1

Atmen, du unsichtbares Gedicht!

Immerfort um das eigne

Sein rein eingetauschter Weltraum. Gegengewicht,

in dem ich mich rhythmisch ereigne.

Einzige Welle, deren

allmähliches Meer ich bin;

sparsamstes du von allen möglichen Meeren,—

Raumgewinn.

Wie viele von diesen Stellen der Räume waren schon

innen in mir. Manche Winde

sind wie mein Sohn.

Erkennst du mich, Luft, du, voll noch einst meiniger Orte?

Du, einmal glatte Rinde,

Rundung und Blatt meiner Worte.

2

So wie dem Meister manchmal das eilig

nähere Blatt den wirklichen Strich

abnimmt: so nehmen oft Spiegel das heilig

einzige Lächeln der Mädchen in sich,

wenn sie den Morgen erproben, allein,—

oder im Glanze der dienenden Lichter.

Und in das Atmen der echten Gesichter,

später, fällt nur ein Widerschein.

Was haben Augen einst ins umrusste

lange Verglühn der Kamine geschaut:

Blicke des Lebens, für immer verlorne.

Ach, der Erde, wer kennt die Verluste?

Nur, wer mit dennoch preisendem Laut

sänge das Herz, das ins Ganze geborne.

3

Spiegel: noch nie hat man wissend beschrieben,

was ihr in euerem Wesen seid.

Ihr, wie mit lauter Löchern von Sieben

erfüllten Zwischenräume der Zeit.

Ihr, noch des leeren Saales Verschwender—,

wenn es dämmert, wie Wälder weit …

Und der Lüster geht wie ein Sechzehn-Ender

durch eure Unbetretbarkeit.

Manchmal seid ihr voll Malerei.

Einige scheinen in euch gegangen—,

andere schicktet ihr scheu vorbei.

Aber die Schönste wird bleiben, bis

drüben in ihre enthaltenen Wangen

eindrang der klare gelöste Narziss.

4

O dieses ist das Tier, das es nicht gibt.

Sie wusstens nicht und habens jeden Falls

—sein Wandeln, seine Haltung, seinen Hals,

bis in des stillen Blickes Licht—geliebt.

Zwar war es nicht. Doch weil sie’s liebten, ward

ein reines Tier. Sie liessen immer Raum.

Und in dem Raume, klar und ausgespart,

erhob es leicht sein Haupt und brauchte kaum

zu sein. Sie nährten es mit keinem Korn,

nur immer mit der Möglichkeit, es sei.

Und sie gab solche Stärke an das Tier,

dass es aus sich ein Stirnhorn trieb. Ein Horn.

Zu einer Jungfrau kam es weiss herbei—

und war im Silber-Spiegel und in ihr.

5

Blumenmuskel, der der Anemone

Wiesenmorgen nach und nach erschliesst,

bis in ihren Schooss das polyphone

Licht der lauten Himmel sich ergiesst,

in den stillen Blütenstern gespannter

Muskel des unendlichen Empfangs,

manchmal so von Fülle übermannter,

dass der Ruhewink des Untergangs

kaum vermag die weitzurückgeschnellten

Blätterränder dir zurückzugeben:

du, Entschluss und Kraft von wieviel Welten!

Wir Gewaltsamen, wir währen länger.

Aber wann, in welchem aller Leben,

sind wir endlich offen und Empfänger?

6

Rose, du thronende, denen im Altertume

warst du ein Kelch mit einfachem Rand.

Uns aber bist du die volle zahllose Blume,

der unerschöpfliche Gegenstand.

In deinem Reichtum scheinst du wie Kleidung um Kleidung

um einen Leib aus nichts als Glanz;

aber dein einzelnes Blatt ist zugleich die Vermeidung

und die Verleugnung jedes Gewands.

Seit Jahrhunderten ruft uns dein Duft

seine süssesten Namen herüber;

plötzlich liegt er wie Ruhm in der Luft.

Dennoch, wir wissen ihn nicht zu nennen, wir raten …

Und Erinnerung geht zu ihm über,

die wir von rufbaren Stunden erbaten.

7

Blumen, ihr schliesslich den ordnenden Händen verwandte,

(Händen der Mädchen von einst und jetzt),

die auf dem Gartentisch oft von Kante zu Kante

lagen, ermattet und sanft verletzt,

wartend des Wassers, das sie noch einmal erhole

aus dem begonnenen Tod—, und nun

wieder erhobene zwischen die strömenden Pole

fühlender Finger, die wohlzutun

mehr noch vermögen, als ihr ahntet, ihr leichten,

wenn ihr euch wiederfandet im Krug,

langsam erkühlend und Warmes von Mädchen, wie Beichten,

von euch gebend, wie trübe ermüdende Sünden,

die das Gepflücktsein beging, als Bezug

wieder zu ihnen, die sich euch blühend verbünden.

