Den Morgen erwarteten wir in einem tristen kleinen Motel, in dem man die Jäger förmlich riechen konnte. Ich lag auf meinem Bett und lauschte den vagen Geräuschen aus dem Nachbarzimmer – Fremde spielten einsame Kartenrunden –, bis ich schließlich aufhörte, auf die Uhr zu sehen, und in der ersten Morgendämmerung meinen Vater und meinen Sohn weckte. Pop konnte sich zuerst weder umdrehen noch aufsetzen; er hustete rasselnd und hatte wenig Lust, den Frühaufsteher zu spielen: Alles tue ihm weh, es habe keinen Sinn, so zu tun, als wäre das nicht so. Aber Sean gähnte und riss sich kurz entschlossen aus seinen Träumen, sprang aus dem Bett, schoss ins Bad und ließ sein Nachtwasser laut plätschernd ab, kam zurück, lehnte sich lässig in die Motelkissen und stopfte Munition in die Taschen seiner Jacke. »Komm schon, Pop«, sagte er. »Auf geht’s.«
Pop knurrte, blinzelte und tastete nach dem Glas mit seinem Gebiss, sagte brummig aus dem Mundwinkel: »Immer langscham, Schohn. Bisch wie dein verdammter Vater. Immer allesch viel schu haschtig.«
Ich schüttelte den Kopf. Sie übertrieben beide ein wenig.
»Das ist schon lange her«, rief ich Pop in Erinnerung.
»Außerdem schläft Sean sonst morgens so fest, dass man Dynamit braucht, um ihn hochzujagen.«
Pop schob sich das Gebiss in den Mund. »Noch gar nicht so lange her«, sagte er, während er prüfte, ob die Zähne richtig saßen, man sah, wie der Kiefer mahlte und die langen Kerben in seinen Wangen tiefer wurden. »Wo kriegen wir Frühstück?«
Wir fuhren durch eine stille, frostige Dunkelheit; die mit Salbei bestandene Steppe fing gleich hinter der Straßenböschung an. Überall vor den herbstlichen, schamlosen Motels an der Straße luden Jäger auf Parkplätzen im Scheinwerferlicht der Autos ihre Ausrüstung ein, Atemwolken quollen ihnen aus dem Mund. Hunde umkreisten die Autos, kahle Zäune versperrten leere Swimmingpools, die letzten Blätter hingen noch an den Weiden, der Geruch der in einiger Entfernung liegenden Schlachthäuser hing in der Luft, Neonleuchten brannten unter einem leeren Himmel. »Was haben wir vergessen?«, dachte Pop laut vor sich hin. »In der Steppe gibt’s keinen Supermarkt.« Alle Geschäfte hatten zur Eröffnung der Jagdsaison schon um vier Uhr morgens auf, kleine anheimelnde Lichtinseln am Rand des Moses Lake, und boten das an, was man in letzter Minute brauchte. Fern im Westen, gegen die dunklen Berge und unser Zuhause hin, zog sich über den ganzen Horizont ein lockeres seidiges Wolkenband. Pop machte uns darauf aufmerksam. »Gegen Mittag gibt’s Wind«, sagte er voraus. »Könnte helfen.«
Beim Frühstück befanden wir uns in einer Welt, die nur aus Jägern bestand, einige in Tarnfarben, alle sehr darauf aus, das Essen schnell hinunterzuschlingen, die meisten, so schien mir, jünger als ich, aber nicht so jung wie Sean, viele von ihnen trugen eine entschlossene Ruhe zur Schau, die ihr unsägliches Jagdfieber verdecken sollte. Pop bot Sean seine Pfannkuchen drei oder vier Male an, bevor der Junge sie verlegen annahm. »Du brauchst sie«, erklärte Pop. »Iss auf. Na los, Junge.«
»Meinst du wirklich?«
»Wirklich.«
»Behalt die Hälfte.«
»Ich will sie nicht.«
»Aber später kriegst du dann Hunger.«
»Nimm schon.« Pop schob den Teller mit dem Messer weg.
