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|60|Eruptionsspalte des Eyjafjallajökull, Island, April 2010.

 

|61|5 Ursachen des Aussterbens

EINE VERWIRRENDE VIELFALT VON MECHANISMEN ist für vergangene Aussterbeereignisse verantwortlich gemacht worden. Sie reichen vom Offensichtlichen und Prüfbaren (z.B. Veränderungen der Meereshöhe, globale Abkühlung) über das Exotische und Spekulative (z.B. saurer Regen, globale Großbrände) bis hin zum Unprüfbaren und teilweise Lächerlichen (z.B. kosmische Strahlung, Bejagung durch Außerirdische). Ich werde nicht versuchen, alle möglichen Mechanismen des Aussterbens zu rekapitulieren (siehe Benton 1990 für eine Übersicht über die Theorien zum Aussterben der Dinosaurier), sondern werde mich hier auf den Teil der Mechanismen konzentrieren, der von zeitgenössischen Paläontologen und Evolutionsbiologen am häufigsten im Zusammenhang mit den großen Aussterbeereignissen genannt wird, die im Fossilienbestand dokumentiert sind.

Setzt man sich mit der Frage nach den Ursachen des Aussterbens auseinander, so muss man zwischen proximaten und ultimaten Mechanismen unterscheiden. Ein proximater Aussterbemechanismus kann die Ursache des Artensterbens erklären, ist jedoch selbst möglicherweise Folge einer Reihe verschiedener Prozesse, die entweder allein (das EU-Szenario) oder zusammen (das MIU-Szenario, siehe S. 21) wirken. Die globale Abkühlung ist ein Beispiel eines solchen proximaten Mechanismus. Es sind zahlreiche Hinweise darauf vorhanden, dass wärmeangepasste Arten auf dem Land und in den Meeren oft Probleme haben, mit längeren Kälteperioden zurechtzukommen. Allerdings kann die globale Abkühlung auf verschiedenen Wegen herbeigeführt worden sein.

Ein ultimater Aussterbemechanismus ist einer, der ein Aussterben (meist) dadurch herbeiführt, dass er einen proximaten Aussterbemechanismus in Gang setzt, dessen Effekte weit über die Region seines Auftretens hinaus wirken. Zum Beispiel sind Vulkanausbrüche gut erschlossene ultimate ursächliche Mechanismen für weltweite Umweltveränderungen. Durch den Auswurf von Partikeln und das Einführen großer Mengen von Gasen hoch in die Erdatmosphäre können Vulkanausbrüche |62|dafür sorgen, dass das Sonnenlicht zunehmend zurück ins All reflektiert wird, was (unter anderem) eine Verringerung der durchschnittlichen Temperatur der Erdoberfläche nach sich zieht. Andere ultimate Mechanismen können dieselbe Wirkung haben (z.B. der Einschlag eines großen Asteroiden oder Kometen). Sowohl Vulkanausbrüche als auch Asteroiden- oder Kometeneinschläge sind einzigartige natürliche Prozesse, doch können beide dazu führen, dass Arten weit entfernt vom Ort des Vulkanausbruchs oder des Einschlags aussterben, indem sie den proximaten Aussterbemechanismus der globalen Abkühlung auslösen. Natürlich sollte der Begriff „ultimat“ in Diskussionen um die Ursächlichkeit des Aussterbens als relativ angesehen werden, da Vulkanausbrüche und Asteroiden- oder Kometeneinschläge ihrerseits wiederum Produkte noch größerer planetarer und astronomischer Prozesse sind.

PROXIMATE AUSSTERBEMECHANISMEN

GLOBALE ABKÜHLUNG

Globale Abkühlung kann durch eine Veränderung der Sonneneinstrahlung hervorgerufen werden (siehe S. 74), der Zusammensetzung der Atmosphäre (z.B. durch die Verminderung des Treibhausgasanteils) oder des Anteils von Wolken in der Erdatmosphäre – die Wolkendecke. Wolken werfen das Sonnenlicht zurück ins Weltall und eine Ausbreitung der Wolkendecke erhöht das Vermögen der Erde, das einfallende Sonnenlicht zu reflektieren – ihre Albedo. Wenn eine größere Wolkendecke eine größere Menge an Sonnenlicht ins All zurückstrahlt, sinkt die durchschnittliche Temperatur der Erde. In gleicher Weise kann die Albedo unseres Planeten steigen und eine globale Abkühlung eintreten, wenn die Größe der von Schnee- und Eisfeldern bedeckten Gebiete der Erde zunimmt. Zu beachten ist, dass geringere globale Temperaturen in diesem Fall möglicherweise vermehrte Schneefälle in höheren Lagen zur Folge haben, was einen positiven Rückkopplungsmechanismus in Gang setzen könnte, der eine unkontrollierbare globale Abkühlung fördert. Schließlich kann auch eine Änderung der Meereshöhe zu globaler Abkühlung führen, denn das dunkle Wasser des Ozeans absorbiert das Sonnenlicht. Zeitspannen mit hohem Meeresspiegel zeichnen sich meist durch wärmere Durchschnittstemperaturen und weniger deutliche Temperaturgefälle an den Breitengraden aus.

Diese Mechanismen laufen selten isoliert ab. Erhöhte Wolkenbildung etwa durch einen Vulkanausbruch könnte prinzipiell das Wachstum von Schnee- und Eisfeldern fördern, was wiederum durch die Ablagerung von Wasser als Schnee und Eis auf den Kontinenten die Meereshöhe |63|absenken könnte, was die Albedo zunehmen lassen und in weiterer globaler Abkühlung resultieren könnte.

