Dieser Fachausdruck der Juristensprache ist verunklart in die allgemeine Bildungssprache eingegangen. Ursprünglich bedeutete arbiträr ›dem Ermessen nach‹, ohne dass ihm notwendigerweise der heute vorherrschende Beiklang von ›beliebig‹ anhaftete. So tauchte das im 17. Jahrhundert aus französisch arbitraire entlehnte Wort um 1800 häufiger bei Rechtstheoretikern wie Carl von Savigny oder Anselm von Feuerbach auf.
Dem französischen Wort liegt das lateinische Adjektiv arbitrarius (›schiedsrichterlich‹) zugrunde, das schon bei den Römern den Nebensinn von ›willkürlich‹ angenommen hatte. Feuerbach, der unter anderem als juristischer Vormund und erster Biograf Kaspar Hausers bekannt wurde, setzte sich sehr dafür ein, dass der Strafrahmen für ein Verbrechen von vornherein feststehen müsse, und kritisiert 1801 in seinem »Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Rechts«: »Die Strafe ist jetzt nach gemeinem Recht arbiträr[.] Die deutschen Reichsgesesze wollen Be[s]trafung, sie bestimmen aber das Strafübel nicht.« Auch der Historiker Theodor Mommsen gebraucht das Wort in diesem Sinn, wenn er in seiner »Römischen Geschichte« über juristische Kollisionen zwischen den uralten römischen Zwölftafelgesetzen und später erlassenen Edikten schreibt, dass solche Konflikte zugunsten der moderneren Rechtsauffassung allein gelöst werden konnten, indem »die veraltete Satzung nur durch arbiträres Eingreifen des Beamten, also genau genommen durch Verletzung des formellen Rechts, beseitigt ward«. Jünger ist die Verwendung des Adjektivs in der Mathematik, wo eine arbiträre Größe eine beliebige konstante Größe in einer Formel bezeichnet.
Große Wirkung auf den Wortschatz der Geisteswissenschaften und damit auf den Bildungswortschatz hatte allerdings der Gebrauch, den der Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure, der Begründer des Strukturalismus, in seinen auf Französisch gehaltenen Vorlesungen von arbitraire machte, etwa für das willkürliche Verhältnis zwischen Signifikant (dem Bezeichnenden) und Signifikat (dem Bezeichneten). Saussures bis heute allgemein anerkanntes Dogma besagt, dass in natürlichen Sprachen jener Zusammenhang arbiträr sei, also auf menschlicher Konvention und nicht auf naturgegebenen Gesetzmäßigkeiten beruhe. Viele ältere Sprachwissenschaftler waren noch vom Gegenteil ausgegangen und hatten beispielsweise im Barock nachzuweisen versucht, dass Deutsch eine Art Ursprache bilde, weil hier der Klang der Wörter besonders lautmalerisch sei.
Schon Friedrich Nietzsche setzte arbiträr in einem ähnlichen Sinn ein wie Saussure. In der von seiner Schwester Elizabeth Förster-Nietzsche nach seinem Tode herausgegebenen und zum nachgelassenen Hauptwerk hochgeschwindelten Sammlung »Der Wille zur Macht« kritisiert der Philosoph die Kirche: »Sie bleibt überall bei der Oberfläche stehn, bei Zeichen, Gebärden, Worten, denen sie eine arbiträre Auslegung giebt. Sie hat eine zu Ende gedachte Methodik der psychologischen Falschmünzerei.«