»Jetzt iss sie schon auf. Nur zu.«
Er beobachtete Sean mit unverhohlenem Vergnügen: Ein gesunder Appetit war etwas, was er unter allen Umständen hochschätzte. Sean hielt die Gabel zwischen seinen kräftigen Zähnen, um die Hände frei zu haben, und ertränkte die Pfannkuchen in warmem Ahornsirup.
Pop hatte seine Pfeife angezündet und ließ sich von der Kellnerin die Thermoskanne mit gezuckertem Kaffee füllen. Als wir hinausgingen, war der kleine Vorraum voller Jäger, und auf dem Parkplatz waren noch mehr, sie rückten die Mützen zurecht und redeten ihren Hunden gut zu.
»Riechst du den Wüstensalbei?«, sagte ich zu Sean. »Das ist der stärkste Geruch hier draußen. Er ist überall.«
»Manche Stauden leben hundertfünfzig Jahre«, sagte Pop nachdenklich. »Den Salbei, den du riechst, hat schon Häuptling Joseph gerochen.«
»Riecht gut«, sagte Sean. »Nichts wie hin.«
Ich fuhr auf die Dodson Road. Steppe zur Linken, bewässerte Weizenfelder zur Rechten unter einem kalten Sternenhimmel. Wo die Straße den Fluss kreuzte, wurden Kanus zu Wasser gelassen. Die Parkplätze, an denen wir vorbeikamen, waren voller gerade aufgestandener Jäger, Campingwagen, Pick-ups, Wohnwagen, Lampenlicht hinter Gardinen. Ein paar Schatten irrten in der Ferne schon mit schwankenden Taschenlampen durch die Steppe. Der Herbstweizen war abgeerntet, aber die Stoppeln standen noch hoch genug, um den Vögeln Schutz zu bieten; in solchen Feldern liefen sie vor einem her und flogen erst auf, wenn ihnen nichts anderes übrig blieb. »Menge Korn hier«, stellte Pop fest. »Das warme Wetter hat dem Weizen gutgetan.« Wir kamen an einer einzelnen Spießente vorbei, die sich auf einem kleinen Teich niedergelassen hatte.
»Dafür haben die noch ungefähr anderthalb Stunden Zeit«, sagte Sean und wandte den Kopf, um sie zu beobachten, als wir vorbeifuhren.
Wir parkten an einem Gatter und teilten die Lockenten unter uns auf. Pop kam mit seinem Satz Enten nicht zurecht; Sean hielt ihm eine Weile die Lampe, während er sich das Gepäck langsam auf den Rücken lud, den Rucksack und die Riemen aus Manilahanf für die Lockenten, dieselbe Ausrüstung, die er nun schon gut fünfzig Jahre für die Jagd benutzte. Wir nahmen unsere Gewehre, ich drückte den Stacheldraht neben dem Gatter herunter, und wir stiegen über den Zaun in die Steppe und folgten der Doppelspur eines alten Viehweges.
»Der Trail wird jedes Jahr schlechter«, sagte Pop. »Gibt kein Vieh mehr.«
Sean sagte: »Wir brauchen doch gar keinen Trail hier draußen. Man kann doch einfach in Luftlinie auf den Fluss zulaufen.«
»Das Dumme ist nur, dass ich nicht durch die Luft fliegen kann. Ich hab immer Sand in den Stiefeln«, sagte Pop.
Nach ein paar Hundert Metern verlor Pop seine Enten; sie lösten sich ohne Vorwarnung von seinem Rücken und plumpsten ins Steppengras. Wir warteten, bis er sie umständlich wieder umgeschnallt hatte, Sean bohrte den Stiefelabsatz in den Sand und spielte mit den Patronen in seiner Jackentasche. Ich war zu warm angezogen und schwitzte schon, also knöpfte ich die Jacke auf und nahm die Mütze ab. Wir drei wanderten durch Sternmiere und Fingerhirse. Der Horizont war schon nicht mehr schwarz, sondern zartrot, als Pop auf die ersten Vögel des Morgens wies, die sich als Silhouetten vor dem Himmel abzeichneten: ein Zug Stockenten, elf oder zwölf, Richtung Nordwesten. »Die kommen von den Seen im Süden«, erklärte er uns, während er mit den Augen ihrem geschmeidigen Auf und Ab folgte. »Die wollen einfallen.«
»Kommt, wir müssen weiter«, sagte Sean. »Nun kommt doch.«
Er ging voraus. Pop und ich blieben eine Weile sitzen, mit den Rucksäcken an einen kleinen Sandhügel gelehnt.
