In einem Buch über schwierige Wörter, deren Bedeutung nicht jedermann geläufig ist, die aber von Unberufenen gerne gebraucht werden, um sich den Anschein von Bildung und Weltläufigkeit zu geben, darf Karoline Stöhr nicht fehlen. In Thomas Manns Roman »Der Zauberberg« ist die Musikergattin aus Cannstatt über viele Jahre eine Tischgenossin von Hans Castorp im Sanatorium Berghof. Der junge Mann und sein Cousin Joachim sind allerdings abgrundtief erschüttert von ihrer Banalität und Dummheit:
Karoline Stöhr war entsetzlich. Wenn irgend etwas den jungen Hans Castorp in seinen redlich gemeinten geistigen Bemühungen störte, so war es das Sein und Wesen dieser Frau. Ihre beständigen Bildungsschnitzer hätten genügt. Sie sagte »Agonje« statt Todeskampf; »insolvent«, wenn sie jemandem Frechheit zum Vorwurf machte.
Vorbild für Karoline Stöhr war eine Frau namens Emma Stöhr aus dem heute zu Stuttgart gehörenden Cannstatt, die Katia Mann 1912 während eines durch Bronchienschwäche erzwungenen Kuraufenthalts in Davos kennengelernt hatte und auf die sie ihren Mann während eines Besuchs aufmerksam machte. Gelegenheit, »Agonje« zu sagen, gab es im Berghof und ähnlichen Einrichtungen reichlich: Einer Statistik zufolge starben 70 Prozent der Patienten in den Davoser Kliniken innerhalb von zehn Jahren nach Beginn ihres ersten Aufenthalts.
Das Wort Agonie taucht in der lateinischen Form Agonia mit der Bedeutung ›äußerste Angst, Todeskampf‹ seit dem 16. Jahrhundert in deutschen Texten auf. Das lateinische Wort geht zurück auf das griechische Wort agonia (›Kampf, Anstrengung‹), von dem auch das bildungssprachliche deutsche Adjektiv agonal (›wettkampforientiert‹) hergeleitet ist. Die heutige Schreibweise Agonie setzte sich im 18. Jahrhundert unter dem Einfluss des französischen agonie gegen die ältere Form durch. Rilke zum Beispiel erzählt in den »Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge« vom unterbrochenen Todeskampf des »heiligen Jean de Dieu, der in seinem Sterben aufsprang und gerade noch zurechtkam, im Garten den eben Erhängten abzuschneiden, von dem auf wunderbare Art Kunde in die verschlossene Spannung seiner Agonie gedrungen war«.
In einem weitaus weniger wunderbaren und tröstenden Sinn steht das Wort 1942 bei Victor Klemperer in seinen Tagebüchern aus der NS-Zeit, deren Endphase er mit seiner Frau in einem sogenannten Judenhaus auf die Deportation wartend verbringen musste. Hier hat es die Bedeutung ›Todesangst‹: »Noch eine Woche dieser Agonie, dann kommt das zweite Judenhaus an die Reihe.« Am häufigsten liest man aber die Wendung in Agonie liegen, die in Medien gern auf verfallende Imperien, im Niedergang befindliche Parteien, erfolglose Wirtschaftsunternehmen und Ähnliches bezogen wird.