ÄNDERUNG DES MEERESSPIEGLS

Obwohl der Erdoberfläche kleinere Mengen Wasser durch Vulkanausbrüche hinzugefügt und durch Subduktion des Meeresbodens in Tiefseegräben entzogen werden, ist doch das Gesamtvolumen an Wasser auf der Erde relativ konstant und war es schon immer, seit die Aufteilung des Planeten in Kern-, Mantel- und Krustenzone abgeschlossen war und er früh in seiner Geschichte die eisreichen Kometen und Asteroiden aufgenommen hatte, die in seinem Gravitationsfeld gefangen waren. Dennoch wird an der Verteilung von Gesteinen mit marinen Fossilien oder ihren Spuren auf den Kontinenten deutlich, dass der Meeresspiegel in vielen Phasen der Erdgeschichte wortwörtlich Hunderte von Metern höher stand als heute (siehe S. 64 unten). Tatsächlich weist die Erde in der heutigen Zeit einen niedrigeren Meeresspiegel auf als in fast jeder anderen Epoche ihrer Geschichte. In einigen Fällen sind diese Fluktuationen das Resultat lokaler oder regionaler Veränderungen in der Höhe des Landes, beispielsweise durch die Erhebung großer Bergketten oder durch die Wiederausdehnung der Landoberfläche nach dem Abschmelzen einer großen Eisdecke. Allerdings können diese Mechanismen keine Veränderungen erklären, die einige wenige Meter übersteigen, und auch nicht die Tatsache, dass viele große Meeresspiegelerhöhungen und -absenkungen auf allen Kontinenten gleichzeitig stattfanden.

Bislang sind für solche großen, synchronen Veränderungen der Meereshöhe zwei Mechanismen vorgeschlagen worden. Der offensichtlichste und meistgenannte der beiden ist die Vereisung der Kontinente und/oder die Gletscherschmelze. Wenn der durchschnittliche Niederschlag in hohen Breitengraden oder großen Höhenlagen das durchschnittliche Abschmelzen von Schnee und Eis übersteigt, sammeln sich diese Substanzen im Laufe der Zeit an. Schneeansammlungen verdichten sich allmählich zu einem Eis, das nur halb fest ist und wie ein zäher, viskoser Sirup fließen kann, wenn es unter den Druck großer Mengen von Schnee und Eis gerät. Große Gletscherkörper, die sich auf diese Weise gebildet haben, können mit der Zeit auch unter dem Einfluss der Schwerkraft über das Land fließen. In extremen Fällen können Gletscher weite Teile von Kontinenten bedecken, wie es heute in der Antarktis, in Grönland und Skandinavien sowie in Teilen Kanadas und Russlands der Fall ist. Das Wasser in diesen Gletschern stammt letztlich aus den Ozeanen. Während Zeiten umfassender Kontinentalvereisungen kann der Meeresspiegel um Hunderte von Metern fallen. Genauso kann der Meeresspiegel |64|um mehrere Hundert Meter anschwellen und das steigende Meerwasser weite Teile der Kontinente überfluten, wenn warme Temperaturen zurückkehren und die Gletscher schmelzen. Die Zeiträume, in denen sich diese Prozesse abspielen, variieren und können mit Leichtigkeit Zehntausende oder sogar Millionen von Jahren umspannen.

Die Vergletscherung ist gewöhnlich die bevorzugte Erklärung für die häufige Beobachtung von Veränderungen der Meereshöhe, die sich über kurze geologische Zeitspannen ereignen. Zwar ist dieser Mechanismus plausibel, wenn es sich bei der Meeresspiegeländerung um eine überschaubare Größenordnung handelt. Doch ist nur schwer einzusehen, wie mithilfe dieses Modells erhebliche Veränderungen der Meereshöhe (z.B. Hunderte von Metern, was die Existenz von Gletscherfeldern implizieren würde, die ganze Polarkappen und/oder Kontinente bedecken) erklärt werden können, wenn keine unabhängigen Hinweise auf eine großflächige Vereisung vorliegen (z.B. Gletscherschliff, glaziale geomorphologische Erscheinungen, Dropstones, Kälte anzeigende Sedimentationsmuster, isotopische Hinweise). Allerdings ist es bei so fernen Zeiten, für die es nur wenige Aufschlussgebiete gibt, bei mangelnden primären isotopischen Signaturen und ungewissen stratigrafischen Korrelationen vielleicht verständlich, dass unabhängige Beweise fehlen. In der Tat ist der Mangel eines Beweises kein Beweis für einen Mangel. Zudem ist die Dokumentation des rapiden Wandels der Meereshöhe durch sedimentologische und/oder paläontologische Daten selbst bereits eine Form von Beweis.

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Illustration der Meeresspiegelrekonstruktion nach Exxon (Haq 1991, blau) und Hallam (1992, rot) für das Phanerozoikum.

Der andere allgemein akzeptierte Mechanismus, der zu einem beträchtlichen Wechsel der Meereshöhe führen kann, beinhaltet eine Veränderung des Volumens der Ozeanbecken. Lokale Änderungen im Volumen kleiner Becken können das Ergebnis lokaler Prozesse sein (z.B. Erdbeben, Erdrutsche). Von großen Veränderungen dieses Typs nimmt man allerdings an, dass sie nur von Prozessen hervorgerufen werden können, die mit der Plattentektonik zusammenhängen – entweder durch Veränderungen in der thermischen Konvektionsrate an den mittelozeanischen Rücken oder durch regionale Verformungen der Erdkruste, die an den Subduktionszentren der ozeanischen Platten entstehen. Wenn die Konvektion an den mittelozeanischen Rücken zunimmt, schwellen die Rücken an und das Volumen des Ozeanbeckens nimmt ab. Eine Reduktion |65|des vorhandenen Platzes in den Ozeanbecken der Welt kann den Meeresspiegel ansteigen und die Küstengebiete der Kontinente überfluten lassen. In einigen Fällen kann dieser Prozess zur Entstehung großer, flacher Seen innerhalb der Kontinentalplatten führen, zur Bildung sogenannter Rand- oder Binnenmeere. Wenn die thermische Konvektion zurückgeht, ziehen sich die mittelozeanischen Rücken zusammen, das Volumen des Ozeanbeckens wächst und der Meeresspiegel fällt, wobei sich das Innere der Kontinente entleert und oft auch die Kontinentalränder sichtbar werden.

