11

Der Vater seines Vaters

Sie waren nicht im Efeu-Herrenhaus, sondern in dem Wald dahinter. Drizzt ging als Erster in das Häuschen, das auf der kleinen Lichtung zwischen den Pinien stand. Das gesamte Haus – von der Bauweise über das Mobiliar bis hin zu der Kochstelle unter einem Loch in der Decke – strahlte eine einfache Zweckmäßigkeit aus, die Zaknafein neugierig machte und ihn stutzen ließ.

»Hier arbeite ich«, erklärte Drizzt.

Zaknafein sah zu Catti-brie, die lediglich nickte. Dann wandte er sich wieder Drizzt zu, obwohl gerade ein Heulen durch das offene Fenster drang. »Arbeiten?«, fragte er.

»Im Wald sind verfluchte Wesen«, erklärte Drizzt. »Werwölfe. Wir nennen sie die Bidderdoos, nach dem unglückseligen Bidderdoo Harpell, einem Zauberer, der diese Zucht angestoßen hat, erst durch Magie und später, weil der arme Kerl sich versehentlich selbst verflucht hatte und seinen Appetit nicht mehr beherrschen konnte.«

»Du jagst Wölfe?«, fragte Zaknafein etwas zögerlich, weil er die Sprache noch nicht sicher beherrschte. Bisher hatte Catti-brie Yvonnels erste Maßnahme aufrechterhalten, indem sie dem wiederauferstandenen Drow mit einer Auffrischung der Sprachzauber geholfen hatte, die gemeinsame Sprache zu verstehen. Bei wiederholtem Einsatz hatten diese Zauber den Nebeneffekt, dass der Empfänger tatsächlich die Sprache lernte, was bei Zaknafein bereits der Fall war.

»Werwölfe«, wiederholte Drizzt, doch Zaknafein schüttelte frustriert den Kopf. Beide sahen Catti-brie hilfesuchend an.

Sie bewegte die Hände und bat ihre Göttin Mielikki, Zaknafein noch einmal die Gabe zu gewähren, ihre Sprache zu verstehen.

»Werwölfe«, erklärte Drizzt, nachdem sie damit fertig war.

»Lykanthropen? Du tötest Lykanthropen?«, fragte Zaknafein, nachdem er die Sprache wieder beherrschte. Er überlegte einen Moment und fügte dann hinzu: »Gnädig, vermutlich.«

»Ich töte sie nicht«, erklärte Drizzt. »Ich fange sie ein und bringe sie in das Efeu-Herrenhaus.«

»Wir haben unter dem Haus ein Dutzend Zellen«, ergänzte Catti-brie. »Und einige neuere Behandlungsansätze und Zauber scheinen ein Stück weit zu helfen.«

»Helfen? Ihr wollt sie heilen? Aber es gibt keine Heilung für Lykanthropie!«

»Und wenn es keiner versucht, wird es auch nie eine geben«, fuhr Catti-brie etwas unwirsch auf.

Zaknafein starrte sie durchdringend an, und dabei wurde sein Gesicht ein wenig freundlicher, als würde er sich bemühen, nicht etwa die Frage der Lykanthropie, sondern seine Schwiegertochter in einem neuen Licht zu sehen.

»Und heute Nacht jagen wir?«, fragte er Drizzt, obwohl er weiterhin Catti-brie beobachtete.

»Nur wenn Guenhwyvar eine Chance sieht«, erwiderte Drizzt. »Und nicht wir, sondern nur ich.«

Bei diesem überraschenden Ausschluss sah Zaknafein nun doch seinen Sohn an. Er wollte Einwände erheben, denn natürlich wollte er dabei sein, aber er unterbrach sich selbst, denn er hatte den Namen registriert. Deshalb fragte er stattdessen: »Guenhwyvar?«

»Die älteste Freundin Eures Sohnes, die er schon aus Menzoberranzan mitgebracht hat«, sagte Catti-brie.

Zaknafein hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. »Die Katze?«, fragte er Drizzt.

Drizzt zog die Onyxfigur aus dem Beutel und hielt sie vor Zaknafein in die Höhe.

»Die Katze des Hunzrin-Zauberers …«

»Sie hat mich all die Jahre begleitet«, sagte Drizzt.

