3. Steuerzahler im Netz des globalisierten Fiskus

Was ein Staat auf legitime Weise besteuern darf, hat sich in den vergangenen hundert Jahren weltweit zunehmend zulasten der Bürger entwickelt. Die traditionelle Art der Besteuerung ist das Territorialprinzip, dessen Wurzeln im Wesentlichen auf die Französische Revolution zurückgehen. Der Staat belastet dabei die Steuerquellen in seinem Territorium: dort, wo konsumiert wird, wo Löhne ausbezahlt, Gewinne aus Realkapital oder Finanzkapital erwirtschaftet oder Immobilienmieten und -pachten erzielt werden. Vermögensinhaber und ihre Banken, die internationale Vermögen verwalten und Steuern optimieren, bleiben im legalen Bereich, da diese Vermögen schon besteuert sind oder im Rahmen der Bankdienstleistung am Ort noch besteuert werden. Es entstehen keinerlei Konflikte mit ausländischen Steuerbehörden.

Fiskalischer Imperialismus entsteht jedoch, wenn Staaten versuchen, vom Territorialprinzip der Besteuerung auf das Wohnsitzprinzip überzugehen, das heißt, vom Bürger verlangen, seine aus weltweiten Quellen erzielten Erträge offenzulegen und der nationalen Besteuerung zu unterwerfen. Mit dem Wohnsitzprinzip greift der Fiskus über die Staatsgrenzen hinaus. Er wendet nationales Recht exterritorial an, um Steuererträge aus anderen Staaten zu vereinnahmen. Bei Konsum und Arbeit kommt das selten vor. Bei Kapital, insbesondere von Banken verwaltetem Finanzkapital, entsteht jedoch eine Lücke zwischen Produktions- und Wohnort. Die Steuer nach dem Produktionsort wird vergleichsweise niedrig, die nach dem Wohnort oft hoch sein. Meldet ein Bankkunde infolgedessen seine Steuerdaten nicht an das Finanzamt des Wohnsitzes, lässt sich das Wohnsitzprinzip nicht durchsetzen. Stabilität erhalten Wohnsitzstaatssysteme erst dadurch, dass ihre Regierungen untereinander Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) abschließen.

Doppelbesteuerungsabkommen auf dem Prüfstand

Bisher galt es als Zeichen einer gewissen gleichberechtigten Anerkennung zwischen souveränen Staaten, wenn das wirtschaftliche Ergebnis, das die Beteiligten dieser Staaten länderübergreifend erzielten, für die Besteuerung nach einer gemeinsam verabschiedeten Vereinbarung untereinander aufgeteilt wurde, um den Beteiligten eine einigermaßen verlässliche steuerliche Planung ihrer Tätigkeit zu ermöglichen und eine doppelte Besteuerung des gleichen Sachverhalts in den beteiligten Ländern zu vermeiden. Einzelne Regelungen der DBA konnten zwar von diesen Grundregeln abweichen, für einige Grundsachverhalte gab es aber einen „Common Sense“, sodass beispielsweise Gewinne, die in einer Betriebsstätte oder mit einer Immobilie erzielt werden, ausschließlich dem Staat zustehen, in dem die Betriebsstätte unterhalten wird oder die Immobilie belegen ist.

Deutschland hat in den letzten drei Jahren über die Neuverhandlung der bestehenden DBA versucht, die steuerlichen Regelungen anderer Staaten dadurch zu beeinflussen, dass das Besteuerungsrecht erheblich zugunsten Deutschlands ausgeweitet wird. Mit Erfolg, denn hätte sich der Vertragspartner geweigert, die vorgeschlagenen Regelungen der neuen Abkommen oder eine Änderung seiner inländischen Besteuerung zu akzeptieren, wäre mit Kündigung der DBA gedroht worden. Im Kündigungsfall hätte Deutschland dann wieder das uneingeschränkte Besteuerungsrecht.

Die Zahl der Abkommen, die von einer Überprüfung und Neuverhandlung betroffen sein können, lässt sich nicht abschätzen, da potenziell jedes Abkommen infrage kommt, in dem eine steuerliche Begünstigung gegenüber der deutschen Besteuerungslage besteht. Nur im Einzelfall werden die beabsichtigten Abkommensverhandlungen eine Veranlassung durch Änderungen in der deutschen Besteuerung aufweisen können, wie etwa die Änderung des spanischen Abkommens, um Deutschland das Besteuerungsrecht für die nachgelagerte Rentenbesteuerung in Spanien ansässiger deutscher Rentner einzuräumen.

