KAPITEL 29
Als ich wieder aufwachte, war nur eine einzelne Person bei mir, und mein Herz machte einen kleinen Sprung, als ich Devlin erkannte. Er saß auf dem Stuhl neben meinem Bett und betrachtete mich, und ich wurde rot, weil ich mich plötzlich fragte, wie ich aussah. War mir im Schlaf Spucke aus dem Mund getropft? Standen meine Haare wirr ab? Oh Gott, wieso musste ich nur dieses schreckliche Krankenhaushemd tragen?
„Hey.“ Er lächelte. „Gut, dass du wieder bei uns bist.“
„Wie spät ist es?“, fragte ich und versuchte, mich aufzusetzen. Auf der Station schien es still zu sein.
„Gegen elf“, antwortete Devlin. Er wirkte erschöpft. Vermutlich hatte er pausenlos gearbeitet, seit er mich vorhin verlassen hatte.
„Wie ist es gelaufen? Hast du …?“
„Mrs Waltham wurde verhaftet“, antwortete er. „Sie wird wegen des Mordes an Sarah Waltham angeklagt werden, und wegen des versuchten Mordes an dir. Und ich bezweifle, dass es ein Problem wird, sie schuldig zu sprechen.“
Ich stieß erleichtert den Atem aus. „Das sind doch gute Neuigkeiten! Fast war es das wert, gefesselt in einem Schuppen zu liegen“, scherzte ich.
Devlin machte einen ärgerlichen Laut. „Ich fühle mich schuldig, Gemma. Obwohl ich Mrs Waltham in Verdacht hatte, habe ich nicht schnell genug reagiert.“
„Wie bist du auf sie gekommen? Ich hatte sie gar nicht auf dem Schirm.“
„Deine Frage über Sarahs Lebensversicherung war es, die mich nachdenklich gemacht hat.“
„Aber sie hatte doch keine! Ich weiß noch, wie du geantwortet hast, wenn jemand auf das Geld ihres Vaters aus wäre, täte er besser daran, Sarah zu heiraten, da sie den Großteil des Vermögens erben würde.“
„Genau.“ Devlin schnippte mit den Fingern. „Deswegen habe ich überlegt, was mit dem Geld geschieht, wenn Sarah stirbt – wer es dann bekommt. Leider haben Sexton, Lovell & Billingsley mir Schwierigkeiten gemacht. Sie wollten mir die Einzelheiten des Testaments von Mr Waltham nicht verraten. Anwaltliche Schweigepflicht und so. Ich sollte erst gute Gründe für die Offenlegung anführen, und dafür hatte ich nicht genug Beweise …“
„Da hättest du die Silberlocken fragen sollen“, erwiderte ich trocken. „Die hätten dir alles erzählen können, was in seinem Testament steht – und außerdem, was er letzte Woche zum Frühstück gegessen hat –, und hätten dafür nicht mal fünf Minuten gebraucht.“
Devlins Lachen klang ärgerlich. „Ich weiß einfach nicht, woher sie ihre Informationen beziehen. Langsam glaube ich, wir sollten ihnen die Ehrenmitgliedschaft des Oxfordshire CID anbieten!“
„Mir fällt es immer noch schwer, zu glauben, dass diese ruhige, unscheinbare Frau die Mörderin sein soll“, sagte ich kopfschüttelnd. „Ich meine, manchmal verzweifeln Menschen und stellen dumme Sachen an. Aber als sie in dem Gartenhaus mit mir gesprochen hat, da klang sie gar nicht ängstlich oder verzweifelt. Eher selbstgefällig und selbstzufrieden.“
„Ich halte es nicht für eine Verzweiflungstat“, sagte Devlin. „Ich werde die Exhumierung von David Walthams erster Ehefrau beantragen.“
Ich starrte ihn an. „Glaubst du …?“
Er hob die Schultern. „Wir sollten das überprüfen, denke ich. Psychopathen werden nicht von einem Tag auf den anderen so. Mich würde es nicht überraschen, wenn Mrs Waltham nicht zum ersten Mal Gift verwendet hätte, um jemanden loszuwerden. Der Tod der ersten Mrs Waltham kam ihr ja sehr gelegen.“ Er erhob sich. „Aber es ist schon sehr spät, und ich sollte dich jetzt ausruhen lassen.“
Ich wünschte mir, dass er blieb, wusste aber nicht, was ich sagen sollte. Als er gerade durch den Vorhang schlüpfen wollte, hielt er inne und drehte sich noch mal zu mir um.