»All die Jahre … Ich sollte mehr darüber wissen.« Frustriert schüttelte Zaknafein den Kopf. Seine Auferstehung war erfolgreich verlaufen, und die meisten seiner bisherigen Erinnerungen waren so frisch, als wären seitdem nicht über hundert Jahre verstrichen. Es gab aber auch Teile seines früheren Lebens, die wie hinter einem fernen Nebel lagen. Er trat zurück, und Drizzt rief den Panther. Zaknafein erinnerte sich noch gut daran, wie magische Tierstatuen funktionierten, besonders diese hier. So blieb er gefasst, als sich in dem kleinen Raum der graue Nebel bildete, der die Gestalt eines riesigen schwarzen Panthers annahm, ein zähne- und klauenbewehrtes Muskelpaket.

Aber es unterstand voll und ganz dem Besitzer der Statue, wie sich Zaknafein erinnerte, und das war gut so, denn in diesem engen Quartier hätten weder Zaknafein noch Drizzt noch Catti-brie eine Chance, sich gegen das starke Tier zu wehren, wie sie alle durchaus wussten.

»Guenhwyvar, wir haben einen neuen Freund«, sagte Catti-brie hoffnungsvoll, als Guen auftauchte. Guenhwyvar wandte sich Zaknafein zu und beschnupperte ihn.

Zaknafein kraulte ihr vorsichtig den Kopf, aber dabei behielt er Catti-brie im Auge und nahm wahr, dass sie sich gerade große Mühe gab, den Panther mit ihrer Stimmlage positiv zu stimmen.

»Vielleicht einen alten Freund«, meinte Drizzt. »Aus einer anderen Zeit.«

Auch dies entging Zaknafein nicht, besonders der Nachdruck auf den letzten Worten. Er kam sich tatsächlich vor, als käme er von einem fernen Ort aus einer ganz anderen Zeit.

Guenhwyvar begrüßte Drizzt und schnupperte dann besonders ausgiebig an Catti-brie, wie sie es sich inzwischen angewöhnt hatte. Sie stieß ein leises Knurren oder eher eine Art Schnurrlaut aus und leckte über den gewölbten Bauch der Frau.

»Es ist fast Vollmond«, teilte Drizzt dem Panther mit, und als Guen zu ihm hinsah, deutete er mit dem Kinn in Richtung Tür.

Guenhwyvar verstand sofort und verschwand in der Nacht.

»Wahrscheinlich ist keiner da«, sagte Drizzt, als der Panther in die Schatten tauchte, und Catti-brie schloss die Tür. »So voll ist der Mond noch nicht.«

»Warum hast du sie dann gerufen?«, fragte Zaknafein. »Solche Dinge kann man nicht so häufig benutzen, oder?«

»Daran arbeiten wir«, erwiderte Drizzt und zwinkerte seiner Frau zu.

Zaknafein sah sie verwundert an.

»Die Harpells drüben im Efeu-Herrenhaus und ich erforschen Zauberkräfte, mit denen wir Guenhwyvars wöchentliche oder gar tägliche Zeit auf dieser Existenzebene gefahrlos verlängern könnten«, erklärte Catti-brie.

»Vielleicht wollte ich sie dir auch einfach zeigen«, gab Drizzt zu. »Es geht mir gut, Vater. Mein Leben hat einen Wert für mich, auf eine Weise, wie ich es mir nie hätte vorstellen können.«

»Zum Beispiel durch die Verbindung mit einer Menschenfrau?«

»Das steht nicht mehr zur Debatte«, sagte Drizzt kalt. »Für mich ist sie die Welt. Hier und jetzt und für immer. Genau wie unser Kind. Unser Kind.«

Zaknafein hörte deutlich heraus, dass er hier besser nichts mehr sagen sollte. Deshalb verbiss er sich einen harten Kommentar und seufzte tief. »Ich muss noch viel lernen«, gab er zu. »Ich hoffe, das gelingt mir.«

Er wusste, dass er nicht sonderlich optimistisch klang, doch er konnte momentan auch nichts dagegen unternehmen.

Catti-brie lächelte ebenfalls wenig. Sie wollte antworten, aber Drizzt legte ihr eine Hand auf die Schulter, um sie wortlos zu bitten, dies ihm zu überlassen.