So ist denn auch die offizielle Begründung der deutschen Regierung, man wolle schließlich nur das deutsche Steuersubstrat sichern, letztlich ein Lippenbekenntnis. Denn mit Staaten, mit denen „besondere bilaterale Beziehungen“ bestehen, wurden bereits ausgelaufene ungünstige DBA noch verlängert, um die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands nachhaltig abzusichern (z. B. Vereinigte Arabische Emirate).

So wurde die Fortgeltung bestehender DBA unter anderem mit Armenien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Moldau, Montenegro, Serbien, der Slowakischen Republik, Taiwan und Tschechien geschlossen. Das DBA mit der VR China ist für Hongkong und Macao nicht gültig, mit diesen beiden chinesischen Sonderzonen wird ein getrenntes DBA getroffen. Neu abgeschlossen wurden auf dem Gebiet der Steuern von Einkommen und Vermögen Abkommen mit: Albanien, Bulgarien, Irland, Jersey, Luxemburg, Malaysia, Malta, Mexiko, der Schweiz, Syrien, Ungarn, Uruguay, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Großbritannien und Zypern. Abkommen auf dem Gebiet der Amtshilfe und des Auskunftsaustauschs wurden geschlossen mit Andorra, Antigua & Barbuda, Aruba, Bahrain, Barbados, Bermuda, Brunei, Dominica, Grenada, Macao, Montserrat, den Niederländischen Antillen, St. Kitts & Nevis sowie Lucia. Neue Abkommen auf dem Gebiet der Rechts- und Amtshilfe und des Auskunftsaustauschs gibt es mit Anguilla, den Bahamas, den British Virgin Islands, Gibraltar, Guernsey, der Isle of Man, Jersey, Liechtenstein, den Cayman Islands, Monaco, San Marino, St. Vincent und den Grenadinen, den Turks & Caicos Islands und der Schweiz.

Abkommen mit Steueroasen wurden vorrangig geschlossen, um der Steuerflucht einen Riegel vorzuschieben. Das galt vor allem für den Fluchthafen Schweiz. Das Abkommen sieht für Schwarzgeld der vergangenen zehn Jahre je nach Höhe eine nachträgliche Besteuerung von 21 bis 41 Prozent vor. Ab 2013 werden laufende Erträge wie in Deutschland mit 26,4 Prozent besteuert. Die Abgeltungssteuer wird von den Schweizer Banken einbehalten und anonym an den deutschen Fiskus abgeführt. Ererbtes Schwarzvermögen wird durchgängig mit 50 Prozent besteuert (s. Hinweis S. 6).

Für den Fiskus bedeutet das rund 10 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen für die letzten zehn Jahre und ab 2013 gut 1 Milliarde Euro jährlich. Was für den Fiskus von Vorteil ist, gestaltet sich für Steuerhinterzieher zumeist als „Draufzahler-Geschäft“, wenn sie sich auf die pauschale Nachversteuerung einlassen. Denn wenn man sich anschaut, was Steuersünder mit 1 Million Euro in zehn Jahren hätten verdienen können und dann die vorgesehene Belastung von mindestens 21 Prozent dazu nimmt, kann man nicht sagen, dass der jetzt festgeschriebene Steuersatz zu niedrig ist. Die dann anfallende Minimalsteuer beträgt 210 000 Euro. Die Belastung von zum Beispiel 3 Prozent Kapitalerträgen auf Zinspapieren wäre im Falle einer Regelbesteuerung oder einer Selbstanzeige niedriger. Steuerhinterzieher kämen in aller Regel mit einer Selbstanzeige (s. S. 128ff.) günstiger weg. Vor allem dann, wenn im letzten Jahrzehnt nur Erträge hinterzogen wurden.

Doppelbesteuerungsabkommen in der Kritik

Die Rolle und Bedeutung von Doppelbesteuerungsabkommen ist nicht zu unterschätzen. Angenommen, ein deutsches Unternehmen investiert in einem asiatischen Land. Da sollte man meinen, das asiatische Land besteuert auch die lokalen Einkünfte der Betriebsstätte der deutschen Muttergesellschaft. Um nun zu vermeiden, dass der Gewinn der asiatischen Betriebsstätte zuerst an der Quelle in Asien und anschließend nochmals in Deutschland besteuert wird, schließen Länder untereinander Doppelbesteuerungsabkommen ab. Das erscheint durchaus vernünftig. Denn selbst wenn der asiatische Staat dann auf eine Besteuerung verzichtet, um den Investor positiv zu stimmen, muss der Gewinn nach dem Transfer nach Deutschland in der Regel hierzulande versteuert werden.

