Anathema

Auch dieses aus dem Lateinischen entlehnte Substantiv mit dem Genus Neutrum hat, wie so viele Wörter des Bildungswortschatzes, einen griechischen Ursprung. In beiden antiken Sprachen meinte anathema ›Weihegeschenk, etwas, das den Göttern vorbehalten ist, Opfergabe‹. Im späteren Kirchenlatein nahm es die Bedeutung ›Kirchenbann‹ an und kann zudem einen mit dem Kirchenbann belegten Verurteilten bezeichnen.

Seit dem frühen 16. Jahrhundert steht das Wort auch in deutschen Texten. So veröffentlicht 1509 ein Augsburger Drucker den ins Deutsche übersetzten Wortlaut einer Bulle des machtbewussten Renaissancepapstes Julius II., der sich mit der Republik Venedig im Krieg befand und den Martin Luther später in seiner Schrift »An den christlichen Adel deutscher Nation« als »Blutsäufer« bezeichnet. Der Titel des Druckes lautet: »Die päpstlich Bull / Proceß / Bann / unnd Anathema so unnser allerhailigister vatter Pabst Julius / wider das groß Commun der Venediger yetzo neulichen hat lassen außgeen«. Später, 1520, wettert Andreas Karlstadt, ein Mitstreiter Luthers, dass Julius’ Nachfolger Leo X. ein Ketzer sei und sich alle, die seiner gegen den Reformator gerichteten Bulle »Exurge Dominis« Folge leisten, »in der vermaledeyung / ban / acht und anathema gottis« befänden.

Daneben findet man in deutschen Texten bis ins 19. Jahrhundert die Bedeutungen ›vom Kirchenbann getroffener‹ und ›Weiheopfer‹ – Letzteres naturgemäß vor allem in Schriften über die Antike, beispielsweise bei Jacob Burckhardt. Seit dem 18. Jahrhundert nimmt Anathema aber auch den allgemeinen Sinn an, in dem es noch heute bildungssprachlich gebraucht wird: ›etwas, das man allgemein für überflüssig und unwert hält, was man meidet, verdammt und abschaffen möchte‹. So liest man in wissenschaftlichen Schriften häufig über Nietzsches »Anathema« gegen die Religion. Und Kurt Tucholsky schöpft in seiner Briefmarkensammlerglosse »Zwei Welten« wie so oft Witz aus dem Trick, Banalstes mit einem hochgestochenen Wort zu bezeichnen. Über einen Philatelisten bemerkt er: »[G]erecht spricht er sein Anathema über falsche Thurn und Taxis und Mauritius.«

Daneben kommt das Wort heute in der gehobenen Mediensprache zum Einsatz. Es soll ausdrücken, dass über eine Sache nicht gesprochen werden darf, das hier sinnverwandte Tabu aber zu schwach oder zu abgegriffen erscheint. In diesem Sinne gemahnte der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer 2001 die Abgeordneten im Bundestag: »Kollege Kinkel [Fischers Amtsvorgänger von der FDP, Klaus Kinkel, mh] wird sich noch gut daran erinnern, dass es ein Anathema im EU-Kreis war, an eine Kooperation von NATO-Generalsekretär und EU überhaupt zu denken.« Fischer nutzte das Wort noch bei anderen Reden, war aber laut den Bundestagsprotokollen der Letzte.