ACHTUNDDREISSIG

ALBERT LAUFENBERG & DAVID BRONSKI

– Schön, dass du gekommen bist, David. War eine sehr würdige Verabschiedung, findest du nicht auch?

– Dafür wirst du bluten. Für alles, was du getan hast.

– Jetzt sofort? Willst du es gleich vor dem netten Polizisten dort drüben erledigen? Würde ihm bestimmt gefallen, wenn du hier auf mich losgehst.

– Wo ist sie? Wo hat dieser Scheißkerl sie hingebracht?

– Du meinst deinen Freund Kurt? Ein lieber Kerl, sehr motiviert, ich bin immer wieder erstaunt, wozu Menschen fähig sind. Ich meine solche, die eigentlich schon am Abgrund stehen.

– Du solltest mir jetzt besser sagen, was ich wissen will.

– Sonst? Prügelst du mich tot? Wir wissen doch beide, dass du dazu nicht in der Lage bist. Du bist eher der gelassene Typ, Gewalt steht dir nicht. Wobei ich natürlich verstehe, dass du das Bedürfnis hast, mir zu drohen. Das Schicksal hat dir wirklich übel mitgespielt.

– Dass dieser Bulle hier rumsteht, wird mich davon abhalten, dir wehzutun. Für das, was du unserer Familie angetan hast, wirst du bezahlen.

– Das werden wir ja sehen. Aber lass uns doch ein Stück gemeinsam gehen. Du könntest mich doch zu meinem Wagen begleiten, du musst nämlich wissen, ich liebe es, mit Freunden spazieren zu gehen. Beruhigt die Nerven, vor allem auf so einem hübschen Friedhof. All die Toten hier strahlen so viel Ruhe aus, oder?

– Sag mir, wo sie ist.

– Deine Tochter ist in Sicherheit.

– Wo, verdammt noch mal, ist sie.

– Dazu kommen wir gleich. Ich würde dir vorher gerne in meinem Wagen etwas zeigen, etwas wirklich Originelles, das ich für dich vorbereitet habe. Und außerdem interessiert es mich brennend, wie das Wiedersehen für dich war. Etwas kurz, wie ich gehört habe, aber doch bestimmt wunderschön, oder? Muss ein unbeschreibliches Gefühl sein, seinem eigenen Kind nach so vielen Jahren wieder zu begegnen.

– Was hast du ihr angetan?

– Nichts. Warum sollte ich ihr etwas angetan haben? Ich habe deine Tochter immer fair behandelt. Auch wenn sie nicht meine war, ich habe versucht, ihr ein guter und liebevoller Vater zu sein. Ist mir zugegebenermaßen nicht besonders gut gelungen, aber was soll’s. Am Ende ist sie zweiundzwanzig Jahre alt geworden, das schaffen nicht alle, die das Pech haben, in solche sozialen Verhältnisse hineingeboren zu werden. Labile Mutter, depressiv, überfordert, abwesender Vater, Kinder solcher Eltern haben gewöhnlich keine Perspektiven.

– Ich soll mir diesen Dreck wirklich anhören?

– Das wäre von Vorteil, ja. Und vor allem gesünder für deine Tochter. Es ist wichtig, dass du begreifst, dass ich das alles sehr ernst meine. Dass ich zu Dingen fähig bin, die du nicht für möglich hältst.

– Du drohst mir?

– Nein, ich möchte nur deine Aufmerksamkeit. Wie gesagt, ich würde dir gerne die Wahrheit sagen. Ist nämlich auch für mich befreiend, endlich reinen Tisch zu machen. Ich schleppe das alles schon so lange mit mir herum. War wirklich an der Zeit, ein bisschen Ordnung zu schaffen, die Dinge in die richtigen Bahnen zu lenken. Und für dich ein bisschen Licht in die ganze Sache zu bringen. Ich stelle mir das fürchterlich vor, keine Gewissheit zu haben, ständig im Dunklen zu tappen. Obwohl ich sagen muss, dass du dich gut geschlagen hast. Deine reizende Schwester auch. Ihr habt ein Stöckchen nach dem anderen aufgesammelt und euch euren eigenen Reim darauf gemacht. An dieser Stelle ein großes Kompliment dafür.

– Steck dir deine Komplimente sonst wohin und mach lieber deinen Mund auf. Ich weiß nicht, wie lange ich mich noch zurückhalten kann.

