sakrosankt

Sollte ein Sprachpurist auf die Idee kommen, dieses Wort zu verdeutschen, wären heiligheilig oder doppelheilig angemessene Übersetzungen. Dann das lateinische Wort sacrosanctus ist eine Zusammensetzung von sacer und sanctus, die beide ›heilig‹ bedeuten. Das Wort, das gelegentlich in der Schreibweise sacersanctus auftauchte, bezeichnete im alten Rom etwas, das ›unverletzlich und hochheilig‹ war, beispielsweise die Immunität der Volkstribune. In einem ähnlichen Sinne wurde es dann von der christlichen Kirche gebraucht.

Nach vereinzelten Vorläufern schon im 16. Jahrhundert wurde das Wort im frühen 18. Jahrhundert dauerhaft ins Deutsche entlehnt, aber erst seit dem 19. Jahrhundert tritt es häufiger auf. Sehr bald schon wurde das Wort nicht mehr bloß im religiösen Sinne verwendet, sondern konnte ganz allgemein ›unantastbar‹ bedeuten. Oft wurde dabei ein kritischer Ton angeschlagen und die Unantastbarkeit des für sakrosankt Erklärten ironisch hinterfragt oder als angemaßt hingestellt. Typisch dafür ist schon ein früher Beleg aus einer Sitzung des Reichstages des Norddeutschen Bundes: Dort rechtfertigt der Bismarck-Vertraute Robert Viktor von Puttkamer die Verhaftung des sozialdemokratischen Abgeordneten Fritz Mende, der trotz seiner Immunität wegen eines Krawalls in Mönchengladbach festgenommen worden war. Dieser, so Puttkamer, habe sich »in seiner Qualität als Reichstagsabgeordneter […] als eine über den gesetzlichen Autoritäten stehende, gewissermaßen sakrosankte Person« geriert.

Eine Gesellschaft, in der sogar das Religiöse nicht mehr unhinterfragt akzeptiert wird und alles Nichtgöttliche erst recht kritisiert werden darf, erkennt nichts mehr als sakrosankt an. »Genialische Veranlagung macht nicht sakrosankt gegen Kritik des Greifbaren, Positiven, das sie hervorbringt«, erwidert 1904 die frühe Feministin Grete Meisel-Heß auf die misogynen und antisemitischen Tiraden, die der Philosoph Otto Weininger kurz zuvor in seinem Buch »Geschlecht und Charakter« niedergeschrieben hatte. Dennoch gibt es bis heute durchaus Phänomene, die von den Medien für sakrosankt erklärt werden – zumindest aus der Perspektive ihrer Anhänger: Lionel Messi, als er noch für den FC Barcelona spielte, staatliche Krankenversicherung in Großbritannien, die schwarze Null in der Sparpolitik der Bundesregierung.