»Wie geht’s dem Knie? Macht es dir zu schaffen?«
Pop rieb ein-, zweimal an der Außensehne entlang. »Es geht. Noch geht’s.«
Wir gingen auf einer kleinen Sandrippe und bildeten uns ständig ein, Fasanen im Salbei rascheln zu hören. Wir kletterten über eine schwarze Düne, arbeiteten uns zu einer Geländemarkierung hinab, gingen dann zwischen zwei sumpfigen, schilfbestandenen Teichen hindurch, wo wir im Laufe der Jahre immer mal wieder eine gute Strecke erlegt hatten, indem wir uns trennten und jeder für sich die flachen Stellen am Rand des Wassers durchkämmte. Pop hatte hier viele gute Tage erlebt; ich hatte ihn mehr als einmal einen Dreier schießen sehen. Mir fiel der Schof wieder ein, der vom Südteich aufgeflogen und auseinandergestoben war; zwanzig Jahre war es her, und damals hatte Pop in schneller Folge einen Vogel rechts und einen links getroffen und dann zum Schluss mit einem Schuss im Abstreichen unglaublicherweise einen dritten erwischt. Ich fragte mich, ob er das noch wusste. Oder ob all die Enten und sogar die Jagden im Hochland in seinem Gedächtnis verblassten.
Es war jetzt hell genug, um ohne Taschenlampen zu gehen. Eine Formation Wildgänse, gebrochene V-Linien, rauschten dreihundert Meter über uns im Halbdunkel vorbei. Ganz gleich, wie oft man sie schon im Flug gesehen hatte, ihre Geschwindigkeit, die Harmonie ihrer Zielstrebigkeit, die eindrucksvolle Höhe, der schwache, aber hörbare raue Ton aus fünfzig Kehlen – immer wieder pochte einem bei diesem Anblick das Herz. Gebeugt unter seiner Last, beobachtete Pop sie auch. Ich konnte ihn atmen hören. Wir überquerten die letzte schwarze Düne nebeneinander, langsam, und dann blieben wir stehen und schauten über den Fluss.
»Da sind wir«, sagte Pop. »Verdammt.«
Sumpfgras, goldene Rohrkolben, kleine graue Teiche, so weit das Auge reichte. Nach Osten dehnte sich unendlich weit die Steppe. Während wir noch schauten, fiel ein Zug Krickenten ein, genau an der Stelle, wo wir so viele Jahre lang unseren Ansitz gehabt hatten. Wir hörten Schüsse, die ersten des Tages, eine Krickente stürzte wie ein Stein herab, und gleich darauf kamen Schüsse aus allen Richtungen.
»Wir sind etwas spät dran«, sagte ich. »Die Saison ist eröffnet.«
»Was ist denn mit Sean?«
»Der zieht sich die Wathose an.«
»Das Flussbett wandert jedes Jahr ein Stück weiter raus. Gräbt sich auch immer tiefer ein.«
»Wir können uns einen Ansitz auf dieser Seite suchen, Pop. Kein Grund rüberzugehen.«
Wir suchten uns eine Stelle, wo das Riedgras wie eine Landspitze ins Wasser ragte, und kämpften uns in die Wathosen. Sean hatte seine Sachen unter eine Dornweide gelegt, ordentlich. »Los«, sagte er. »Kommt.«
Ich überließ ihm die Führung. Wir gingen dicht hintereinander in hüfthohem Wasser, an dem Adlerfarn des Ufers entlang, die Strömung traf uns schräg von hinten. Mit über den Kopf gehobenen Gewehren gingen wir weiter. Man spürte den Druck des Wassers hinten an den Waden und Oberschenkeln. Ich sah zwei Forellen davonschießen, noch lautloser als in einem Traum, den ich einmal gehabt hatte, einem Traum, in dem sich zwei Forellen vollkommen synchron durch Schilf bewegten.
