ephemer

Die Eintagsfliege ist ein ziemlich ephemeres Wesen, denn ihr Dasein ist nur von kurzer Dauer. Deshalb entschied sich der Biologe Carl von Linné, Schöpfer der wissenschaftlichen zoologischen Nomenklatur für Flora und Fauna, die Klasse der Eintagsfliegen lateinisch ephemera zu nennen.

Ursprünglich stammt das Wort aus dem Griechischen, wo ephemeros ›nur einen Tag lebend, ohne bleibende Bedeutung‹ meint. Im Sinne von ›vorübergehend, von kurzer Dauer‹ gelangte ephemer dann im 18. Jahrhundert ins Deutsche und hier zunächst in die Sprache der Medizin. Man spricht zum Beispiel von einem ephemeren Fieber; daneben gibt es seit dem 16. Jahrhundert die Variante ephemerisches Fieber. Im späten 18. Jahrhundert nahmen beide Adjektive eine übertragene Bedeutung an und können nun ›bedeutungslos, unbeständig‹ meinen. Wieland und Goethe gebrauchten noch die Form ephemerisch, die aber im 19. Jahrhundert allmählich verschwand; Knigge und Uhland bevorzugten ephemer.

In der Kunsttheorie des 18. und 19. Jahrhunderts wurde ephemer zu einem Schimpfwort, mit dem sich tiefschürfende Deutschen unter anderem vom kommerziellen Treiben der italienischen Oper oder von erfolgreicheren Landsleuten vorteilhaft distanzieren wollten. So liest man 1811 in einem Almanach aus Rom: »Der deutsche Componist schafft Geisteswerke, über die noch die Nachwelt urtheilen kann, der italienische schreibt ephemere Entwürfe für die Mitwelt.« Franz Liszt rät Richard Wagner 1850 zu einem vorsichtigen Anknüpfen an die »ephemeren Unternehmungen der englischen Theater«. Und Joseph von Eichendorff berichtet in seiner Dramentheorie pikiert über die »Concessionen«, die der Publikumsliebling August von Kotzebue »mit ephemerem Erfolge« mache.

Von da an hat ephemer eigentlich fast immer etwas Herabsetzendes. Schaudernd sprechen Schriftsteller wie Hugo von Hofmannsthal von italienischen Politikern und deutschen Erfolgsautoren, deren Karrieren »ephemer« seien. Gesteigert wird das Wort zuletzt bei Annette Kolb, die das Adjektiv gar im Sinne von ›nicht existent, irreal‹ verwendet. Über die Tantiemen, die die Mutter der Familie Lautenbach in Kolbs Roman »Die Schaukel« für ihre Kompositionen erhofft, kann deren Sohn nur heimlich pfeifend spotten: »Otto hatte einen Pfiff erfunden, der sich speziell auf den ephemeren Charakter dieser Einnahmen bezog.«

Vom DWDS wird ephemer dem »gehobenen« Ausdrucksbereich zugeschlagen; der Duden wie der Linguist Gerhard Augst rechnen es zu den bildungssprachlichen Wörtern. Das zeigt, wie fluid die Grenzen zwischen den beiden Kategorien oft sind.