Alba de Céspedes’ Roman Dalla parte di lei wurde zwischen 1945 und 1948, nach Ende des Krieges, in einem von Faschismus und deutscher Besatzung befreiten, schwer getroffenen Italien geschrieben. Der Roman spielt auf der Folie des Waffenstillstands zwischen Italien und den Alliierten, der Republik von Salò, der Kriegserklärung an Deutschland, des Sieges der Alliierten gegen Deutschland. Die politischen Ereignisse werden vorausgesetzt, ohne eigens benannt zu werden. Mussolini etwa ist immer nur »diese arrogante Stimme« im Radio. Der Roman erschien 1949 bei Mondadori in Mailand. 1994 schrieb de Céspedes, die inzwischen in Paris lebte, für die gestraffte Neuausgabe ein Vorwort. Ihr Fazit war katastrophal: Italien sei zu einer amerikanischen Supermarktfiliale verkommen und segle unter der Flagge des Dollars. Gegen den billigen Ausverkauf, gegen dieses konsumistisch bestechliche Italien stellt de Céspedes, Tochter des kubanischen Botschafters und einer Römerin, in ihrem Nachwort die glorreiche Tradition ihrer Vorfahren, der Helden, Patrioten und Gründungsväter Kubas. Alba de Céspedes hatte unter dem Code-Namen Clorinda, der heroischen Kriegsheroine Tassos, am antifaschistischen Kampf der Partisanen im befreiten Teil Italiens mit einer Radiokolumne Dalla parte di lei teilgenommen; das wurde der Titel ihres Romans. Bereits im Roman war die Bilanz für Italien kaum positiver ausgefallen als im rückblickenden Nachwort: Eine Besatzung, die deutsche, wurde durch eine andere, die amerikanische, ersetzt. Die Amerikaner lächelten, die Deutschen zitierten Rilke.
Erzählt wird im Roman ein Gewaltverbrechen aus ihrer Sicht: eine junge Frau, Alessandra, erschießt ihren Ehemann Francesco, den sie leidenschaftlich liebt, im Schlaf. Sie verzweifelt an der »Mauer seiner Schultern, seines Rückens«. Fast wie Notwehr fühlt sich der Schuss in diese Mauer an, die sie in der Einsamkeit der Institution Ehe erstickt. Aus ihrer Sicht erzählt nicht wie die großen Romane des 19.Jahrhunderts von der Droge Leidenschaft, die Frauen in Ehebruch und Selbstmord treibt. Die Ich-Erzählerin Alessandra hat der Liebe eines anderen Mannes, zu dem sie sich, allein gelassen während des Widerstands, hingezogen fühlte, unter Aufbietung all ihrer Kräfte widerstanden; an ihr ist keine weibliche Schwäche. Sie begeht weder Ehebruch noch Selbstmord, sondern Mord.
Dieser Mord ist ein Akt des heroischen Widerstands gegen eine mörderische Institution, die Ehe. Dieser war schon die Mutter der Ich-Erzählerin zum Opfer gefallen, als sie versuchte, aus ihrem Ehegefängnis auszubrechen, um mit der Liebe ihres Lebens in eine bessere Welt der Liebe, der Freiheit und der Kultur zu entrinnen. Ihr Mann, der verhasste Vater Alessandras, hatte seine Frau zuerst für zu mager, schließlich für verrückt erklärt und hasserfüllt ausgelacht, als sie ankündigte, ihn mit ihrer Tochter zu verlassen. Die Stunden der Freiheit außerhalb der vier Wände muss Alessandras Mutter sich teuer unter dem Vorwand, Geld zu verdienen, erkaufen. Dieser Vater kennt nur die Gewalt des Gesetzes; er weiß nicht, was Liebe ist. Der poetischen Schönheit seiner Frau, ihrem großen Talent gegenüber bleibt er taub und blind. Er lässt sie, die schon ihren Sohn verloren hat, nicht mit der Tochter gehen. Die einzige Freiheit, die Alessandras Mutter in dieser Ausweglosigkeit sieht, ist der Selbstmord: ihren Sohn hat der Tiber geraubt, sie wird in sein Wasser gehen. Die Kleider der Ophelia, ein von ihrer österreichischen Mutter Editta geerbtes Bühnenkostüm, das sie für ihr erstes und letztes öffentliches Konzert umarbeiten lässt, weisen den Weg. Die Tochter spricht von einem moralischen Mord. Der Vater schweigt die Gründe für den Selbstmord der Mutter tot.
