Selbst Jesus fluchte manchmal. Nie wird er in der Bibel so zornig beschrieben wie in Lukas 19, 45–46. Da geht er in den Tempel zu Jerusalem, verjagt die Händler und Geldwechslerund schimpft: »Es steht geschrieben: ›Mein Haus ist ein Bethaus‹; ihr aber habt’s gemacht zur Mördergrube.« Der einflussreiche Barocktheologe Johann Conrad Dannhauer nennt das in einer 1657 gedruckten Predigt »eine hefftige / aber hochbefuügte und abgenöthigte invectiv«.
Zu Dannhauers Zeit war das aus dem gleichbedeutenden spätlateinischen invectiva entlehnte feminine Substantiv Invektive (›Schmährede‹) – die Schreibweise mit k statt c setzte sich erst allmählich nach 1900 durch – bereits seit etwa einhundert Jahren in deutschen Texten präsent. Lange blieb es seltener als das synonyme, heute bedauerlicherweise ganz aus der Mode gekommene Pasquill. Um 1800 findet man Invektive dann aber bei fast jedem Klassiker – und Antiklassiker.
Am unteren Ende dieser Skala schildert Friedrich Christian Laukhard in seinem Buch »Leben und Schicksale« das zeitgenössische Studenten- und Soldatendasein. Er erinnert sich, wie die im französischen Revolutionsheer dienenden Deutschen von den Franzosen provoziert und als geborene Untertanen, die Sehnsucht nach Tyrannei haben, verspottet wurden. Laukhard kommentiert: »Unsre Soldaten lachten über die Invectiven der Franzosen, und reizten sie oft dazu, blos nur zum Spaß.« Am anderen Ende, im Olymp der Weltliteratur, freut sich Goethe in seiner »Farbenlehre« über die Kritik des Franzosen Louis-Bertrand Castel an Newtons Theorie der Lichtbrechung: »Seine Invectiven gegen die Newtonische Darstellung des Spectrums übersetzen wir um so lieber, als wir sie sämmtlich unterschreiben können.«