– Wenn ich dir einen Rat geben darf, solltest du das noch ein wenig durchhalten und deine Chance nutzen, um endlich Klarheit zu bekommen. Wir haben nämlich nicht viel Zeit, dein Freund Kurt könnte jederzeit einen Fehler machen und der Verantwortung, die ich ihm übertragen habe, nicht gewachsen sein.

– Was ist mit ihm? Wo hat er sie hingebracht? Und woher kennst du diesen Dreckskerl überhaupt?

– Sehr gute Fragen. Jetzt hast du das Spiel verstanden. Wir fangen also mit deinem Kollegen Kurt an. Es war wirklich ein Glücksfall, auf ihn zu treffen. Ein alkoholkranker, spielsüchtiger Freund des Mannes, den es galt, auf die richtige Spur zu bringen. Der perfekte Mitarbeiter. Er hat zwar ein paar Tage gebraucht, bis er sich dazu durchgerungen hat, mitzuspielen, aber letztendlich hat er alles perfekt umgesetzt. Der Mann war ein Geschenk. Als ich Erkundigungen über dich eingezogen habe, fiel er mir quasi in die Hände, niemand hätte sich besser als Handlanger geeignet als er.

– Er hat das Foto in der Wohnung platziert, richtig?

– Ja. Aber du darfst ihm bitte nicht böse sein, der Mann ist wirklich am Ende. Betrunken, sobald die Sonne aufgeht. Nur das Koks, das ich ihm gegeben habe, hält ihn im Moment auf den Beinen. Ein armer Teufel ist das. Er wird diese Geschichte wohl genauso wenig überleben wie mein alter Freund Schulte. Wie du vielleicht schon gehört hast, hatte er einen bedauerlichen Unfall. Jemand hat ihn einfach totgefahren. Ein schreckliches Gemetzel war das. Du hättest bestimmt tolle Portraits machen können, wenn du da gewesen wärst. Bizarre Bilder. Bekommt man nur schwer wieder aus dem Kopf, aber du kennst das ja.

– Du warst das?

– Ich würde es so niemals sagen. Aber ich bin nicht traurig darüber, dass er nicht mehr unter uns weilt. Seit zwanzig Jahren lag mir der Mann auf der Tasche, nur weil er mir hin und wieder einen Gefallen getan hat. Ein nimmersatter Schmarotzer, hat den Hals nie vollbekommen. Allein dafür, dass er diesen Kurt auf Schiene gebracht hat, habe ich ihm ein kleines Vermögen bezahlt.

– Warum erzählst du mir das alles?

– Ich möchte, dass man mich ernst nimmt. Schulte hat das leider nicht getan. Obwohl er so ein kreativer Kopf war. Er hat mir damals sehr geholfen, als das mit meiner Mutter passiert ist. Wenn er nicht gewesen wäre, würde sich der nette Herr von der Polizei da drüben auf mich konzentrieren, und nicht auf dich.

– Was soll das heißen?

– Er war sehr interessiert an Ethnologie, Bräuche und Riten anderer Völker, tatsächlich sehr ungewöhnlich für einen Biker.

– Der Kopf deiner Mutter.

– Ja. Er hat ihn damals für mich abgetrennt und ausgekocht. Ich hätte es nicht übers Herz gebracht, ihr das anzutun. Er aber hat das Ganze konsequent durchgezogen. Eine Riesensauerei muss das gewesen sein, unvorstellbar, was er da geleistet hat. Er hat ihr den Skalp abgezogen, so wie du es vielleicht aus alten Indianerfilmen kennst, er hat alles an Haut und Fleisch weggeschnitten, was an dem Kopf dran war, den Rest hat er im Kochtopf erledigt. Hat Stunden gedauert, bis nur noch der Schädel übrig war.

– Er hat sie getötet?

– Nein. Er hat nur dafür gesorgt, dass ich ein kleines Souvenir behalten kann.

– Das mit dem falschen Alibi stimmt also. Die Zeitung auf dem Tisch, das Datum, du hast das alles arrangiert?

– Schulte, nicht ich. Auch hier hat er ganze Arbeit geleistet. Er hat da eine wirklich geniale Idee gehabt.

– Du warst es also. Hast deine eigene Mutter umgebracht.

– Auch das würde ich offiziell nicht bestätigen. Es war wohl eher ein bedauerlicher Unfall. Meine Mutter hat ein paar Dinge gesagt und getan, die wohl niemand einfach so hingenommen hätte. Zum einen wollte sie tatsächlich diesen Tiroler Dorftrottel heiraten und damit die Zukunft der Firma aufs Spiel setzen, und zum anderen hat sie es nicht sonderlich begrüßt, dass meine Frau und ich ein Kind bekommen haben.