Pop fand einen guten Ansitz für uns – etwas erhöht im Sumpf, genau gegen den Wind, günstige Strömung, dichter Farn; wir verankerten die Lockvögel am flacheren Ende, sodass sie stromabwärts trieben und gut sichtbar waren. Man musste bis zum Bauch ins Wasser waten, um sie gut zu platzieren, deshalb machte ich das. Pop hatte die Pfeife angezündet und stand im Schilf; er warf mir die Lockvögel zu; dann verteilten wir uns, hielten etwa zwanzig Meter Abstand zueinander und gingen in Deckung.
Die ersten Enten fielen nach knapp einer Stunde ein; wir hatten von überall um uns herum Schüsse gehört, und jetzt waren wir an der Reihe. Es waren vier Stockenten, unhörbar, weil sie zu hoch über uns kreisten, aus den Weizenfeldern kommend, wo sie in der Nacht unter dem Sternhimmel Nahrung gefunden hatten, und nervös, weil an diesem Tag alle vertrauten Stellen von Schüssen widerhallten. Ich versuchte, sie mit einem Fütterungsruf anzulocken, einer Folge gedämpfter, dumpfer Laute, dann mit dem hart nasalen Ruf der Ente an den Erpel. Sie kreisten zweimal in weiten Bögen, um das hohe Ried nach Norden hin zu prüfen; als sie zum dritten Mal über uns waren, setzten alle vier elegant zum Einfallen an und kamen mit dem Wind herunter. Ich sah, wie sie die Brustfedern aufplusterten; irgendetwas plätscherte bei den Lockvögeln herum. Sean stand auf und erwischte den Leitvogel aus der Nähe mit einem Schuss in den Flügel; ich traf eine nach links abstreichende Ente. Der Aufprall drückte sie von mir weg, sie spreizte noch einmal die Flügel, überschlug sich und stürzte herab. Die beiden anderen Vögel drehten ab und gewannen mit kraftvollen Flügelschlägen schnell an Höhe; Sean verschwendete eine Patrone, als er vergeblich versuchte, den hinteren zu treffen.
»Deine schwimmt«, rief Pop aus seinem Versteck. »Los, Junge. Bring zu Ende, was du angefangen hast.«
Sean schoss auf seinen schwimmenden verwundeten Erpel, wobei er, wie ich fand, etwas peinlich berührt aussah, und lud sofort nach. Wir ließen die beiden Enten an den Lockvögeln vorbeitreiben, bis sie schließlich gegen das Schilf geschwemmt wurden.
»Kann ich hingehen und sie holen?«, rief Sean. »Ich möchte sehen, wie groß meiner ist.«
»Die laufen dir nicht weg«, antwortete Pop. »Lass sie liegen.«
Die Schlacht setzte sich bis in den späten Vormittag fort; ein paar Jäger in der Nähe schossen auf gut Glück auf viel zu hoch fliegende Vögel, und Pop verfluchte sie ein-, zweimal. In einem solchen Schrothagel würden keine Enten einfallen. Ich versuchte, eine versprengte Gruppe Krickenten anzulocken, aber sie ließen sich nicht täuschen und zogen über die Hügel davon. Sonst sah man nur Vögel, die sich verschreckt in großer Höhe hielten.
Um die Mittagszeit bekamen wir dann tatsächlich den Wind, den Pop vorhergesagt hatte, und plötzlich strichen mindestens dreißig Krickenten dicht über dem Wasser an uns vorbei, ein kompakter Schwarm, dunkel und so schnell, dass keiner zum Schuss kam außer Sean, der aber nicht traf. In einer einheitlichen harmonischen Bewegung schwenkte der ganze Zug nach Osten, stieg in einer langen Kette von Silhouetten auf, bis die Entfernung sie mit dem Himmel verschmolz.
»Was war denn mit euch?«, fragte Sean.