Wenn durch die Formation eines Tiefseegrabens an den Rändern eines Ozeanbeckens die Subduktion einer ozeanischen Platte beginnt, vergrößert sich das Volumen des Ozeanbeckens und der Meeresspiegel fällt. Wenn die Subduktion aufhört, hebt sich der Meeresboden in der Nähe des Subduktionszentrums an, woraufhin das Volumen des Ozeanbeckens abnimmt und der Meeresspiegel steigt. Die Größenordnung der Meeresspiegeländerungen infolge dieser Mechanismen wird als geringer angenommen als infolge der Vereisung, doch der Zeitraum, in dem diese tektonisch induzierten Änderungen auftreten, ist ein ähnlicher wie bei den Kontinentalvereisungen.

Wie in der Rekonstruktion der phanerozoischen Meeresspiegelmuster im Diagramm auf S. 64 deutlich wird, war der Meeresspiegel immer sehr variabel und wies in seiner Entwicklung sowohl kurzfristige als auch langfristige Trends auf. Hallam (1992) und die Exxon-Gruppe (siehe Haq 1991) haben sehr verschiedene Methoden benutzt, um globale Meeresspiegeländerungen zu beurteilen. Hallams Ansatz ist qualitativ und greift zur Abschätzung der überfluteten Flächen innerhalb der Kontinente auf regionale Beobachtungen aus freigelegten geologischen Schnitten zurück. Exxon stützt sich dagegen auf die Interpretation seismischer Profile, um das Ausmaß der Deponierung von Küsten- oder Meeressedimenten verschiedenen Alters auf den Kontinentalrändern zu bestimmen. Die Hallam-Kurve (1992) reagiert weniger sensibel auf schnelle Fluktuationen im Meeresspiegel und die Exxon-Kurve tendiert zur Überrepräsentation lokaler geologischer Änderungen, was zu einer Verzerrung hin zur Generierung von scheinbar schnellen Fluktuationen führt. Die Tiefenskala in der Abbildung auf S. 64 gibt Exxons Bericht wieder. Beide Kurven sind an die geologische Zeitskala der Internationalen Kommission für Stratigrafie (International Commission on Stratigraphy, ICS) von 2004 angepasst worden. Da Hallams Meeresspiegel-Änderungsmuster als unkalibrierte Kurve erscheint, bezieht sich die hier gezeigte Skala nur auf die Exxon-Kurve.

Abgesehen von Veränderungen der durchschnittlichen globalen Temperatur und regionalen oder globalen Anoxie-Ereignissen können Änderungen des Meeresspiegels infolge der Reduktion von seichten |66|Meereshabitaten oder terrestrischen Lebensräumen, die den Tierarten für die Kolonisation zur Verfügung stehen, ebenso Aussterben auslösen. Unter diesen Bedingungen sind wandernde Arten gezwungen, zusammen mit ihren bevorzugten Habitaten weiterzuziehen. Verschwinden diese Habitate, können Lokalpopulationen aussterben. Populationen, die in der Lage sind, ihren wandernden Habitaten zu folgen, könnten auch mit Überbevölkerung zu kämpfen haben, weil sich das Gebiet ihres Lebensraums verkleinert. Außerdem könnten Arten mit neuen Mitbewerbern oder Krankheiten und Ähnlichem in Kontakt gelangen. Alle diese Faktoren können ihre Aussterbewahrscheinlichkeit verändern. Spezies, die nicht auswandern können (z.B. Riffbildner, viele Pflanzenarten), müssen sich entweder den neuen Gegebenheiten anpassen oder versuchen, ihrem verlagerten Lebensraum durch Ausbreitungsmechanismen zu folgen, die mit der Fortpflanzung verbunden sind. Die Beziehung zwischen |67|dem Artenreichtum und dem bewohnbaren Gebiet kann quantitativ erfasst werden. Dies ist die Arten-Areal-Beziehung (siehe gegenüber).

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Die Region Broken Island in British Columbia. Inseln von unterschiedlicher Größe können unterschiedlich viele Arten beherbergen.

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Die Arten-Areal-Beziehung, wie sie in einer grafischen Analyse der Artenzählungsdaten aus einer Reihe zusammenhängender Habitate erscheint. Die Darstellung von Beispielarealen gegenüber der Artenanzahl auf arithmetischen Achsen zeigt den nicht linearen Charakter einer typischen ArtenAreal-Beziehung (links), während der Graph mit denselben Daten nach der logarithmischen Transformation die Form einer verallgemeinerten Potenzfunktion annimmt (rechts): S = cAz, wobei A das Areal ist, S die Anzahl der Spezies, und c und z Konstanten sind.

Zusätzlich zu diesen Effekten haben Unterschiede in der Meereshöhe auch veränderte Zusammensetzungen der Atmosphäre zur Folge, die aus dem Kontakt mit oder der Einlagerung von reaktiven Chemikalien resultieren, welche meist als Nebenprodukte von organischen Verfallsprozessen entstehen. Die Freilegung des Festlandsockels während eines niedrigen Wasserstands führt oft zur Freisetzung von Treibhausgasen in die Atmosphäre und ruft damit eine Erderwärmung hervor. Durch die Überflutung von Festlandsockeln zur Zeit eines hohen Wasserstands kommt es zur Bindung von Treibhausgasen in den Sedimenten und damit zu einer globalen Abkühlung.