– Ihr habt also ein Kind bekommen. So nennst du das? Entführst mein Baby und sagst mir das ins Gesicht?

– Ja. Wir waren überglücklich, dass es endlich geklappt hat. So viele Jahre hatte meine Frau versucht schwanger zu werden, wir haben es immer und immer wieder versucht, aber es sollte nicht sein. Unsere Beziehung wäre beinahe daran gescheitert, aber siehe da, plötzlich fügte sich alles zum Guten. Wir haben Urlaub gemacht in Tirol. Hatten ein herrliches Haus gemietet in Kitzbühel, Margit war mit dem Zug nach Innsbruck gefahren und wollte einkaufen. Und dann war da plötzlich diese Frau. Und dieses kleine, hilflose Baby. Margit hat ganz spontan reagiert, sie hat sich in den nächsten Zug zurück nach Kitzbühel gesetzt und ist zu mir gekommen. Schau mal, was ich da habe , hat sie gesagt. Ein Mädchen. Ohne viele Worte haben wir uns umarmt und beschlossen, das Geschenk anzunehmen, das uns der Himmel gemacht hat.

– Der Himmel? Du mieses Dreckschwein.

– Ja, wir hatten wirklich großes Glück. Und wir haben dieses Glück angenommen. Schnell waren wir uns einig, dass unser Baby Rebecca heißen und bei uns aufwachsen soll. Mit viel Einfallsreichtum und Geschick haben wir es möglich gemacht, dass nie jemand misstrauisch wurde und Fragen gestellt hat. Wir waren während der Schwangerschaft viel auf Reisen, keiner hat am Ende daran gezweifelt, dass es unser Kind ist. Es lief alles gut. Es war ein Kinderspiel. Nur meine Mutter hat Probleme gemacht. Sie wollte es einfach nicht akzeptieren, dass wir glücklich waren. Sie hat gesagt, dass sie sich um das Kind kümmern wird, weil ich dazu gar nicht fähig wäre. Verrückterweise hat sie mir irgendwann sogar vorgeschlagen, es mir abzukaufen. Sie wollte es ihrem Geliebten schenken, kannst du dir das vorstellen. Sie hat völlig die Kontrolle über ihr Leben verloren, es war offensichtlich, dass sie alles ruinieren würde. Gott sei Dank ist sie gestorben, bevor sie größeren Schaden anrichten konnte. War eine gute Entscheidung, die Firma steht so gut da wie noch nie. Ich expandiere. Und da wir die Gute nun endlich eingegraben haben, habe ich auch die nötigen Mittel dazu.

– Wegen des Geldes also. Deshalb sollte ich sie finden? Damit du erbst?

– Nicht nur. Das wäre zu einfach.

– Warum dann?

– Ein klein wenig Geduld noch. Wie versprochen werde ich dir jetzt in meinem Wagen etwas zeigen.

– Ich soll mit dir ins Auto steigen? Gerne. Dann werde ich dir endlich deine verfluchte Fresse einschlagen.

– Wirst du nicht. Wie du siehst, hat uns der nette Beamte die ganze Zeit begleitet. Er beobachtet uns immer noch. Wartet nur darauf, dass du einen Fehler machst. Ich habe ihn gut auf alles vorbereitet, ihm gesagt, dass du gewaltbereit bist, dass du mir höchstwahrscheinlich etwas antun willst, weil du aus irgendeinem Grund davon überzeugt bist, ich hätte deine Tochter entführt. Zudem habe ich ihm gegenüber auch meine Vermutung geäußert, dass du der Mörder meiner Mutter bist. Er hat das netterweise sehr ernst genommen. Deshalb ist er auch nicht allein gekommen. Wenn du genau hinsiehst, kannst du die uniformierten Kollegen da vorne sehen. Und die zwei Einsatzwägen da hinten, der Mann scheint wohl mit dem Schlimmsten zu rechnen. Und das bedeutet wohl, dass ich in Sicherheit bin.

– Drehst du jetzt völlig durch? Ich soll deine Mutter umgebracht haben?

– Ja, so habe ich mir das ausgedacht. Das wird das Finale. Aber jetzt steig erst mal ein, dann schauen wir uns schnell noch ein kleines Filmchen an. Dein Freund Kurt hat es gemacht. Ziemlich eindrucksvoll und effektiv, du wirst sehen. Wird dir gefallen, mein Lieber.