»Ich hab geschlafen«, sagte ich. »Die kamen zu schnell rein. Ich hab die Flinte gar nicht hochgekriegt.«
»War mit meiner Pfeife beschäftigt«, rief Pop uns zu. »Verdammt.«
Als der Wind nachließ, standen wir auf, um zu Mittag zu essen. Roastbeefsandwiches und für jeden ein Stück Kuchen. Pop steckte sich die Pfeife an und hielt sich das Knie. Die Sonne stand hoch, und es war warm geworden, schlecht für die Jagd, aber angenehm zur Essenszeit. Wir knöpften unsere Jacken auf und reichten das Wasser herum, es war kalt und schmeckte nach Feldflasche. Pop sah zu, wie Sean über seinen Kuchen herfiel, ich aß meinen und schenkte für alle Kaffee aus der Thermoskanne ein.
»Ich frage mich, ob wir es nicht mal mit dem Streifen versuchen sollen«, sagte Sean. »Vielleicht bringt’s das.«
»Lieber nicht rumwandern«, sagte Pop kaffeeschlürfend.
»Sonst hält dich so ein Himmelsschütze noch für streunendes Wild und versucht, dir ’ne Ladung Schrot auf den Pelz zu brennen.«
»Da drüben sind Tümpel.« Sean zeigte nach Südwesten.
»Da schießt niemand. Den ganzen Tag sind einzelne Vögel da runtergegangen. Die Versprengten sind verwirrt und landen da am Wasserrand. Ich wette, da unten kriegen wir was vor die Flinte. Ich wette mit dir, Pop.«
»Was setzt du?«, fragte Pop. »Kann sein, du hast recht, vielleicht auch nicht. Ihr könnt ja schon mal vorgehen und gucken, oder?«
»Zu dritt könnten wir bestimmt was aufstöbern.«
»Das könnt ihr genauso gut zu zweit, mein Junge.«
Sean und ich fanden eine ganze Kette von Tümpeln, an denen man entlanggehen konnte, und ich erwischte eine weibliche Stockente, die querab aufflog. Sie hatte Mühe, Höhe zu gewinnen, und gab mir reichlich Zeit zum Zielen und Abdrücken, sodass ich nicht instinktiv feuern musste. Ich machte alles sehr bewusst und richtig, und das war befriedigend. Sie taumelte, eine Federwolke, und dann fiel sie ins Schilf. Ich überließ es Sean, hineinzugehen und sie zu holen.
Wir gingen gut zwei Kilometer durch die Steppe; es waren keine Vögel zu finden, aber das machte nichts. Ich merkte, dass Sean nach Kragenenten Ausschau hielt, obwohl er wusste, dass man sie ohne Hund in der Regel nicht zum Auffliegen bringen konnte. Aber er war eben noch sehr jung, gerade zwanzig.
Schließlich streckten wir uns auf der höchsten schwarzen Düne aus. Von hier aus konnte man den ganzen Fluss überblicken, ein glitzerndes Band mit Sonnenreflexionen und dichten Schilfsäumen, das sich bis an die Saddle Mountains hinzog.
Sean lag, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, da und sagte: »Wir kriegen nichts vor die Flinte. Ich hasse lahme Tage. Wirklich.«
»Ist doch schön, einfach nur draußen zu sein«, erinnerte ich ihn.
»Weißt du was? Pop hat den ganzen Tag noch keinen Schuss abgefeuert. Wir sind doch schon lange genug dabei.«
»Er hat im Laufe der Jahre genug geschossen, Sean.«
Sean entlud seine Flinte und pustete Sand von der Patrone. »Trotzdem«, sagte er. Das war alles.
»Er wird schon zum Schuss kommen, bevor wir Schluss machen«, sagte ich voraus. »Das werden wir alle. Heute Abend.«
Auf dem Rückweg gingen wir nebeneinander im flachen Wasser am Flussufer entlang, versuchten möglichst lautlos durch den Farn zu kommen. Ich erinnerte mich, was Pop über das seichte Wasser an einem unruhigen Jagdtag gesagt hatte: Weil sie merkten, wie gefährlich es in der Luft war, blieben die versprengten Vögel in Deckung und flogen nicht auf, bis man fast auf sie trat. Ich überlegte, dass sie, wenn überhaupt, dann nur mit dem Wind im Rücken auffliegen würden, also gingen wir im Zickzack, um den Ufersaum mit dem Wind im Gesicht abzusuchen. Und tatsächlich stieg ein Spießentenpaar auf, und Sean erwischte beide, die eine direkt von vorn, als sie auf ihn zukam, die andere, als sie genau über uns war. Beides waren sehr präzise Schüsse, und er stieß einen Jubelruf aus, als die Vögel heruntergekommen waren, und hielt die Flinte über dem Kopf.
