Buddi wurde nach dem Vorfall auf ein Internat geschickt. Roland bekam vier Wochen Stubenarrest und kein Taschengeld.

– Von meinem Geld besäuft der sich nicht nochmal! –, hatte der Vater getobt. – Von meinem Geld nicht! –

In der zweiten Woche steckte die Mutter Roland 10 Mark zu.

– Aber erzähl es deinem Vater nicht. – Roland sagte:

– Nein, bestimmt nicht! –,

und kaufte sich an der Trinkhalle einen Zitronensauren. Er versteckte die Flasche unten in seinem Kleiderschrank und nahm sich vor, sparsam damit umzugehen.

Er schlief unruhig und hatte am Morgen ein Würgen im Hals. Er stand auf und holte sich die Flasche aus dem Kleiderschrank. Nach dem ersten Schluck ging es ihm besser.

 

Ein paar Tage später nahm er seiner Mutter einen Zehnmarkschein aus dem Portemonnaie. Er ging gleich nach der Schule zu Teves und verlangte eine nicht so teure Flasche Korn.

– Die will ich meinem Vater zum Geburtstag schenken –, sagte er.

– Die ist genauso gut wie die teuren Sorten. Da hast du etwas Gutes für deinen Vater. –

Während der alte Teves die Flasche als Geschenk einpackte, nahm Roland schnell noch einen Apfelkorn vom Regal.

Er war froh, dass er wieder Vorrat hatte.

 

Als er am Freitag aus der Schule kam, weinte die Mutter.

– Dass du mir das antun musst! –

Roland wusste erst gar nicht, was los war. Dann zeigte sie ihm die beiden leeren Flaschen. Er hatte sie noch wegbringen wollen, aber dann war etwas dazwischengekommen.

– Die hab ich in deinem Schrank gefunden! –

– Na und? Die lagen schon lange da drin. –

Die Mutter sagte nur:

– Kind! –,

und versuchte, ihn in die Arme zu nehmen. Roland war das unangenehm.

 

Er hatte befürchtet, dass sie dem Vater gegenüber etwas von den Flaschen erwähnen würde, aber offensichtlich hatte sie die Sache für sich behalten. Sie sagte auch nichts, als die Geschichte mit dem Etikett passierte.

Der Vater war pinkeln gewesen und hatte runtergezogen.

Aber es kam kein Wasser.

– Wieso geht das Klo nicht? –, fragte er die Mutter.

– Was weiß ich. Vielleicht ist etwas mit dem Schwimmer. –

Der Vater stieg auf das Klobecken und entdeckte im Wasserkasten die halb leere Flasche Kümmel. Das Etikett war abgegangen und verstopfte den Wasserabfluss.

– Mein Gott … –, sagte die Mutter und der Vater brüllte:

Roland wusste auch nicht, wie die Flasche in den Wasserkasten gekommen sein könnte. Vielleicht waren es die Handwerker?

– Wir haben seit Jahren keine Handwerker gehabt! –

– Dann liegt das Ding vielleicht schon seit Jahren da drin. –

– Mir reicht’s jetzt! Renate, halt mich mal fest! –

Der Vater stieg vom Klo herunter und wusch sich die Hände.

– Mein lieber Freund –, sagte er und betonte jedes Wort. – Wenn ich dich noch einmal erwische … –

 

Zu seinem 15. Geburtstag bekam Roland kein gebrauchtes Mofa, sondern eine gute Kamera.

– Damit kann man alles machen –, sagte die Mutter. – Die Fototasche schenken dir Opa und Oma Geiger dazu. –

Der Vater meinte :

– Eigentlich hast du das alles ja gar nicht verdient! –

Aber dann boxte er Roland freundschaftlich in die Rippen und sagte :

– So, und jetzt stoßen wir auf deinen Geburtstag an. –

 

Von der Schule war ein Schreiben gekommen, dass Roland wiederholt unentschuldigt gefehlt habe.

– Roland –, sagte die Mutter. – Kind, was machst du bloß! –

– Kannst du nicht dem Thiele sagen, dass ich an den Tagen immer zum Arzt musste und du keine Zeit gehabt hast, mir eine Entschuldigung zu schreiben? Bitte, Mami! –

– Ogottogott, das dürfen wir deinem Vater alles gar nicht sagen. Du weißt, was der für ein Theater macht! –

 

– Bloß weil der immer saunen geht mit dem Chef! –

Außerdem gingen dem Vater die Haare aus. Er hatte sich verschiedene Mittel in der Apotheke gekauft, aber die halfen nicht. Er kämmte sich jetzt die seitlichen Haare über die kahlen Stellen. Roland fand das affig. Irgendwann würde er dem Vater das sagen.

 

Am nächsten Tag ging die Mutter in die Schule. Der Thiele bestand darauf, dass Roland bei der Besprechung dabei war.

– Es geht ja schließlich um dich! –

Die Mutter kam wirklich damit heraus, dass Roland häufig zum Arzt gemusst habe. Aber der Thiele unterbrach sie sofort.

