Odium

Man kann mehrere Fehler haben und dazu noch verschiedene Makel – obwohl dieses Wort allem Anschein nach äußerst selten im Plural benutzt wird. Aber man kann bloß ein Odium haben, denn das Wort existiert nur im Singular. Das DWDS definiert Odium als ›Makel‹, das Duden-Universalwörterbuch erklärt die Bedeutung mit ›Anrüchigkeit, übler Beigeschmack‹ – und ist damit meines Erachtens näher an der Sprachwirklichkeit. Im »Deutschen Fremdwörterbuch« umschreibt es Otto Basler mit ›Hass, Unwille; Vorwurf; Widerwärtigkeit‹; daneben können ›Verdacht‹ und ›(übler) Ruf‹ als erläuternde Synonyme herangezogen werden. Offenbar ist das Wort nicht leicht dingfest zu machen. Das war schon beim lateinischen odium ähnlich; das lateinisch-deutsche Wörterbuch »Georges« führt hier als Erläuterung ›der Hass, der Widerwille, die Abneigung, Feindschaft‹ an.

Nachdem Odium im 17. Jahrhundert als neutrales Substantiv ins Deutsche gelangte, war ›Hass‹ längere Zeit die einzige Bedeutung. Dementsprechend erwähnt Johann Philipp Abelin 1635 in einem Band des »Theatrum Europaeum« den »überauß unaußlößlich odium zwischen den beyden Churfürstlichen Häussern / Pfaltz und Sachsen«. Noch der Arzt Ignaz Semmelweis spricht 1861 in seiner epochalen Schrift über die Ursachen des Kindbettfiebers vom »Odium so zahlreicher Fachgenossen«.

Gleichzeitig begann man aber schon im 19. Jahrhundert, sich vom hauptsächlichen lateinischen Vorstellungsinhalt des Wortes loszumachen und ihn freier zu verwenden. Zum alleinstehenden Gebrauch des Wortes und den üblichen Verbindungen ein Odium auf/gegen etwas haben/erregen tritt die heute vorherrschende Konstruktion mit spezifizierendem Genitiv. Die Historikerin Luise Büchner beispielsweise lobt 1875 den Mut von Reichskanzler Bismarck, zum Schein »das ganze Odium eines starren, unversöhnlichen Aristokraten, eines Fürstendieners auf sich zu nehmen«. In den Verhandlungen des Reichstages wurde Odium nach 1871 schier zu einem Lieblingswort: Über dreihundert Mal kann es bis 1914 in den Debattenprotokollen nachgewiesen werden. Am lustigsten ist aus heutiger Sicht vielleicht die Kritik, die der Abgeordnete Franz Xaver Hoën von der Zentrumspartei im März 1910 am Rauchverbot in Eisenbahnwagen übt:

Die Zahl derjenigen, die durch das Rauchverbot belästigt werden, ist wesentlich größer als die kleine Minderheit der Reisenden, die das Rauchen nicht lieben. Es wird dem Raucher geradezu ein Odium angehängt, als ob es ein unerlaubtes Vergnügen wäre; das ist denn doch zu weit gegangen. Man sollte hier etwas mehr Rücksicht auf die vorhandenen Bedürfnisse nehmen, die Erlaubnis weiter ausdehnen und die Einschränkungen in Zukunft fallen lassen.

Gegenwärtig liest man unter anderem vom Odium der Lächerlichkeit, Odium des Verrats, Odium der Meinungsmanipulation, Odium des Banausischen. Ungewöhnlich ist der Gebrauch im Sinne von ›Geruch‹, der sich 1985 in Patrick Süskinds Bestseller »Das Parfum« findet. Dort flieht die vom Duft der Menschen geplagte Hauptfigur Grenouille auf einen einsamen Berggipfel und frohlockt: »Er war dem verhaßten Odium entkommen!« Nahezu völlig verschwunden ist bedauerlicherweise das auf französisch odieux zurückgehende Adjektiv ödiös (›verhasst‹), das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch bei Fritz Mauthner, Max Weber und Joseph Roth üblich war. Es sollte dringend wieder in die Bildungssprache zurückgebracht werden.