Schließlich fördern Schwankungen in der Meereshöhe die Verstärkung oder Minderung extremer Umweltfluktuationen auf den Kontinenten, ein als Kontinentalität bekanntes Phänomen. Wegen der großen Wärmespeicherkapazität des Wassers sind die Ozeantemperaturen sehr viel stabiler als die Temperaturen der Gesteine, aus welchen die Kontinente bestehen. Inseln und kontinentale Regionen in der Nähe von Küstengebieten erleben weniger starke Temperaturgefälle von Sommer zu Winter, als es im Binnenland großer Kontinente der Fall ist, wo tendenziell auch weniger Niederschlag fällt als in Küstenregionen. Wenn der Meeresspiegel deutlich abfällt, vergrößert sich die Landoberfläche der Kontinente, und ihr Inneres isoliert sich immer mehr, wodurch die Trockenheit und die Schwankungen der Jahrestemperatur zunehmen. Meeresspiegel-Hochstände führen zu – oft recht weitreichenden – Überschwemmungen der Kontinente, welche den Kontinentalitätseffekt reduzieren. Das Ausmaß dieses Effekts wird außerdem durch die spezifische Größe und Verteilung der kontinentalen Landmassen bestimmt, die letztlich unter der Kontrolle der Plattentektonik stehen.

Veränderungen der Kontinentalität betreffen Populationen von Organismen nicht nur direkt. Sie können auch dazu beitragen oder verhindern, dass sich Hochdruckzonen in der Erdatmosphäre bilden, welche wiederum die Richtung atmosphärischer Jetstreams und damit den Charakter der atmosphärischen Zirkulation beeinflussen. In ähnlicher Weise können Veränderungen des Meeresspiegels den Charakter der Meereszirkulation verändern und folglich jene Prozesse, die Wärme über den gesamten Planeten verteilen (siehe unten).

MARINE ANOXIE

Um zu überleben, müssen Meerestiere Zugang zu Sauerstoff haben, der im Meerwasser gelöst ist. Die einzige Quelle für solchen Sauerstoff ist die Diffusion aus der Atmosphäre in die Meereswassersäule über die |68|Oberfläche des Ozeans. Wegen seiner Nähe zur Atmosphäre ist das Oberflächenwasser der Ozeane fast immer gut mit Sauerstoff versorgt. Der Transport des mit Sauerstoff angereicherten Wassers in die tieferen Schichten der Meerwassersäule hängt hingegen vom vertikalen Meereszirkulationsmuster ab. Alles, was diese Zirkulation stört oder die Rate des Sauerstoffverbrauchs in der Tiefe erhöht, kann unter Umständen Zonen mit geringem Sauerstoff (disaerob) oder ohne Sauerstoff (anaerob oder anoxisch) in der Tiefsee schaffen.

In den meisten Ozeanbecken sind die weniger dichten, sauerstoffreichen Oberflächengewässer von den dichteren, sauerstoffärmeren tieferen Wasserschichten durch einen Übergangsbereich getrennt, den man Pyknokline nennt. Ein starker Dichtekontrast zwischen diesen beiden Zonen kann wie eine Art Kappe wirken, welche die vertikale Zirkulation hemmt und den Sauerstoffschwund in der Tiefe fördert. Die Pyknokline kann durch Unterschiede in Temperatur und/oder Salzgehalt zwischen Oberflächenwasser und tieferem Meerwasser verstärkt werden. Zusätzlich zu diesem physikalischen Effekt kann der Transport von Sauerstoff in tiefere Gewässer durch biologische Faktoren beeinflusst werden, im Wesentlichen durch die Anzahl der Organismen, die von gelöstem Sauerstoff im Oberflächenwasser und in der Tiefsee Gebrauch machen. Ist die Oberflächenproduktivität hoch, wird der größte Teil des verfügbaren Sauerstoffs im Oberflächenwasser von den dort lebenden Tieren verbraucht werden. Ist die Biomasse im tiefen Wasser ebenfalls hoch, wird es nicht ausreichend Sauerstoff geben, um sie am Leben zu erhalten, insbesondere wenn die vertikale Zirkulation träge oder reduziert ist. Dieser Mechanismus kann sich mit einer steigenden Menge an Nährstoffen, die von den Kontinenten an das Ozeanbecken abgegeben wird, verschärfen. Insofern die Geschwindigkeit der Nährstoffzufuhr in die Ozeanbecken mit der zunehmenden chemischen Erosion auf den Kontinenten wächst, scheint sich die Bildung von anoxischem tiefem Meerwasser mit der globalen Erwärmung zu verstärken und mit der globalen Abkühlung zu vermindern. Diese Mechanismen beeinflussen durch die Verringerung oder Erhöhung der Temperaturgefälle zwischen niedrigen und hohen Breiten auch die Meereszirkulation (siehe S. 73).

Sauerstoffarmut wird in der Regel durch die Ablagerung von dunkelbraun-schwarzen, feinkörnigen, an organischen Substanzen reichen Sedimenten in den Gesteinen angezeigt, die im Laufe der Zeit zu Schiefergestein werden. Totes organisches Material oxidiert in einer sauerstoffreichen Umgebung durch den im Wasser gelösten Sauerstoff – oft unterstützt durch die Wirkung von Bakterien und winzigen Aasfressern. Wenn aber nur wenig oder kein Sauerstoff vorhanden ist, können die organischen Stoffe nicht verfallen, sondern sammeln sich mit der Zeit einfach an.

|69|In der Tiefsee verbreitete Organismen weisen oft Anpassungen auf, durch die sie sauerstoffarme Bedingungen tolerieren können. Wenn sich diese Zone des sauerstoffarmen oder sauerstofffreien Wassers jedoch aus irgendeinem Grund plötzlich verschiebt – und zum Beispiel aufgrund eines anschwellenden Meeresspiegels aus den tiefen Ozeanbecken aufsteigt (siehe S. 63) und das zuvor sauerstoffreiche Wasser der Festlandsockel verdrängt –, können die radikal veränderten Umweltbedingungen zum massenweisen Aussterben der Sockel-Biota führen, deren Arten an ein Leben in sauerstoffreichen Gewässern angepasst sind (für die weitere Diskussion siehe Kapitel 15).

