Philippika

Von der Redekunst der Griechen war hier schon einmal die Rede. Während die Spartaner als lakonisch galten, war Athen die Hochburg der schmuckvollen und wirksamen öffentlichen Rhetorik. Beides hatte mit den jeweiligen Staatverfassungen zu tun. In der spartanischen Oligarchie mit monarchischer Spitze, in der nur wenige über Macht verfügten, bedurfte es keiner großen Debatten. Dagegen musste, wer in der Demokratie Athen politisch wirken wollte, die männlichen Vollbürger – denn nur auf die kam es an – durch öffentliche Ansprachen auf seine Seite bringen.

Niemand konnte das schwungvoller als der Staatsmann Demosthenes. Seine »logoi Philippikoi« (›Philippische Reden‹), mit denen er im 4. Jahrhundert v. Chr. das Volk von Athen zum Kampf gegen Philipp von Makedonien, den Vater Alexanders des Großen, aufstacheln wollte, galten schon in der Antike als unübertroffene Musterbeispiele einschlägiger Rhetorik. In dieser Tradition benannte Roms größter Redner Cicero seine Ansprachen gegen die Republikfeinde im Bürgerkrieg 44/43 v. Chr. »Philippica« – und zeigte damit zugleich an, dass er sich Demosthenes durchaus ebenbürtig fühlte.

In Erinnerung an die antiken Vorbilder entstand im 18. Jahrhundert unser deutsches Wort Philippika als Gattungsbegriff für eine wütende Rede. Über seine Auseinandersetzung mit dem damaligen Literatur- und Sprachpapst Johann Christoph Gottsched und dessen Anhängern spottet 1743 der Schweizer Johann Jakob Bodmer: »Die vertrauten Rednergesellschaften schwizen und sinnen auf neue Philippicas.« 1791 erklärt Wieland in seinem Dialog »Peregrinus Proteus«: »Wer das Unglück hat, der Gegenstand einer Philippika zu seyn, muß freilich unter diesem hergebrachten Vorrecht witziger Schriftsteller leiden: dafür aber befinden sich auch die Glücklichen, denen Lobreden zu Theil werden, desto besser dabei.«

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde das feminine Substantiv Philippika schließlich zum allseits geläufigen Bestandteil des Bildungswortschatzes – und dort ist es bis heute geblieben. Wie schon bei Bodmer und Wieland wird es oft gebraucht, um zugleich den Nutzen des gewaltigen rhetorischen Aufwands solcher Reden infrage zu stellen: Ist die ganze Aufregung dem Gegenstand angemessen? In diesem Sinne warnt 1996 der damalige Bundespräsident Roman Herzog seine Zuhörer bei einer Rede über die Transformation von der Informations- zur Bildungsgesellschaft vor: »Wenn Sie nach dieser Einleitung jetzt eine kulturpessimistische Philippika gegen das Fernsehen erwarten, dann täuschen Sie sich.«