Ich war verzweifelt und sprachlos und wütend.
Ich wollte, dass er still ist, dass er aufhört, all diese Dinge zu sagen. Ich wollte ihm den Mund zuhalten, ihm die Luft nehmen, ihm wehtun. In den zehn Minuten, in denen wir über den Friedhof spaziert sind, habe ich mir überlegt, was ich ihm antun könnte. Während ich neben ihm herging und hörte, was er mir erzählte, habe ich ihn geschlagen, ihn getreten, bis er nur noch dalag und wimmerte. In Gedanken habe ich ihm alle Finger gebrochen, ich habe seinen Kopf genommen und ihn gegen einen Grabstein geschlagen.
Je mehr er preisgab, desto mehr entglitt es mir.
Ich war so gewalttätig, wie ich es mir in meinen schlimmsten Alpträumen nicht ausmalen hätte können.
Albert Laufenberg sollte bezahlen.
Ich wünschte es mir.
Doch ich blieb ruhig.
Zwang mich, all die Wut und die Verzweiflung hinunterzuschlucken. Ich hörte weiter zu, anstatt ihm die Nase zu brechen. Ich stieg mit ihm in den Wagen, anstatt ihn zu würgen.
Ich war der Narr, den er ausgesucht hatte, für ihn zu tanzen.
Anna und Weichenberger schauten dabei zu.
Alles war so, wie er es geplant hatte.
Laufenberg saß neben mir und drückte mir ein iPad in die Hand.
Mit einem Grinsen im Gesicht drückte er auf Play.
Was ich die ganze Zeit über befürchtet hatte, geschah.
Der kleine Film, den er für mich hatte aufnehmen lassen, katapultierte mich aus der Bahn. Alles, was ich erhofft hatte, seit ich Judith in Hamburg gegenübergesessen war, löste sich auf. Die Hoffnung, die da war. Der Mut, den mir Svenja gemacht hatte. Alles verschwand. Es blieb nur der Schrecken, das Entsetzen in mir, und die Ohnmacht. Nichts tun zu können, es nicht ändern zu können, das Ende, das er für mich vorgesehen hatte.
Laufenberg hatte gewonnen. Mich in die Knie gezwungen, mich gedemütigt, mir gezeigt, dass er es war, der die Fäden in der Hand hielt. Niemand sonst. Er war das Böse, das mich verschluckte.
Seine Lust zu zerstören überrollte mich. Seine Freude daran, mir zu zeigen, wozu er fähig war. Seine perfide Art, Macht zu demonstrieren. Er genoss es. Mir dabei zuzusehen, wie ich aufgab. Mich sorgte. Fürchtete.
Vor diesem Mann, der das Video gemacht hatte.
Kurt Langer.
Sein Gesicht in Großaufnahme.
Er hielt das Handy in seiner Hand, filmte sich selbst.
Ich schaute in seine weit aufgerissenen Augen, ich sah, wie sich seine Lippen bewegten, hörte, was er mir sagte.
Tut mir leid, Bronski.
Aber das hier hat sich so ergeben.
Ist nichts Persönliches. Hat nichts mit uns beiden zu tun.
Ich komme da nicht mehr raus.
Ich muss das hier tun, Bronski.
Pech für dich, Bruder.
Er war betrunken. Hatte gekokst. Es war offensichtlich.
Wie er sprach, wie aufgekratzt er war, Kurt rotierte. Er entschuldigte sich, rechtfertigte, was er tat, er winselte um Verständnis, war im nächsten Moment aber wieder der kranke Mistkerl, der mir das alles antat. Der Mann, der Judith an den Haaren aus Hamburg weggezerrt hatte, um sie irgendwo einzusperren und mir zu drohen. Der Kollege von früher, dem ich so etwas nie zugetraut hätte.
Der Teufel, vor dem ich jetzt Angst hatte.
Wenn es sein muss, lass ich sie krepieren, Bronski.
Ich habe nichts mehr zu verlieren, glaub mir.
Du solltest tun, was dieser Psychopath von dir will.
Dein Mädchen wird sonst nicht mehr aufwachen.
Wäre schade um sie.
Judith.
Kurt drehte das Handy um.
Filmte, was da noch war.
Ich hörte nur noch seine Stimme.
Und sah, wie sie regungslos da lag.
