VIERZEHN

ALBERT LAUFENBERG & SVENJA SPIELMANN

– Ich rede nicht mit Journalisten.

– Schade. Ein Exklusiv-Interview in unserer Zeitung würde Ihnen nämlich entgegenkommen. Wesentlich mehr als die Spekulationen, die meine Kolleginnen und Kollegen anstellen werden, sobald die ganze Sache hier an der großen Glocke hängt.

– Welche Spekulationen?

– Sie wissen doch, was jetzt auf Sie zukommt, oder? Zuerst verdächtigt man doch immer die Familienangehörigen, in den allermeisten Fällen sind die Täter im direkten Umfeld der Ermordeten zu finden. Die Kripo wird sich garantiert an Ihnen festbeißen, die werden Ihnen das Leben schwermachen, und die Öffentlichkeit wird das natürlich mitbekommen. Man wird Sie höchstwahrscheinlich vorverurteilen, Sie wissen ja, wie die Menschen sind. Deshalb würde es wohl ein gutes Bild abgeben, wenn Sie sich gleich öffentlich äußern. Würde nicht gut aussehen, wenn Sie sich weigern, über den Tod Ihrer Mutter zu sprechen.

– Ich weigere mich doch nicht.

– Nicht?

– Was wollen Sie denn von mir?

– Ich verspreche Ihnen, dass ich fair mit Ihnen sein werde.

– Sie müssen mir gar nichts versprechen. Lassen Sie mich doch bitte einfach in Ruhe meinen Rum trinken. Ist doch schlimm genug, was passiert ist, oder? Sie müssen nicht noch in der Wunde bohren, es tut so schon weh genug.

– Das kann ich mir gut vorstellen. Ist bestimmt schwer zu ertragen, das alles. Wie ich gehört habe, wurde Ihrer Mutter der Kopf abgetrennt.

– Um Himmels willen, woher wissen Sie das?

– Ist mein Job, das zu wissen.

– Ich verstehe das alles nicht.

– Jemand muss sehr wütend auf sie gewesen sein. Einen Menschen zu töten ist nämlich eine Sache, aber das Opfer dann noch zu verstümmeln, eine andere. Ist bestimmt auch nicht ganz leicht, das zu bewerkstelligen. Ich schätze mal, dass ein Sägemesser verwendet wurde. Ein Küchenwerkzeug vielleicht.

– Was reden Sie denn da? Diese Details dürften Sie doch eigentlich gar nicht kennen. Die Kripo ist doch noch im Haus? Die werden doch kaum so wahnsinnig sein und solche Informationen vorab an die Medien geben.

– Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie die Dinge jetzt nicht mehr in der Hand haben. Alles ist in Bewegung, die Leute reden, machen sich Gedanken, bilden sich Meinungen. Sie sollten diese Gelegenheit wirklich nutzen und mit mir reden. Noch haben Sie alles unter Kontrolle, Sie können bestimmen, was in der Zeitung steht und was nicht. Sie können das Schlimmste verhindern.

– Ich wüsste nicht, was ich Ihnen erzählen könnte.

– Sie sind also dabei?

– Von mir aus.

– Exklusiv?

– Ich werde das bestimmt kein zweites Mal machen.

– Das Gespräch wird aufgezeichnet. In Ordnung?

– Wie Sie wollen. Aber machen Sie schnell, ich bin sehr erschöpft. Was heute passiert ist, übersteigt alles, was ich mir jemals vorstellen konnte. Was ich gesehen habe, ist entsetzlich. Was mit meiner Mutter passiert ist. Ich habe zwar schon viele Jahre lang getrauert, war mir sicher, dass etwas Schreckliches geschehen ist, trotzdem wirft mich das jetzt völlig aus der Bahn.

– Hatten Sie ein gutes Verhältnis zu ihr?

– Mehr als das. Meine Mutter und ich, wir haben nicht nur gemeinsam das Unternehmen geführt, wir waren ein Herz und eine Seele.

– Tatsächlich?

– Mir ist klar, wie das klingt, aber in unserem Fall war es wirklich so. Seit ich denken kann, war meine Mutter der wichtigste Mensch für mich. Als sie verschwunden ist, ist eine Welt für mich zusammengebrochen.