»Ich habe einen wundersamen Weg hinter mir, Vater«, sagte er ruhig. »Ich habe Dinge gesehen, die für mich unvorstellbar waren. Ich habe so viel gelernt, was jenseits des Einflusses der Spinnenkönigin und ihrer Oberinnen liegt. Und ich habe Liebe gefunden, wahre Liebe.« Er wechselte einen Blick mit Catti-brie. »Eine Frau, die mir auf dieser erstaunlichen Reise zur Seite steht.«

Zaknafein suchte nach einer Erwiderung. Da hörten sie draußen im Wald ein langes, gedämpftes Brüllen von Guenhwyvar.

»Werwölfe?«, fragte Zaknafein hoffnungsvoll. Das wäre gerade genau das Richtige, um dieser unerträglichen Spannung und dem für ihn unlösbaren Dilemma zu entrinnen.

»Anscheinend«, antwortete Drizzt. Als seine Frau ihm zunickte, gab er ihr schnell einen Kuss und verschwand.

Damit blieb Zaknafein mit seiner Schwiegertochter allein zurück und begriff, dass das Auftauchen der Katze ihm nicht den erhofften Ausweg eröffnet hatte.

Catti-brie ging an ihm vorbei und schloss erneut die Tür nach draußen. Dann trat sie an den Tisch, um mit einigen Sprüchen köstliche Speisen und guten Wein bereitzustellen.

»Setz dich«, bat sie Zaknafein. »Drizzt wird nicht lange fort sein.«

Er musterte sie und bemühte sich, seinen Argwohn zu unterdrücken.

»Setz dich«, wiederholte sie nachdrücklicher. »Es wird Zeit, dass wir zwei endlich reden.«

»Ganz offen?«, schnaubte er.

»Ganz offen«, stimmte sie zu.

Zaknafein nahm Platz. Dann sagte er herablassend: »Ich komme mir vor, als würde ich gleich eine Abreibung erhalten.«

»Du erhältst einige Informationen, falls du bereit bist, mir zuzuhören.«

»Das ist oft ein und dasselbe«, sagte Zaknafein. »Vielleicht unterscheiden sich Menschenfrauen doch nicht so sehr von den Drow-Oberinnen.« Er grinste bei diesen Worten, aber Catti-brie kaufte ihm den Kommentar nicht als gutmütige Stichelei ab.

»Ich gehe davon aus, dass du danach wissen wirst, welche Möglichkeiten dir offenstehen«, antwortete Catti-brie. »Die Entscheidung liegt dann ganz bei dir. Nicht bei mir und nicht bei Drizzt.«

»Die Möglichkeiten aus deiner Sicht.«

»Nein. Die Geschichte, wie Drizzt der wurde, der er ist, seit jenem Tag, als wir uns am Hang von Kelvins Steinhügel trafen, bis heute. Seit er die Oberfläche von Toril betreten hat, hat er eine unglaubliche Reise hinter sich gebracht, und die meiste Zeit war ich an seiner Seite. Davon will ich erzählen, und ich bin sicher, dass Drizzt nachher weitererzählen wird. Wenn du das alles weißt, kannst du bessere Entscheidungen treffen, wie auch immer sie ausfallen.«

»Was für Entscheidungen?«, wollte Zaknafein wissen. Er lehnte sich zurück und musterte die überraschende Frau genauer.

»Über … alles. Zumindest alles, was deinen Sohn angeht.«

»Du fürchtest mein Urteil.«

Sie schnaubte nur, und Zaknafein staunte, wie ehrlich diese Reaktion klang. Diese Frau war sich ihrer Sache sehr sicher. Das gab ihm zu denken.

Catti-brie begann zu erzählen. Zaknafein aß und trank und hörte dabei sehr aufmerksam zu.

Westlich von Langsattel fand in den extradimensionalen Räumlichkeiten von Gromph Baenre in Luskan ein anderes Dreiertreffen statt.