OZEAN-ATMOSPHÄRE-ZIRKULATION

Die letzten Aussterbemechanismen, die wir betrachten werden, sind die Zirkulationsmuster in Ozean und Atmosphäre. Beide Systeme werden von der Verteilung der Wärme auf der Erdoberfläche beeinflusst, welche sie zugleich auch in großen Teilen steuern. Diese Systeme sind im Hinblick auf ihre allgemeine Organisation weitgehend stabil, können aber durch eine Vielzahl von geologischen Faktoren betroffen sein, von denen einige in die Kategorie der ultimaten Aussterbeursachen fallen (z.B. Plattentektonik, Vulkanismus einer magmatischen Großprovinz und Meteoriteneinschlag, siehe unten). Darüber hinaus sind Ozean-Atmosphäre-Zirkulationsmuster ihrerseits für das Klima und das Wetter an jedem beliebigen Ort auf der Erdoberfläche verantwortlich. Sie bestimmen maßgeblich, wo auf der Erde welche Pflanzen- und Tierarten leben sowie die geografische Geschichte des Auftretens von Pflanzen- und Tierarten im Laufe der Zeit.

Die atmosphärische Zirkulation ist das aktivere System. In beiden Hemisphären sind die Windsysteme in drei parallele Bänder geteilt: die Hadley-Zelle, die Ferrel-Zelle und die Polarzelle (siehe S. 70 oben). In der Hadley-Zelle steigt in Äquatornähe wegen ihrer geringeren Dichte warme, feuchte Luft auf. Während diese Luft aufsteigt, dehnt sie sich aus, kühlt ab und verliert ihre Feuchtigkeit in Form von Regen. In der nördlichen Hemisphäre strömt diese Luft als eine Reihe von nordwestlichen Höhenwinden nach Norden und zieht infolge der Tiefdruckzone, die durch die steigenden Luftmassen entsteht, kühlere und trockenere Luft in die Tropen. Diese kühlere, trockenere Luft steigt bei rund 30° nördlicher Breite auf, wechselt dort die Richtung und wird in mittleren Höhen zu südöstlich fließender, kühler und trockener Luft (die Passatwinde), womit sie die Zelle abschließt. Das Zirkulationssystem der Hadley-Zelle in der südlichen Halbkugel verläuft genau spiegelbildlich.

Die Polarzelle funktioniert wie die Hadley-Zelle. Hier steigt relativ warme, feuchte Luft bei etwa 60° nördlicher und 60° südlicher Breite in den |70|tieferen Bereich der Atmosphäre (die Troposphäre) auf und zieht aufgrund des durch die aufsteigenden Luftmassen entstandenen Tiefdrucks wärmere Luft aus mittleren Breiten nach sich. Dieses Zirkulationsmuster führt zu einer Reihe von Ostwinden in mittlerer Höhe. Die steigende Luft expandiert, kühlt sich dabei ab und entledigt sich ihrer Feuchtigkeit entweder als Regen oder als Schnee. Die kühlere, trockenere Luft strömt in Form von Westwinden in großer Höhe zum Pol, wo sie sich wieder senkt, |71|um eine nordöstlich oder südöstlich fließende Luftmasse in mittlerer Höhe zu bilden und so die Zelle zu vervollständigen. Das Polzellen-Zirkulationssystem in der südlichen Halbkugel ist wiederum das Spiegelbild des eben beschriebenen.

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Atmosphärische Zirkulationsmuster. Man beachte das idealisierte atmosphärische Drei-Zellen-Zirkulationsmuster, das von einem rotierenden erdähnlichen Planeten generiert wird. Die im Uhrzeigersinn verlaufende Ableitung von Winden in mittleren und großen Höhen in der nördlichen Hemisphäre und die entgegengesetzte Ableitung in der südlichen Hemisphäre bestehen aufgrund des Corioliseffekts. Ebenfalls zu sehen sind der Subtropenjetstream und der Polarfrontjetstream in der nördlichen Hemisphäre. Ähnliche Jetstreams gibt es in der südlichen Hemisphäre. Weitere Erklärungen sind im Text zu finden.

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Ergebnisse einer Computersimulation mit der Darstellung der jährlichen Durchschnittstemperaturen der Erdoberfläche in Grad Celsius zur Zeit des Artensterbens im Perm.

Während die Hadley- und Polarzellen klar definierte, weitgehend geschlossene Kreislaufsysteme sind, ist die Ferrel-Zelle ein offenes System, das als Wärme- und Druckpuffer zwischen ihnen dient. Die Ferrel-Zelle überlagert die Hadley- und die Polarzellen in beiden Hemisphären und wird manchmal als Mischzone beschrieben. Die Windrichtungen der Ferrel-Zelle können in Abhängigkeit von den Intensitäten der lokalen Hadley- und Polarzellen variieren, haben jedoch eine vorwiegend westliche Tendenz. In dieser Zone finden sich die Jetstreams. Dies sind hohe, enge und schnelle Luftströme, die zwischen den wärmeren und kühleren Luftmassen an den Hadley-/Ferrel-Zellengrenzen bei etwa 30° nördlicher und 30° südlicher Breite (Subtropenjetstream) sowie zwischen den Ferrel- und Polarzellengrenzen bei etwa 60° nördlicher und 60° südlicher Breite (Polarfrontjetstream) auftreten. Da der Kontrast zwischen warmen und kalten Luftmassen in den nördlichen Breiten größer ist, weisen die Polarjetstreams meist höhere Geschwindigkeiten auf als die Subtropenjetstreams.

Die Dreizellenstruktur des aktuellen atmosphärischen Zirkulationssystems der Erde ist wahrscheinlich ein Merkmal unseres Planeten seit der Bildung der Atmosphäre. Simulationsstudien deuten an, dass sich die Zellen in den warmen Phasen der Erdgeschichte in Richtung der Pole verlagern und es einen tendenziell größeren Intensitätsunterschied zwischen den Hadley- und Polarzellen und den mit ihnen auftretenden Jetstreams gibt. Während kühler Phasen bewegen sich die Zellen in Richtung Äquator und sind etwas ausgeglichener. In Zeiten extremer Kontinentalität (z.B. im späten Perm) könnte eine vierte trockene Zelle in den Äquatorgegenden entstanden sein, die durch Konvektion angetrieben wurde (siehe gegenüber), doch ist dies keineswegs sicher. Selbst wenn diese trockene Zelle von Zeit zu Zeit Teil der atmosphärischen Organisation der Erde gewesen sein sollte, deuten Simulationen darauf hin, dass die grundlegende Hadley-Ferrel-Polarzellenstruktur erhalten blieb.

