Wortbildungen mit dem Zweitbestandteil -lateral nehmen in der Sprache der Politik und der über sie berichtenden Medien in jüngerer Zeit zu. 2022 etwa titelt die »taz«: »Aus bilateral mach quadrilateral«. Gemeint war, dass US-Präsident Joe Biden bei seinem Besuch in Israel virtuell den Premierminister Indiens und den Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate zu Gesprächen hinzuzog. Aus Dialogen zwischen zwei Gesprächspartnern wurden solche mit vier Beteiligten.
Bilateral ist das Wort aus dieser Gruppe, das am längsten in der deutschen Sprache vertreten ist, nämlich seit dem frühen 19. Jahrhundert. Es entstammt der medizinisch-biologischen Fachsprache und bedeutet dort ›zweiseitig, spiegelbildich‹. So schreibt der Naturwissenschaftler Carl Vogt 1851 in seinen »Zoologischen Briefen« über eine Gruppe der Würmer, bei ihnen trete »eine Tendenz zur bilateralen Lagerung der Organe hervor«. Die Juristerei kennt schon Mitte des 19. Jahrhunderts bilaterale Verträge, die beide Seiten zu etwas verpflichten, sowie bilaterale Beweisgründe, die sowohl für als auch gegen eine Behauptung sprechen.
Übertragen auf die Politik ist seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Zeitungen ebenso wie in öffentlichen Debatten von bilateralen Verträgen die Rede, wenn es sich um Vereinbarungen zwischen gleichberechtigten Nationen handelt. Einen Höhepunkt erreichte der Wortgebrauch im Zuge der Entspannungspolitik, die ab den 1970er-Jahren den Kalten Krieg abmilderte und schließlich sogar die deutsche Wiedervereinigung ermöglichte. Ähnliches zeigt sich bei multilateral, das seit den 1920er-Jahren in Medien sowie in Protokollen des Reichstages nachweisbar ist. Nach der Konferenz von Locarno 1925, auf der das Deutsche Reich mit einigen seiner früheren Kriegsgegner verhandelte, gelangte der Terminus aus dem Englischen, wo er schon länger im juristisch-politischen Sinne verwendet worden war, ins Deutsche.
Das Gegenwort zu bilateral oder multilateral ist das zumeist negativ konnotierte oder sogar als Drohung verstandene unilateral. Seit dem 19. Jahrhundert meint das eher seltene medizinische Fachwort, das etwas ›einseitig‹ sei. Dann wurde es nach dem Zweiten Weltkrieg unter englischem und französischem Einfluss in die politische Sphäre übernommen. 1948 etwa berichtet »Das Volk«, eine sozialdemokratische Zeitung in Südbaden, über die Pläne der amerikanischen Besatzer für Japan, dass General MacArthur den Vorschlag gemacht habe, das Land »wenn notwendig unilateral« zu einer unabhängigen Nation zu erklären. Unilateral ist aber nach wie vor weit weniger gebräuchlich als bilateral und multilateral.
Noch seltener ist monolateral, ein in erster Linie ebenfalls medizinischer Fachbegriff für ›einseitig‹. Zum Beispiel rügte 1993 die damalige Bundesregierung eine Anfrage der SPD wegen ihrer »monolateralen Betrachtungsweise«. Niemals den Bereich der Fachsprachen verlassen hat hingegen das Wort lateral (›seitlich‹, aus lateinisch lateralis), das all jenen Bildungen zugrunde liegt.
Bilateral ist dagegen neuerdings aus dem Bereich der engeren Bildungssprache in die niedere Sphäre des Business-Imponiergeredes gesunken. Man bespricht dort Dinge, die sich nicht für Konferenzen, Meetings und Großdiskussionen eignen, nicht mehr einfach »unter uns«, »unter vierAugen« oder »zwischen dir und mir«, sondern bilateral– und jeder Gesprächsteilnehmer darf sich als Großmacht fühlen.