– Was ist mit Ihrer Frau? Sie ist also nur der zweitwichtigste Mensch in Ihrem Leben?

– So habe ich das nicht gemeint. Natürlich ist meine Frau der Mittelpunkt von allem, sie ist meine große Liebe, wir sind seit fünfundzwanzig Jahren zusammen, wir haben zwei wunderbare Kinder miteinander. Trotzdem war das Verhältnis zu meiner Mutter prägend für mich. Sie hat mich großgezogen, mir gezeigt, was man alles erreichen kann, wenn man an seine Ziele glaubt.

– Sie handeln mit Immobilien, richtig?

– Ja. Und das seit mittlerweile vierzig Jahren. Sehr erfolgreich.

– Sie haben nach der Wende mit Geld aus dem Westen zahlreiche Immobilien in Ostdeutschland erworben. So wie es aussieht, hat Ihre Mutter die Gunst der Stunde damals genutzt.

– Sie haben sich gut informiert.

– Ja. Und deshalb weiß ich auch, dass das Geld, mit dem Sie damals gearbeitet haben, aus durchaus obskuren Kreisen gekommen ist.

– Ach, bitte verschonen Sie mich jetzt mit diesen alten Geschichten.

– Bikerszene, Prostitution, Drogen.

– Das ist doch schon gar nicht mehr wahr, so lange ist das her. Das Investment wurde zurückbezahlt, es gibt seit Ende der Neunziger keine Verbindung mehr zu diesen Leuten, dieses Kapitel ist dem Himmel sei Dank abgeschlossen. Zudem sollten Sie wissen, dass es nie irgendwelche Ermittlungen in unsere Richtung gab, wir haben mit bestem Gewissen gehandelt, und als uns klar wurde, mit wem wir uns da eingelassen hatten, haben wir die Geschäftsbeziehungen sofort beendet.

– Woher kannte Ihre Mutter diese Leute?

– Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ich weiß nur, dass meine Mutter es zustande brachte, das Kapital dieser Leute innerhalb weniger Jahre zu verfünffachen. Sie hatte ein goldenes Händchen.

– Sie haben Geld für diese Leute gewaschen, oder?

– Unsinn.

– Vielleicht war ja jemand sauer auf Ihre Mutter. Hat bestimmt nicht jedem gefallen, als die lukrativen Geschäfte im Osten plötzlich vorbei waren.

– Sie zimmern sich da gerade eine Räubergeschichte zusammen. Die ehemaligen Geschäftspartner meiner Mutter haben mit ihrem Tod nichts tun, glauben Sie mir.

– Aber das würde doch optimal passen. Die Methode. Vielleicht wollte man sie ja damals dazu bewegen, die Geschäftsbeziehungen wieder aufzunehmen. Sie hat abgelehnt und musste sterben.

– Das ist doch völliger Unsinn.

– Ist es das?

– Es gefällt mir nicht, in welche Richtung sich dieses Gespräch entwickelt.

– Das tut mir leid. Ich möchte nur alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, mit Ihnen gemeinsam überlegen, wer für den Tod Ihrer Mutter verantwortlich sein könnte. Ich bin hier, um zu helfen.

– Sind Sie das?

– Lassen Sie den Gedanken doch einen Moment lang zu. Dass es so gewesen sein könnte. Vielleicht ist es ja wirklich so einfach. Sie hat sich mit den falschen Leuten eingelassen und teuer dafür bezahlt. Klingt für mich absolut nachvollziehbar. Das Motiv wäre dann Habgier, kommt in Ihrem Business wohl öfter vor, oder?

– Wenn Sie nur das Geschäftsgebaren unserer Firma anprangern wollen, ist das Gespräch hiermit beendet.

– Verzeihen Sie mir. Aber ich muss Ihnen auch solche Fragen stellen, Vermutungen in den Raum stellen. Wenn ich es nicht mache, werden es andere tun, und das wissen Sie.

– Diese Vermutungen sind falsch. So kann es nicht gewesen sein. Wir haben das damals endgültig beendet. Gütlich, verstehen Sie. Hat uns viel Geld und Nerven gekostet. Meine Frau und ich haben wegen dieser Dinge viel durchmachen müssen, wir mussten mit öffentlichen Anfeindungen leben, die Medien haben beinahe unseren Ruf ruiniert. Eine unglaubliche Zeit war das. Aber wir haben es ausgestanden, haben an die Zukunft geglaubt. Meine Frau, meine Mutter und ich. Wir waren auf dem richtigen Weg.