Atmosphärische Zirkulationsmuster haben einen starken Einfluss darauf, wie sich Hitze und Niederschlag über die Erdoberfläche verteilen. Darüber hinaus können diese Muster durch eine Vielzahl von äußeren Einflüssen verändert werden. Ebenso ist bekannt, oder wird zumindest vermutet, dass die tektonische Anhebung der großen Bergketten, die Existenz umfangreicher Eisfelder und große Vulkanausbrüche Auswirkungen auf die Details der atmosphärischen Zirkulationsmuster haben, vor allem auf die Lage der Jetstreams.

|72|Wie die Erdatmosphäre besitzen auch die Ozeane ein dreidimensionales Zirkulationsmuster. Die Zirkulation des Wassers in der Nähe der Meeresoberfläche wird durch eine Kombination von Windschleppkraft und physikalischen Kräften angetrieben und durch die Verteilung der kontinentalen Landmassen auf der Erdoberfläche geprägt (siehe S. 73 oben). Im Allgemeinen werden Oberflächenströme in den niedrigen Breiten durch die subtropischen Ostwinde, die infolge der Hadley-Zellen-Zirkulation entstehen, westwärts getrieben. Wenn diese Ströme auf eine Landmasse stoßen (z.B. Mittel- und Nordamerika in der nördlichen Hemisphäre, Südamerika in der südlichen Hemisphäre), wenden sie sich je nach dem Druck der windgetriebenen Gewässer hinter ihnen nach Norden oder Süden. Dies führt zu schmalen, schnellen, westlichen Randströmen, zu denen auch der Golfstrom gehört. Während sich diese westlichen Randströme nach Norden bewegen, treibt sie der Coriolis-effekt – die scheinbare Ablenkung von bewegten Objekten, wenn man sie in einem rotierenden Bezugssystem betrachtet – nach Osten und über die Ozeanbecken in mittleren Breiten, wo ihre Bewegungen durch die vorherrschenden Westwinde der Ferrel-Zelle verstärkt werden. Bei der Begegnung mit einer Landmasse auf der östlichen Seite des Ozeanbeckens dreht sich ein Teil der Strömung nach Süden (z.B. entlang der Westküsten Europas und Afrikas), wo er sich wieder mit dem durch die Passatwinde angetriebenen, östlich strömenden Oberflächengewässer vereint. Wenn es einen Kanal nach Norden gibt, fließt ein Teil des Stroms in diese Richtung, wo er in das polare Strömungssystem eintritt, welches komplex und durch lokale Landmassen beeinflusst sein kann (z.B. in der heutigen nördlichen Hemisphäre), oder ein einfaches zirkumpolares Strömungssystem annimmt, wenn es keine Landmassen gibt, die seinen Fluss behindern (z.B. die heutige südliche Hemisphäre). Das Gleichgewicht des Wassers im System wird durch eine Reihe von Gegenströmungen bewahrt (z.B. der nördliche und südliche äquatoriale Gegenstrom, der südliche subpolare Gegenstrom). So werden in jedem Ozeanbecken ungefähr kreisförmige Oberflächenströmungssysteme, oder Wirbel, aufrechterhalten. Diese Wirbel drehen sich unter dem Einfluss der atmosphärischen Zirkulationsmuster und des Corioliseffekts in der nördlichen Hemisphäre im Uhrzeigersinn und in der südlichen gegen den Uhrzeigersinn.

Die vertikale Zirkulation in den heutigen Ozeanen wird durch eine Kombination von Temperatur- und Dichtegegensätzen (siehe S. 73 unten) angetrieben. Das warme, relativ frische Wasser des Golfstroms entlang der Ostküste von Nordamerika kühlt sich ab und wird durch Verdunstung auf dem Weg durch den Atlantik dichter. In der Gegend um Grönland und Island sinkt ein Teil dieses Wassers und wird zum Nordatlantischen |74|Tiefenwasser (North Atlantic Deep Water, NADW), das in dieser Region durch eine Reihe von Unterwasserschluchten fließt und schließlich als Tiefenwasser das atlantische Ozeanbecken erreicht. Von hier aus strömt es entlang des atlantischen Ozeanbeckens südwärts bis zu einem Punkt, wo es durch den Druck von noch kälterem und dichterem antarktischem Oberflächenwasser, das an dieser Stelle absinkt, wieder zurück zur Oberfläche gezwungen wird.

Ozeanische Zirkulationsmuster.

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marine Oberflächenströmungen. Rote Pfeile zeigen relativ warme Strömungen an, blaue Pfeile relativ kalte Strömungen.

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vertikale Meeresströmungen. Rote Linien zeigen relativ warme, flache Strömungen an, blaue Linien relativ kalte, tiefe Strömungen. Violette Linien stehen für sehr kalte Meeresbodenwasserströmungen. Gelbe Markierungen zeigen die Positionen von Tiefenwasserformationen, wo kaltes, polares Oberflächenwasser absinkt und zu Meeresbodenwasser wird.