Heute würde man von der patriarchalischen Ehe, wie Alba de Céspedes sie in ihrer geballten strukturellen Gewalt darstellt, als einer feminizidalen Institution reden. Das hat de Céspedes lange vor Ingeborg Bachmann, die in ihrem Projekt Todesarten von »Seelenmord« spricht, zu Papier gebracht. Die Tochter indes fällt nicht wie die Mutter der strukturellen Gewalt der Institution Ehe zum Opfer; sie nimmt den Kampf gegen die Ehe, gegen die Leibeigenschaft der Frauen in der Ehe auf. Selbstermächtigt wird sie zum Täter.
Der Unterschied zwischen Mutter und Tochter wird durch ihre ganz verschiedenartige Reaktion auf die Heldin des größten Ehebruchs- und Suizidromans des 19.Jahrhunderts gezeigt: auf Madame Bovary. Die Tochter kann Emma Bovary nichts abgewinnen; Flauberts Titelheldin ist ihr unsympathisch. Die Mutter dagegen hat den Roman oft gelesen und über und über mit Anstreichungen versehen; sie findet viele Gemeinsamkeiten zwischen sich und Emma.
Alessandras Mord an ihrem Mann ist, obwohl es auf den ersten Blick nicht so aussieht, ein Verbrechen aus Leidenschaft. Sie tötet den Ehemann Francesco, um den Geliebten Francesco nicht zu verlieren, um selbst nicht zur Ehefrau zu werden, sondern Liebende zu bleiben. »Paradox, höchst paradox«, hätte Albert im Werther ausgerufen. Das, was man üblicherweise unter einem Verbrechen aus Leidenschaft versteht, wird hier raffiniert umbesetzt. Der Code Napoléon, der den Gesetzgebungen auch in Italien zugrunde lag, versteht unter einem Verbrechen aus Leidenschaft die Erschießung der Ehefrau durch den eifersüchtigen Ehemann – mildernde Umstände werden vor allen Dingen gewährt, wenn er sie auf frischer Tat des Ehebruchs ertappt. Bei Alba de Céspedes bringt die Ehefrau den Ehemann um, weil beider Liebe durch die Institution gemordet wird. Francesco ist in die Rolle des Ehemanns geschlüpft, die ihm wie angegossen sitzt. Aus zwei Liebenden wird das hierarchisch versteinerte lieblose Verhältnis von Ehemann und leibeigener Ehefrau. Francesco, ein Professor der Rechtsphilosophie, Antifaschist und Partisan des Widerstands auf dem Weg zum Staatssekretär, hat auf den ersten Blick mit Alessandras Vater, einem kleinen Angestellten ohne irgendeinen anderen Ehrgeiz als den, dem Staat ein Schnippchen zu schlagen, nicht viel gemein. Als Ehemann aber fängt er in den entsetzten Augen Alessandras an, dem Vater immer mehr zu gleichen; auch Francesco hält ihre Mutter Eleonora für »überspannt«.
