In international tätigen Unternehmen werden Wirtschaftsgüter laufend über Staatsgrenzen verbracht. Weil der Fiskus dabei das Besteuerungsrecht an den Empfängerstaat verliert, nimmt er für jede Verlagerung einen fiktiven Verkauf der Vermögenswerte an. Er besteuert diese unmittelbar bei Grenzübertritt. Nach einem aktuellen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) verstößt dies gegen die Niederlassungsfreiheit (Az.: C-371/10).
Unternehmern müsse es möglich sein, „die auf die grenzüberschreitende Übertragung anfallende Steuer zinspflichtig stunden zu lassen, statt sie sofort zu begleichen.“ Allerdings muss dann jährlich nachgewiesen werden, dass für das überführte Wirtschaftsgut im Ausland kein Realisationsakt – beispielsweise ein Verkauf – stattgefunden hat. Maßgeblich für die Steuerhöhe ist der Wert zum Zeitpunkt der Verlagerung ins Ausland. Eine spätere Wertentwicklung bleibt unbeachtet.
Für deutsche Unternehmen hat das Urteil weitreichende Konsequenzen: Bislang werden die noch nicht versteuerten Wertsteigerungen eines Vermögensgegenstands (stille Reserven) sofort besteuert, wenn er aus der deutschen Steuerhoheit ausscheidet und der Fiskus damit das Besteuerungsrecht verliert. Wird z. B. ein Vorprodukt in eine Betriebsstätte nach Frankreich zur Endmontage verlagert, muss der Wert des Produkts versteuert werden. Und dies, obwohl es nur unternehmensintern bewegt wurde, ein Verkauf noch gar nicht erfolgt ist. Auch wenn immaterielle Wirtschaftsgüter wie Marken, Patente oder Kundenbeziehungen an eine Betriebsstätte im Ausland übertragen werden, wird die Wegzugsteuer sofort fällig. Für Unternehmen kann das eine große Belastung darstellen, ohne dass materiell ein Wertgegenstand das Land verlässt.
Indem der EuGH hier nun eine Stundung zulässt, gewinnen Unternehmen wieder den Spielraum für wirtschaftlich sinnvolle Gestaltungen zurück. Allerdings fordert er im Gegenzug „umfangreiche Mitwirkungs- und Nachweispflichten“. So kann der Staat, der das Vermögen abgibt, die Stundung von einer Bankgarantie abhängig machen. Doch die Bundesregierung wird nicht umhin kommen, als Folge des EuGH-Urteils die Wegzugsteuer für Unternehmen zu reformieren. Unternehmen können dann mit mehr Planungssicherheit rechnen.