8

Wenige ihr, der einstigen Kindheit Gespielen

in den zerstreuten Gärten der Stadt:

wie wir uns fanden und uns zögernd gefielen

und, wie das Lamm mit dem redenden Blatt,

sprachen als schweigende. Wenn wir uns einmal freuten,

keinem gehörte es. Wessen wars?

Und wie zergings unter allen den gehenden Leuten

und im Bangen des langen Jahrs.

Wagen umrollten uns fremd, vorübergezogen,

Häuser umstanden uns stark, aber unwahr,—und keines

kannte uns je. Was war wirklich im All?

Nichts. Nur die Bälle. Ihre herrlichen Bogen.

Auch nicht die Kinder … Aber manchmal trat eines,

ach ein vergehendes, unter den fallenden Ball.

In memoriam Egon von Rilke

9

Rühmt euch, ihr Richtenden, nicht der entbehrlichen Folter

und dass das Eisen nicht länger an Hälsen sperrt.

Keins ist gesteigert, kein Herz—, weil ein gewollter

Krampf der Milde euch zarter verzerrt.

Was es durch Zeiten bekam, das schenkt das Schafott

wieder zurück, wie Kinder ihr Spielzeug vom vorig

alten Geburtstag. Ins reine, ins hohe, ins torig

offene Herz träte er anders, der Gott

wirklicher Milde. Er käme gewaltig und griffe

strahlender um sich, wie Göttliche sind.

Mehr als ein Wind für die grossen gesicherten Schiffe.

Weniger nicht, als die heimliche leise Gewahrung,

die uns im Innern schweigend gewinnt

wie ein still spielendes Kind aus unendlicher Paarung.

10

Alles Erworbne bedroht die Maschine, solange

sie sich erdreistet, im Geist, statt im Gehorchen, zu sein.

Dass nicht der herrlichen Hand schöneres Zögern mehr
prange,

zu dem entschlossenern Bau schneidet sie steifer den Stein.

Nirgends bleibt sie zurück, dass wir ihr ein Mal entrönnen

und sie in stiller Fabrik ölend sich selber gehört.

Sie ist das Leben,—sie meint es am besten zu können,

die mit dem gleichen Entschluss ordnet und schafft und zerstört.

Aber noch ist uns das Dasein verzaubert; an hundert

Stellen ist es noch Ursprung. Ein Spielen von reinen

Kräften, die keiner berührt, der nicht kniet und bewundert.

Worte gehen noch zart am Unsäglichen aus …

Und die Musik, immer neu, aus den bebendsten Steinen,

baut im unbrauchbaren Raum ihr vergöttlichtes Haus.

11

Manche, des Todes, entstand ruhig geordnete Regel,

weiterbezwingender Mensch, seit du im Jagen beharrst;

mehr doch als Falle und Netz, weiss ich dich, Streifen von
Segel,

den man hinuntergehängt in den höhligen Karst.

Leise liess man dich ein, als wärst du ein Zeichen,

Frieden zu feiern. Doch dann: rang dich am Rande der Knecht,

—und, aus den Höhlen, die Nacht warf eine Handvoll von
bleichen

taumelnden Tauben ins Licht … Aber auch das ist im Recht.

Fern von dem Schauenden sei jeglicher Hauch des Bedauerns,

nicht nur vom Jäger allein, der, was sich zeitig erweist,

wachsam und handelnd vollzieht.

Töten ist eine Gestalt unseres wandernden Trauerns

Rein ist im heiteren Geist,

was an uns selber geschieht.

12

Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme begeistert,

drin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlungen prunkt;

jener entwerfende Geist, welcher das Irdische meistert,

liebt in dem Schwung der Figur nichts wie den wendenden Punkt.

Was sich ins Bleiben verschliesst, schon ists das Erstarrte;

wähnt es sich sicher im Schutz des unscheinbaren Grau’s?

Warte, ein Härtestes warnt aus der Ferne das Harte.

Wehe—: abwesender Hammer holt aus!

Wer sich als Quelle ergiesst, den erkennt die Erkennung;

und sie führt ihn entzückt durch das heiter Geschaffne,

das mit Anfang oft schliesst und mit Ende beginnt.