In Italien, so der bittere Befund des Romans, haben die patriarchale Ehe und die in ihr befestigten strukturellen Gewaltverhältnisse den Widerstand gegen die Faschisten wie gegen die deutschen Besatzer überlebt. Die Ehe, ihr einschnürendes Genderkorsett, triumphiert über das gleichberechtigte Kämpfen von Mann und Frau, triumphiert über die Liebe. Als Ehemann will Francesco verhindern, dass seine Frau sich den Partisanen anschließt: für »seine Frau« sei das nichts. Als er versucht, seine Frau von ihrem Tun abzubringen, wird er an der Tür seiner Wohnung von den Deutschen gefasst und in Regina Coeli, dem römischen Gefängnis, eingekerkert. Er wird nicht so sehr Opfer seiner politischen Überzeugungen als Opfer seiner Genderklischees. Der Partisanenkampf führt letzten Endes dazu, die Genderstereotype zu verstärken. Männer und Frauen, Ehemann und Ehefrau kommen sich dadurch nicht näher, sondern werden von den Vorstellungen, was ein richtiger Mann, eine richtige Frau ist, mehr denn je entzweit. Es bleibt ihnen kein gemeinsamer, kein geteilter Lebensraum; nirgends können sie sich mehr begegnen.
Auf diese Weise gibt es auch nach dem Krieg weder Liebe noch Gemeinschaft oder Gleichberechtigung. Die Befreiung Italiens ist keine Befreiung vom Joch der Ehe; sie zurrt das Genderkorsett nur enger. Faschisten und Partisanen erwarten dasselbe von ihren Frauen: dass Mann und Frau Seite an Seite kämpfen, finden sie unerhört. Francesco erwartet, dass seine Frau ihm zur Seite steht und ihm für seine politischen Aufgaben den Rücken frei hält, mit ihm Sex hat, sich gut anzieht, seine Kinder gebiert, seine Manuskripte tippt, seine Karriere befördert, ihm einen stärkenden Rückzugsort für seine Exkursionen in die Welt schafft. Beim Aufräumen des Hauses, beim Putzen und Kochen, beim Waschen und Bügeln der Kleider, beim Aufpassen auf die Kinder kann ihr ein Dienstmädchen helfen, aber verantwortlich ist die Hausfrau. Natürlich kann sie dazuverdienen, als Klavierlehrerin, als Sekretärin, wenn es denn sein muss und sie, aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, kein Vermögen in die Ehe bringt und der Mann nicht viel verdient. Aber ideal ist das nicht. An eine gleichberechtigte Karriere, an die Herausbildung ihrer Talente, an eine eigenständige intellektuelle oder künstlerische Entwicklung, an ihre Freiheit ist nicht gedacht. Aus ohnmächtiger Rache für die Unterjochung rammt das Dienstmädchen Sista das Bügeleisen in die Hemdkragen des Vaters. Die Ehe wird nicht als ein von Liebe bestimmtes, gemeinsames Liebesabenteuer gesehen; ein Leben zu zweit, Seite an Seite, ist in ihr nicht vorgesehen.
Der Prozess gemacht wird in diesem Roman nicht der Ich-Erzählerin, der Mörderin – sosehr es danach aussieht und sie sich für schuldig erklärt –, sondern der Institution Ehe, welche die Liebe und die Frauen unterwirft und seelisch ermordet. Der Prozess gemacht wird einer Gesellschaft, die unfähig ist, sich aus dem erstickenden Genderkorsett zu befreien. Einer Gesellschaft, in der es keine Liebenden, sondern nur Ehemänner und Ehefrauen – anständig – oder, zweitklassig, Konkubinen von anderweitig verheirateten Männern gibt. In diesen gesellschaftlichen Konsens stimmen alle ein: die Männer, die nur als Ehemänner wirkliche Männer sein können und sich als Liebende schwächen, und die Ehefrauen, »anständige Frauen«. Aber auch die Konkubinen wie Alessandras beste Freundin Fulvia und deren Mutter Lydia nehmen es Alessandra übel, dass sie ihrem Ehemann nicht dankbar genug dafür ist, anders als sie keine versteckten, ausgehaltenen Frauen, sondern eine »anständige« Frau zu sein.
