-ieren

Dieses Verbalsuffix ist im Bildungswortschatz und in den Fachsprachen, aus denen ja fast alle Verben der Bildungssprache ursprünglich stammen, das Wortbildungselement schlechthin. Es wird sowohl für die Eindeutschung von Verben aus anderen Sprachen gebraucht als auch für die Bildung neuer Verben. Allerdings handelt es sich dabei überwiegend um Wörter, die dem griechisch-lateinischen, dem französischen und dem italienischen Sprachkreis angehören. Anglizismen werden eher selten mit dem Suffix -ieren eingedeutscht. Wenigen Ausnahmen wie boykottieren und trainieren stehen zahlreiche englische Lehnverben des Typus shoppen, checken, faken, downloaden, rappen, parken (in der Schweiz allerdings auch parkieren) und so weiter gegenüber. Die rund 3400 Verben und Verbvarianten auf -ieren, die im Online-Duden angeführt werden, beruhen überwiegend auf griechisch-lateinischen und romanischen Wortstämmen. Doch Bildungen mit deutschen Stammwörtern finden sich ebenfalls darunter, beispielsweise hofieren und gastieren, verdünnisieren, amtieren und inhaftieren.

Die besondere Beziehung zwischen dem Suffix -ieren und Fremdwörtern aller Art ergibt sich aus der im Sprachbewusstsein immer lebendig gebliebenen Erinnerung, dass dieses Wortbildungselement zwar sehr lange eingebürgert, aber letztlich fremd ist: Das Verbalsuffix -ieren wurde schon im Mittelhochdeutschen auf der Basis der französischen Verbendungen -ier und -ir entlehnt. Ältere Sprachwissenschaftler, darunter eine Autorität wie Hermann Paul, gingen noch davon aus, dass es aus dem Burgundischen stamme.

Von Anfang an wurde -ieren auch gebraucht, um Verben einzudeutschen, die im Französischen auf -er enden. Das älteste noch gebräuchliche Beispiel dafür ist parieren, dass auf französisches parer zurückgeht. Der finnische Germanist und Romanist Emil Öhmann, einer der hervorragendsten Kenner der mittel- und frühneuhochdeutschen Entlehnungsbeziehungen, führte die Neigung, -ier zur Fremdworteindeutschung zu verwenden, auf die Bekanntheit und den hohen Stellenwert zurück, den altfranzösische Nomina Agentis wie chevalier oder soldier bei den mittelhochdeutschen Autoren hatten. Das -ier wurde dann als typisch französisch angesehen und bevorzugt als Verbendung für Lehnwörter genutzt, weil diese Ausdrücke dadurch sichtbar am hohen Prestige des Altfranzösischen in den höfischen Kreisen Europas teilhatten. Aus dem höfischen Wortschatz gelangte -ieren dann in die Allgemeinsprache. Bereits im Mittelhochdeutschen wurde aus der Verbendung das Substantivsuffix -ierung abgeleitet und zur Wortbildung produktiv. Eines der ältesten so entstanden deutsche Wörter ist Regierung.

Bei den auf deutschen Stammwörtern beruhenden Verben mit -ieren handelt es sich im Wesentlichen um drei Gruppen: Fachwörter wie pulverisieren oder schattieren, die ihre Endungen analog zu Fremdwörtern wie amalgamieren oder galvanisieren erhielten. Witzige Bildungen wie spintisieren oder das genannte verdünnisieren, die häufig aus der älteren Schüler- und Studentensprache stammen und bei denen die fremde Endung ursprünglich parodistisch war. Und schließlich aus Namen abgeleitete Verben, die oft ebenfalls einen humoristischen Anstrich haben. Emil Öhmann nannte als Beispiele goethisieren und gottschedisieren. Im letzteren Sinne kann auch -ierung zur Bildung witziger, neuer Wörter genutzt werden. Eine Kollegin von mir sagte einmal über eine Schauspielerin, die neuerdings ihre Achtsamkeit in Interviews sehr betonte, deren Gwynethpaltrowisierung sei bereits ziemlich fortgeschritten. Nicht nur mit der spontanen Schöpfung des Wortes, sondern auch mit dessen fehlerfreier Aussprache bewies sie Bildung.