Bei diesem Wort lässt sich eine subtile Bedeutungsverschlechterung feststellen. Meinte apodiktisch zuerst ›nicht widerlegbar, unumstößlich‹, so umschreibt es heute eher ›keinen Widerspruch duldend‹ und wird im DWDS in einer Synonymgruppe mit die Wahrheit für sich gepachtet haben aufgezählt. In Wolfgang Hildesheimers Romanbiografie über den fiktiven englischen Kunsttheoretiker Andrew Marbot zweifelt dieser an der selbstgewissen Weisheit des Dichterfürsten Goethe, den er in Weimar besucht: »Vor allem aber irritierten ihn Goethes apodiktische Richtlinien, die er als aufgezwungene Weisungen an die Künstler empfand.«
Als im späten 18. Jahrhundert Immanuel Kant das seit der mittelalterlichen Scholastik im lateinischen Wortschatz der Philosophie existierende Adjektiv endgültig im Deutschen etablierte, hing es dagegen eng mit seinem Begriff des apriori zusammen. In seiner 1781 erstmals in Riga gedruckten »Kritik der reinen Vernunft« schreibt der Königsberger Philosoph:
Das kündigt eine iede Erkentniß, die a priori fest stehen soll, selbst an: daß sie vor schlechthinnothwendig gehalten werden will, und eine Bestimmung aller reinen Erkentnisse a priori noch vielmehr, die das Richtmaaß, mithin selbst das Beispiel aller apodictischen (philosophischen) Gewißheit seyn soll.
Von Kant ausgehend bleibt das Wort, das sich über lateinisch apodicticus (›schlüssig beweisend‹) auf das gleichbedeutende griechische apodeiktikos zurückführen lässt, bis heute im Wortschatz der Philosophie im alten Sinne lebendig; es findet sich bei Edmund Husserl ebenso wie bei Martin Heidegger und Ernst Bloch. Die Verschiebung der Bedeutung in Richtung eines abwertenden Beiklangs begann aber schon kurz nach Kant. Johann Gottfried Seume zieht das Wort bereits 1803 humoristisch in die niederen Sphären der Eselei hinunter, indem er in seinem »Spaziergang nach Syrakus« schreibt:
Mein Mauleseltreiber kam beständig und machte den Bedienten und Cicerone. Jo saggio tutto, Signore, Jo conosco tutte le maraviglie, sagte er mit einer apodyktischen Wichtigkeit, wider welche sich eben so wenig einwenden liess, als wider die Infallibilität des Papstes.
Hier sehen wir sehr schön den Unterschied zwischen Fachsprache und Bildungssprache: In der Philosophie hat apodiktisch bis heute die Kant’sche Bedeutung; der abwertende, weniger streng definierte Gebrauch gehört dem allgemeinen Bildungswortschatz an.