– Doch dann ist Ihre Mutter verschwunden.

– Ja. Von einem Tag auf den anderen war sie weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Eine Katastrophe war das.

– Sie haben damals vermutet, dass sie entführt wurde, oder?

– Ich ging hundertprozentig davon aus. Es war allen klar, dass ein Verbrechen passiert sein musste. Niemand verschwindet einfach so.

– Sie haben damals eine hohe Belohnung ausgesetzt, für denjenigen, der den entscheidenden Hinweis bringt.

– Ja, aber es hat leider nichts gebracht.

– Es wurde auch nie Lösegeld gefordert, oder?

– Nein.

– Ihre Mutter war freiwillig in der Wohnung. Es sieht danach aus, dass sie hier Urlaub gemacht hat. Ist doch so, oder?

– Ja. Danach sieht es aus.

– Wenn Ihr Verhältnis so gut war, wie kann es sein, dass Sie nichts davon wussten? Wenn sie vorhatte für mehrere Tage nach Tirol zu fahren, hätte sie Ihnen das doch eigentlich mitteilen müssen, oder?

– Stimmt. Ich verstehe das auch nicht. Ich weiß nicht, was sie hier wollte.

– Angeblich hatte sie eine Affäre.

– Ich kann mir das schwer vorstellen.

– Sie haben den Tatort ja gesehen. Die Kleider auf dem Boden, das zweite Gedeck am Frühstückstisch, es sieht alles danach aus, als hätte Ihre Mutter Besuch gehabt.

– An einen unbekannten Liebhaber glaube ich nicht. Sie hat über alles mit mir gesprochen, auch über ihr Liebesleben. Sie war immer stolz darauf, wenn sie vorübergehend wieder jemandem den Kopf verdreht hat. Sie hat sich dadurch jung gefühlt, wollte uns zeigen, dass sie durchaus noch in der Lage ist, die Firma zu führen. Wenn sie in Tirol ein Verhältnis gehabt hätte, wüsste ich das.

– Vielleicht war es ja jemand, der Wert darauf gelegt hat, dass dieses Verhältnis geheim blieb.

– Und wer sollte das gewesen sein?

– Ein verheirateter Mann vielleicht? Ein Politiker? Ein Geschäftspartner Ihrer Mutter?

– Kann ich mir nicht vorstellen. Nicht in Tirol. Sie kannte hier so gut wie niemanden.

– Eine Nachbarin hat bestätigt, dass Ihre Mutter regelmäßig Besuch bekam.

– Na gut, dann gehen wir eben davon aus, dass es diesen Geliebten wirklich gegeben hat. Dann erklären Sie mir doch bitte, warum sollte er so etwas getan haben? Was hätte er für ein Motiv gehabt, sie zu töten?

– Kränkung? Zurückweisung? Vielleicht wollte sie das Ganze beenden, und er hat nicht damit umgehen können? Sie hatte das Pech, an einen Verrückten zu geraten? Es kam zum Streit, und er hat sie umgebracht.

– Sehr unwahrscheinlich, oder?

– Aber möglich.

– Warum sollte er ihr den Kopf abgeschnitten haben?

– Es gibt mehr Psychopathen da draußen, als Sie denken.

– Wie heißt der Mann, von dem Sie gesprochen haben? Dieser angebliche Geliebte, wer soll das sein?

– Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Noch nicht. Aber ich bin dran an der Sache. Ich möchte auf jeden Fall mit ihm reden, bevor die Polizei ihn in die Mangel nimmt.

– Sollten Sie etwas herausfinden, wäre es sehr freundlich von Ihnen, wenn Sie mich kontaktieren würden.

– Ich verspreche Ihnen, dass ich mein Wissen mit Ihnen teilen werde.

– Das ist sehr freundlich von Ihnen.

– Gerne. Im Großen und Ganzen sind wir auch schon fertig mit dem Interview. Nur noch eine Frage hätte ich. Sie werden sie demnächst ohnehin beantworten müssen, also werden Sie jetzt bitte nicht wütend.