Wir holten die drei Vögel und nahmen auch die beiden früheren mit, die von der Strömung ins Schilf gespült worden waren. Sean hob seine Spießenten hoch, damit Pop sie sehen konnte, und Pop wedelte zur Antwort mit seiner Pfeife über dem Kopf.
Am Spätnachmittag kam wieder Wind auf. Ich blieb bei Pop, um ihn in Bewegung zu halten. Ich wusste, dass er sich in den Farn setzen würde, wenn er müde wurde. »Wo haben wir eigentlich damals unsere Weihnachtsgans geschossen?«, fragte er. »Ich mein, es war da unten, in Richtung auf das Staubecken. Kurz vor den Steilhängen da drüben.«
»Das war da hinten. An den beiden zusammenliegenden Tümpeln. Da hinten, wo du die Kuppe siehst.«
Die ersten Schwarzdrosseln waren jetzt auf Nahrungssuche. Erst machten einzelne Paare im Gleitflug Jagd auf Insekten, dann kamen ganze Wolken, sie flogen wellenförmig, synchron wie Fischschwärme. Sie gingen im Sturzflug herunter, vollzogen eine elegante Schwenkung, drehten sich einmal um sich selber, stoben dann in wildem Durcheinander in das Zwielicht des Abendhimmels hinauf. Jetzt tauchten auch wieder Stockenten auf. Ein Paar kreiste einmal, zweimal – weite, auseinandergezogene Spiralen –, fiel dann vor uns ein, sodass wir erst spät zum Schuss kamen, es waren ein Erpel und eine Ente, die flach über die Böschung hereinstrichen, zwei schnelle Schüsse von hinten. Ich überließ Sean den ersten und rief Pop zu, er solle den zweiten nehmen, aber Pop zögerte, und Sean verfehlte seinen; die Vögel warfen sich wild herum, erwischten einen Aufwind und zogen nach oben, und wir hatten nichts vorzuweisen.
»Achtung«, rief Sean. »Jetzt kommen sie raus.«
Eine einzelne Stockente strich übers Wasser und setzte über unseren Lockvögeln zur Landung an, da erst schoss Sean auf sie – genau und mit der richtigen Ruhe. Er bewies ausnahmsweise Geduld, fand ich, aber trotzdem schoss er daneben, und sie war immer noch im Gleitflug über dem Schilf, als er sie mit einem zweiten Schuss sauber erwischte. Während er noch nachlud, kam ein Schof von acht Enten, kreiste über dem windabgewandten Ried, drehte ab, als hätten die Vögel aufgegeben, kam dann aber im Bogen zurück. Misstrauisch kreisten sie noch zweimal, setzten dann unsicher zum Einfallen an, blieben auf zwanzig Meter Höhe und strichen dann niedriger über unsere Deckung hinweg; ich ließ mich rückwärts in den Farn fallen und drückte hastig ab, ohne den Vorhalt richtig zu berechnen, und alle acht waren schnell außer Schussweite.
