dezidiert

Hier konnte sich ein Adjektiv, gebildet aus dem Partizip eines Verbs, länger halten als das ursprüngliche Wort. Im 16. Jahrhundert wurde dezidieren aus dem gleichbedeutenden lateinischen decidere entlehnt. Beide bedeuten ›entscheiden‹, und in diesem Sinne war das deutsche Fremdwort bis zum 19. Jahrhundert gebräuchlich. So bemerkt Georg Christoph Lichtenberg 1784 in einem Brief über die Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis: »Die schlimmsten Zeiten für die Physic und ihren Fortgang waren seit jeher die, in welchen man in Dingen die jenseit unserer Sinne liegen, decidiren zu können geglaubt hat.« In einer Vorlesung hatte der Philosoph und Physiker kurz zuvor seinen Zuhörern erklärt: »Sie werden mir erlauben, daß ich hier zuweilen decisiv spreche, nicht weil ich decidiren will, sondern weil es einmal die Hofsprache der Hypothesenmacher ist.«

Bis ins 19. Jahrhundert konnte man das Wort in Geschichtsbüchern lesen, weil es Friedrich der Große verwendet hatte und es im höfischen Umfeld späterer preußischer Monarchen noch üblich gewesen war. Dann kam es aus der Mode. Trotzdem wird dezidieren noch heute in Duden-Wörterbüchern verzeichnet.

Bis heute allgemein bildungssprachlich üblich ist dagegen das ebenfalls seit 500 Jahren nachweisbare Adjektiv dezidiert, das die ganze Bedeutungsspanne des deutschen Wortes ›entschieden‹ umfasst – also auch ›entschlossen‹ oder ›festgelegt‹. In August Wilhelm Ifflands Schauspiel »Selbstbeherrschung« von 1801 sagt zum Beispiel jemand über eine junge Frau mit gesellschaftlich anstößigen Eheplänen noch nah am Verb: »Sie ist dezidiert, den jungen Galgenstrick zu heirathen, das ist klar.« Johann Caspar Lavater gebrauchte das Adjektiv sogar im Sinne von ›markant‹; in einer seiner nachgelassenen »Hundert physiognomischen Regeln« zur Erkenntnis der Menschen behauptet er Ende des 18. Jahrhunderts:

Wenn das Kinn dezidiert-klug ist, so hast du sicherlich einen ganz klugen [Menschen vor dir, mh]. Das Kinn ist dezidiert-klug, das in der Mitte etwas eingebogen oder gebrochen ist; dessen unterer Theil etwas vorsteht, und das mit verschiedenen Nuancen, Einkerbungen, Zügen markiert, und unten in der Mitte etwas vertieft ist.

Heute findet sich das Wort in der Literatur nur noch selten, vielleicht, weil Dichter es als abgegriffen empfinden. Umso häufiger liest man es dafür in akademischen, politischen und feuilletonistischen Texten.