Topos

Vom Online-Duden wie vom DWDS wird dieses Wort den Fachsprachen der Literatur- und der Sprachwissenschaft zugerechnet und als ›festes Schema, feste Formel, feststehendes Bild oder Ähnliches‹ oder als ›feststehende, allgemein anerkannte Redensart‹ definiert. In diesem Sinne schreibt Rüdiger Safranski 2004 in seiner Schiller-Biografie über »Kabale und Liebe«: »Seit Lessing war die Verbindung zwischen der Kritik adliger Lasterhaftigkeit und dem Lob bürgerlicher Tugend zu einem dramatischen Topos geworden.«

Der Linguist Gerhard Augst rechnet Topos, das im Griechischen einfach ›Ort‹ bedeutet, längst dem allgemeinen Bildungswortschatz zu. Dorthin gelangte es offenbar erst im 20. Jahrhundert – wohl nicht zuletzt durch die prägende Rolle, die die Geisteswissenschaften für die Generation der 68er spielten. In Zeitungen findet man das Wort vor 1970 so gut wie nie, und selbst in der politischen Kommunikation war es inexistent – in sämtlichen Reichstagsprotokollen von 1871 bis 1942 taucht das Wort nicht einmal auf.

Im Nachkriegsdeutschland sieht das anders aus. Zwar entspricht der Gebrauch in den Feuilletons noch weitgehend dem literaturwissenschaftlichen. Aber schon 1971 antwortete der damalige SPD-Minister Horst Ehmke dem Unionspolitiker Hans Katzer im Bundestag: »Ich muß Ihnen sagen, ich bin nicht der Meinung, daß diese Gesellschaft ›Leitbilder‹ braucht. Ich halte das für einen sehr konservativen Topos.« In diesem eher allgemeinen Sinne von ›gängige Vorstellung‹ oder ›stehender Begriff‹ wurde das Wort immer mal wieder in Parlamentsdebatten verwendet. 2010 etwa ermahnt die SPD-Abgeordnete Angelika Graf die Regierung, »nicht inflationär mit dem Topos ›Verfolgung‹ umzugehen«.

Gelegentlich liest man Topos auch abwertend als Synonym für Gemeinplatz. Dieses Wort bildete Wieland 1770 – unter dem Einfluss des englischen commonplace – als Übersetzung von locus communis zur Bezeichnung einer nichtssagenden Binsenweisheit. Das griechische topos und das lateinische locus communis werden spätestens seit der Renaissance in der Rhetorik als sinnverwandt benutzt.