Ägide

In einer rein veganen Sprache käme das Wort nicht vor, denn es ist aus Leder hergestellt. Ägide geht zurück auf den bei den Griechen aigis genannten ledernen Schild, den Athene und Zeus am linken Arm trugen, um mit der Rechten Feinde bekämpfen oder Blitze schleudern zu können. Einer Theorie zufolge stellte man sich den Schild entweder aus Ziegenleder angefertigt oder mit Ziegenfell bespannt vor; in diesen Fällen wäre das Wort mit dem griechischen Substantiv aix (›Ziege‹) verwandt. Schon die Griechen vermuteten einen solchen etymologischen Zusammenhang, und einer Sage zufolge war der aigis des Zeus unter anderem aus dem Fell der Ziege gefertigt, die den Göttervater als Kleinkind genährt hatte. Als die Römer das Wort übernahmen, wurde es zu aegis (›Schirm, Schutz, Schild‹), und von dessen Genitivform aegidis ist unser Wort abgeleitet.

In den frühen deutschen Belegen hat das Wort häufig noch dieselbe Bedeutung wie schon bei den alten Griechen. In seinem »Physiognomischen Tagebuch« von 1778 rät der aufgeklärte Schriftsteller Johann Karl August Musäus allen Tugendhaften:

Kein sorgsamer Gedanke, eines deiner Tugend auflauernden Hinterhaltes schrecke dich auf aus deinem Schlummer; sie dekt dich selbst mit ihrer Aegide, und schützt dich sicherer vor den Pfeilen der Versuchung, als ein eisernes Gitterbett nebst Schloß und Riegel.

Doch wie in den alten Sprachen wird das Wort im Deutschen von Anfang an auch übertragen im Sinne von ›(Ober-)Herrschaft, Führung, Leitung, Schirmherrschaft‹ verwendet. So lässt der Dichter Klabund in seinem Theaterstück »Der Kreidekreis«, das viel unbekannter ist als das ähnlich benannte, von Klabund angeregte Drama Bertolt Brechts, einen Soldaten sagen: »Der Weg nach Peking, wo der neue Kaiser in eigner himmlischer Person den ersten Hinrichtungen seiner Ägide beizuwohnen geruhen wird, ist noch weit.« Früher konnte Ägide auch ›Schein, Vorwand, Deckmantel‹ bedeuten. In diesem Sinne gebrauchten es noch Christoph Martin Wieland und Annette von Droste-Hülshoff.