Zwei Drow-Frauen umkreisten den Zauberer, ließen ihn nicht aus den Augen, versuchten, ihn genau einzuschätzen, ihn zu durchschauen und aus seinen Überlegungen schlau zu werden. Keine andere Drow als die Oberinmutter persönlich hätte es je gewagt, Gromph derart anzustarren, aber diese beiden waren keine echten Dunkelelfen. Nur um der besseren Wirkung willen hatten sie diese Gestalt angenommen, denn ihr eigentliches Äußeres, die halb geschmolzene Schlammkerze der Yochlol, hätte jeden Drow, mit dem sie sprachen, noch mehr eingeschüchtert.

Allerdings machte sich Gromph keinerlei Illusionen über das Wesen seiner Gäste.

»Was erzählt man sich über Zaknafeins Rückkehr?«, fragte Yiccardaria mit verführerisch sanfter, magisch verstärkter Stimme.

Gromph tat diesen Effekt verächtlich ab. Als ob ein so harmloser Trick ihn umgarnen könnte, selbst wenn er von jemandem stammte, der regelmäßig die Spinnenkönigin traf.

»Nichts«, antwortete der Zauberer. »Zaknafein ist wieder bei seinem Sohn, doch das Ergebnis dieser Begegnung ist mir nicht bekannt.«

»Sie haben die Rückkehr von Zaknafein akzeptiert?«, fragte Eskavidne.

»Was gibt es da zu akzeptieren? Er ist hier.«

»Und sie wollen nicht wissen, wie es dazu kam oder warum?«, hakte die Zofe nach.

»Natürlich wollen sie das. Jarlaxle …«

»Yvonnel?«, warf Yiccardaria ein.

»Yvonnel auch.« Gromph nickte. »Sie erkundigten sich überall. Mich haben sie gefragt, ob ich bei meiner Rückkehr aus Menzoberranzan etwas gehört hätte.«

»Und du hast geantwortet?«, fragte Yiccardaria ziemlich schroff.

Gromph zuckte ungerührt mit den Schultern. »Was gibt es da zu antworten? Dass alle glaubten, der wahre Zaknafein Do’Urden sei wiederauferstanden? Ja. Aber das hätten sie auch selbst schnell herausgefunden.«

»Vielleicht wollten sie herausfinden, ob die Wiederauferstehung manchen in Menzoberranzan verdächtig erscheint«, meinte Yiccardaria, aber Gromph winkte ab.

»Zaknafein ist hier, auf welchem Weg auch immer«, sagte der ehemalige Erzmagier. »Das wird allgemein akzeptiert. Aber es ist nur eine Seite der Wahrheit.«

»Erzähl uns von den anderen«, forderte Eskavidne ihn auf.

»Die Zwergentore zwischen Gauntlgrym und diesem Turm hier, aber auch zwischen Gauntlgrym und dem Efeu-Herrenhaus arbeiten besser, als ich es für möglich gehalten hätte. In den nächsten Zehntagen wird König Bruenor zudem ein drittes Portal in Betrieb nehmen, das Gauntlgrym mit Mithril-Halle verbinden soll. Sobald das funktioniert, kann er im Handumdrehen Material und Soldaten aus den Silbermarken herbeiholen. Damit wird Bruenor für die armseligen Menschen an der Schwertküste zunehmend unangreifbar, sofern sie keinen Krieg mit allen Delzoun-Zwergen anzetteln wollen. Das ist beeindruckend.«

»Und der Hauptturm?«, fragte Yiccardaria, die sich um die Vorgänge unter den Zwergen wenig scherte.

»Seht euch einfach um. Kennt ihr etwas auf der Materiellen Ebene, das diesem magischen Werk gleichkäme? Abgesehen vielleicht von der Spinnenstadt Ched Nasad?«

Die beiden Zofen sahen einander finster an, wirkten aber doch gebannt.

»Ich teile euer Interesse«, versicherte Gromph. »Dieses Schöpfen mit dem Urelementar – inzwischen weiß ich, dass er Maegera heißt – erscheint mir für uns alle sehr vielversprechend. Ich höre und sehe mich hier gern für euch um.«

Yiccardaria zog vielsagend die Augenbrauen hoch, um anzudeuten, dass ihr Vertrauen zu Gromph Baenre geringer war, als er mit seiner Aussage andeutete. Aber hatte sie eine andere Wahl?