In ihrem Unterarm die Leitung, die Kurt ihr gelegt haben musste, eine Infusion. Am Lampenschirm befestigt ein Beutel, Tropfen für Tropfen verschwand im Arm meiner Tochter, die mit Kabelbindern und Unmengen Klebeband auf den Tisch gefesselt war.
Du weißt ja, ich war mal Krankenpfleger.
Bevor ich mit der Fotoscheiße angefangen habe.
Bevor mich der ganze Dreck kaputt gemacht hat.
Wir haben beide zu viel gesehen, Bronski.
Zu viele Tote.
Ich hörte diesen Wahnsinnigen reden.
Und sah Judith.
Ich hatte keine Ahnung, wo er sie hingebracht hatte. Ob dieser Irre imstande war, sie am Leben zu halten. Ob er sie nicht ohnehin schon getötet hatte. Ob sie noch atmete.
Ich starrte auf ihren Brustkorb, versuchte zu sehen, ob er sich noch hob und senkte.
Laufenberg will, dass du in den Bau gehst.
Du gestehst, dass du die Alte umgebracht hast.
Und ich wecke dein kleines Mädchen wieder auf.
Ist ganz einfach, Bronski.
Er drehte das Handy wieder.
Judith war weg. Kurt wieder da.
Er hielt jetzt eine Flasche Schnaps in der Hand.
Er trank. Und drohte mir.
Ich weiß nicht genau, was ich ihr gegeben habe.
Ob es zu viel war. Ich bin kein Arzt, Bronski.
Ich weiß nur, dass sie jetzt endlich still ist. Die Schnauze hält.
Dein Mädchen ist im Koma. Ist besser so. Dann redet sie nicht.
Ich will nämlich nicht reden.
Nicht mit deiner Tochter. Nicht mit dir. Nicht mit Laufenberg.
Ich will nur das verdammte Geld.
Also mach, was er sagt.
Dann ist alles gut.
Kurz machte ich die Augen zu.
Dann drehte ich mich zu Laufenberg.
Er nickte nur. Deutete auf den Bildschirm.
Kurt machte weiter. Sagte ein Gedicht auf, das Laufenberg ihn gezwungen hatte, auswendig zu lernen.
Geh, und sag dem Scheißbullen da draußen, dass du es warst.
Dann wird dein Mädchen überleben.
Kurt trank.
Konnte das Handy nicht mehr halten.
Es fiel ihm aus der Hand.
Ich sah die holzgetäfelte Zimmerdecke.
Und wie Kurt sich bückte. Ich hörte, wie er fluchte.
Dann nahm er das Handy und stoppte die Aufnahme.
Der Bildschirm wurde schwarz.
Laufenberg nahm mir das iPad aus der Hand.
Ruhig und gelassen fuhr er mit dem Irrsinn fort.
Dein Freund scheint nicht besonders zuverlässig zu sein.
Könnte sein, dass er das Ganze versaut.
Er scheint nervös zu sein.
Der Schnaps und das Kokain machen es auch nicht besser.
Du solltest die Sache also sehr ernst nehmen.
Und tun, was er sagt.
Ich sollte mich zu einem Mord bekennen, den ich nicht begangen hatte. Ich sollte ins Gefängnis gehen, um meine Tochter zu retten.
Es ist ganz einfach, sagte er.
Laufenberg erklärte mir, was ich sagen sollte.
Dass ich damals schon daran geglaubt hatte, dass die Laufenbergs meine Tochter entführt hatten. Das war mein Motiv. Ich sei besessen gewesen von der Idee, dass Zita für alles verantwortlich gewesen war. Aus Verzweiflung hätte ich sie mit einem Kissen erstickt. Aus Wut ihr den Kopf abgeschnitten und ihn mit nach Hause genommen.
In meine Dunkelkammer.
Die Polizei wird ihn dort finden, sagte Laufenberg.
Den Schädel, den der gute Schulte für mich präpariert hat.
Ich habe ihn bei meinem Besuch dort für die Polizei zurechtgelegt.
Als du auf der Toilette warst. Im obersten Regal ganz rechts.
Du gestehst und sagst ihnen, wo der Kopf ist.
Und wir wecken deine Tochter wieder auf.
So einfach ist das.
Einmal grinste er mich noch an.
Bestimmt wird sie dich im Gefängnis besuchen.
Du wirst sehen, das wird schön.
Dann beugte er sich über mich und öffnete die Tür.