Ambiguität

Jesus Christus war ein Freund klarer Worte: »Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel«, schärfte er seinen Zuhörern in der Bergpredigt ein. Kein Wunder also, dass Doppeldeutigkeit den Kirchen als verdächtig galt. Als dafür im 16. Jahrhundert das aus dem Genitiv ambiguitatis zu lateinisch ambiguitas entlehnte Wort in das gelehrte Deutsch gelangte, nutzten es vor allem Theologen, die ihren Gegnern Zweideutigkeit unterstellen wollten.

Auch in der Sprache des Rechts war Eindeutigkeit ein äußerst erstrebenswertes Ziel, und daher war die zweite Spezialistengruppe, bei der man Ambiguität im 16. und 17. Jahrhundert häufiger lesen konnte, die der Juristen. So berichtet 1688 der Staatsrechtler Samuel von Pufendorf, dass die schwedische Gesandtschaft bezeugt habe, wie eine Stelle im Westfälischen Friedensvertrag von 1648 auszulegen sei, um »ins künftige alle Gelegenheit zu Ambiguität und Streite zu vermeiden«. Im 18. Jahrhundert findet man das Wort dann seltener, bevor es im 19. Jahrhundert unter dem Einfluss von französisch ambiguité in der Philologie wieder häufiger gebraucht wurde, um sprachliche Doppeldeutigkeit auszudrücken.

In diesem Sinn verwendet den Terminus auch die moderne Linguistik, und von dort ausgehend wurde die Ambiguität seit den 1970er-Jahren nachgerade zum Modewort. Wer sich noch abheben will, muss das Verb ambigieren (›schwanken, unsicher sein‹) oder das fast ebenso seltene Adjektiv ambig (›doppeldeutig‹) ins Spiel bringen. Oder man benutzt das vermutlich von englisch ambiguous beeinflusste Adjektiv ambiguos, das nahezu ausschließlich bei Thomas Mann belegt ist, von ihm aber offenbar besonders geschätzt wurde. Im »Doktor Faustus« lässt er Adrian Leverkühn postulieren: »Wahre Leidenschaft gibt es nur im Ambiguosen und als Ironie.« Und über den »Zauberberg« schreibt Mann 1953 ironisch an den Germanisten Eberhard Hielscher: »Es geht ›ambiguos‹ dabei zu, daran ist kein Zweifel – ähnlich, mit Verlaub, wie bei Goethe. Der war auch immer ambiguos.« Das Wort Ambiguitätstoleranz wurde übrigens 2023 in das digitale Wörterbuch Duden online aufgenommen.