Es gibt zwar matriarchale Herrschaftsverhältnisse – in ein solches will die Großmutter in den Abruzzen ihre Enkelin Alessandra auch einsetzen –, aber um den Preis der Liebe. Herrschen kann nur, wer von der Liebe nicht beherrscht wird. Eine Frau, meint die Großmutter, muss wissen, dass ein Mann wie der andere ist. Liebe, individuelle, romantische Liebe, ist aus ihrer Sicht eine familien- und damit frauenfeindliche Illusion. Die Ehe gilt der Fortführung der Familie, dem Zeugen von Kindern. Für die Großmutter sind die Frauen den Männern haushoch überlegen. Aber nicht, weil sie schöner lieben oder in Literatur, Musik und Kunst größere Talente haben. Die weibliche Stärke ist das Fortzeugen des Lebens: das Gebären, das Stillen, das Kinder-Großziehen und ihnen all das zu geben, was sie zum Heranwachsen brauchen. Männer sind da völlig sekundär, fast parasitär. Sollen sie doch ihre Mätzchen machen; zwar hält man sie besser bei Laune, aber ändern wird das nichts am Lauf der Welt.
Der ideologische Gegenpol zu der Großmutter aus den Abruzzen, die souverän über Haus, Hof und Gesinde herrscht, die Felder bestellt, nach dem Vieh sieht und weiß, dass die Liebe eine Illusion ist, ist die Mutter der Ich-Erzählerin Alessandra, Eleonora, für die nur die Liebe und die Kunst zählen. Ist die eine ganz Hausfrau, so kommt die andere aus einer Genealogie öffentlicher Frauen, Schauspielerinnen, Konzertpianistinnen, Schriftstellerinnen. Es sind Frauen, die der republikanische, misogyne Schiller in seiner »berühmten Frau« als Gegenteil der tugendhaften Hausfrau, Ehefrau und Mutter, kurz, als das Gegenteil einer anständigen Frau definierte. Noch die eigenen vier Wände verwandeln diese Frauen in ein öffentliches Haus.
Schon rein äußerlich sind Schwiegermutter und Schwiegertochter, Stadt- und Landfrau, Gegenpole. Alessandra, die nach ihrer Mutter kommt, fällt aus der weiblichen, starken, dunklen, vollbusigen Herrscherinnendynastie der Abruzzen heraus. Mutter wie Tochter sind leicht und biegsam, schlank, hochgewachsen, weißhäutig, blond und blauäugig. Zu wenig Hüften, zu wenig Busen, befindet der Vater – zu viel Seele, könnte man anfügen. Die Römerinnen hingegen haben anders als die Frauen des Nordens ein verlockendes Fleisch, wie die Liebesszene zwischen Alessandra und Fulvia zeigt. Alessandras Großmutter mütterlicherseits, Editta, war eine österreichische Schauspielerin, die die Bühne nach der Ehe mit einem italienischen Artillerieoffizier aufgab. Mit dieser resignierten Unterordnung in der Ehe, mit der Aufgabe von Freiheit und Gleichheit, beginnt der Verrat der Mütter an ihren Töchtern. Eleonora wird ihm zum Opfer fallen. Die für die Liebe heroisch kämpfende Alessandra wird das rächen. Sie wird auch in der Ehe, wiewohl treu, nicht zur Ehefrau werden; sie wird den Kampf gegen die Institution Ehe aufnehmen.
Ein Mann indessen kann doch lieben, ein Engländer, der sich während des Ersten Weltkriegs, fast noch ein Kind, als ein ganz unpatriotischer Kriegshasser hervorgetan hat. Er ist in jeder Hinsicht ein ›homme fragile‹; an seiner Männlichkeit wird gezweifelt. Man munkelt, er sei homosexuell, weiß Fulvia, die römische Freundin Alessandras. Hervey und Eleonora verbindet neben einer Art Familienähnlichkeit, die sie wie Bruder und Schwester erscheinen lässt, die Leidenschaft für die Musik; der reiche Engländer spielt hinreißend die Violine. Selten ist ein liebendes Zusammenspiel schöner beschrieben worden als aus der Sicht der Tochter, die dem Konzert der beiden, zuerst ein heiterer Dialog zwischen Klavier und Violine, dann ein atemloses Miteinanderlaufen, lauscht. Die beiden, Eleonora und Hervey, sind weder Mann noch Frau, sondern wie Engel, die vor den tränenverschleierten Augen der Tochter Hand in Hand in den Himmel schweben. Non binary, würde man heute sagen. Vom irdischen Genderkorsett, dem Zwangsverhältnis der durch die Ehe reglementierten Geschlechterverhältnisse, scheinen sie ausgenommen. In ihrer Beziehung ist niemand unterworfen, niemand unterwirft. Beide sind einander verbunden.