»Ruf sie!«, schrie Sean. »Ruf sie rein!«
Ich ahmte den Fütterungsruf nach, ungeduldig wie ein Junge, denn mir schien, dass dies so kurz vor Einbruch der Dunkelheit unsere letzte Chance des Tages war. Es waren mindestens zwei Dutzend Krickenten, die leicht nach rechts geneigt und langsam herabfallend auf uns zukamen, eng zusammen und schnell, aber schon von weitem anzusprechen, sodass ich Zeit hatte, Pop zu sagen, er solle gleichzeitig mit mir feuern. Als sie jäh gegen den Wind einfielen, wusste ich, dass Sean sich zurückhalten würde; dann waren sie auf dem Wasser, und dann zogen sie mit schlagenden Flügeln und geplusterten Brustfedern wieder von den reglosen Lockvögeln weg, hoben sich in die Luft, flogen aus kleinen aufgewühlten Stellen im Teich auf, von den Schwänzen perlten silbrige Wassertropfen, und ich legte an und schoss vollkommen ruhig. Sean holte mit dem ersten Schuss zwei Vögel herunter, schoss dann aber zu schnell hintereinander, obwohl er Zeit gehabt hätte, und traf beim zweiten Mal nicht, aber ich schaffte mit der Bedächtigkeit, die ich mir in den letzten Jahren zugelegt habe, einen Dreier. Schnell schießen kann ich nicht mehr.
»Sehr gut«, sagte Pop und legte mir die Hand auf den Arm.
»Genau so hätte ich es auch gemacht. Wie aus dem Bilderbuch.«
Im letzten Licht zog ich unsere Lockvögel an Land und wickelte ihre Ankerleinen auf, und mein Sohn sammelte die sechs Enten ein, die noch auf dem Wasser trieben. Ich fragte meinen Vater nicht, warum er nicht geschossen hatte, aber Sean in seiner Unbekümmertheit tat es. »Ich hab kein ruhiges Ziel«, erklärte Pop ihm. »Die Saison fängt ja auch erst an. Ich bin ein bisschen müde, schätz ich. Ich bin noch nicht so weit.«
Aber wir hatten reichlich Vögel, elf an einem Tag; wir waren mit uns zufrieden, es war ein perfekter Tag gewesen. Ich ließ Sean die Vögel tragen; er drapierte sich die Schnur, an die sie gebunden waren, über die Schulter, und ich wusste – und weiß –, wie er sich fühlte, als er mit seiner Last durchs Wasser watete. Pop platschte hinter uns her, seinen Jutesack auf dem Rücken und die Pfeife zwischen den Zähnen. »Wird langsam kalt«, sagte er einmal.
Der Tag kehrte an seinen Anfang zurück; es war wieder dunkel, und wieder wanderten wir, befreit von den Wathosen und mit entladenen Flinten, über Salbei und schwarze Dünen. Sean erklärte Pop, wie er seine Stockenten zur Strecke gebracht hatte, wie die Läufe den auf ihn zukommenden Vogel verdeckt hatten, wie er sich mit dem überfliegenden und aufsteigenden Vogel gedreht und nicht nur vorgehalten, sondern den Schuss nach oben vorgeschwungen hatte. Langgestreckte Gänseformationen zogen über uns hinweg. Die Schwarzdrosseln hatten sich für die Nacht zurückgezogen. Als die ersten Sterne zu sehen waren, begann ein Kojote zu heulen; ich blieb stehen, um ihm zuzuhören, und roch den Salbeiduft; Sean ließ mich in seinen Fußstapfen zurück. Er ging mit den Vögeln über den Schultern weiter, und der Schein seiner Taschenlampe huschte in der Salbeisteppe hierhin und dorthin.
Pop kam angehumpelt, und wir setzten uns. »Das Knie«, sagte er. Ich gab ihm meine Feldflasche; wir ruhten uns schweigend aus. »Da unten«, sagte ich und wies mit dem Finger, »sind die Teiche, an denen du den Dreier bei der Streifjagd geschossen hast. Am südlichen Teich war es. 1965, glaub ich.«
Pop wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen, nickte nur kurz und gab mir die Feldflasche zurück. Aber ich konnte sehen, dass er sich erinnerte.
»Es ist Kinderkram, so was zu ernst zu nehmen«, sagte ich ihm. Ich musste ihn hochziehen, weil er keine Anstalten machte, von sich aus aufzustehen. Ich hielt mich jetzt hinter ihm. Ich betrachtete seinen Rücken, den Jutesack, sah, wie er sein Knie vorsichtig hob und das linke Bein nicht belastete. Wir rasteten immer wieder. »Verdammter Salbei«, sagte Pop. »Der Duft macht einen irgendwie schwer.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Also sagte ich gar nichts. Wenn jemand Worte für ihn finden konnte, dann ich, aber mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können.
