Makulatur

Dies ist eines der vielen lateinischen Wörter, die kein alter Römer je verstehen würde. Erst im Mittelalter bildeten Gelehrte auf der Basis des lateinischen Verbs maculare (›beflecken‹) das Nomen maculatura, das etwas Beflecktes oder eine Befleckung bezeichnet – durchaus auch im sexuellen Sinne. So spricht Duns Scotus von der maculatura carne, der Befleckung durch das Fleischliche, die das Kind bei der Empfängnis im Zeugungsakt infiziert.

Nach der Erfindung des Buchdrucks wurde das Wort im entstehenden Druckergewerbe auf fehlerhafte Druckbogen und Altpapier im Allgemeinen übertragen. Das Wörterbuch »Promptuarium vocabulorum« des Humanisten Johann Pinicianus bucht das deutsche Makulatur erstmals 1516. Gessner und Hager erklären es 1740 in ihrer »Buchdruckerkunst und Schriftgießerey«: »Maculatur, heißt man insgemeim gedrucktes Pappier, welches entweder verdorben worden, oder sonsten keinen Abgang findet, dahero man solches zu weiter nichts, als zum einpacken gebrauchen kan.«

Spätestens im 18. Jahrhundert wurde Makulatur dann auch für nutzlose geistige Ergüsse und Unsinn verwendet. Es war ein Lieblingswort Georg Christoph Lichtenbergs. Bekannt ist sein nicht näher datierter Aphorismus über den Literaturbetrieb: »Das Maculatur von heute rühmt das Maculatur von gestern.« Und im zehnten Band seiner »Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche« von 1808 beschreibt Lichtenberg einen Arbeiter in der »Beer Street« – so der Titel des Blattes –, der in einem Korb aussortierte Bücher trägt: »[D]ie Leiber natürlichen Todes Gestorbener oder auch mit dem Schwert oder dem Strange hingerichteter Geistesgeburten, oder was man im Deutschen mit einem Wort Maculatur nennt«.

Heute wird Makulatur vor allem in der politischen und wirtschaftlichen Sphäre gebraucht für Wahlversprechen, Programmpunkte, Verträge, Arbeitsplatzgarantien oder Friedensabkommen, die schon bald nach ihrer Formulierung nur noch bedrucktes Papier sind, um das sich niemand mehr kümmert.