Die allermeisten Deutschsprecher hatten dieses Wort vergessen oder es war ihnen immer unbekannt gewesen, bis es der ehemalige Bundeskanzler und damalige SPD-Vorsitzende Willy Brandt wieder ausgrub. Nach der Bundestagwahl im Oktober 1976 verkündete er: »Jetzt geht es nicht um Petitessen!« Ein oberschlauer »Spiegel«-Leser meinte, Brandt korrigieren zu müssen: Das französische Wort bezeichne bei Frauen Kleinheit des Wuchses und bei Männern Bedeutungslosigkeit; die Verwendung im Sinne von ›Nichtigkeiten‹ sei »eine barbarische Fehlbildung«. Ein anderer Leser sprang Brandt jedoch bei: Ein Blick in das »Dictionnaire du français contemporain« belege, dass Petitessen sehr wohl im Sinne von ›entnervenden Kleinigkeiten‹ gebraucht werden könne.
Willy Brandt, so kann vermutet werden, hatte sich das Wort in der Korrespondenz eines Mannes angelesen, der – wie jeder Gebildete im 19. Jahrhundert und wie sein Freund Karl Marx – gut Französisch konnte: Ferdinand Lasalle ermahnte Jenny Marx in einer Nachricht vom 26. Juni 1853, sich nicht so viele Gedanken über das Porto und die Mühe mit Briefen zu machen, die er ihr und ihrem Mann Karl zuvor geschickt hatte: »Solche Petitessen lohnen nicht der Rede.« Dass Brandt diesen Brief des SPD-Mitbegründers Lasalle kannte, ist zumindest nicht auszuschließen.
Das Wort Petitessen wurde Mitte des 18. Jahrhunderts aus dem Französischen entlehnt. Den ältesten Beleg konnte ich in den ab 1751 von Peter von Hohenthal herausgegebenen »Oeconomisch-physicalischen Abhandlungen« finden. Ein schönes Beispiel findet sich bei Moses Mendelssohn, der 1760 im Hundertsten der »Briefe, die neueste Literatur betreffend« schreibt:
Wir haben das Glück gehabt, von Regenten beherrscht zu werden, denen das kleinste Detail ihres weitläuftigen Reichs nicht zu »klein« geschienen hat, ihre väterliche Vorsorge bis dahin zu erstrecken. Unsere »Petitessen« mochten noch so tief unter ihrer Majestät seyn; sobald sie uns nur wichtig waren, so sahen wir mit Bewunderung den Thron sich bis zu ihnen herablassen und, wie einen liebreichen Hausvater, sogar an dem Spiele feiner Kinder mit Theil nehmen.
Das Wort blieb aber im 18. und 19. Jahrhundert selten. Niemals wurde es auch nur annähernd so häufig gebraucht wie heute. Die Dudenredaktion definiert es im deutschen Universalwörterbuch als ›Geringfügigkeit, nebensächliche, unwichtige Sache, Kleinigkeit‹; aufgenommen wurde es in den Rechtschreibduden erstmals 1980 – vier Jahre, nachdem Willy Brandt es zu neuem und alles vorangegangene überstrahlendem Ruhm gebracht hatte.