obsolet

Viele einst bildungssprachlich gebräuchliche Wörter kommen in diesem Buch nicht vor, weil sie obsolet sind. Diesem Adjektiv selbst aber kann man das nicht nachsagen. Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen etwa bemerkt 2018 in einer Ansprache zur EU-Skepsis: »Es gibt aber nun wieder Parteien, Gruppierungen und Personen, die finden, dass die Europäische Union aus unterschiedlichen Gründen obsolet wäre.« Auch sein deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel setzten das Wort in Reden ein.

In den gut 300 Jahren, die das Wort im Deutschen existiert, ist seine Bedeutung unverändert geblieben: ›nicht mehr gebräuchlich; nicht mehr üblich; veraltet‹. So empfiehlt der Naturforscher Ehrenfried Walther von Tschirnhaus in seinem Bildungsratgeber »Getreuer Hofmeister« von 1727 angehenden Juristen und Medizinern zwar das Lateinstudium, doch gleichzeitig mahnt er: »Das Hauptwerck aber soll hernach seyn, bald ad Praxin Juris zu schreiten, sich in Theoria und unnützen alten obsoleten Materien nicht lange aufzuhalten, sondern den Proceß wohl verstehen zu lernen, und sich in Physicis Curiosis &c. wohl zu üben.«

Das Adjektiv geht auf lateinisch obsoletus (›abgenutzt‹) zurück und wird auf der dritten Silbe betont. Tschirnhaus’ Gebrauch war durchaus wegweisend für die Zeit der Aufklärung und der Französischen Revolution. Obsolet wurde zu einem Schimpfwort, mit dem Anhänger des Fortschritts alles brandmarkten, was sie abschaffen wollten. Diese Manie parodiert Karl Immermann 1838/39 in seinem Roman »Münchhausen«. Hier schwadroniert der Titelheld, der die Lügen seines berühmt-berüchtigten Ahnen entschieden ablehnt: »Die Zeit verlangt Wahrheit, die ganze Wahrheit, nichts als die Wahrheit. […] Kein Briefgeheimniß, kein Hausgeheimniß! Alle diese obsoleten Begriffe müssen fallen! Alles muß öffentlich seyn!«

Diese polemische Konnotation haftet dem Adjektiv im Grunde bis heute an. Gelegentlich findet man obsolet in der reinen Bedeutung ›überflüssig‹ – ohne Bezug auf die Zeit. Doch in der Mehrzahl der Fälle bezeichnet es etwas, das früher einmal nützlich war. Das zeigt sich schon an der Häufigkeit von Verbindungen, in denen etwas obsolet wurde oder wird.