Kurz vor dem Ende unseres Weges kamen wir kaum noch voran. »Wir sind schon an den Blesshuhnteichen«, sagte ich. »Jetzt sind es höchstens noch zweihundert Meter bis zum Zaun.« Aber wir saßen lange im Sand und schwiegen. Ich konnte sehen, dass mein Sohn die Autoscheinwerfer angeschaltet hatte. »Nur noch ein paar Schritte«, sagte ich zu Pop. »Nun komm.«
»Geh du vor«, antwortete er. »Über kurz oder lang komm ich.«
»Bestimmt?«
»Ich möchte nur noch ein Weilchen hier sitzen bleiben.«
Ich ging voraus und wartete mit Sean. Wir legten die Enten alle nebeneinander auf die Kühlerhaube und betrachteten sie. Die Krickenten hatten glatte Unterdeckfedern am Schwanz; eine Stockente hatte eine so fest gerollte Bürzellocke, wie wir sie beide noch nie gesehen hatten.
»Kein schlechter Saisonanfang«, sagte Sean. »Elf Vögel. Zähl mal.«
Er ließ den Lichtkegel der Taschenlampe immer wieder über sie hinweggehen. »Essen auf dem Tisch«, sagte er. Ich wollte ihm sagen, dass er sich täuschte, dass Essen auf dem Tisch eine kindliche Illusion war, aber ich sagte nichts, weil ich wusste, dass er das sehr bald selbst herausfinden würde.
Endlich war Pop am Stacheldrahtzaun. »In Ordnung«, sagte er fest. »Lasst uns losfahren.«
Er schlief, als wir über die Berge fuhren, schlief dann wieder wie ein Baby, das Kinn auf die Brust gedrückt, nachdem wir in einer Raststätte in Vantage zu Abend gegessen hatten. Sean schlief auch, und ich fuhr allein mit mir und meinen Gedanken über den Snoqualmie-Pass. In achthundert Meter Höhe lag Schnee, aber die Schneepflüge hatten eine Fahrbahn ordentlich geräumt. Und ich folgte ihrer Spur über den Gipfel, während die Scheibenwischer hin- und herschabten und der Defroster mir in den Ohren rauschte. In North Bend schreckte Pop hoch, steckte sich die Pfeife an, setzte sich aufrecht und lehnte den Kopf an das Seitenfenster.
»Was ist denn?«, sagte ich.
»Nichts.«
Wir überquerten die schwimmende Brücke und fuhren nach Seattle hinein. Sean wachte auf, rieb sich die Augen und sah auf die regennassen Straßen hinaus. »Wir sind schon wieder zurück«, sagte er. »Mist, Dad.«
»Man kann nicht jeden Tag jagen«, sagte ich.
Als ich dann vor Pops Apartmenthaus hielt, begriff ich sein Schweigen. Ich öffnete die hintere Tür des Wagens und holte seinen Rucksack mit der Wathose, der Thermoskanne und der Feldjacke heraus. Er roch stark nach Salbei, und als ich einen Blick hineinwarf, sah ich die Zweige, die er sich für sein Wohnzimmer gepflückt hatte.
Wir schüttelten uns die Hände, und vieles blieb ungesagt. Mein Vater wollte keine von den Enten; er hatte keine Lust zum Ausnehmen und Rupfen, sagte er. Ich begleitete ihn durch den Flur und brachte ihn in seine Wohnung; Pop humpelte davon und ließ das Badewasser ein.
Als ich wieder neben meinem Sohn im Auto saß und den Wagen anlassen wollte, sah ich, was Pop im Auto gelassen hatte. Der Motor war noch nicht angesprungen, da sah Sean es auch und wandte sich hilfesuchend an mich. »Pops Flinte«, sagte er. »Er hat sie vergessen.«
Ich legte ihm die Hand auf den Arm. Fast hätte ich gesagt »Geh und bring sie ihm rein«, aber ich tat es nicht, ich unterdrückte es, und wir fuhren los. Mein Sohn sagte kein Wort mehr.