determinieren

Heute gilt das Wort als fachsprachlich, etwa in der Mathematik oder der Philosophie, und wahrhaft bildungssprachlich in der allgemeinen Bedeutung ›bestimmen, bedingen, festlegen‹. Doch die beiden frühesten Stellen aus der umfangreichen Belegsammlung des »Deutschen Fremdwörterbuchs« sind merkwürdigerweise ein volkstümliches Predigtgedicht und ein Kirchenlied, also Textsorten, die sich an ein breites Publikum wenden. In einer zeitgenössischen Reimpredigt über das Konzil von Konstanz aus dem frühen 15. Jahrhundert, die der Dichter Detlev von Liliencron in seine Sammlung »Volkslieder der Deutschen« aufnahm, heißt es:

Alle christenleut die pitten got,

was da ward determinieret

und gar weisleich geordiniret

nach des gemainen concili rat;

daß das alles werd bestat.

Das nächstjüngere Beispiel ist dann ein Kirchenlied von 1503. Ist das ein Hinweis darauf, dass das aus lateinisch determinare entlehnte Verb früher weit verbreitet war und allgemein verstanden wurde? Wohl kaum. Dagegen spricht, dass es danach längere Zeit nur in Milieus nachweisbar ist, in denen sich wie in der Bildungsund Wissenschaftssprache der frühen Neuzeit üblich Latein und Deutsch mischten – beispielsweise in den Tischreden Martin Luthers, allgemein in theologischen, aber auch juristischen Texten und in der Mathematik.

Die diversen, teilweise längst außer Gebrauch geratenen Spezialbedeutungen müssen uns hier nicht interessieren. Spannend ist aber die Vorstellung, die im 18. Jahrhundert zur Entstehung des Substantivs Determinismus führte. Damals griffen Denker wie der atheistische französische Philosoph Paul Thiry d’Holbach und der Mathematiker Pierre-Simon Laplace seit der Antike existierende Ideen neu auf und beschrieben die Welt als ein von ewigen Gesetzen determiniertes System: Alle Ereignisse stehen im Grunde schon fest; dementsprechend sei das Handeln des Menschen vorherbestimmt und Wahlfreiheit eine Illusion.

Diese Ansätze wurden auch von deutschen Intellektuellen der Zeit diskutiert – zustimmend etwa von dem deutschen Aufklärer Johann Wilhelm von Archenholz, der 1790 erklärt: »Es giebt gewisse Erscheinungen in der menschlichen Natur, welche dem Determinismus das Wort zu reden scheinen.« Ablehnend zeigte sich hingegen Immanuel Kant, der 1793 urteilt: »Die, welche diese unerforschliche Eigenschaft als ganz begreiflich vorspiegeln, machen durch das Wort Determinismus (den Satz der Bestimmung der Willkür durch innere hinreichende Gründe) ein Blendwerk, gleich als ob die Schwierigkeit darin bestände, diesen mit der Freiheit zu vereinigen, woran doch niemand denkt.«

Das mechanistische Weltbild, das die Aufklärung der Religion entgegensetzte, hat heute keine Konjunktur mehr. Gegenwärtig vermutet man eher, unser Handeln sei entweder durch Klassenverhältnisse – hier spricht man von Marx’ »Ökonomischen Determinismus« – oder durch das Unterbewusstsein, hirnchemische Faktoren und Affekte determiniert. So sah es unter anderem schon Robert Musil, der in seinem Roman »Der Mann ohne Eigenschaften« über die Rolle der Affekte in der Politik schreibt: »Ein Zweck, ein Streben determinieren die Gefühle, und die Gefühle die Argumentation.«