Benny

Daran erinnere ich mich noch! Ein paar Tage danach kam mein Dad mit einem großen Pappkarton nach Hause, und als ich ihn öffnete, war ein Mondglobus darin. Ich war total aufgeregt. Mein eigener Mond! Er erzählte, dass er ihn in einem Antiquitätenladen gefunden hätte, und meine Mom schimpfte mit ihm, weil er einem Kind keine so teuren Geschenke machen dürfe, denn Kinder könnten das überhaupt nicht wertschätzen. Und außerdem könnten sie es sich nicht leisten. Ich weiß noch, dass mich ihr Streit völlig fertiggemacht hat, weil ich den Globus sofort ins Herz geschlossen hatte und auf keinen Fall wollte, dass Mom mich zwang, ihn zurückzugeben. Aber das hat sie auch nicht. Und dann hat mir Dad die Leuchtsterne gekauft und an die Decke in meinem Zimmer geklebt, in einer ganz besonderen Anordnung nur für uns, die er die Cheery Ohs nannte. Meine Mom war auch nicht mehr sauer, und an diesem Abend haben wir das Licht ausgemacht und uns alle auf mein Bett gelegt und die Sterne bestaunt, die im Dunkeln leuchteten.

Als ich sieben oder acht war, hatten Mom und Dad ständig Krach. Meistens ging es ums Grasrauchen. Ich wusste, was los war, auch wenn sie versuchten, es vor mir zu verbergen. Er wollte damit aufhören, und er hat’s auch versucht, aber es ging nicht. Und ich wusste immer, wenn er wieder damit angefangen hatte, weil er dann in einer ganz anderen Welt war, in irgendeiner anderen Galaxie herumkreiste, Millionen Lichtjahre entfernt. Und nichts hätte ihn zurückhalten können. Nicht mal ich.

Aber ich weiß noch, dass es, als ich noch ganz klein war, eine Zeit gab, wo er das Gras nicht brauchte und die Musik alles für ihn war, purer Raum, groß genug, um uns alle aufzunehmen. Und ich war alles und Mom war alles  – damals waren wir für ihn alles , und ich weiß noch, wie es sich anfühlte, als alles noch in Ordnung war.

So war das mit meinem Dad. Als er noch lebte, war er total lebendig. Ich erinnere mich noch, wie er die Platte mit seinem Lieblingsstück spielte: »Sing, Sing, Sing (With a Swing)«, eine Live-Aufnahme aus der Carnegie Hall von 1938 . Er spielte es immer wieder, und jedes Mal fing er an zu weinen. Ich hab nie verstanden, warum; deshalb hat er versucht, es mir zu erklären.

Das ist live, Benny! Hör gut zu! Das ist Babe Russin am Tenorsax. Und Harry James an der Trompete. Und Gene Krupa am Schlagzeug – oh, Mann, hör dir nur diese Tomtoms an, das haut mich um!

Ich höre seine Stimme noch ganz genau und sehe ihn vor mir, wie er mit dem Fuß zum Sound der Big Band wippte und mit dem Kopf nickte und wie sein ganzer Körper in Bewegung war. Ich fand ihn so cool und hab versucht, ihn nachzuahmen. Wir hörten das Trompetentrio, und nach etwa sieben Minuten machte er die Augen zu und sagte so was wie: Und jetzt pass gut auf. Gleich kommt Goodman …! Und dann lauschten wir gebannt dem klaren, gewundenen Klarinettensolo, und mein Dad vibrierte richtiggehend, während er auf das verrückte, unmögliche C über dem hohen C wartete, und wenn Goodman es traf, rief er laut: Ja! und drückte mich ganz fest an sich. Das ist es, Benny! Oh, Baby, das ist vielleicht ein heißer Jazz! Wahnsinn …!

Und genau in diesem Moment setzt Jess Stacys Klaviersolo ein, das ganz leise und sanft beginnt. Und irgendjemand im Publikum, oder vielleicht war’s auch einer der Musiker, ruft Yeah, Daddy, und mein eigener Dad strahlt übers ganze Gesicht und wiegt mich in den Armen und flüstert: Pass auf, gleich hörst du Debussy, erkennst du Ravel? und will, dass ich mit seinen Ohren höre. Und als Stacy fertig ist und das Publikum begeistert applaudiert und Krupa seine Drumsticks hebt und dann das Ganze mit einem Trommelwirbel beendet, laufen meinem Dad die Tränen übers Gesicht, und seine Augen leuchten und er drückt mich ganz fest an sich und sagt: Hör gut zu, Benny-Boy! Das ist echte Live-Musik. Genau so muss man’s machen!