Eine Bodenwasserströmung dieser Art tritt in allen heutigen Ozeanbecken auf, sie wird allerdings von den Tiefseepassagen kontrolliert. Man vermutet, dass es vor der Existenz dieser Tiefseepassagen – die sich vor zehn bis 15 Millionen Jahren in den Ozeanen herausgebildet haben – keinen Bodenwasserkreislauf gab. Ohne ein solches Zirkulationsmuster müsste das Tiefseewasser stagnieren oder anoxisch werden, während sich der darin gelöste Sauerstoff durch die Oxidation von organischen Stoffen erschöpft. In einem solchen Zeitintervall könnten Meerestiere, die nicht speziell an das Leben in sauerstoffarmen Umgebungen angepasst sind, aussterben. Noch wichtiger ist, dass ein Tiefseebecken, das bei einem niedrigen Meeresspiegel voll von anoxischem Wasser ist, eine Quelle von korrosivem, anoxischem Bodenwasser bilden kann, das aufsteigen und seichte Meeresgebiete bedecken könnte, wenn der Meeresspiegel rasch ansteigt – was ein großflächiges Aussterben von am Meeresboden lebenden Arten auslösen kann.

ULTIMATE AUSSTERBEMECHANISMEN

SONNENSTRAHLUNG

Obwohl die Sonne unserer Erde oft als Metapher für Beständigkeit angesehen wird, ist die Sonnenstrahlung seit Beginn unserer Aufzeichnungen überraschend variabel und war es, wie Proxy-Beobachtungen („Ersatzbeobachtungen“) zeigen, auch davor schon (siehe unten). Es wird |75|angenommen, dass alle historischen Perioden mit niedrigeren Durchschnittstemperaturen – in den Jahren 1460–1500 (das Spörer-Minimum), 1645–1715 (das Maunder-Minimum) und 1790–1830 (das Dalton-Minimum) – durch Schwankungen der Sonnenstrahlung verursacht worden sind. Obwohl es nicht möglich ist, die Sonneneinstrahlung für geologisch alte Zeiten direkt zu messen, ist es doch plausibel, zu vermuten, dass ähnliche Variationen des Energieausstoßes der Sonne auch unsere geologische Vergangenheit geprägt haben. Längerfristig zeigen theoretische Modelle, dass der Energieausstoß der Sonne während der letzten 2,5 Milliarden Jahre um bis zu 25 Prozent zugenommen hat.

Variationsmuster in zwei Ersatzwerten der Sonnenaktivität nach historischen Aufzeichnungen.

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Isotopenkomposition des kosmogenen Berylliums (blau) und Anzahl der Sonnenflecken (rot).

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abgeleitetes Variationsmuster der Sonneneinstrahlung während der letzten 10.000 Jahre.

PALATTENTEKTONIK

Es gibt viele Möglichkeiten, wie plattentektonische Prozesse zum Artensterben führen oder beitragen können. Wenn Kontinente miteinander kollidieren, vergrößern sie ihre Fläche und schneiden ihr Binnenland von den mildernden Effekten eines nahe liegenden Ozeanbeckens ab. Dieser „Kontinentalitätseffekt“ macht das Klima im kontinentalen Inneren noch extremer: kälter in den Wintern, heißer in den Sommern. Kontinentale Kollisionen werfen zudem hohe Bergketten auf, die Änderungen in den atmosphärischen Zirkulationsmustern verursachen können – vor allem die Wege der Jetstreams –, Regenfälle von den kontinentalen Innenräumen fernhalten und sie so in Wüsten umwandeln und sogar Veränderungen in den Intensitäten der Meereszirkulation bewirken können. Wenn sich eine große kontinentale Landmasse über eine Polarregion hinwegbewegt, kann der Kontinentalitätseffekt eine tendenziell kalte Klima-Rückkopplungsschleife auslösen, woraufhin sich Gletscher über die Oberfläche der Kontinente ausbreiten könnten, was zu einer globalen Abkühlung und einem Absinken des Meeresspiegels führt. Falls sich eine kontinentale Landmasse, die zuvor in einer polaren Region lag, aufgrund tektonischer Prozesse vom Pol wegbewegt, können ebenso Gletscher von kontinentalen Ausmaßen abschmelzen, wodurch die durchschnittliche globale Temperatur wie auch der Meeresspiegel ansteigt, die Kontinente überflutet werden und sich die für terrestrische Arten zur Besiedlung vorhandene Landoberfläche verringert, während die Ozeanfläche wächst. Tektonische Veränderungen des Meeresspiegels und das Wachstum oder der Rückzug der Gletscher haben ebenfalls Auswirkungen auf die Albedo unseres Planeten und die Zusammensetzung seiner Atmosphäre, indem Treibhausgase aus natürlichen Lagern freigesetzt oder darin gebunden werden (siehe S. 67). Schließlich kann der mit plattentektonischen Vorgängen verbundene Wärmestrom das Volumen der Ozeanbecken beeinflussen und damit den Meeresspiegel |76|weiter verändern, während erhöhte oder verringerte vulkanische Aktivitäten Verbindungen freigeben (oder reduzieren) können, die Einfluss auf den Säuregehalt von Regen und Schnee haben.

VULKANISMUS IN MAGMATISCHEN GROSSPROVINZEN

Vulkanismus in magmatischen Großprovinzen (Large Igneous Province, LIP) ist eine besondere Klasse von Vulkanausbrüchen, die in der Regel mit einem festen Punkt oder tektonischen „Hotspot“ auf der Oberfläche der Erde verbunden sind. Solche Ausbrüche führen zu großen Ergüssen von typischerweise basaltischer Lava (siehe gegenüber). Aufgrund ihrer geografischen Stabilität werden diese Hotspots nur lose mit herkömmlichen plattentektonischen Prozessen verknüpft, obwohl ihre Entstehung noch immer so etwas wie ein Rätsel ist. Langlebige Hotspots (z.B. der Hawaii-Hotspot, der Réunion-Hotspot und der Yellowstone-Hotspot) können eine Spur vulkanischer Ansammlungen auf ozeanischen und kontinentalen tektonischen Platten hinterlassen, während sich diese im Laufe von Jahrmillionen über den Hotspot schieben. Diese Eruptionsereignisse können innerhalb relativ kurzer geologischer Zeiträume (z.B. 50.000–1.000.000 Jahre) Millionen Kubikkilometer von Lava- und Aschepartikeln aufschütten und enorme Mengen an korrosiven Gasen, Kohlendioxid (CO2) und Wasser in die Atmosphäre entlassen. Eruptionen dieser Größenordnung wären für die lokale Umwelt katastrophal und verursachen Störungen einer Vielzahl von planetaren Faktoren (z.B. die Albedo, den Säuregehalt des Regens, die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre, das Vorkommen von Treibhausgasen und die atmosphärischen Zirkulationsmuster), von denen jeder Auswirkungen auf alle Organismen-Populationen der Erde haben kann (das EU-Szenario). Wenn der LIP-Vulkanismus zu einer Zeit auftritt, in der Arten bereits unter Umweltbelastungen leiden (z.B. bei niedrigem Meeresspiegel mit anoxischen Ozeanbecken), besteht darüber hinaus die Möglichkeit, dass sich die Wirkungen zweier unabhängiger Umweltprozesse verbinden und das Niveau der Aussterbeintensität das normale Maß übersteigen lassen (das MIU-Szenario).