– Worum geht es?

– Wo waren Sie damals eigentlich?

– Was meinen Sie?

– Als Ihre Mutter ermordet wurde. Wo waren Sie da?

– Woher soll ich denn wissen, wann sie ermordet wurde?

– Es wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit um den 27.02.1999 gehandelt haben.

– Woher wissen Sie das? Können Sie hellsehen?

– Nicht wirklich, ich zähle nur eins und eins zusammen, genauso, wie die Polizei es tun wird. Alle Indizien sprechen dafür, dass es an diesem Tag passiert ist. Deshalb die Frage, die Ihnen die Kripo bestimmt auch bald stellen wird. Wo waren Sie damals?

– Sie verdächtigen mich?

– Es ist nur eine Frage, und zwar eine berechtigte.

– Dieses Gespräch nimmt groteske Züge an, finden Sie nicht?

– Könnte doch sein, dass Sie Ihre Mutter loswerden wollten, oder?

– Sie sind witzig. Die Art und Weise, wie Sie Interviews führen, dürfte einzigartig sein.

– War das ein Kompliment?

– Vielleicht war es das, ja.

– Sie nehmen es mir wirklich nicht übel, dass ich Ihnen einen Mord unterstelle?

– Nein. Sie haben ja recht. Rein theoretisch könnte ich es gewesen sein. Man würde bestimmt ein schönes Motiv finden, wenn man lange genug gräbt. Unüberwindbare Differenzen mit meiner Mutter. Die Firma, Streit um die Richtung, die sie eingeschlagen hat. Würde alles passen, aber leider ist es tatsächlich so, wie ich Ihnen gesagt habe. Ich habe meine Mutter geliebt. Vielleicht sogar mehr, als gut war. Aber das ist auch schon das Einzige, was man mir vorwerfen kann.

– Und was ist jetzt mit dem Alibi?

– Wer kann sich schon daran erinnern, was er an einem bestimmten Tag vor zwanzig Jahren getan hat. Ich kann Ihnen das im Moment nicht beantworten, werde es aber umgehend herausfinden.

– Das ist sehr freundlich von Ihnen.

– Meine Assistentin wird sich darum kümmern. Mit großer Wahrscheinlichkeit war ich aber in Leipzig, wir haben damals Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um meine Mutter zu finden. Ich war Tag und Nacht im Einsatz, als sie verschwunden ist.

– Würden Sie so freundlich sein, mir bis spätestens morgen Vormittag zu sagen, wo Sie sich aufgehalten haben? Wäre gut für den Artikel. Sie könnten sich reinwaschen, bevor die Polizei und die Öffentlichkeit überhaupt beginnt, Sie zu verdächtigen.

– Wie kann es sein, dass Sie so gut über alles Bescheid wissen?

– Kann ich Ihnen leider nicht sagen.

– Wann erscheint der Artikel?

– Ich schätze mal, morgen Abend online und übermorgen früh in der gedruckten Ausgabe. Wir warten nur noch darauf, dass die Polizei die Sache offiziell macht.

– Brauchen Sie noch ein aktuelles Foto von mir?

– Haben wir bereits. Vom Tatort, als Sie mit dem leitenden Ermittler gesprochen haben.

– Sie haben Bilder von mir gemacht?

– War mein Kollege. Ist zwar ein Spinner, aber ein guter Fotograf. Er hat Sie bestimmt gut getroffen, Sie müssen sich keine Sorgen machen.

– Ich weiß gerade nicht mehr, ob es klug war, mich auf dieses Gespräch einzulassen. Irgendetwas stimmt hier nicht, ich sollte doch eigentlich mit den Beamten sprechen und nicht mit Ihnen.

– Sie werden Ihre Entscheidung nicht bereuen, das verspreche ich Ihnen. Ich werde respektvoll mit dem umgehen, was Sie mir erzählt haben.

– Hoffentlich. Trotzdem werde ich jetzt auf mein Zimmer gehen.

– Zu Ihrer Frau? Wie mir der Rezeptionist erzählt hat, sind Sie zusammen hier, richtig?

– Ja.

– Was sagt sie zu der ganzen Sache?

– Lassen Sie bitte meine Frau aus dem Spiel.

– Das wiederum kann ich Ihnen leider nicht versprechen.