Die Kritik hat gemeint, die Liebesgeschichte zwischen der poetischen, so wunderbar klavierspielenden Mutter mit dem leichten Schritt, deren Lächeln die Welt erleuchtet, und dem reichen Fremden, dem begnadeten Violinisten, sei von der Gattung her ein »romanzo liberty« (Melania G. Mazzucco). Das war eine Romangattung, die zur Belle Époque in der ›jeunesse dorée‹, der reichen kosmopolitischen Welt erotischer Freizügigkeiten spielte, die mit der kleinbürgerlich-nationalen Welt und deren gewalttätiger Spießigkeit nichts gemein hatte. War Alba de Céspedes einfach eine umsatzstarke Erfolgsschriftstellerin, die gehobenen Kitsch an die Frau brachte – in der bekannten, allzubekannten weiblichen Paraderolle einer Schriftstellerin also, der männliche Originalität und männliches Genie abgeht?
Das Kitschargument scheint mir allein thematisch schon deshalb nicht zutreffend, weil das Rückgrat des Kitschromans die Vereinbarkeit von erotischen Freiheiten und Ehe ist. Darin erweisen sich in de Céspedes’ Roman die Italiener:innen als Meister; Sex findet innerhalb und außerhalb der Ehe statt. Was für die Männer komfortabler ist als für die Frauen. Der Roman zeigt Sex nicht als Befreiungsmöglichkeit, sondern als Unterwerfungsinstrument; Sex schnürt das Genderkorsett und befeuert die Genderklischees. Alba de Céspedes kämpft nicht an der Front der sexuellen Revolution. Der Roman kämpft heroisch für die sublime Liebe und gegen die Institution der Ehe, die nicht die sexuelle Freizügigkeit, wohl aber mit der Freiheit der Liebenden die Liebe selbst mordet.
Die Liebe in ihrer sublimen Spielart ist im Roman als etwas Fremdes, nämlich englisch oder deutsch, also unitalienisch codiert. Sie steht im Einklang mit einer Welt der Literatur, Musik, Kunst. Die Skizze des kleinbürgerlich-städtischen Milieus, in dem der Vater zu Hause ist, die Erzählung vom Gehöft der Großmutter in den Abruzzen kommen in den italienischen Genres des Naturalismus oder des Neorealismo daher, die Liebe kommt weniger im »fremden« Genre des »romanzo liberty« als im deutsch-englischen Genre der Romantik. Auch das bukolische Liebesduett ist reinste Romantik. Der realistische Roman brandmarkt die Romantik, die Emma Bovary wie eine Droge konsumiert und die sie zu Grunde richtet, als kitschiges Klischee, als billige Illusion. Es ist vielleicht das Plädoyer für die romantische englische Liebe, die »keine Illusion« ist, die den Vorwurf des massentauglichen Kitschromans ausgelöst hat.
Die Fremdheit der sublimen Liebe wird am stärksten durch die Liebesgeschichte der »fremden« Mutter – österreichische Maman, deutschsprachig – und der »fremden« Familie Pierce deutlich. Im Hause Pierce spricht man die fremde Sprache Englisch und die universale Sprache der Liebe, die Musik. Die »fremde« Liebesszene findet ein Echo im Zusammentreffen Alessandras und des deutschen Offiziers nicht im Konzertsaal, sondern in der Bibliothek ihrer römischen Wohnung in wiederum einer fremden Sprache, dem Französischen.