»Sollten wir diesen Zwergen wirklich so viel Macht zugestehen?«, fragte Eskavidne, die weniger gleichgültig erschien als Yiccardaria. »Werden sie die Armeen des Nordens auf Jarlaxle in Luskan hetzen? Wird König Bruenor seine Delzoun-Verwandtschaft aus den Silbermarken in das Unterreich führen, ganz bis zur Stadt der Spinnen?«

»Yvonnel trägt bis heute den kalten Schmerz von König Bruenors noch kälterer Axt in sich«, mahnte Yiccardaria. Tatsächlich war es Bruenor gewesen, der einst Yvonnel die Ewige getötet hatte.

»Unabhängig davon traue ich Bruenor ein solches Abenteuer nicht zu. Jedenfalls nicht als Eroberungsfeldzug«, antwortete Gromph.

»Hat dein Aufenthalt unter diesen Iblith dich verweichlicht?«

Der einstige Erzmagier bedachte Yiccardaria mit einem belustigten Blick. Er verstand ihren Zynismus wie auch ihren Ärger. Yvonnels Verrat hatte Yiccardaria herabgewürdigt und auf die Unteren Ebenen verbannt. Es war nur der starken Schwächung des Faerzress und der Intervention von Lolth persönlich zu verdanken, dass diese Zofe Faerûn erneut betreten konnte. Und noch tiefer hatte es die stolze Yochlol getroffen, dass sie von dem menschlichen Großmeister der Blumen besiegt worden war.

»Was hast du noch zu berichten, Diener der Lolth?«, fragte Eskavidne, ohne die Frage ihrer Begleiterin näher zu beachten.

Gromph schmunzelte in sich hinein. »Intrigen um den Lordprotektor von Niewinter«, sagte er. »Das Übliche. Dort gehen seltsame Dinge vor, aber nichts, was für euch wichtig sein sollte. Zumindest noch nicht.«

»Es darf kein Bündnis zwischen ihm und König Bruenor geben«, betonte Eskavidne. »Das darfst du nicht zulassen.«

»Nur keine Sorge.«

»Jarlaxle behält die Sache im Auge und lässt es uns wissen?«

»Da gibt es nichts zu wissen«, versicherte Gromph. »Die Zwerge von Gauntlgrym hassen Dagult Nieglut aus tiefstem Herzen, und diese Abneigung ist gegenseitig.«

Wieder wechselten die Zofen interessierte Blicke.

»Kommt nur nicht auf die Idee, dass Menzoberranzan diese Feindschaft für ein Bündnis mit dem Statthalter nutzen sollte.« Gromph achtete darauf, echte Dringlichkeit in seine Stimme zu legen. »Lord Nieglut ist ein eingebildeter Trottel und wäre kein Gewinn, kann ich euch versichern.«

»Aber er ist ein Statthalter von Tiefwasser, richtig? Damit wird er Verbündete haben«, gurrte Yiccardaria.

Diesen Punkt gestand Gromph achselzuckend ein. »Diese Verbündeten haben wir im Blick.«

»Und wer sind sie?«, fragte die Zofe ungeduldig.

»Adlige aus Tiefwasser. Haus Margaster«, sagte Gromph.

Überrascht nahm er die Schuldgefühle wahr, die sich bei dieser Bemerkung in ihm regten. Seit wann kümmerte es Gromph, wenn er glaubte, gegen die Interessen von Jarlaxle und den seltsamen Partnern zu verstoßen, mit denen dieser selbstsüchtige Narr sich umgab? Andererseits schadete es nicht, wenn er Informationen preisgab, die man auch anderswo bekommen konnte und die seinem abenteuerlustigen Bruder kaum Schaden zufügen konnten.

Unwichtig, dachte er und verdrängte die ganze Geschichte. Immerhin stand er vor Abgesandten der Lolth, und wie in Menzoberranzan würde Gromph weiterhin tun, was erforderlich war, um seine hiesige Arbeit fortzusetzen, eine Arbeit, die ihm angesichts seiner Fortschritte in der Kunst der Psionik so wichtig geworden war.

In erster Linie ging es ihm um den Selbsterhalt, und der erschien ihm wahrscheinlicher, wenn er sich mit Lolth gut stellte.