„Es tut mir leid, dass ich unser Date neulich abbrechen musste, Gemma.“ Nach kurzem Zögern sprach er weiter. „Die nächsten Tage werden noch etwas hektisch bleiben, mit der Festnahme und so, und da du auch einige Tage zur Erholung brauchst … Wie wäre es, wenn wir für nächste Woche was planen? Ich habe gehört, dass das Moscow City Ballet im Oxford Playhouse auftritt – hast du Lust, hinzugehen?“
Ich spürte, wie sich ein Lächeln über mein Gesicht legte. Gerade als ich antworten wollte, klingelte mein Handy. Ich warf Devlin einen entschuldigenden Blick zu und ging ran. Innerlich zuckte ich, als ich die Stimme am anderen Ende erkannte. Es war die letzte Person, mit der ich telefonieren wollte, während Devlin dabei war: Lincoln.
„Hallo, Gemma, ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt“, sagte er.
„Nein, nein, ich war schon wach.“ Ich schaute zu Devlin und hoffte, er merkte nicht, mit wem ich sprach.
„Ich wollte nur hören, wie du dich fühlst. Vorhin habe ich kurz vorbeigeschaut, aber da hast du geschlafen, und ich musste um zehn Uhr los, um meine Mutter von ihrer Bridgeparty abzuholen. Ich hatte es ihr versprochen, weil ihr Auto gerade in der Werkstatt ist.“
„Mir geht es gut. Die Kopfschmerzen scheinen verschwunden zu sein.“ Ein weiterer Blick auf Devlin, auf seine zusammengezogenen Augenbrauen, ließ mich ahnen, dass er durchaus wusste, mit wem ich sprach.
„Super! Ich komme am Morgen und sehe nach dir, bevor du entlassen wirst. Ach übrigens, ich habe von meiner Mutter heute Abend erfahren, dass das Moscow City Ballet nach Oxford kommt. Und da habe ich mich gefragt … würdest du nächste Woche mit mir hingehen?“
„Ähm …“
Das kann jetzt nicht wahr sein. Als ob das Schicksal sich über mich lustig machen wollte. Oder mich vielmehr zwingen, mich zu entscheiden …
„Danke, Lincoln, das ist lieb, dass du fragst.“ Ich zögerte, schaute zu Devlin. Mit seinen blauen Augen erwiderte er ruhig meinen Blick, und ich traf meine Wahl. „Aber ich habe schon was ausgemacht.“
„Oh.“ Seine Enttäuschung war spürbar. Dann verabschiedete er sich fröhlich: „Nun, dann halt ein anderes Mal. Ich lasse dich jetzt mal in Ruhe. Gute Nacht, Gemma, schlaf gut.“
„Gute Nacht.“
Ich legte das Handy weg, aber nicht gleich aus der Hand. Mit einem Mal war ich aus unerklärlichen Gründen schüchtern und konnte Devlin nicht in die Augen sehen.
„Welche Ehre für mich, dem Herrn Doktor vorgezogen zu werden“, sagte er.
Ich hob den Kopf und bemerkte das Funkeln in seinen Augen.
„Komm nicht auf dumme Gedanken“, erwiderte ich schnell. „Du hast zufällig zuerst gefragt, und aus Gründen der Höflichkeit …“
Süffisant hob er eine Augenbraue und beugte sich zu mir. Ich hielt den Atem an – würde er mich jetzt küssen?
„Weißt du, was, Gemma?“, fragte er sanft. Sein Mund war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt.
„Was?“, flüsterte ich.
„Du bist eine ganz schlechte Lügnerin.“ Er grinste, drückte seine Lippen kurz auf meine Stirn und verschwand hinter den Vorhängen.