So thematisiert der Roman subtil das »somewhere out of this world« der Liebesgeschichte zwischen Hervey und Eleonara. Diese Liebesgeschichte ist in der Realität des Vorkriegsitaliens ganz unwahrscheinlich, ja unglaublich, unvorstellbar – out of place: die Villa der Familie Pierce auf dem Gianicolo kann man denn auch von nirgendwoher sehen, wie Alessandra Fulvia erzählt; versteckt liegt sie zwischen den Bäumen. Die Schweiz mit ihren pastoralen Landschaften, Sehnsuchtsort des Liebespaars, ist auch nicht ganz von dieser Welt. Die Liebesgeschichte zwischen Hervey und Eleonora, eine Welt der Kunst, eine Kunstwelt, kommt der Tochter wie ein Märchen vor. Sie ist in dem tristen Eingesperrtsein der Enge der römischen Mietblöcke unvorstellbar.
Die Deutschen, von faschistischen Kampfesbrüdern zu Besatzern mutiert, durchsuchen Alessandras Wohnung nach ihrem Ehemann, dem Partisanen Francesco. Als Antifaschist wurde ihm unter Mussolini die Lehrerlaubnis und damit der Lebensunterhalt entzogen – aber er hat überlebt. Vor den deutschen Besatzern bringt er sich in Sicherheit und taucht unter. Der deutsche Offizier, auf seiner Spur, ist glücklich, in eine Wohnung mit so vielen Büchern zu kommen. Das sei, meint er zu Alessandra, ungewöhnlich für Rom. Wie Alessandra hat er Literatur studiert, er war dabei, seine Dissertation über Rilke abzuschließen, als er eingezogen wurde. Jetzt sind seine Bücher verbrannt und hier, bei ihr, zwischen ihren Büchern, fühlt er sich zu Hause. Er bittet Alessandra, ihm eines von Rilkes französischen Gedichten vorzulesen: »Tous mes adieux sont faits«. Neben der Familienähnlichkeit – hochgewachsen, schlank, blond, blaue Augen – verbindet die beiden über die ideologischen Gräben hinweg auf dem neutralen Terrain des Französischen eine Seelenfreundschaft, wie sie Alessandras Mutter mit Hervey verband. Den italienischen Ehemännern ist dies ein Konzept mit sieben Siegeln.
Alba de Céspedes hat keinen Kitschroman geschrieben. Der Kitschroman zeichnet sich dadurch aus, dass er Sex, und sei er noch so kinky, mit Liebe kurzschließt und zum guten Ende in der Ehe zusammenfallen lässt: siehe Fifty Shades of Grey. De Céspedes’ Aus ihrer Sicht ist eine schonungslose Darstellung der strukturellen Gewalt der Ehe, die Frauen zu Leibeigenen von Männern und damit zu Toten auf Erden macht: Liebe und Ehe sind unvereinbar. Ohne Liebe versteinert das Gesicht der Frauen, sie werden zu unbelebten Statuen: die Großmutter ist eine Statue, das Gesicht des Dienstmädchens Sista ist versteinert. Im Namen der Liebe begehrt die Ich-Erzählerin gegen die Verhältnisse auf. Das macht Dalla parte di lei zu einem feministischen Roman, einem Plädoyer gegen die vom patriarchalen Code Napoléon bestimmte Gesetzgebung der Ehe. Die feministischen Reformbestrebungen haben hier seit der letzten Jahrhundertwende angesetzt. Dass dieser Kampf für die Freiheit der Frauen, das heroische Sprengen der Genderkorsette noch lange nicht gewonnen ist, zeigt #MeToo – Mächtige, meistens Männer, bedienen sich lieblos wie in einem Supermarkt am Sortiment der Schwächeren, meistens Frauen, von denen sie sexuelle Dienstleistungen erwarten. Auch der Kampf für eine nicht-binäre Geschlechterordnung versucht, sich vom hierarchischen Genderkorsett zu befreien. Der aktuell im Zentrum stehende Femizid ist ein typisches Problem einer ungleichen, unfreien, hierarchischen, tödlichen Beziehungsstruktur, wie sie die patriarchalische Ehe charakterisiert.