sublim

Im 2002 erschienenen Roman »Grand Tour« von Steffen Kopetzky heißt es über ein Schriftstück: »Das alles war im Ton eines schwachsinnigen Anklageprotokolls abgefaßt, mit vielen Ausrufezeichen und sublimen handschriftlichen Anmerkungen, wie ›Verdächtig!‹« Die ironische Stelle ist ein Indiz dafür, dass der Bedeutungshorizont von sublim mittlerweile so weit ausgedehnt ist, dass es fast überall hingeschrieben werden kann, wo der Klang des Wortes Eindruck schinden soll. Denn an solchen plumpen Anmerkungen ist im herkömmlichen Sinne gar nichts sublim.

Als das Adjektiv in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entlehnt wurde, bedeutete es das Gleiche wie das lateinische sublimis, auf das es zurückgeht, nämlich ›hoch, erhaben, emporstehend, emporragend‹. Dabei konnte es zunächst auch einfach zur Lagebeschreibung dienen. Ohne Bezug auf Topografie erwähnt der Staatstheoretiker Iriniphilus Nugaeserius Freymund in seinem »Europäischen Geheimen Staats-Cabinet« von 1690 den byzantinischen Historiker Theophylaktos Simokates. Für diesen sei »die Reichs-Herrschafft etwas so Sublimes und über die gemeine Beschaffenheit erhöhtes«, dass sie die Regenten oft dazu bringe, »wider die Vernunfft selbst mit Grausamkeit zu toben«. Der neue Ausdruck wurde zudem für prächtige Titel oder pompöse Zeremonien herangezogen, die ebenfalls sublim genannt werden. Bald übertrug man das Wort auf den literarischen Stil – als höchstes Lob. Über Homer etwa heißt es 1767 im zwanzigsten »Brief über die Merkwürdigkeiten der Litteratur« von Heinrich Wilhelm von Gerstenberg: »Die Sentiments selbst, die bey andern Schriftstellern ermüden, zeigen hier die Erhabenheit ihrer Abkunft; sie sind Funken aus der glühenden Hitze des Genies, reine, geistige und sublime Funken ohne den Rauch des Schwätzers.«

Dann nahm das Adjektiv – vielleicht unter dem Einfluss des französischen sublime – mehr und mehr den bis heute üblichen Sinn ›fein‹ an. Das Duden-Universalwörterbuch definiert sublim zum einen mit ›nur mit großer Feinsinnigkeit wahrnehmbar, verständlich; nur einem sehr feinen Verständnis, Empfinden zugänglich‹ und nennt als Beispiel ein sublimer Witz. Zum anderen führt dieses Duden-Wörterbuch ›von Feinsinnigkeit, einem feinen Verständnis, Empfinden zeugend‹ an, was sich beispielsweise auf die Interpretation eines Musikstückes beziehen könne.

Der Gebrauch im oben angeführten Kopetzky-Zitat entspricht keiner dieser beiden Erklärungen – bestenfalls ist es eine Verwendung im Sinne einer giftigen Ironie. Aber es ist das Vorrecht des Autors, Wörtern eine neue Bedeutung zu verleihen – man muss nur alle anderen Deutschsprecher davon überzeugen. Dies gelang Sigmund Freud mit dem Verb sublimieren, das im 18. Jahrhundert ›erhöhen, verfeinern‹ im literarischen Kontext meinte. Zuvor beschrieb es schon im 15. Jahrhundert in der Chemie das Übergehen in einen anderen Aggregatszustand. Freud erreichte, dass wir das Wort heute oft im Sinne seiner Psychoanalyse auffassen, wo unter sublimieren die Umleitung sexueller Triebenergie in die Kunst oder in die allgemeine Schaffenskraft zu verstehen ist. So ist es gemeint, wenn Helmut Krausser 2006 in seinem Buch »Eros« eine Figur sagen lässt: »Ich sublimierte, verdrängte meine Liebe und wurde erwachsen, wurde ein fabelhafter Geschäftsmann.«