Lackmustest

Dieses Wort implantierte nicht der Chemieunterricht in die deutsche Bildungssprache, sondern der Englischunterricht, der es Deutschen ermöglichte, Produkte englischsprachiger Unterhaltungskultur zu übersetzen oder im Original zu konsumieren.

Soweit erkennbar wird das Wort in unserer Sprache erst seit dem späten 20. Jahrhundert im übertragenen Sinne von ›Prüfstein, Gradmesser‹ verwendet. Im Englischen ist diese Bedeutung mindestens schon seit den 1950er-Jahren verbreitet, wie das Oxford English Dictionary nachweist. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit findet sich im Roman »Slumberland« von Paul Beatty aus dem Jahr 2008/09. Dort erklärt eine Frau, wie sie feststellt, ob eine Partybekanntschaft kompatibel sei: »Mein Lackmustest ist Tom Cruise. Ich verabscheue Menschen, die Tom Cruise verabscheuen.« Durch diese Art von Übersetzungen – im Original heißt es »litmus test« – wurde der erweiterte Gehalt des Wortes auch im Deutschen popularisiert.

Ein Lackmustest im eigentlichen Sinne ist ein Verfahren, bei dem mit Lackmus getränktes Papier in eine Flüssigkeit getaucht wird: Färbt sich das Papier blau, ist die Flüssigkeit alkalisch, wird es rot, handelt es sich um eine Säure. Sprachkritiker weisen darauf hin, dass ein Lackmustest in der Chemie nichts über die Zukunft aussage und die übertragene Verwendung deshalb falsch sei. Sie ist aber sicher nicht falscher als viele andere übertragene Verwendungen von Wörtern. Es gibt allerdings auch keinen wirklichen Grund, das Wort zu benutzen – außer pompösem Getue –, denn es lässt sich nahezu überall problemlos durch ein einfaches Test ersetzen.