Jeder glückliche Raum ist Kind oder Enkel von Trennung,

den sie staunend durchgehn. Und die verwandelte Daphne

will, seit sie lorbeern fühlt, dass du dich wandelst in Wind.

13

Sei allem Abschied voran, als wäre er hinter

dir, wie der Winter, der eben geht.

Denn unter Wintern ist einer so endlos Winter,

dass, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht.

Sei immer tot in Eurydike—, singender steige,

preisender steige zurück in den reinen Bezug.

Hier, unter Schwindenden, sei, im Reiche der Neige,

sei ein klingendes Glas, das sich im Klang schon zerschlug.

Sei—und wisse zugleich des Nicht-Seins Bedingung,

den unendlichen Grund deiner innigen Schwingung,

dass du sie völlig vollziehst dieses einzige Mal.

Zu dem gebrauchten sowohl, wie zum dumpfen und stummen

Vorrat der vollen Natur, den unsäglichen Summen,

zähle dich jubelnd hinzu und vernichte die Zahl.

14

Siehe die Blumen, diese dem Irdischen treuen,

denen wir Schicksal vom Rande des Schicksals leihn,—

aber wer weiss es! Wenn sie ihr Welken bereuen,

ist es an uns, ihre Reue zu sein.

Alles will schweben. Da gehn wir umher wie Beschwerer,

legen auf alles uns selbst, vom Gewichte entzückt;

o was sind wir den Dingen für zehrende Lehrer,

weil ihnen ewige Kindheit glückt.

Nähme sie einer ins innige Schlafen und schliefe

tief mit den Dingen—: o wie käme er leicht,

anders zum anderen Tag, aus der gemeinsamen Tiefe.

Oder er bliebe vielleicht; und sie blühten und priesen

ihn, den Bekehrten, der nun den Ihrigen gleicht,

allen den stillen Geschwistern im Winde der Wiesen.

15

O Brunnen-Mund, du gebender, du Mund,

der unerschöpflich Eines, Reines, spricht,—

du, vor des Wassers fliessendem Gesicht,

marmorne Maske. Und im Hintergrund

der Aquädukte Herkunft. Weither an

Gräbern vorbei, vom Hang des Apennins

tragen sie dir dein Sagen zu, das dann

am schwarzen Altern deines Kinns

vorüberfällt in das Gefäss davor.

Dies ist das schlafend hingelegte Ohr,

das Marmor-Ohr, in das du immer sprichst.

Ein Ohr der Erde. Nur mit sich allein

redet sie also. Schiebt ein Krug sich ein,

so scheint es ihr, dass du sie unterbrichst.

16

Immer wieder von uns aufgerissen,

ist der Gott die Stelle, welche heilt.

Wir sind Scharfe, denn wir wollen wissen,

aber er ist heiter und verteilt.

Selbst die reine, die geweihte Spende

nimmt er anders nicht in seine Welt,

als indem er sich dem freien Ende

unbewegt entgegenstellt.

Nur der Tote trinkt

aus der hier von uns gehörten Quelle,

wenn der Gott ihm schweigend winkt, dem Toten.

Uns wird nur das Lärmen angeboten.

Und das Lamm erbittet seine Schelle

aus dem stilleren Instinkt.

17

Wo, in welchen immer selig bewässerten Gärten, an welchen

Bäumen, aus welchen zärtlich entblätterten Blüten-Kelchen

reifen die fremdartigen Früchte der Tröstung? Diese

köstlichen, deren du eine vielleicht in der zertretenen Wiese

deiner Armut findest. Von einem zum anderen Male

wunderst du dich über die Grösse der Frucht,

über ihr Heilsein, über die Sanftheit der Schale,

und dass sie der Leichtsinn des Vogels dir nicht vorwegnahm und nicht die Eifersucht

unten des Wurms. Gibt es denn Bäume, von Engeln beflogen,

und von verborgenen langsamen Gärtnern so seltsam gezogen,

dass sie uns tragen, ohne uns zu gehören?

Haben wir niemals vermocht, wir Schatten und Schemen,

durch unser voreilig reifes und wieder welkes Benehmen

jener gelassenen Sommer Gleichmut zu stören?

18

Tänzerin: o du Verlegung

alles Vergehens in Gang: wie brachtest du’s dar.

Und der Wirbel am Schluss, dieser Baum aus Bewegung,

nahm er nicht ganz in Besitz das erschwungene Jahr?

