inhärent

Das Wort ist eine Frucht der Französischen Revolution. Einer der ersten deutschen Texte, in denen es im späten 18. Jahrhundert erscheint, ist Wielands »Ausführliche Darstellung der in der französischen Nazional-Versammlung am 26. und 27. November 1790 gehaltenen Debatten« in seiner Zeitschrift »Der Neue teutsche Merkur«. Damals versuchten die Deputierten, unter anderem das Verhältnis zwischen Staat und Religion neu auszuhandeln – eine Kernangelegenheit der Aufklärung. In diesem Zusammenhang greift, wie Wieland berichtet, der Abt François-Xavier de Montesquiou-Fézensac als Vertreter des Klerus ein Wort seiner Gegner auf: »Nun fragt ihr, ob es der Kirche inhärent sey, daß der Umfang einer Diözese auf diese oder jene Art bestimmt sey?« Wieland hält es für nötig, den Satzteil mit inhärent seinen Lesern in Klammern im französischen Original zu präsentieren: »si l’est inherent à l’église«. Dieser Frühbeleg stützt die vom Etymologen Wolfgang Pfeifer geäußerte Vermutung, unser Wort inhärent gehe nicht direkt auf das lateinische inhaerens (›anhaftend, innewohnend‹) zurück, sondern sei wohl aus dem Französischen übernommen.

Der neue Ausdruck wurde im Deutschen schnell heimisch; unter anderem benutzten ihn der Sprachwissenschaftler August Ferdinand Bernhardi, der durch seine Verschwägerung mit Ludwig Tieck zum Kreis der frühen Romantiker gehörte, zur Beschreibung grammatischer Abhängigkeiten. Im 19. Jahrhundert war das Wort zudem ein Lieblingsausdruck von Denkern, die Gott aus der Welt heraushalten wollten. Dazu gehörten so unterschiedliche Philosophen wie Max Stirner und Karl Marx, die inhärent 1845 in »Der Einzige und sein Eigenthum« beziehungsweise im 1894 posthum erschienenen dritten Band des »Kapitals« gebrauchen. Wenn den Dingen dynamische Eigenschaften inhärent seien, dann könne die Welt ohne göttliches Zutun bewegt werden durch »Kraft und Stoff« – so der Titel eines Weltbestsellers, in dem der Mediziner Ludwig Büchner, der jüngere Bruder des Dichters Georg Büchner, seine materialistische und darwinistische Philosophie ausbreitet. Büchner schreibt in seinem 1855 erstmals erschienenen Werk, das sogar ins Arabische übersetzt wurde:

In dieser Erkenntniß ist er Mensch und Gott zu gleicher Zeit, Mensch, insofern er, selbst ein Theil des Stoff᾽s, von den Gesetzen abhängig ist, welche dem Stoff von Ewigkeit her inhärent sind – Gott, insofern er die Gesetze des Stoff᾽s zu erkennen, zu durchschauen und dadurch zu beherrschen und zu seinen Zwecken zu verwenden vermag.

Wer sich hier über den Genitivapostroph wundert: Offenbar war das in der gebildeten Familie Büchner so üblich; auch das berühmte Drama von Bruder Georg erschien 1835 als »Danton’s Tod«. Außer bei Ludwig Büchner kommt inhärent als Bezeichnung für dem Stoff innewohnende Eigenschaften und Kräfte auch bei dem noch radikaler materialistisch denkenden Ernst Haeckel vor. Offenbar war inhärent ein zentraler Begriff bei Denkern des 19. Jahrhunderts, die sich um nicht metaphysische Entwicklungserklärungen bemühten. Auch Charles Darwin verwendet das englische inherent 1859 in »On the Origin of Species«.

Spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts gelangte inhärent aus den Fachsprachen in den allgemeinen Bildungswortschatz. Seine Gebrauchshäufigkeit nimmt aktuell immer noch zu. Neuerdings bekommt es jedoch Konkurrenz durch das eigentlich nicht wirklich synonyme intrinsisch mit der Bedeutung ›von innen her, aus eigenem Antrieb; durch in der Sache liegende Anreize bedingt‹, das im 20. Jahrhundert aus dem Englischen entlehnt wurde.