– Frau Geiger, wir wollen nicht darum herumreden. Ich habe das Gefühl, dass Roland auf dem besten Wege ist, alkoholabhängig zu werden. –

Die Mutter sah ihn entsetzt an. Woher weiß der Thiele überhaupt davon, dachte Roland und verteidigte sich:

– So viel trinke ich gar nicht! –

Der Thiele riet der Mutter dringend, mit Roland eine Suchtberatungsstelle aufzusuchen.

– Und Ihr Mann sollte unbedingt dabei sein. –

– Mein Mann ist so viel unterwegs. –

– Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit, Frau Geiger. Sie dürfen das nicht auf die leichte Schulter nehmen. –

– Das tue ich ja gar nicht. –

– Bei Jugendlichen ist der Weg in die Abhängigkeit viel

– Das ist ja furchtbar! –

Dann sagte der Thiele noch, dass Roland sich sehr anstrengen müsse, um die Klasse zu schaffen.

– Englisch Fünf, Mathematik eine schwache Vier, Biologie auch Vier minus. Das kann knapp werden, Roland. –

 

Auf dem Nachhauseweg weinte die Mutter und Roland hatte wieder sein schlechtes Gewissen.

– Mami, bitte glaub mir, ich trinke überhaupt nichts mehr! Da kannst du Gift drauf nehmen! –

– Nun mach nicht auch noch dumme Witze! –

– Nein, ehrlich. Du wirst es sehen. Ich verspreche dir das. Außerdem spinnt der Thiele. Ich trinke viel weniger als Martin Hanschke und der Peter Lattow. Der säuft vielleicht! –

 

Roland nahm sich fest vor, weniger zu trinken. Er machte sich einen Zeitplan. Nichts trinken vor 17 Uhr. Nur alle drei Stunden trinken. Ein Rest muss in der Flasche bleiben. Keine harten Sachen mehr. Äppelwein, dachte er. Äppelwein ist gut. Da ist nicht so viel Alkohol drin. Äppelwein hatten sie auch immer zu Hause.

– Das einzig Richtige gegen Durst –, behauptete der Vater.

– Auf jeden Fall besser als Bier –, meinte die Mutter. – Ich hab irgendwo gelesen, dass Äppelwein sehr viele Mineralien enthält. –

 

Roland schlief schlecht und wachte oft schon auf, wenn es noch halb Nacht war. Manchmal musste er sich übergeben.

Die Mutter fragte bei jeder Gelegenheit:

– Du hast doch nicht wieder etwas getrunken? –

Einmal schrie er sie an:

– Ich trinke überhaupt nichts mehr! –

Er überraschte sie, wie sie in seinen Sachen herumwühlte.

Jetzt versteckte er die Flaschen besser. Er hatte selten Hunger, aß nur der Mutter zuliebe. Ihr sorgenvolles Gesicht machte ihn manchmal ganz verrückt.

 

Roland hatte Glück und wurde in die 9. Klasse versetzt.

Am ersten Schultag nach den Ferien hieß es plötzlich, dass sie den Bromme als Klassenlehrer bekommen sollten. Es gab Aufregung in der Klasse. Die meisten wollten etwas dagegen unternehmen.

– Das lassen wir uns nicht gefallen! Wir wollen den Thiele behalten! –

Aber auch der Thiele konnte nichts daran ändern.

– Ich bin selbst vor die vollendete Tatsache gestellt worden, dass ich euch abgeben und eine der beiden 5. Klassen übernehmen soll. –

Abgeben, ablegen, abwerfen, dachte Roland.

 

In Englisch behielten sie die Gräve. Vor jeder Arbeit, die sie schreiben ließ, konnte Roland nicht einschlafen. Die Mutter gab ihm dann von ihren kleinen rosa Pillen. Sie hatte in ihrem Nachttisch eine ganze Sammlung von Kopfschmerz-, Beruhigungs- und Schlaftabletten. Von den kleinen rosa Dingern sogar eine Klinikpackung. Es fiel nicht auf, wenn Roland sich welche davon nahm. Sie machten so angenehm dösig.

Später fragte er sich, ob die Mutter nichts gemerkt hatte oder bloß nichts sagte.

Auch in der Klasse hatte Roland Schulden. Einige bedrängten ihn und wollten ihr Geld zurück. Er musste sich immer wieder etwas Neues einfallen lassen, um sie hinzuhalten. Ulrike Bartels bekam seit einem halben Jahr 40 Mark von ihm.

Es war der Mutter sehr peinlich, als Frau Bartels deswegen bei ihr anrief. Sie entschuldigte sich mehrmals für Roland.

Anschließend jammerte sie:

– Nun fängst du auch noch Geldgeschichten an! Ich möchte mal wissen, womit ich das verdient habe. –

Roland versprach der Mutter, dass er die 40 Mark von seinem Taschengeld bei ihr abstottern würde. Aber daraus wurde nie etwas.

Ulrike war es sehr unangenehm, dass ihre Mutter bei Rolands Mutter angerufen hatte.