EINSCHLAGE GROSSER METEORITEN

Für eine recht lange Zeit wurde angenommen, dass Kollisionen zwischen der Erde und großen extraterrestrischen Objekten etwas waren, das in der frühen Geschichte der Erde stattgefunden hatte, und dass das Sonnensystem vor Milliarden von Jahren von solchen Objekten leer gefegt worden war. Diese Annahme erwies sich als falsch, als Eugene Shoemaker zeigte, dass die kreisförmige Struktur, die heute als Barringer-Krater |78|in Arizona bekannt ist, vor nur 50.000 Jahren durch einen Zusammenstoß zwischen der Erde und einem Meteor entstanden war (siehe S. 18). Später bewies ein Team um den Nobelpreisträger Luis Alvarez, dass ein großer Meteorit etwa zu dieser Zeit oder sogar während des endkreidezeitlichen Aussterbeereignisses mit der Erde kollidiert war, ungefähr vor 65 Millionen Jahren. Den ersten Hinweis auf diesen Zusammenprall gab eine Konzentration des Elements Iridium, einer seltenen Erde, in den Sedimenten einer Sektion an der Kreide-Paläogen-Grenze (KT-Grenze) in Italien. In nachfolgenden Forschungen wurden in mehreren, weit auseinanderliegenden Sektionen und Bohrkernen an der KT-Grenze (siehe Kapitel 12) noch andere Beweise für den KT-Meteoriteneinschlag entdeckt, darunter geschockte Quarzkristalle und Impaktite. Als man erst einmal erkannt hatte, dass Meteoriteneinschläge zu ganz verschiedenen Zeiten in der Erdgeschichte aufgetreten waren, wurden überall auf der Welt rätselhafte kreisförmige physiografische Merkmale neu untersucht, um festzustellen, ob sie ebenfalls Einschlagkrater sein könnten. Bis heute sind knapp 200 bekannte oder mutmaßliche Einschlagkrater entdeckt worden, deren Durchmesser von 135 Meter bis 300 Kilometer |79|reichen (siehe S. 77 unten). Ohne Zweifel haben viele weitere Einschläge in der Erdgeschichte stattgefunden, ihre Krater sind jedoch erodiert oder wurden durch spätere Ablagerungen begraben. Demzufolge kann das Auftreten eines Meteoriteneinschlags nicht mehr als ein geologisch ungewöhnliches Ereignis betrachtet werden.

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Vulkanausbrüche in magmatischen Großprovinzen (LIP) und Regionen, in denen LIP-Ausbrüche zu verschiedenen Zeiten der Erdgeschichte stattgefunden haben.

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Karte von 182 bestätigten Meteoriteneinschlagstrukturen, aufgelistet in der Earth Impact Database, Planetary and Space Science Centre (PASSC), an der University of New Brunswick, Kanada.

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Landsat-Fotografie des Manicouagan-Kraters, Region Côte-Nord in Québec, Kanada.

Große Einschläge wie das Chicxulub-Ereignis, das nach den meisten (aber nicht allen) Forschern genau an der KT-Grenze eingetreten sein soll, müssen eine Vielzahl von sehr intensiven, allerdings relativ kurzlebigen Effekten gehabt haben (das EU-Szenario). Dazu gehören ein thermischer Blitz, der alles freiliegende brennbare Material in einem beträchtlichen Umkreis rund um die Einschlagstelle zu Asche verbrannt und vielleicht zur Entzündung von Wildfeuern in Hunderten (oder sogar Tausenden) Kilometern Entfernung geführt haben könnte, eine Schockwelle, die umfangreiche Strukturen zerstört haben könnte, überaus große Erdbeben und Tsunamis (wobei Letztere viele Küstengebiete verwüstet haben könnte), globale Dunkelheit infolge des Materialauswurfs aus dem Krater hoch in die Atmosphäre der Erde, eine erhöhte planetare Albedo und eine damit verbundene kurzfristige globale Abkühlung, eine längerfristige globale Erwärmung aufgrund der großen Mengen an freigesetzten Treibhausgasen sowie ein erhöhter Säuregehalt des Regenwassers dank der chemisch reaktiven Materialien, die aus dem Krater in die Atmosphäre geschleudert wurden. Simulationen deuten an, dass die globalen Auswirkungen wahrscheinlich höchstens 100 Jahre andauerten. Das Material im Krater blieb vermutlich für einen viel längeren Zeitraum heiß, was in der Folge zu Störungen der lokalen oder regionalen Wärmeströme und/oder der Wettermuster geführt haben könnte. Wenn ein großer Meteoriteneinschlag zu einer Zeit eintrat, in der die Biosphäre schon unter Umweltbelastungen litt (z.B. bei einem niedrigen Meeresspiegel mit anoxischem Ozeanbecken, einem LIP-Vulkanausbruch, globaler Erwärmung), könnten sich die Auswirkungen unabhängiger Umweltprozesse wie beim LIP-Vulkanismus auch miteinander verbunden und die Aussterbeintensität über das normale Niveau erhöht haben (die MIU-Szenario).