Hufgetrappel vor dem Häuschen ließ die beiden aufmerken, und Catti-brie, die ihre Geschichten über Drizzt beinahe abgeschlossen hatte, trat ans Fenster und spähte hinaus. »Drizzt ist zurück«, teilte sie Zaknafein mit und ergänzte dann lächelnd: »Und diesmal wünsche ich, dass ihr beide eure Schwerter stecken lasst.«

»Er hat zuerst gezogen«, erwiderte Zaknafein so leichtherzig, wie er vermochte.

»Letztes Mal habe ich euch das durchgehen lassen. Auch wenn es ewig dauern wird, bis ich alles ersetzt habe, was dabei zu Bruch ging. Aber manchmal müssen Kinder offenbar aus den eigenen Fehlern lernen.«

»Kinder?«

Sie hob nur die Hände und beließ es dabei.

Er hingegen konnte das nicht so stehen lassen. »Wo ich herkomme, hätten Kinder, die sich im Haus derart aufgeführt hätten, die lebendigen Schlangenköpfe am Ende einer Priesterinnenpeitsche zu spüren bekommen.«

»Und woher kommst du?«, gab Catti-brie vielsagend zurück. »Von einem Ort, wo man uns verachtet …«

Zaknafein wollte etwas erwidern, ehe er die Bemerkung ganz begriffen hatte, doch dann gab er grinsend nach.

Die Tür ging auf, und Drizzt kam herein. Als hätte er die letzten Sätze mit angehört, schnallte er zuerst den Waffengurt ab und hängte ihn an einen Haken neben der Tür. Dabei sah er seine Frau und den lachenden Zaknafein verwundert an.

»Alles klar?«, fragte er.

»Werwölfe?«, sagte Zaknafein, der noch nicht wusste, wie man auf eine scheinbar so einfache Frage antwortete.

Drizzt schüttelte den Kopf. »Wir dachten, wir hätten eine Spur, aber nein.«

Catti-brie zeigte auf einen Stuhl und setzte sich dann selbst wieder hin. »Ich habe deinem Vater gerade erzählt, was geschehen ist, seit wir über die Ausläufer von Kelvins Steinhügel gezogen sind«, sagte sie. »Natürlich nur meine Version. Er möchte bestimmt auch gern deine hören.«

Zaknafein spürte Drizzts forschenden Blick. »Das stimmt«, bestätigte er, und es war nicht gelogen. Die Menschenfrau hatte ihm erstaunlich viel zu denken gegeben, und vielleicht würde er ihre Worte und Gefühle besser einordnen können, wenn er dieselben Geschichten auch aus der Perspektive seines Sohnes hörte.

Und so blieben die drei bis spät in die Nacht in der Hütte. Diesmal erzählte Drizzt, wie er von Kelvins Steinhügel nach Mithril-Halle gelangt war, was zwischendurch und was danach geschehen war. Eine Geschichte war ihm dabei besonders wichtig, und die beeindruckte Zaknafein.

»Ich bin nach Menzoberranzan zurückgekehrt«, sagte Drizzt. »Ganz offen. Um mich zu ergeben.«

»Ich habe mein Leben dafür geopfert, dir das zu ersparen«, warf Zaknafein mit unverhohlenem Ärger über eine so absurde Entscheidung ein.

»Ich musste es tun«, beharrte Drizzt.

»Du glaubtest , du müsstest es tun«, warf Catti-brie ein, und Drizzt nickte.

»Sie waren meinetwegen gekommen und haben die bedroht, die ich zu lieben gelernt hatte«, erklärte Drizzt. »Das konnte ich nicht zulassen.«

»Diejenigen, die dich liebten, wären lieber an deiner Seite gestorben, als dich Haus Baenre zu überlassen«, betonte Catti-brie.

Zaknafein zog die Augenbrauen hoch. »Erzähl es mir«, bat er Drizzt. »Alles. Das ist eine Geschichte, die deine Frau offenbar vergessen hat.«

Drizzts Auflachen überraschte seinen Vater. »Sie ist mir nachgekommen. Ganz allein«, sagte er. »Damals war sie noch keine mächtige Priesterin, nicht einmal eine Zauberin, wohingegen sie inzwischen beide Künste beherrscht. Sie war eine Kämpferin und auch darin nicht sonderlich erfahren.« Sein Blick zu seiner Frau war voller Liebe. »Aber sie ist gekommen. Allein. Sie ist mir den ganzen Weg durch das Unterreich gefolgt, bis nach Menzoberranzan, und dort hat sie mich mit Hilfe eines anderen Menschen, den du bald kennenlernen wirst, aus dem Kerker von Haus Baenre befreit.«

Zaknafein hätte am liebsten losgeprustet, verbiss sich aber das Lachen, als ihm klar wurde, dass sein Sohn keinen Scherz machte. »Haus Baenre ?«, vergewisserte er sich ungläubig und sah Drizzt nicken.