Blühte nicht, dass ihn dein Schwingen von vorhin umschwärme,

plötzlich sein Wipfel von Stille? Und über ihr,

war sie nicht Sonne, war sie nicht Sommer, die Wärme,

diese unzählige Wärme aus dir?

Aber er trug auch, er trug, dein Baum der Ekstase.

Sind sie nicht seine ruhigen Früchte: der Krug,

reifend gestreift, und die gereiftere Vase?

Und in den Bildern: ist nicht die Zeichnung geblieben,

die deiner Braue dunkler Zug

rasch an die Wandung der eigenen Wendung geschrieben?

19

Irgendwo wohnt das Gold in der verwöhnenden Bank,

und mit Tausenden tut es vertraulich. Doch jener

Blinde, der Bettler, ist selbst dem kupfernen Zehner

wie ein verlorener Ort, wie das staubige Eck unterm Schrank.

In den Geschäften entlang ist das Geld wie zu Hause

und verkleidet sich scheinbar in Seide, Nelken und Pelz.

Er, der Schweigende, steht in der Atempause

alles des wach oder schlafend atmenden Gelds.

O wie mag sie sich schliessen bei Nacht, diese immer offene Hand.

Morgen holt sie das Schicksal wieder, und täglich

hält es sie hin: hell, elend, unendlich zerstörbar.

Dass doch einer, ein Schauender, endlich ihren langen Bestand

staunend begriffe und rühmte. Nur dem Aufsingenden säglich.

Nur dem Göttlichen hörbar.

20

Zwischen den Sternen, wie weit; und doch, um wievieles noch weiter,

was man am Hiesigen lernt.

Einer, zum Beispiel, ein Kind … und ein Nächster, ein Zweiter—,

o wie unfasslich entfernt.

Schicksal, es misst uns vielleicht mit des Seienden Spanne,

dass es uns fremd erscheint;

denk, wieviel Spannen allein vom Mädchen zum Manne,

wenn es ihn meidet und meint.

Alles ist weit—, und nirgends schliesst sich der Kreis.

Sieh in der Schüssel, auf heiter bereitetem Tische,

seltsam der Fische Gesicht.

Fische sind stumm … , meinte man einmal. Wer weiss?

Aber ist nicht am Ende ein Ort, wo man das, was der Fische

Sprache wäre, ohne sie spricht?

21

Singe die Gärten, mein Herz, die du nicht kennst; wie in Glas

eingegossene Gärten, klar, unerreichbar.

Wasser und Rosen von Ispahan oder Schiras,

singe sie selig, preise sie, keinem vergleichbar.

Zeige, mein Herz, dass du sie niemals entbehrst.

Dass sie dich meinen, ihre reifenden Feigen.

Dass du mit ihren, zwischen den blühenden Zweigen

wie zum Gesicht gesteigerten Lüften verkehrst.

Meide den Irrtum, dass es Entbehrungen gebe

für den geschehnen Entschluss, diesen: zu sein!

Seidener Faden, kamst du hinein ins Gewebe.

Welchem der Bilder du auch im Innern geeint bist

(sei es selbst ein Moment aus dem Leben der Pein),

fühl, dass der ganze, der rühmliche Teppich gemeint ist.

22

O trotz Schicksal: die herrlichen Überflüsse

unseres Daseins, in Parken übergeschäumt,—

oder als steinerne Männer neben die Schlüsse

hoher Portale, unter Balkone gebäumt!

O die eherne Glocke, die ihre Keule

täglich wider den stumpfen Alltag hebt.

Oder die eine, in Karnak, die Säule, die Säule,

die fast ewige Tempel überlebt.

Heute stürzen die Überschüsse, dieselben,

nur noch als Eile vorbei, aus dem wagrechten gelben

Tag in die blendend mit Licht übertriebene Nacht.

Aber das Rasen zergeht und lässt keine Spuren.

Kurven des Flugs durch die Luft und die, die sie fuhren,

keine vielleicht ist umsonst. Doch nur wie gedacht.

23

Rufe mich zu jener deiner Stunden,

die dir unaufhörlich widersteht:

flehend nah wie das Gesicht von Hunden,

aber immer wieder weggedreht,

wenn du meinst, sie endlich zu erfassen.

So Entzognes ist am meisten dein.

Wir sind frei. Wir wurden dort entlassen,

wo wir meinten, erst begrüsst zu sein.

Bang verlangen wir nach einem Halte,

wir zu Jungen manchmal für das Alte

und zu alt für das, was niemals war.

