Desiderat

Hier handelt es sich um ein Wort, bei dem man die Wahl hat, es im Plural noch bildungssprachlicher klingen zu lassen, als es ohnehin schon ist – je nachdem, für welche Endung man sich entscheidet. Während die im 17. Jahrhundert bei der Herausbildung einer deutschen Wissenschaftssprache aus dem Lateinischen entlehnte Singularform Desideratum – wörtlich übersetzt ›Gewünschtes‹, zu desiderare ›wünschen‹ – selbst im fachsprachlichen Gebrauch mittlerweile selten ist, hört man in Universitäten noch häufiger den Plural Desiderata mit der a- Endung für lateinische Neutra auf -um.

Fachsprachlich meint Desiderat ein zur Anschaffung in einer Bibliothek empfohlenes Buch. Von einem Desiderat der Forschung zu sprechen, wenn man ausdrücken möchte, dass ein Thema erstmals oder gründlicher untersucht werden sollte, ist schon eher eine allgemein bildungssprachliche Ausdrucksweise. Im letzteren Sinne nutzt der Arzt Ignaz Semmelweis die seit dem frühen 19. Jahrhundert nachweisbare, kurze eingedeutschte Form des Wortes in seiner 1861 veröffentlichten, epochalen Schrift über das Kindbettfieber, mit der er unzähligen Frauen das Leben rettete:

Bei dem häufigen und bösartigen Auftreten des Kindbettfiebers in der Prager k. k. Gebäranstalt erscheint die Beantwortung der Frage, wie dem heftigeren Ausbruch dieser Krankheit vorgebeugt werden könnte, als ein Desiderat jedes menschenfreundlichen Arztes […].

Bei seinem Zeitgenossen und Arztkollegen Rudolf Virchow liest man den Terminus auch im Sinne von ›(biologische) Notwendigkeit‹. In seiner 1858 gehaltenen Vorlesung über »Cellularpathologie« doziert Virchow, man könne vom Nucleolus – dem erst 1835 entdeckten Kernkörperchen der Zelle – bei jungen Zellen »nicht sagen, dass er als ein nothwendiges Desiderat erscheine«. Genauso gebrauchen das Wort noch Adorno und Luhmann, doch allgemein bildungssprachlich wird Desiderat vor allem verwendet, um auszudrücken, dass man einmal ein Buch über ein bestimmtes Thema lesen möchte. Gelegentlich bezeichnet der Ausdruck auch etwas politisch Wünschenswertes; 2011 etwa postuliert die »Zeit«: »Eine europäische Medienpolitik wäre ein unbedingtes Desiderat.«