Steuersysteme (etwa mit niedrigen Steuersätzen) sind ein Wettbewerbselement. Dabei ist der Wettbewerb zwischen Staaten nicht vergleichbar mit dem Wettbewerb, der für ein optimales ökonomisches Verhalten von Wirtschaftssubjekten sorgt. Steuerwettbewerb kann vielmehr zu einer Politik führen, die alles andere als optimal ist.
So führt das Verhalten von Steueroasen, die durch niedrige oder gar keine Steuern Kapital und Investitionen anzulocken versuchen, zu Einnahmeverlusten in anderen Staaten. Da diese Staaten aber auf die Einnahmen angewiesen sind, um in den Entwicklungs- und Schwellenländern beispielsweise Armut zu bekämpfen beziehungsweise in Industrieländern Infrastruktur, Sozialversorgung und neuerdings auch den Schuldendienst beziehungsweise -abbau sicherzustellen, kann ein Steuerwettbewerb, der genau das verhindert, wirtschaftlich nicht sinnvoll sein. Ganz abgesehen von den Möglichkeiten, die sich über Steueroasen zur strafbehafteten Steuerhinterziehung anbieten.
Doch um internationale Investitionen ins Land zu holen, konkurrieren die Länder rund um den Globus unter anderem mit
niedrigen Unternehmenssteuersätzen,
Steuerfreijahren,
höheren Abschreibungsmöglichkeiten,
Subventionen,
Deregulierung und
Fortfall der Quellensteuer.
Dieser Wettbewerb stellt eine wesentliche Größe bei der Lenkung von Investitionszuflüssen dar. Dabei geht es weniger um Faktoren wie Lohnkosten, Qualifikationsbasis oder die Nähe zu Beschaffungs- oder Absatzmärkten. Untersuchungen zeigen, dass
reine Finanzinvestitionen,
die Einrichtung von Holdings oder
der Ort, an dem Unternehmen ihre Gewinne ausweisen können,
stark von den Steuersätzen abhängen. Der Steuerwettbewerb schränkt jedoch die staatliche Kontrolle über die Steuerpolitik ein. Durch den Druck, Steuersätze zu senken, reduziert ein Steuerwettbewerb zudem die Fähigkeit eines Staates, öffentliche Dienstleistungen zu finanzieren.
Auch kann Steuerwettbewerb da, wo er um Investitionen herum stattfindet – etwa in Sonderwirtschaftszonen –, einen verzerrenden Einfluss auf Investitionszuflüsse haben. Um Steuern zu sparen, werden dann schnell einmal Ressourcen in Gegenden gelenkt, wo sie nicht sinnvoll verwertet werden können. Die Ineffizienz von Standorten, die beispielsweise weitab von Transportwegen, benötigten Rohstoffvorkommen oder Absatzmärkten liegen, wird nur durch steuerliche Anreize wettgemacht. Profiteure solcher Steuerkonstrukte sind dann Unternehmen, die durch ihre Mobilität Länder gegeneinander ausspielen können, um sich Steuervorteile (und im Einzelfall auch Subventionen) zu sichern.
International operierende Unternehmen können dadurch konzerninterne Transferpreise zur Steuerminimierung manipulieren. Auch lassen sich mithilfe von Lizenzierung, Unterkapitalisierung und Steuerarbitrage ihre Steuersätze senken, indem unterschiedliche Steuersätze in verschiedenen Ländern ausgenutzt werden (s. Beispiele von Google und Apple). Häufig kommt es zu einer Kombination dieser beiden Möglichkeiten, sodass internationale Unternehmen in den Genuss mehrerer Steuervorteile gelangen. Dieser steuerliche Effekt ist rund um den Globus zu finden – in großen und kleinen, Entwicklungs- und Industrieländern.
Gleichzeitig treten immer häufiger indirekte Steuern, das heißt Umsatz- und Verbrauchssteuern an die Stelle von direkten Steuern, insbesondere Unternehmens- und Kapitalertragsteuern. Weltbank, Internationaler Währungsfonds und Organisationen wie die EU setzen sich für Umsatzsteuern ein, da sie diese für eine kosteneffiziente Methode des Steuereinzugs halten – eine völlige Vermeidung ist relativ schwierig, vor allem bei einem Pauschalsatz. Umsatzsteuern benachteiligen jedoch Haushalte im unteren Einkommenssegment, weil sie auf die Ausgaben aller Verbraucher erhoben werden. Doch Haushalte mit geringerem Einkommen geben einen relativ höheren Anteil davon für den Verbrauch aus – und folglich auch für Umsatzsteuern.
Die zunehmende Verschiebung hin zur Umsatzsteuer ist eine direkte Reaktion auf den verstärkten Steuerwettbewerb. Unternehmen sind mobil und können den Steuerwettbewerb zu ihrem Vorteil nutzen. Privatpersonen – ausgenommen Reiche – steht diese Möglichkeit kaum offen. Das Ergebnis: Körperschaftszahlungen werden weltweit immer geringer. Insgesamt sind die Steuersysteme deswegen in den letzten zwei, drei Jahrzehnten immer regressiver geworden. Was dadurch an staatlichen Einnahmen verloren geht, wird vielfach mittels einer Erhöhung der Umsatzsteuer wettgemacht.
Während somit Unternehmen und Vermögende über Offshore-Aktivitäten ihre Steuern auf Unternehmensgewinne und Kapitalerträge reduzieren können, müssen gleichzeitig Menschen mit geringerem Einkommen mehr für den täglichen Verbrauch ausgeben und einen größeren Teil ihres Einkommens auf Steuern verwenden. Der Trend zu regressiven Steuersystemen erklärt also zumindest teilweise, warum die Ungleichheit hinsichtlich Einkommen und Vermögen in vielen Gebieten der Welt und auch zwischen verschiedenen Ländern in den letzten Jahrzehnten immer größer geworden ist. Die Nutzung von Steueroasen ist demzufolge ungerecht, da nicht alle Menschen und Unternehmen gleich mobil sind. Das trifft vor allem für Entwicklungsländer zu.
Dort führt Steuerwettbewerb zu einer direkten finanziellen Belastung. Die dadurch entstehenden Kosten belaufen sich auf Milliarden. Milliarden, die verloren gehen, weil Entwicklungsländer häufig ihre Steuersätze nicht frei bestimmen können: Entweder verweigern große Unternehmen die Zahlungen oder bekommen günstigere Sondersätze und Steuerfreijahre zugestanden. Oder aber IWF und Weltbank machen entsprechende Reformen des Steuersystems zur Bedingung für eine Finanzhilfe. Hinzu kommt Kapitalflucht – nach Schätzungen der Financial Times bis zu 500 Milliarden Dollar im Jahr. Der größte Teil dieses Geldes fließt in Steueroasen, wo es in der Regel anonym bleibt.