Wir, gerecht nur, wo wir dennoch preisen,

weil wir, ach, der Ast sind und das Eisen

und das Süsse reifender Gefahr.

24

O diese Lust, immer neu, aus gelockertem Lehm!

Niemand beinah hat den frühesten Wagern geholfen.

Städte entstanden trotzdem an beseligten Golfen,

Wasser und Öl füllten die Krüge trotzdem.

Götter, wir planen sie erst in erkühnten Entwürfen,

die uns das mürrische Schicksal wieder zerstört.

Aber sie sind die Unsterblichen. Sehet, wir dürfen

jenen erhorchen, der uns am Ende erhört.

Wir, ein Geschlecht durch Jahrtausende: Mütter und Väter,

immer erfüllter von dem künftigen Kind,

dass es uns einst, übersteigend, erschüttere, später.

Wir, wir unendlich Gewagten, was haben wir Zeit!

Und nur der schweigsame Tod, der weiss, was wir sind

und was er immer gewinnt, wenn er uns leiht.

25

Schon, horch, hörst du der ersten Harken

Arbeit; wieder den menschlichen Takt

in der verhaltenen Stille der starken

Vorfrühlingserde. Unabgeschmackt

scheint dir das Kommende. Jenes so oft

dir schon Gekommene scheint dir zu kommen

wieder wie Neues. Immer erhofft,

nahmst du es niemals. Es hat dich genommen.

Selbst die Blätter durchwinterter Eichen

scheinen im Abend ein künftiges Braun.

Manchmal geben sich Lüfte ein Zeichen.

Schwarz sind die Sträucher. Doch Haufen von Dünger

lagern als satteres Schwarz in den Au’n.

Jede Stunde, die hingeht, wird jünger.

26

Wie ergreift uns der Vogelschrei …

Irgendein einmal erschaffenes Schreien.

Aber die Kinder schon, spielend im Freien,

schreien an wirklichen Schreien vorbei.

Schreien den Zufall. In Zwischenräume

dieses, des Weltraums, (in welchen der heile

Vogelschrei eingeht, wie Menschen in Träume—)

treiben sie ihre, des Kreischens, Keile.

Wehe, wo sind wir? Immer noch freier,

wie die losgerissenen Drachen

jagen wir halbhoch, mit Rändern von Lachen,

windig zerfetzten.— Ordne die Schreier,

singender Gott! dass sie rauschend erwachen,

tragend als Strömung das Haupt und die Leier.

27

Gibt es wirklich die Zeit, die zerstörende?

Wann, auf dem ruhenden Berg, zerbricht sie die Burg?

Dieses Herz, das unendlich den Göttern gehörende,

wann vergewaltigts der Demiurg?

Sind wir wirklich so ängstlich Zerbrechliche,

wie das Schicksal uns wahrmachen will?

Ist die Kindheit, die tiefe, versprechliche,

in den Wurzeln—später—still?

Ach, das Gespenst des Vergänglichen,

durch den arglos Empfänglichen

geht es, als wär es ein Rauch.

Als die, die wir sind, als die Treibenden,

gelten wir doch bei bleibenden

Kräften als göttlicher Brauch.

28

O komm und geh. Du, fast noch Kind, ergänze

für einen Augenblick die Tanzfigur

zum reinen Sternbild eines jener Tänze,

darin wir die dumpf ordnende Natur

vergänglich übertreffen. Denn sie regte

sich völlig hörend nur, da Orpheus sang.

Du warst noch die von damals her Bewegte

und leicht befremdet, wenn ein Baum sich lang

besann, mit dir nach dem Gehör zu gehn.

Du wusstest noch die Stelle, wo die Leier

sich tönend hob—; die unerhörte Mitte.

Für sie versuchtest du die schönen Schritte

und hofftest, einmal zu der heilen Feier

des Freundes Gang und Antlitz hinzudrehn.

29

Stiller Freund der vielen Fernen, fühle,

wie dein Atem noch den Raum vermehrt.

Im Gebälk der finstern Glockenstühle

lass dich läuten. Das, was an dir zehrt,

wird ein Starkes über dieser Nahrung.

Geh in der Verwandlung aus und ein.

Was ist deine leidendste Erfahrung?

Ist dir Trinken bitter, werde Wein.

Sei in dieser Nacht aus Übermass

Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne,

ihrer seltsamen Begegnung Sinn.

Und wenn dich das Irdische vergass,

zu der stillen Erde sag: Ich rinne.

Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin.