Es ist selten, dass man den Urheber eines Wortes namentlich benennen kann, doch im Falle dieses in jüngerer Zeit in den erweiterten Bildungswortschatz eingegangenen Wortes ist es möglich. Der Amerikaner Talcott Parsons führte das Wort dysfunctional in den 1930er-Jahren in die Fachsprache der Soziologie ein; global populär machte es dann Parsons’ Schüler und Antipode Robert K. Merton mit seinem Plädoyer für »middle-range theories« (›Theorien mittlerer Reichweite‹). Damit richtete sich Merton gegen die großen Gesellschaftstheorien, die alles erklären wollen, wie beispielsweise der Marxismus, und ebenso die Gedankengebäude seines Lehrers Parsons.
Merton war ein Vertreter des Funktionalismus, der soziale Phänomene daraufhin untersucht, ob sie für die Gesellschaft »funktional« oder »dysfunktional« sind. Einer der Ersten, der das Wort dysfunktional in deutschen Texten verwendete, war der Politikwissenschaftler Klaus von Beyme. In seiner Laudatio zur Verleihung des Montaigne-Preises an den französischen Soziologen Raymond Aron lobte er 1968 den Ausgezeichneten mit einem Satz, der in Wortschatz und Grammatik typisch für die Generation der 68er ist:
Vom Soziologen aber muß man erwarten, daß er die positive Bedeutung der Bewegung (nach Abzug ihrer Entartungserscheinungen) für die Reform unserer immobil gewordenen Gesellschaft analysiert und die dysfunktionalen Folgen ihres Kampfes herausarbeitet, die systemstabilisierend wirken, nicht weil sie zerstören, sondern weil sie verändern, und auch beim sogenannten Establishment Lernprozesse beschleunigen, über denen wir ohne solche Bewegungen immer wieder einzuschlafen drohen.
Älter als das Adjektiv ist das seit Anfang des 20. Jahrhunderts im Englischen als dysfunction und im Deutschen als Dysfunktion in der medizinischen Fachsprache nachweisbare und heute dort allgegenwärtige Substantiv. Man spricht beispielsweise von einer erektilen Dysfuntion, gegen die Viagra hilft. So ist es folgerichtig, dass dysfunktional besonders häufig dort verwendet wird, wo sich Gesellschaftstheorie und medizinisches Interesse überschneiden: in der Psychologie. Oft taucht das Wort in Verbindungen wie dysfunktionale Familie auf. Aber selbst der Staat, die Verkehrsbetriebe einer Stadt (besonders häufig in Berlin), ein Bauwerk und andere Phänomene können dysfunktional sein.
Dies gilt sogar für eine Fußballmannschaft. Auf der Webseite »Spielverlagerung«, die sich der Analyse von Taktiken des Fußballs widmet, resümiert 2020 der Kommentator Constantin Eckner: »Bei Deutschland aber waren alle Mittelfeldkombinationen dysfunktional, da sie aus zwei Spielern bestanden, die gern mal nach vorn (Khedira, Gündogan, Goretzka) oder zur Seite (Kroos) ausweichen, statt den Sechserraum zu schließen.« Mit der Verwendung des Adjektivs dysfunktional, das neuerdings auch als Synonym für das Modewort toxisch verwendet wird, will der Experte selbstverständlich den gehobenen intellektuellen Anspruch seiner Analyse signalisieren und sich von der gewöhnlichen Sportpresse à la »Kicker« und »Bild« absetzen.