sic!

Dieses Wort stellt Bildung auf eine ganz besondere Weise heraus: Es zeigt an, dass in einem wörtlich wiedergegebenen Text ein Fehler entdeckt wurde. Karl Marx etwa zitiert im 1885 erschienenen zweiten Band des »Kapitals« aus Friedrich Kirchhofs »Handbuch der landwirthschaftlichen Betriebslehre« von 1852: »Weit wünschenswerther aber für Pächter und Verpächter bleibt es aber immer, wenn die Pachtzeit ein Vielfaches der Pachtzeit [sic!] ausmacht.« Das sic! soll andeuten, dass Marx hier eine unbeabsichtigte Wortwiederholung identifiziert; beim ersten Mal müsste dort eigentlich »Umlaufzeit« stehen.

Das Verfahren stammt aus der akademischen Zitat- und Editionspraxis, die ursprünglich in der Renaissance im Zusammenhang historisch-kritischer Quellenausgaben von antiken Schriften entwickelt worden war. Auf diese Weise macht ein Autor klar, dass er einen Fehler bewusst wiedergibt, um die philologische Exaktheit des Zitats nicht zu beschädigen. Für gewöhnlich wird sic! – fast immer mit Ausrufezeichen – in eckige Klammern gesetzt. Dies soll verdeutlichen, dass es sich um eine metasprachliche Anmerkung handelt, die gegebenenfalls auch von originalen, rund eingeklammerten Einschüben innerhalb des Zitats abzuheben ist.

Das lateinische Adverb sic bedeutet ›so‹ und ist die Abkürzung für die Wendung sic erat scriptum (›genauso steht es im Text‹), die sich oft in lateinischen akademischen Werken von der frühen Neuzeit bis zum 19. Jahrhundert wiederfindet. Dieses sic ist wohl das einzige Wort in diesem Buch, das ausschließlich schriftlich gebraucht wird. Für eine Interjektion – denn als solche fasst es der Duden in dieser Verwendung auf – ist das beinahe ein Widerspruch in sich. In mündlicher Rede haben die heute oft gebrauchten air quotes (›Luftanführungszeichen mit beiden Zeige- und Mittelfingern‹) eine vergleichbare Funktion.

Neben dem Hinweis auf Fehler kann sic Befremden oder Abscheu über den Inhalt eines Zitates, das geschilderte Phänomen oder nur ein ungewöhnliches Wort ausdrücken. Viktor Klemperer verwendet es in seinen Tagebüchern der NS-Zeit auf beide Weisen. 1942 gibt er einen jüdischen Leidensgenossen wieder, der sich von seinen ehemaligen deutschnationalen Mitkämpfern im Wehrverband »Stahlhelm« verraten fühlt: »Das ist Stahlhelmdank (sic) für fast 15jährige Stahlhelmarbeit, das ist Stahlhelmtreue (sic), die man mir sooft geschworen.« Hier zeigt Klemperer, wie kurios ihm die beiden Wörter erscheinen. Im selben Jahr zitiert er einen Gesprächspartner, der von der Fremdwortschwäche Adolf Hitlers berichtet: »Er meint (und ich habe das auch schon von anderer Seite gehört), Hitler habe wirklich in seinen frühen Reden diskrimieren (sic) gesagt.« Klemperer benutzt sic nicht nur besonders häufig, sondern auch für Belege mündlicher Rede – was eher ungewöhnlich ist. Damit überträgt der habilitierte Romanist und ehemalige Lehrstuhlinhaber akademische Gewohnheiten auf die Schilderung des alltäglichen Lebens unter den Nationalsozialisten.

In jüngerer Zeit nimmt die Verwendung von sic! in Zeitungstexten selbst im Kontext banaler Zitate oder Darstellungen erkennbar zu – zumindest in Intelligenzblättern wie »Zeit«, »FAZ« und »Tagesspiegel«.