»Ich hatte ziemlich viel Glück«, räumte Catti-brie ein.

»Ganz offensichtlich. Wann war das?«, fragte Zaknafein.

»Vor hundertzwanzig Jahren, schätze ich«, antwortete Drizzt. »Nicht lange nachdem König Bruenor Mithril-Halle zurückerobert hatte.«

Zaknafein nickte, doch als er Catti-brie ansah, fiel ihm ein starker Widerspruch auf. »Du kannst doch höchstens vierzig sein.«

Catti-brie schnaubte. »Ich bin Anfang zwanzig, besten Dank auch.«

»Aber …« Zaknafein sah Drizzt entgeistert an.

»Das ist eine andere Geschichte, und die ist genauso bemerkenswert wie deine, Zaknafein«, antwortete Catti-brie. »Davon erzähle ich dir ein andermal. Es ist spät. Der Mond ist untergegangen. Lasst uns in unsere warmen Betten im Herrenhaus zurückkehren.« Damit stand sie auf und packte ihre Sachen zusammen, und Drizzt folgte ihrem Beispiel.

Zaknafein, der alles bei sich trug, was er mitgebracht hatte, blieb sitzen, trank aus und sah zu, wie die beiden herumgingen, und insbesondere, wie sie einander dabei ansahen.

Er versuchte, sich dabei möglichst wenig anmerken zu lassen und kein finsteres Gesicht zu machen, doch trotz allem, was er in dieser Nacht gehört hatte, gelang ihm weder das eine noch das andere sonderlich gut.

»Na, das war jetzt deutlich angenehmer«, sagte Catti-brie, nachdem sie mit Drizzt im Efeu-Herrenhaus allein war. »Und wir brauchten nicht einmal einen neuen Tisch!«

Drizzt teilte ihren Spott nicht.

»Er hasst dich«, stellte er fest.

»Er hasst mich nicht.«

»Er hasst, dass wir zusammen sind. Und ganz besonders hasst er, dass wir ein Kind bekommen werden, ein Halbblut, das er nicht akzeptieren kann.«

»Angst kann Hass auslösen, aber beides ist nicht dasselbe«, sagte Catti-brie. »Dein Vater hat keine Erfahrung in solchen Dingen, und diese Welt, eine Welt, in der Kinder wie unseres möglich sind, wurde ihm übergangslos übergestülpt.«

»Zaknafein ist kein Kind«, erwiderte Drizzt. »Und auch nicht der Mann, den ich …«

»Du sprichst weiterhin von Zaknafein«, unterbrach ihn Catti-brie. »Du sagst nicht Vater. Nur Zaknafein. Warum?«

Drizzt antwortete nicht, sondern überlegte erst einmal.

»Zaknafein ist nicht der Einzige, der Angst hat«, sprach Catti-brie weiter.

Sie kannte ihn so gut, dachte Drizzt. Denn er hatte Angst. Sogar sehr viel. In den letzten hundert Jahren oder mehr war Zaknafein für ihn zu einer Art Mythos geworden. Er hatte eine Erinnerung hochgehalten, denn es hatte keine Gefahr bestanden, sich mit dem wahren Zaknafein auseinandersetzen zu müssen.

Es war so viel leichter, seine eigenen Gefühle und Überzeugungen auf einen Geist zu projizieren.

»Leute sind kompliziert. Und sie verändern sich«, sagte Catti-brie. »Denk an Artemis Entreri.«

Drizzts Stoßseufzer verriet seine Befürchtungen, denn nun sah Catti-brie ihn noch eindringlicher an.

»Hab Geduld, Liebster«, sagte sie, während sie zu ihm trat, um ihm die Schultern zu massieren.

Drizzt nickte. Hatte er denn eine andere Wahl?