Diese Besteuerung lässt sich jedoch umgehen. Dazu wird der in Asien entstandene Gewinn von der dortigen Betriebsstätte nicht direkt nach Deutschland, sondern in ein Drittland transferiert, in eine sogenannte Durchgangs- oder Vetragsoase. Diese hat eine Reihe von bilateralen Steuerabkommen geschlossen, unter anderem mit dem asiatischen Land der Produktionsstätte. Der Vertrag stellt sicher, dass das asiatische Land Gewinne nicht besteuert, und die Vertragsoase erklärt sich bereit, den „Durchgangs-Gewinn“ ebenfalls nicht zu besteuern. Die Vertragsoase ist somit die erste Station auf der von Steuerspezialisten ausgewählten Route durch die steuerfreie Zone, die der Betriebsstättengewinn aus Asien nimmt. Um sich zu rechtfertigen, verkaufen Steueroasen das als wirksames Instrument, um eine Doppelbesteuerung zu umgehen. Das System hat jedoch eine Konsequenz: die doppelte Nichtbesteuerung.

In diesem Beispiel bringt das Offshore-System sowohl das asiatische Land als auch Deutschland legal um seine Steuergelder. Weltweit sind derzeit über 3 000 Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen. Damit einher geht der Transfer großer Kapitalbeträge. Allein durch die Durchgangsoase Niederlande flossen im vergangenen Jahr rund 20 Billionen Euro, um anschließend irgendwo auf dem Globus in der Regel steuerfrei zu landen. Entwicklungsländern gehen dadurch legal Hunderte von Milliarden Euro an Steuereinnahmen verloren. Das stellt die gleichzeitig erhaltene Entwicklungshilfe weit in den Schatten. Aber auch den Industrieländern kommen Milliardenbeträge an Steuereinnahmen abhanden. Insgesamt gehen den Finanzbehörden dadurch weltweit jährlich knapp 200 Milliarden Euro verloren – in Zeiten hoher Staatsschulden ein Unding.

Nur mithilfe von Doppelbesteuerungsabkommen und Steueroasen lässt sich erklären, weshalb internationale Investitionsflüsse häufig so merkwürdig verlaufen: So kamen in den letzten Jahren die größten Investitionszuflüsse in China nicht etwa aus Japan oder den USA, sondern aus den Steueroasen Hongkong und von den British Virgin Islands. Ähnlich verhält es sich in Indien: Hier war die größte Quelle ausländischer Investitionen die Vertragsoase Mauritius. Die Insel im Indischen Ozean hat mit rund 50 Volkswirtschaften in Afrika, Asien und Europa Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen, über die international operierende Investoren und Unternehmen die Erträge aus ihren Investitionen steuerneutral in die Heimat transferieren können (s. S. 438).

Dabei ist etwa das Steuerabkommen zwischen Indien und der Steueroase Mauritius ein reines „Treaty Shopping“. So wie beispielsweise beim Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den USA und Bermuda, einer Nullsteueroase. Beim sogenannten Treaty Shopping verschafft sich ein Steuerpflichtiger die Vorteile aus einem DBA, obwohl er in dem betreffenden Vertragsstaat nicht ansässig ist. Das geschieht regelmäßig durch Zwischenschalten einer Kapitalgesellschaft (s. S. 441). Wie in diesen Fällen existieren weltweit zahlreiche Steuerschlupflöcher, die es Unternehmen und Investoren mithilfe von Doppelbesteuerungsabkommen und dem Zwischenschalten von Steueroasen ermöglichen, Gewinne und Erträge in Nullsteuergebieten abzurechnen, wohingegen die Kosten in Hochsteuerländern anfallen und von der Steuerlast abgesetzt werden können – und alles ganz legal.

Doppelbesteuerungsabkommen macht man sich aber auch bei Kapitaleinkünften zunutze. Hier kann es immer dann zu einer doppelten Besteuerung kommen, wenn einerseits auf das Welteinkommen im Ansässigkeitsstaat und andererseits im Land der Einkommensquelle Steuer erhoben wird. DBA schließen dies aus. Darüber hinaus gibt es neben den oben aufgeführten Abkommen der Rechts- und Amtshilfe und des Auskunftsaustauschs, der vor allem für Steuerhinterzieher mit Schwarzgeld im Ausland von Bedeutung ist, einige wenige DBA, die im Bereich Erbschaft- und Schenkungsteuern eine doppelte Besteuerung vermeiden. Seitens Deutschlands bestehen Verträge mit Dänemark, Frankreich, Griechenland, Schweden, der Schweiz und den Vereinigten Staaten.